236. An Johanna Keßler

236. An Johanna Keßler


Wiedensahl 23 Aug. 74.


Liebe Tante!

Hoffentlich sind Sie frisch und gesund aus den Wäldern zurück gekehrt, haben allerlei schönes gesehn und wohl auch dies und das für Ihre Sammlung erworben. – Mir ist der Sommer so leise an der Seite hinweg geschlichen, ohne daß ich viel Gutes davon bemerkt hätte. Für die Ferien meines Bruders Hermann hatten wir allerdings einige Ausflüge projectirt; bei der großen Hitze zogen wir's aber immer vor, unter dem Schatten des Pfarrdaches unsern Wein mit Selters zu trinken, anstatt uns in den gewärmten Eisenbahnwagen unter die Touristen zu begeben. – Die letzten drei Wochen, die mein Schwager und meine Schwester mit den Kindern im Harze zugebracht, hatte ich die Zügel des geistlichen Regiments allein in Händen. Es war unglaublich still und einsam; ein Zustand, den ich nicht ohne ein gewißes Behagen ertragen und genoßen habe. – Die Abfaßung eines kleinen Buches hat mir einen Monat lang die Zeit vertrieben. Es ist jetzunder im Druck. Sie werden einige bekannte Klänge drin wiederfinden. – Vor einiger Zeit überfiel mich ein heftiges Unwohlsein, was ich noch immer nicht ganz wieder überwunden habe. – Mir ist's, als hätte ich Sie nun seit zehntausend Jahren nicht gesehn, und freue ich mich recht so darauf, wenn Glück und Laune günstig, einmal recht behaglich wieder bei Ihnen zu sein.

Viele herzliche Grüße von

Ihrem getreuen Onkel

Wilhelm

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 126.
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