Bedächtig

[329] Ich ging zur Bahn. Der Abendzug

Kam erst um halber zehn.

Wer zeitig geht, der handelt klug,

Er kann gemütlich gehn.


Der Frühling war so warm und mild,

Ich ging wie neubelebt,

Zumal ein wertes Frauenbild

Mir vor der Seele schwebt.


Daß ich sie heut noch sehen soll,

Daß sie gewiß noch wach,

Davon ist mir das Herz so voll,

Ich steh und denke nach.


Ein Häslein, das vorüberstiebt,

Ermahnt ich: Laß dir Zeit,

Ein guter Mensch, der glücklich liebt,

Tut keinem was zu leid.


Von ferne aus dem Wiesenteich

Erklang der Frösche Chor,

Und überm Walde stieg zugleich

Der goldne Mond empor.


Da bist du ja, ich grüße dich,

Du traulicher Kumpan.

Bedächtig wandelst du wie ich

Dahin auf deiner Bahn.


Dies lenkte meinen Denkersinn

Auf den Geschäftsverlauf;

Ich überschlug mir den Gewinn.

Das hielt mich etwas auf.


Doch horch, da ist die Nachtigall,

Sie flötet wunderschön.

Ich flöte selbst mit sanftem Schall

Und bleib ein wenig stehn.
[330]

Und flötend kam ich zur Station,

Wie das bei mir Gebrauch.

O weh, was ist das für ein Ton?

Der Zug, der flötet auch.


Dort saust er hin. Ich stand versteint.

Dann sah ich nach der Uhr

Wie jeder, der zu spät erscheint.

So will es die Natur.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 329-331.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Zu guter Letzt
Zu Guter Letzt
Gedichte - Kritik des Herzens - Zu guter Letzt