Bestimmung

[303] Ein Fuchs von flüchtiger Moral

Und unbedenklich, wenn er stahl,

Schlich sich bei Nacht zum Hühnerstalle

Von einem namens Jochen Dralle,

Der, weil die Mühe ihn verdroß,

Die Tür mal wieder nicht verschloß.


Er hat sich, wie er immer pflegt,

So wie er war zu Bett gelegt.

Er schlief und schnarchte auch bereits.


Frau Dralle, welche ihrerseits

Noch wachte, denn sie hat die Grippe,

Stieß Jochen an die kurze Rippe.

Du, rief sie flüsternd, hör doch bloß,

Im Hühnerstall da ist was los;

Das ist der Fuchs, der alte Racker.


Und schon ergriff sie kühn und wacker,

Obgleich sie nur im Nachtgewand,

Den Besen, der am Ofen stand;

Indes der Jochen leise flucht

Und erst mal Licht zu machen sucht.


Sie ging voran, er hinterdrein.

Es pfeift der Wind, die Hühner schrein.


Nur zu, mahnt Jochen, sei nur dreist

Und sag Bescheid, wenn er dich beißt.


Umsonst sucht sich der Dieb zu drücken

Vor Madam Dralles Geierblicken.

Sie schlägt ihm unaussprechlich schnelle

Zwei-dreimal an derselben Stelle

Mit ihres Besens hartem Stiel

Aufs Nasenbein. Das war zuviel. –


Ein jeder kriegt, ein jeder nimmt

In dieser Welt, was ihm bestimmt.


Der Fuchs, nachdem der Balg herab,

Bekommt ein Armesündergrab.[304]

Frau Dralle, weil sie leichtgesinnt

Sich ausgesetzt dem Winterwind

Zum Trotz der Selbsterhaltungspflicht,

Kriegt zu der Grippe noch die Gicht.


Doch Jochen kriegte hocherfreut

Infolge der Gelegenheit

Von Pelzwerk eine warme Kappe

Mit Vorder- und mit Hinterklappe.


Stets hieß es dann, wenn er sie trug:

Der ist es, der den Fuchs erschlug.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 303-305.
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