598. An Hermann Nöldeke

[247] 598. An Hermann Nöldeke


Wiedensahl 19. Febr. 1884.


Lieber Hermann!

Vorigen Freitag hielt der älteste Sohn des Bürgermeisters Hochzeit mit der Tochter des Großen-Denkers; er, wie's heißt, etwa 10 Jahre jünger als sie. Herr Pastor war auch da, ebenso die beiden Sophien von der Pfarre. Herr Pastor geht zuerst heim, kuckt noch mal zum Fenster hinaus und legt sich zu Bett; dann kommen die Mädchen nach Hause und legen sich gleichfalls auf's Ohr. Am andern Morgen zeigt sich folgende Veränderung in Stube und Kabinett unten nach Südwest. Aus dem Stubenfenster ist eine Scheibe herausgenommen, die Blumentöpfe sind sorgfältig einer neben den andern draußen in der Bleiche auf den Rasen gestellt, der Fußboden ist recht schmutzig getrampelt, eine Menge halbverbrannter Zündhölzer liegt umhergestreut, in der Kindercommode ist herumgewühlt, der Schlüßel dazu benutzt, um den Schrank im Kabinett zu öffnen, und in diesem fehlen so und so viel Bettlaken, Büren und drei Dutzend Handtücher, zusammen etwa im Werth von 60 Mk.; alles nur gröbere Sachen; die feinen hat der Dieb liegen laßen, wie's scheint, weil diese ihm in seine eigene Garnitur nicht gepaßt haben. Man will doch als ordentlicher Mensch nicht gern eine auffällige Disharmonie zwischen seinen Sachen haben. Kaum hat der Tischler am Sonnabend Morgen die neue Scheibe eingesetzt, so findet man die alte ganz heil und sauber hinter der Steinbank stehend (an der Südwestecke). Frau Pastorin hat sich nun schon mehre Riegel bei Busch und Herr Pastor einen sechsläufigen Revolver bei Goldbeck gekauft. Man ist über den Verbleib der gestohlenen Sachen ebenso im Unklaren, wie über den Dieb; aber man munkelt doch allgemein von einem einheimischen »Sachverständigen«, der wohl auch Dir gleich einfallen wird. Wir sträuben uns aber immer noch, es ihm zuzutrauen. – Die Phantasie regt sich natürlich in allen Köpfen. Ich schiebe jeden Abend nach der »Bähne« zu den Holzriegel vor und eben bemerke ich, daß Mutter die Betten von unten nach oben trägt. – Max Kleine, der nächsten Monat heirathen will, war Sonntag hier, um dem Docter die Miethe zu kündigen. Termin zum Verkauf des Hauses ist auf den 3ten März angesetzt. – Der scharfe Ostwind, unser spezieller Feind, hat sich gelegt. Morgen Nachmittag will ich die Bückeburger mal besuchen.

Übrigens ist dies der erste Brief, den ich durch die neulich in Celle erstandene Brille schreibe.

Gehab dich wohl, lieber Hermann! Die herzlichsten

Grüße von uns!

Dein getr. Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 247-248.
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