1218. An Johanna Keßler

[140] 1218. An Johanna Keßler


Mechtshausen 1. Febr. 1899.


Liebste Tante!

Haben Sie Dank für Ihren liebenswürdigen Brief.

Zu meiner Freude scheint sich das Befinden meiner Schwester nun doch entschieden zu beßern. Die Ärzte haben sie schrecklich verwundet. Bei alten Leuten heilt das nur langsam. Der innere Baumeister, der den Körper bildet, hat eben später nicht mehr so viel Lust oder Kraft zu den nöthigen Reparaturen, wie in der Jugendzeit. Sieht man dergleichen in der Nähe, dann wird man eindringlich daran erinnert, was man sonst fast vergißt, daß selten Wer an das Ende der Fahrt gelangt, ohne zuletzt noch schmerzlich gerüttelt zu werden.

Die Welt im Allgemeinen, die Einem alt vorkommt, weil man's selber ist, bleibt inzwischen und bis auf weiters so jung wie zuvor. Vereinzelt im Walde erwacht das Kraut. Die Knospen der Schneeglöckchen im Garten schimmern weißlich zwischen den Blättern. Und erst bei Ihnen, wo der Frühling eher kommt; da sind gewiß schon viel mehr Neuigkeiten aus der Erde gewachsen, als am Harz hier bei uns.

Wie geht es Philipp? Ich meine immer, da er die eigentlich gefährlichen Jahre hinter sich hat, es wird noch gut werden mit ihm.

Bleiben Sie gesund, liebste Tante – Herzliche Grüße an Sie und die Ihrigen von

Ihrem alten

Onkel Wilhelm.


Bitte, sagen Sie Nanda meinen Dank für ihren letzten Brief.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 140.
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