Zwischenspiel.

[17] Uralte romanische Kapelle im Münster. Kahle graue Wände, Holzbänke, ein Kruzifix. Orgelspiel vom Hauptschiffe her vernehmbar. Gretchens Bruder, durchaus in Eisen gekleidet, ist (fast von hinten anzusehen), knieend im Gebet.


DER SOLDAT. Du, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade bist; zu Zeiten auch des Zornes, und der Rache, und der Schlachten, als der du mir bist vertrauter: erhöre mein Gebet! Ich hatte nichts auf der Welt, als mein Geschwister, nicht Eltern, noch Weib und nichts, das mir's ersetze. Man hat es mir genommen, hat es verdorben: Laß du den Mann mich finden und laß ihm Recht geschehn. Herr, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade, erhöre mein Gebet! Er versinkt im Gebet.

Faust und Mephistopheles am Eingang.


MEPHISTOPHELES. Der Mann sinnt auf deinen Tod.

FAUST. Räum ihn aus dem Wege.

MEPHISTOPHELES. Auf deine Rechnung.

FAUST. Nein, ich will meine Hände rein wahren!

Such ein andres.

MEPHISTOPHELES. Wenn er dich jetzt erkennt, kein andrer Ausweg, als daß du selbst ihn tötest.

FAUST. Find einen andren.

Der Soldat macht eine Bewegung.


MEPHISTOPHELES. Aufgepaßt!

FAUST gequält. Nicht ich, nicht ich –

MEPHISTOPHELES. Er oder du.[17]

FAUST. Er schleppt sein Leben in eitler Qual, ich bin ein Mann der Tat. –

MEPHISTOPHELES. Einverstanden.

Faust und Mephistopheles ziehen sich eilig zurück.


DER SOLDAT stöhnend. Den Mann, den Mann, den ich suche! Erbarmen! Versinkt im Gebet.

Mephistopheles als grauer Mönch tritt langsam auf und kniet Seite an Seite des Soldaten nieder.


MEPHISTOPHELES. Möchtest du mir nicht beichten?

DER SOLDAT. Ich habe nicht an Bösem was getan.

MEPHISTOPHELES. Aber du hast welches vor.

DER SOLDAT. Ich habe vor, was Rechtens ist. Weißt du's, brauch ich zu beichten um so weniger.

MEPHISTOPHELES. Vielleicht wär's doch an der rechten Zeit!

DER SOLDAT. Gott ist bei mir. Du bist mir lästig.

MEPHISTOPHELES. Wer weiß, deine Stunde ist nicht weit.

DER SOLDAT. Teufelsmönch, zeig deine Fratze! Ich bin ein offener Mann.

MEPHISTOPHELES. Du wirst sie bald sehen.

DER SOLDAT. Hervor damit!

MEPHISTOPHELES. Geduld, sieh lieber nach der Tür.

Hurtig. Wehr dich! Springt auf.

Entfernte Trommeln und Trompeten.


MEPHISTOPHELES triumphierend. Man rückt heran. Es sind ihrer sechs gegen Einen. Sticht dich nicht deine Rauflust? Meine Fratze? Da!

Er streckt ihm die Zunge. Mephistopheles schleicht in einen Beichtstuhl. Der Soldat zieht entsetzt seinen Degen und stellt sich mit dem Rücken gegen die Wand. Es dämmert tief. An der Tür zeigt sich der Leutnant, der eine Patrouille anführt.


LEUTNANT. Dort! Seht ihn! Verkrochen in der Kirche, der unsern Hauptmann niederschlug von hinten: Gleiches mit Gleichem, haut den[18] Mann zu Boden! Der Oberst wird's uns danken! Sie kämpfen. Kurz darauf fällt der Soldat erschlagen.

MEPHISTOPHELES aus dem Beichtstuhl, mit gereckten Armen. Hier? Am heiligen Ort? Ihr seid des Teufels! Mürbe für die Hölle! Im übrigen: gut gemacht, und meinen Segen.

LEUTNANT. Der Mönch ist toll. Laßt ihn laufen.

Die Soldaten ziehen ab.


MEPHISTOPHELES. Möcht euch wohl nicht anders raten. Ziehn wir die Rechnung: vorerst, Kirchenschändung; Bruder Soldat, mit einem Mordplan, ab; der weise Faust ladet's auf sein Gewissen: drei Ratten in einer Falle.

Ein Strahl des Mondes senkt sich auf den am Boden hingestreckten Toten.

Langsam fällt der Vorhang.


Quelle:
Ferruccio Busoni: Doktor Faust, Wiesbaden 1953, S. 17-19.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Doktor Faust
Doktor Faust: Original

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon