571. An Margarethe Fehlow

[237] 571. An Margarethe Fehlow


Wiedensahl 22 Juni 83


Mein liebes Gretchen!

Freundlichen Dank für deinen freundlichen Brief! Ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr in Eurem lustigen Berlin die Naturgenüße dieses sonnigen Frühlings mit den Kunstgenüßen gar schlau und angenehm zu vereinigen wißt, während Unsereins nur so schlichtweg durch Wald, Wiesen und Felder, zwischen Bohnen mit langen Stangen, zwischen Erbsen und den so nützlichen Kartoffelgebüschen, oder wenn's hoch kommt gar einmal zwischen zwei Rosenrabatten dahinspatziert. Um diese biederen Freuden doch ein wenig pikanter zu machen, hab ich mir neulich die Aufregung erlaubt, einen alten korpulenten Schornstein, der mit dem bedrohlichen Gewicht von circa 20,000 571. An Margarethe Fehlowallnächtlich über meinem Haupte lastete, herniederreißen und hübsch mager wieder aufrichten zu laßen. Es gab Lärm, wie bei einem gelinden Erdbeben und Staub bis tief in die Ohren. Montag vor acht Tagen riß ich mich indeß aus dieser Ergötzlichkeit los, wusch mich gründlich und fuhr mal nach Wolfenbüttel, um auch die dortigen Baubelustigungen mal zu besichtigen. Onkel und Tante waren in selbigter Nacht aus Celle zurückgekehrt, wo Bruder Hermanns Töchterchen getauft und bei der Gelegenheit Paula genannt worden war. Du kannst daraus abnehmen, daß du nicht bloß allein die Kunst verstehst, durch Ausdehnung der weiblichen Verwandtschaft die Würde zu erhöhen. Übrigens fand ich die Wolfenbüttler Bauverhältniße nur in einem mittleren Stadium. Die alte Treppe lebte noch hartnäckig fort und die neue sollte erst geboren werden. Vor Monat August, fürcht ich, kommt die Sache nicht in's Reine. Dann aber, liebs Gretchen, hofft dich jedenfalls mal wieder zu sehn

Dein guter und bejahrter Onkel

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969.
Lizenz: