Der Türmer

[394] Der Türmer steht auf hohem Söller

Und raucht sein Pfeifchen echten Kneller,

Wobei der alte Invalid

Von oben her die Welt besieht.


Es kommt der Sommer allgemach.

Die Schwalben fliegen um das Dach,

Derweil schon manche stillbeglückt

Im Neste sitzt und fleißig drückt.

Zugleich tritt aus dem Gotteshaus

Ein neuvermähltes Paar heraus,

Das darf sich nun in allen Ehren

Getreulich lieben und vermehren. –


Der Sommer kam, und allenthalben

Schwebt ungezählt das Heer der Schwalben,

Die, wenn sie flink vorüberflitzen,

Des Türmers alten Hut beschmitzen.

Vom Platze unten tönt Juchhei,

Die Klosterschüler haben frei,

Sie necken, schrecken, jagen sich,

Sie schlagen und vertragen sich

Und grüßen keck mit Hohngelächter

Des Turmes hochgestellten Wächter. –


Der Sommer ging, die Schwalben setzen

Sich auf das Kirchendach und schwätzen.

Sie warten, bis der Abend da,

Dann flogen sie nach Afrika.

Doch unten, wo die Fackeln scheinen,

Begraben sie mal wieder einen

Und singen ihm nach frommer Weise

Ein Lebewohl zur letzten Reise.


Bedenklich schaut der Türmer drein.

Still geht er in sein Kämmerlein

Zu seinem großen Deckelkrug,

Und als die Glocke zehne schlug,

Nahm er das Horn mit frischem Mut

Und blies ein kräftiges Tuhuht.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 394-395.
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