1. Szene.

[7] Rosaura, Clarin.

Rosaura, in männlicher Reisekleidung, steigt, gefolgt von Clarin, den Berg herab.


ROSAURA ruft ihrem entlaufenen Rosse nach.

Du Hippogryph, an Schnelle

den Winden gleich, unbändiger Geselle!

Wohin, Blitz ohne Schimmer,

glanzloser Vogel, schuppenloser Schwimmer,

sinnloses Ungeheuer,

wohin, im labyrinthischen Gemäuer

der nackten Felsenmassen,

entrennst du zügellos, wild, ausgelassen?

Bleib hier im Bergreviere,

ein Phaethon hinfort der wilden Tiere!

Denn ich, ohn andre Pfade,

als das Geschick mir anweist sonder Gnade,[7]

will blindlings, ohne Hoffen,

durch die verworrne Rauheit dieses schroffen

Gebirgs, das mit Ergrimmen

der Sonn entgegen dräut, herniederklimmen.

Wie schlecht empfängst du, Polen,

den Fremdling; schreibst mit Blute seiner Sohlen

in deinen Sand sein Kommen!

Zur Mühsal kommt er an, mühsam gekommen.

Wohl sagt's mein Stern mir Armen;

wo fand ein Unglücksel'ger auch Erbarmen?

CLARIN.

Zwei gibt's hier, wie ich denke;

laßt mich nur, wenn Ihr klagt, nicht in der Schenke.

Denn da wir zwei doch waren,

die's wagten, aus der Heimat auf Gefahren

und Abenteur zu reiten,

und zwei, die unter Not und Albernheiten

nun bis hieher uns trollten,

und zwei, die hier vom Berg herunterrollten;

heißt's nicht mein Recht verletzen,

mich mit in Not und nicht in Rechnung setzen?

ROSAURA.

Ich will von meinen Klagen,

Clarin, dir keinen Anteil übertragen,

um nicht dein Recht zu hindern,

durch eignes Seufzen deine Not zu lindern.

So reizende Genüsse

im Klagen fand ein Weiser, daß man müsse,[8]

behauptet er, die Leiden

aufsuchen, um an Klagen sich zu weiden.

CLARIN.

Ein Trunkenbold wie keiner

war dieser weise Mann. O hätt ihn einer

aufs weise Maul geschlagen,

so könnt er richtigen Empfang beklagen! –

Doch, Fräulein, gebt mir Kunde,

was tun wir jetzt, zu Fuß, in dieser Stunde,

verirrt auf rauhen Bergen,

da schon die Sonn ins Meer sich will verbergen?

ROSAURA.

Wer sah noch je so seltsame Geschicke!

Doch täuscht die Phantasie nicht meine Blicke

mit leerem Truggeflimmer,

so seh ich dort beim zweifelhaften Schimmer

der Dämmrung ein Gebäude,

wie mir es scheint.

CLARIN.

Belügt mich nicht die Freude,

so glaub ich's schon zu fassen.

ROSAURA.

Ein roh Gebäu steckt zwischen Felsenmassen;

kaum mag es sich getrauen,

vor Niedrigkeit zur Sonn emporzuschauen.

So rauh ist, wie ich merke,[9]

so ungeschickt die Kunst an diesem Werke,

daß es hier, zu den Füßen

der Felsen, so, die Sonne zu begrüßen,

gigantisch sich erhoben,

ein Klumpen scheint, herabgerollt von oben.

CLARIN.

Laßt uns nur näher gehen;

was nützt es, Fräulein, lang es zu besehen?

's ist besser, wir beginnen

jetzt den Versuch, ob man uns höflich drinnen

aufnehmen wird.

ROSAURA.

Die Pforte

steht auf (Grabschlund paßt besser zu dem Orte)

und läßt zu diesen Toren

die Nacht heraus, die drinnen ward geboren.


Kettengeklirr im Turme.


CLARIN.

Weh! Hier ist's nicht geheuer.

ROSAURA.

Ich bin ein leblos Bild von Eis und Feuer.

CLARIN.

Geklirr von Ketten hör ich.

's ist ein Galeerensklave, das beschwör ich;

wohl sagt es mir mein Zagen.


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 7-11.
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