1465. An Marie Hesse

[226] 1465. An Marie Hesse


Mechtshausen 26. Aug. 1904.


Liebe Frau Heße!

Sie haben recht. Wer längst Vergangenes in der Gegenwart aufsuchen möchte, setzt sich meist einer großen Enttäuschung aus. Im vorigen Herbst fuhr ich eigens nach Düßeldorf, um mir ein Bild wieder anzusehn, das mir[226] vor 50 Jahren außerordentlich gefallen hatte. Ob wir nun beide verändert waren, oder ich nur allein – kurzum, ich kehrte nicht befriedigt zurück. Ja, in so Was muß man sich, wenn man alt wird, eben finden und den unaufhaltsamen Lauf der Dinge betrachten, ohne entrüstet zu sein, daß alles vorüber geht. – Noch immer seh ich gern den Wechsel der Jahreszeiten, besonders den werdenden Frühling, doch auch den fertigen Sommer, den sanft melancholischen Herbst und den frischen Winter im weißen Gewande.

Unsere Hitze und Dürre hab ich durch Gelaßenheit gut überstanden. Und merkwürdig: trotz des anhaltend trockenen Wetters ist in Garten und Feld sehr viel gewachsen. Selbst der Bauersmann, der sonst immer zu klagen pflegt, ist diesmal befriedigt.

Die Neffen Hermann und Adolf waren hier zu Besuch. Der Neffe Otto ist mit seinem neunjährigen Sohn Martin seit beinah vierzehn Tagen in Borkum. Ihren Gruß werd ich bestellen.

Leben Sie wohl, liebe Frau Heße. Es grüßt Sie freundlich

Ihr

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 226-227.
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