Vorspiel II.

[9] Der nämliche Raum um die Mitternacht.


FAUST. Die Sanduhr zeigt die Mitternacht: ich darf beginnen. Rätselvolles Geschenk, nun sollst du dich bewähren. Faust entschließt sich und schlägt das Buch des Astartis auf. So[9] wäre dies die erste Handlung! Er löst seinen Gürtel und bildet mit ihm einen Kreis auf dem Boden; tritt in den Kreis, den Schlüssel in der Hand. Luzifer! Luzifer! Gefallener Engel, du, der Stolzeste, herbei! Er hebt den Schlüssel, der erstrahlt. Luzifer! Hierher zu mir!

Fahlgrünes Leuchten durchtanzt den Raum. Der Schlüssel erstrahlt mehr und mehr. Eine sichtliche Erregung überfällt Faust.


UNSICHTBARER CHOR. Dein Begehr?

FAUST. Entsende mir deine Diener.

CHOR. Du willst?

FAUST. Ich will.

CHOR. Du beharrst?

FAUST. Ja, ich will!

CHOR. Sie kommen! Sie kommen!

Die Studierlampe und der Schlüssel erlöschen. Sechs Zungenflammen schweben im Raum.


FAUST. Was tat ich! Drückende Stille. Wie konnt' es alsobald gelingen? Darf ich mich weiter wagen? Gedrückt. Ich sollte sie befragen, doch es ekelt mich davor, schon ihre Stimmen könnten mich töten.

CHOR. Frage, immerhin.

FAUST. Wohlan. So sprich, du Erster, du Tiefster: gib deinen Namen.

ERSTE STIMME. Gravis.

FAUST. Sag' an, wie sehr du geschwind bist.

ERSTE STIMME. Wie der Sand in dem Uhrglas.

FAUST höhnisch. Wie der Sand in dem Uhrglas? Heftig. Hinweg, kriechendes Wesen. Verlösche.

Die erste Flamme erlischt.


Für sich. Sie gehorchen. Laut. Der Zweite! Welcher bist du?[10]

ZWEITE STIMME. Levis. Ich bin geschwind wie das fallende Laub.

FAUST. Der Mensch fällt hurtiger als du: verschwinde.

Die zweite Flamme erlischt.


FAUST bereits sicherer. Gib Rede, Dritter, gleich den andren.

DRITTE STIMME. Ich bin Asmodus. Ich eile wie der Bach, der sich vom Felsen stürzt: über Bergeskämme, durch die Felder sprudelnd, hin bis zum Ozean!

FAUST. Ein Prahler bist du. Dich zieht es nur abwärts: fort mit dir! Fort!

Die dritte Flamme erlischt.


Für sich. Mein Hoffen sinkt, ob auch mein Mut sich hebt. Offenbare dich, Vierter.

VIERTE STIMME. Ich bin Fürst Beelzebuth.

CHOR. Beelzebuth.

VIERTE STIMME. Ich schnelle wie die Kugel aus dem Rohre; genügt's dir?

CHOR. Genügt's dir?

FAUST. Nein. Ein Spottfürst! Ist die Flinte nicht etwa Menschenwerk? Ist des Menschen Wunsch, ist denn nicht sein Traum höherzielend, weitertragend? Wie könntest du mir, Faust, genügen? Entweiche.

Die vierte Flamme erlischt.


FAUST. – und du, und du, Zweitletzter, nenn' dich, bezeichne dich, Fünfter!

FÜNFTE STIMME. Schaue hier, Megäros –.

CHOR. Schaue hier, Megäros.

FÜNFTE STIMME. – wie der Sturm behende.

FAUST. Das klingt nach Etwas, doch es erschöpft nicht. Ich blase, Sturm, dich aus: verwehe.

Die fünfte Flamme erlischt.
[11]

CHOR höhnend. Üh!

FAUST gebietend. Schweiget!

FAUST tritt aus dem Kreise. Ein einzelner blieb. Ich zög're, die letzte Hoffnung zu zerstören: mir bangt vor der eklen Leere, die folgen muß. So wäre dies der ganze Höllenprunk! Wie steht doch eines Menschen Geist darüber. In ihm ist des Gottes Hauch. Wie ich euch verachte, die ihr hier gedämmert, und nun dunkelt, ihr Dünkelhaften! Ich kehre mich ab von euch. –


Welchem Wahn gab ich mich hin!

Arbeit,

heilende Welle,

in dir bade ich mich rein.

SECHSTE STIMME. Faust!

FAUST erregt. Wie hell flackert das Licht. Ist es von ihm aus, daß die Stimme ruft? Wie hoch züngelt es auf! Wirst auch nicht mehr vermögen, als die andren, o du lichtere Flamme. Ich mag nichts erfahren von dir.

SECHSTE STIMME. Faust!

FAUST. Noch einmal? Und dringender? So magst du reden.

SECHSTE STIMME. Faust, ich bin geschwind als wie des Menschen Gedanke.

FAUST betroffen. Als wie des Menschen Gedanke!? Was will ich mehr? Konnt' ich so viel erhoffen? Was will ich mehr denn! Als daß Erfüllung schreite mit dem Wunsche; als daß die Tat zugleich ins Leben trete mit der Absicht! Dein Name?

SECHSTE STIMME. Mephistopheles.[12]

FAUST. »Mephistopheles?« So zeige dich in greifbarer Gestalt.

Mephistopheles tritt unbemerkt ein und verbleibt in serviler Haltung. Er trägt ein anliegendes schwarzes Gewand. – Faust, der noch die Flamme anstarrte, erblickt ihn unerwartet und unterdrückt eine Regung des Widerwillens.


FAUST. Willst du mir dienen?

MEPHISTOPHELES. Fragt sich, in welcher Weise?

FAUST nach Sammlung ringend.

Beschaffe mir für meines Lebens Rest

die unbedingte Erfüllung jeden Wunsches,

laß mich die Welt umfassen,

– den Osten und den Süden, die mich rufen –

laß mich des Menschen Tun vollauf begreifen

und ungeahnt erweitern;

gib mir Genie,

und gib mir auch sein Leiden,

auf daß ich glücklich werde wie kein andrer.

MEPHISTOPHELES. Weiter, nur weiter, falls Ihr etwa nicht zu Ende wär't.

FAUST.

O, laß mich die Welt umfassen,

der Menschen Tun begreifen,

es ungeahnt erweitern; gib mir Genie,

gib mir auch sein Leiden.

MEPHISTOPHELES. Was noch mehr?

FAUST.

Mache mich frei!

So dientest du mir recht, bis an die Erschöpfung, hernach –

Jetzt fordre du.

MEPHISTOPHELES. Hernach dienest du mir, fortab.[13]

FAUST. Ich dir dienen? Dir? In aller Zeiten Ewigkeit?! Ich – kann nicht. Ich kann – und will nicht. Mache dich fort.

MEPHISTOPHELES kalt. Höre, Faust. Draußen stehn die Gläubiger zuhauf; die du hast betrogen. Über dein Mädchen hast du Unglück gebracht: der Bruder trachtet dir nach dem Leben. Die Pfaffen, sie sind hinter dir her: sie wittern, und nicht mit Unrecht: der Scheiterhaufen wartet deiner!

FAUST. Genug, genug! Ich weiß!

MEPHISTOPHELES.

Hehe! So seid ihr Menschen,

die ihr unablässig

einander aufreizt und jagt!

FAUST. Laß den Gemeinplatz, spar deine Weisheit.

MEPHISTOPHELES.

Kommt es einmal zum Letzten,

dann sind meinesgleichen,

dann bin ich geringerer Teufel,

als Retter gefällig zur Stelle.

Höre Faust: Ich gebe dir Reichtum und Macht, Freuden der Liebe, weitesten Ruhmesglanz, weltlichen Ruhm. Offen sind dir die Herrlichkeiten dieser Erde.

FAUST. Ende!

MEPHISTOPHELES. Und draußen drängen die Gläubiger, lauert der Bruder, wittern die Pfaffen, sie fordern, sie morden, sie brennen! Lacht lautlos. FAUST. Ich weiß, ich weiß! Ende!

MEPHISTOPHELES. So stehn die Dinge. Wähle!

Verbeugt sich ironisch.


FAUST ruhig. Schlau wußtest du die Schlingen zu legen.

MEPHISTOPHELES. Schlag' ein.

FAUST. Niemals!

Klopfen an der Tür.
[14]

MEPHISTOPHELES. Deine Schergen stehn dahinter. Ein Wort von dir, und sie sind nicht mehr!

Stärkeres Klopfen.


FAUST dumpf. Töte sie.

MEPHISTOPHELES kalt. Es ist geschehn.

Faust sinkt in einen Stuhl.


Möchtet Ihr das Übrige abwarten?

FAUST bezwungen. Kaum! – Ich geb mich dir. Aber jetzt – verlaß mich.

MEPHISTOPHELES lauernd. Nur noch ein Geringes.

FAUST heftig. Fort, fort, fort! Ich kann dich nicht ertragen!

MEPHISTOPHELES kreuzt die Arme, abwartend. Du mußt es lernen.

CHOR. Credo in unum Deum. Patrem omnipotentem, creatorem coeli et terrae visibilium, omnium et invisibilium.

FAUST in schmerzhafter Anspannung. Was verlangst du noch?

MEPHISTOPHELES. Ein kurzes Schreiben, mit deinem Blut gezeichnet, rot auf weiß.

FAUST. So gib her.

MEPHISTOPHELES. Brav.

FAUST. Wo ist mein Wille, wo mein Stolz geblieben! Unseliger Faust, das Höllenwerk begann. Tritt an das Fenster. Wie wird mir –!

Es wird Tag.

Osterchor. Glocken.


CHOR. Et resurrexit tertia die – secundum scripturam et ascendit in coelum, – sedet ad dexteram Patris.

FAUST. Ostertag! Da ziehen die Guten zum Münster. Oh, Tag meiner Kindheit!

MEPHISTOPHELES. Kehr' dich nicht an das Gesäusel.[15]

MÄNNER. Et iterum venturus est – cum gloria judicare vivos, – vivos et mortuos.

FAUST. Du, Faust, bist nun ein Toter. Ich werde gerichtet! Wer hilft mir?

Ein Rabe fliegt herbei, Feder im Schnabel, die Mephistopheles ihm abnimmt.


MEPHISTOPHELES. Ein Mann, Faust, du hast dein Wort zu halten: Vollziehe!

FAUST abwehrend. Noch hat es Zeit. Fauch mich nicht an. Verzweifelt. Es gibt kein Erbarmen. Es gibt keine Seligkeit, keine Vergeltung, den Himmel nicht und nicht die Höllenschrecken: dem Jenseits trotz' ich!

MEPHISTOPHELES. Tüchtig, tüchtig! Das nenn' ich fortgeschritten: nun seid Ihr eben auf der rechten Fährte!

FAUST zitternd, indem er Mephistopheles das unterschriebene Blatt entgegenstreckt. Hier – nach Schwinden meiner Frist – es wird sich zeigen – vielleicht unterliegst noch du – bin ich – nicht dein Herr – Er fällt ohnmächtig nieder.

CHOR. Gloria in excelsis Deo et in terra pax.

Mephistopheles weidet sich eine Zeitlang an dem Anblick seines Opfers – und entreißt ihm das Blatt.


MEPHISTOPHELES. Gefangen!

Die Bühne wird stetig heller. Von dem Fenster her, und wie durch alle Ritzen, fluten Morgensonnenstrahlen in das Gewölbe herein.


CHOR DER MÄNNER UND FRAUEN. Allelujah!

Vorhang.
[16]

Quelle:
Ferruccio Busoni: Doktor Faust, Wiesbaden 1953, S. 9-17.
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