75. An Moritz Schauenburg

[56] 75. An Moritz Schauenburg


Wiedensahl 12. 8. 70.


Geehrtester Herr Schauenburg!

Zu meinem Bedauern sehe ich aus Ihrem soeben angelangten Briefe, daß die Vorbereitungen zu dem gewaltigen Kriege, der hoffentlich zu Deutschland's Ehre glücklich zu Ende gehen wird, Ihre mir so sehr erwünschte Zusammenkunft mit meinem Bruder verhindert haben. Daß ich mich natürlich den Consequenzen der kleinen Broschüre, die Ihnen soviel Verdruß macht, nicht entziehen wollte, habe ich Ihnen gleich zu Anfang erklärt, obgleich ich jetzt jeden sonnigen Tag im Freien zu meinen Studien benutzen möchte, die mir so sehr am Herzen liegen.

Wenn mich Herr Näf, der mir als ausgezeichneter Mann dem Namen nach bekannt, in dieser Sache vertreten wollte, so könnte mir das gewiß nur höchst erwünscht sein. Ich vermiße aber in Ihrem Couvert das Formular zu der erwähnten Vollmacht. Einige Notizen über den Antonius, die mir im Gedächtniß sind, will ich nicht versäumen, Ihnen hier mitzutheilen. Mit tendenziösen Sachen habe ich mich nie im Leben befaßt. Wo mir etwas komisch erschien, habe ich es in meiner Weise zu behandeln gesucht. So entstand der Antonius, weil mir zufällig »Unserer lieben Frauen Kalender«, wie ich vermuthe aus dem Anfange des vorigen oder dem Ende des vorvorigen Jahrhunderts, in die Hände kam.

In protestantischen Anschauungen aufgewachsen, mußte es mir sonderbar erscheinen, daß es im Ernste einen wirklichen Heiligen, einen Menschen ohne Sünde geben sollte. Aus dem Contraste dieser weitverbreiteten Anschauung mit dem Begriff eines richtigen Heiligen ging, unter Benutzung[56] vorgefundener Legenden, die mehr oder weniger komische Lebensscizze hervor, wozu dann ein bestimmter Name als Repräsentant der Gattung nicht eben unpaßend erschien. Der etwas derbe Ton fand seinen Rückhalt an Legenden, Volksliedern und Märchen, worin z.B. der Heilige Petrus in ungenirt kräftiger Weise behandelt wird. Das Heilige, welches allen christlichen Religionen gemeinsam, ist nirgends berührt und angetastet worden. Die Einleitung fingirt einen Menschen, der dem unaufhaltsam fortschreitenden Drange der Cultur seine Stoßseufzer entgegen haucht, und dadurch einigermaßen komisch wird.

No 1 stützt sich auf die gewöhnliche Beobachtung.

No 2 ist ein Zug aus dem Boccaccio; ausgewählt, weil er für die humoristisch bildliche Darstellung günstig schien.

No 3. Dem Sinne nach getreu aus unserer lieben Frauen Kalender (Im Besitze meines Bruders in Frankfurt.)

No 4. Zwei Stimmen von oben – eben daher.

No 5. Kirchweih. Veranlaßt durch eine Legende in unserer lieben Frauen Kalender, wo das Wirthshaus verbrennt, das Kloster gerettet wird durch die Fürbitte der Maria, deren Bild dadurch in Schweiß gekommen.

No 6. Bischof Rusticus – aus derselben Quelle.

No 7. Wallfahrt. Wird vom Heil. Corbinian erzählt.

No 8. Beichte. Motiv aus Unserer 1. Fr. Kalender.

No 9. Versuchung. Stützt sich auf eine vielfach bildlich, z.B. von den alten niederländischen Malern, dargestellte Legende.

No 10. Das Attribut der Sau wird demjenigen Antonius zugeschrieben, welcher als Beschützer der Hausthiere hier und da verehrt wird. Wer etwas Anstößiges darin findet, mag sich erinnern, daß der Ochse das Attribut des Heil. Lucas ist und ihn durch alle Zeit und an jeden Ort zu begleiten pflegt.

Daß unser kleines Buch ein so unliebsames Aufsehen macht, hat wohl besonders seinen Grund darin, daß es zufällig in einer Zeit erschien, wo von Rom aus ein großer Theil der Menschheit in seinem besten Wißen und Denken in derbster Weise angegriffen und verflucht wird. Wer in diesen Dingen zu jener Partei gehört, mag daher leicht eine absichtliche Tendenz vermuthen, wo nur ein zufälliger Zusammenstoß stattfindet, hervorgerufen durch die heftige Strömung vom Jenseits der Berge. Wer aber gar etwas sinnlich Anreizendes in diesem günstigenfalls drolligen Büchlein finden wollte, der scheint nicht zu bedenken, daß eben die parodistische Behandlung der Form und Situation der Sinnlichkeit geradezu widerstreiten muß und soll.

Was man belachen soll, soll nicht verführen.

In dem erwähnten Kalender, wo für jeden Tag im Jahre ein Wunder der Maria erzählt wird, werden Sie eine Fülle der sonderbarsten Dinge finden. Ich dachte, er wäre schon längst in Ihren Händen. Ich will gleich an meinen Bruder schreiben; bei der Unsicherheit des Verkehrs würde es mir lieb sein, wenn Sie ebenfalls darum schrieben, so daß er sicher Nachricht bekäme.

In der Hoffnung, daß Sie sich für die Sache auch ferner noch intereßiren, verbleibe ich

Ihr ergebenster

W. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 56-57.
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