37. An Caspar Braun

[32] 37. An Caspar Braun


Wiedensahl d. 26 Feb. 65.


Mein lieber Herr Braun!

Meinen besten Dank für Ihren freundlichen Brief, den ich gerade erhielt, als ich eben mein kleines Packet an Sie abgeschickt hatte. Ich habe mit Freuden gesehn, daß Sie mir Ihr früheres Wohlwollen und sich selber einen vortrefflichen Humor bewahrt haben. Da stehn Sie mir nun recht lebhaft vor Augen als ehrsam=heitrer Landmann, der, an der Spitze eines muntern Chor's von Schnittern auf dem Felde mit der Erndte beschäfftigt, einen vorüberschlendernden Strolchen betrachtet, der ich selber bin. Geben die Götter, daß Ihr freundlich=prophetischer Blick in die Zukunft sich bewahrheiten und dieser unruhvolle Dornen= und Wanderstab endlich abgelegt und ein stilles Eckchen finden möge!

Was paßirt mir nun aber Merkwürdiges, daß ich es Ihnen mittheilen könnte? – Das Intereßanteste, das ich hier sehe, ist der neunjährige Sohn meines Nachbars, der grad unter meinem Fenster den Tummelplatz seiner jugendlichen Spiele hat. Dieser junge Mensch macht sich in dem engen Kreise seiner Wirksamkeit das Leben so angenehm wie möglich. Ißt er sein Morgenbutterbrod, so versäumt er sicher nicht, einem hungrigen Hunde jeden Bißen erst vor die Nase zu halten, eh er ihn selber in's Maul schiebt; wodurch er sich, nebst der Annehmlichkeit, die der Genuß eines Butterbrods schon an sich zu gewähren pflegt, auch noch das Vergnügen verschafft, einen Andern Das entbehren zu sehn, was er selber genießt. –[32]

Sobald die Mistpfütze bis oben mit Jauche gefüllt ist, zieht er seine eignen Stiefel aus und seines Vaters Stiefel an, um darin herum zu patschen. – Muß er sich schneutzen, so schmiert er den Schleim ohne Frage auf den Thürdrücker oder an den Pflugstiel; denn dadurch verschafft er sich erstens Luft, und zweitens die Genugthuung zu sehen, wie ein Andrer hineintappt. – Gackelt irgendwo ein Huhn, gleich schleicht er hinterher, nimmt das warme, kaum zur Welt gebrachte Ei sofort in Empfang und vertauscht es im Laden des Krämers gegen die Süßigkeit des Candiszuckers. – Ja, sogar aus dem Bedürfniße des Schiffens weiß sich dieser erfinderische Kopf eine Quelle des Vergnügens zu schaffen. Indem er nämlich den Schlauch vorne zusammenkneift, treibt er so den Strahl mit Heftigkeit bald steil in die Luft, bald in Parabeln und Hyperbeln und allen Curven der höheren Geometrie auf den Schnee, oder in die Astlöcher der Balken und Bretter, und wehe der unglücklichen Spinne, die, durch den nahenden Frühling hervorgelockt, in irgend einer Spalte sich blicken läßt: Rückzug, schleunige Flucht, oder der bitterste Tod: das ist die Alternative.

Bei dem letzthinnigen (pardon für das Scheusal von Wort!), bei dem zuletzt gehabten starken Frostwetter flog auch ein kleiner Zaunkönig in mein Schlafzimmer. Ich nahm das kleine Thierchen in meine Stube, und hier hüpfte und schlüpfte er nun emsig überall herum; in Kisten, Kasten, Schubladen, Tobackskasten, Holzschuhe (o schöne Ordnung!), und bald waren alle alten Fliegenmumien radical aufgezehrt. Jetzt setzte ich ihm gekochte Kartoffeln vor, vergebens; jetzt Grütze, nicht rühr an; jetzt einen Talgstummel, ohne Erfolg; jetzt Mehlwürmer, das war getroffen! Aber war es nun der Verlust der Freiheit, oder die Stubenluft, oder der Tobacksqualm – kurz – noch am selbigen Abend blusterte er die Federn auf, machte die Augen zu, wackelte vor= und rückwärts, kroch in die Nähe des Ofens und verschied. Dieser Trauerfall rührte meinen kleinen Neffen, einen Knaben von vier Jahren, zu bitteren Thränen. –

Und dies, mein lieber Herr Braun, wären die wichtigsten meiner gegenwärtigen Erlebniße.

Ich bitte Sie nun, meine Freunde, die Sie besuchen, recht freundlich zu grüßen, und indem ich meinen besten Gruß an Sie selbst hinzufüge, verbleibe ich Ihr

stets ergebener

W. Busch.


37. An Caspar Braun: Faksimile Seite 1
37. An Caspar Braun: Faksimile Seite 1
Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 32-34.
Lizenz:

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