Der Asket

[321] Im Hochgebirg vor seiner Höhle

Saß der Asket;

Nur noch ein Rest von Leib und Seele

Infolge äußerster Diät.


Demütig ihm zu Füßen kniet

Ein Jüngling, der sich längst bemüht,

Des strengen Büßers strenge Lehren

Nachdenklich prüfend anzuhören.


Grad schließt der Klausner den Sermon

Und spricht: Bekehre dich, mein Sohn!

Verlaß das böse Weltgetriebe.

Vor allem unterlaß die Liebe,

Denn grade sie erweckt aufs neue

Das Leben und mit ihm die Reue.

Da schau mich an. Ich bin so leicht,

Fast hab ich schon das Nichts erreicht,

Und bald verschwind ich in das reine

Zeit-, raum- und traumlos Allundeine.


Als so der Meister in Ekstase,

Sticht ihn ein Bienchen in die Nase.


O, welch ein Schrei!

Und dann das Mienenspiel dabei.


Der Jüngling stutzt und ruft: Was seh ich?

Wer solchermaßen leidensfähig,

Wer so gefühlvoll und empfindlich,

Der, fürcht ich, lebt noch viel zu gründlich

Und stirbt noch nicht zum letztenmal.


Mit diesem kühlen Wort empfahl

Der Jüngling sich und stieg hernieder

Ins tiefe Tal und kam nicht wieder.

Quelle:
Wilhelm Busch: Sämtliche Werke, Herausgegeben v. Otto Nöldeke, Band 6, München 1943, S. 321-322.
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