967. An Nanda Keßler

[32] 967. An Nanda Keßler


Wiedensahl Anfang Juni 1894.


Den Jahreszeiten allen

Selbviert sei Preis und Ehr!

Nur sag ich, mir gefallen

Sie minder oder mehr.


Der Frühling wird ja immer

Gerühmt, wie sich's gebührt,

Weil er mit grünem Schimmer

Die graue Welt verziert.


Doch hat in unsrer Zone

Er durch den Reif bei Nacht

Schon manche grüne Bohne

Und Gurke umgebracht.


Stets wird auch Ruhm erwerben

Der Herbst, vorausgesetzt,

Daß er mit vollen Körben

Uns Aug und Mund ergötzt.


Indeß mit leisem Tupfen

Gemahnt er uns bereits:

Bald, Kinder, kommt der Schnupfen

Und's Gripperl seinerseits.


Der Winter kommt. Es blasen

Die Winde scharf und kühl.

Roth werden alle Nasen,

Und Kohlen braucht man viel.


Nein! Mir gefällt am besten

Das, was der Sommer bringt,

Wenn auf belaubten Ästen

Die Schar der Vöglein singt.


Wenn Rosen, zahm und wilde,

In vollster Blüthe stehn,

Wenn über Lustgefilde

Zephire kosend wehn.


Und wollt mich Einer fragen,

Wann's mir im Sommer dann

Besonders thät behagen,

Den Juni gäb ich an.


Und wieder dann darunter

Denselben Tag gerad,[32]

Wo einst ein Kindlein munter

Zuerst zu Tage trat.


Drum flattert dies Gedichtchen

Jetzt über Berg und Thal

Und grüßt das liebe Nichtchen

Vom Onkel tausendmal.


nämlich vom


Onkel Wilhelm, der Dir, liebe Nanda, zu deinem Geburtstage seinen herzlichsten Glückwunsch ausspricht.


967. An Nanda Keßler: Faksimile: Letzte Strophe und letzter Absatz
967. An Nanda Keßler: Faksimile: Letzte Strophe und letzter Absatz
Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 32-33.
Lizenz:

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