[61] König, Clotald.
CLOTALD.
Alles, wie du es befohlen,
ist ins Werk gestellt.
BASILIUS.
Erzähle
mir, Clotald, wie es geschah.
CLOTALD.
Auf die Art, Herr, ist's geschehen:
Nämlich durch den linden Trank,
welchen du aus manchen seltnen
Spezerein verfert'gen ließest,
die mit Kräutern sich vermengten,
deren herrische Gewalt
und geheimnisvolle Kräfte
so die menschliche Vernunft[61]
lähmen, rauben und entfremden,
daß der Mensch lebend'ger Leichnam
wird durch sie, und deren heft'ge
Wirkung dem vom Schlaf Befallnen
Sinn und Seelenkräft entwendet.
Unnütz wäre der Beweis,
daß dies wirklich kann geschehen,
da uns die Erfahrung, Herr,
ja so oft davon belehrte,
da die Arzeneikunst sicher
von natürlichen Mysterien
voll ist, da es weder Stein,
Tier noch Pflanze gibt auf Erden,
so nicht seine fest bestimmte
Eigenschaft besitzt; und ferner,
glückt es unsrer Menschenbosheit,
tausend Gifte zu erspähen,
welche tödlich sind: Wie sollt's nicht,
bei Ermäß'gung ihrer Kräfte,
da es Gifte gibt, die töten,
Gifte geben, die beschläfern?
Allen Zweifel, ob die Sache
möglich sei, beiseite setzend,
da Vernunft und Augenschein
den Beweis bereits gegeben,
stieg ich mit dem Schlummertrank
aus Mandragora verfertigt,
Opium und Bilsenkraut,
nieder in den engen Kerker
Sigismunds und sprach mit ihm[62]
eine Zeitlang von den ernsten
Wissenschaften, deren Kunde
ihm des Himmels und der Berge
schweigende Natur verlieh,
die auf wundervollem Wege
ihn der Vögel und des Wildes
einfache Rhetorik lehrte.
Um den Geist ihm zu erhöhn
zu dem großen Unternehmen,
das du vorhast, wählt ich nun
mir zum Gegenstand die Schnelle
eines königlichen Adlers,
der, des Windes Bahn verschmähend,
mit gewalt'gem Flügelschlage
zu des Feuers höchsten Sphären
als entfesselter Komet
sich erhob, als Blitz von Federn.
Preisend seinen stolzen Flug,
sprach ich: »Du bist wirklich Herrscher
aller Vögel; drum ist's billig,
über alle dich zu setzen.«
Mehr bedurft es nicht bei ihm,
weil er, wenn man im Gespräche
nur die Majestät berührt,
gleich mit Stolz und Ehrgeiz redet;
denn zu allen großen Dingen
treibt, befeuert und erreget
ihn sein Blut, und also sprach er:
»Gibt's auch in der vielbewegten
Republik der Vögel solche,[63]
die sich andern unterwerfen?
Ja, indem ich dies betrachte,
find ich Trost in meinem Elend;
denn zum mindsten, wenn ich diene,
macht mich nur der Zwang zum Knechte,
und nie würd ich mich freiwillig
einem andern untergeben.«
Kaum nun sah ich ihn durch dieses
alte Thema seines Schmerzens
schon entflammt, so bot ich ihm
jenen Schlummertrank; und eben
floß der Saft ihm aus der Schale
in die Brust, als seine Seele
gleich dem Schlummer wich, indem
durch die Adern ihm und Nerven
kalter Schauer rann, so daß ich,
wäre mir nicht und gewesen,
es sei Scheintod, zweifeln mußte,
ob er lebe. Jene Männer
kamen nun, von dir beauftragt,
zur Vollendung deines Werkes,
die ihn schnell in einem Wagen
brachten zu den Schloßgemächern,
wo die Majestät und Hoheit,
seiner Abkunft angemessen,
schon ihn zu empfangen harrte.
Ruhend dort auf deinem Bette,
wird er, wenn des Schlafs Betäubung
nun verloren ihre Kräfte,
gleich dir selbst (wie du befiehlst,[64]
hoher Herr) bedienet werden.
Und wenn mein gehorsam Tun
dich verbinden kann zur Spende
irgendeines Lohnes, so bitt ich
(o vergib mir mein Erfrechen!)
dieses nur, daß du mir sagest,
was dich trieb, auf diesem Wege
deinen Sohn hieher zu bringen.
BASILIUS.
Dieser Zweifel, den du hegest,
ist gerecht, Clotald; und dir
ganz allein will ich ihn heben.
Sigismunden, meinem Sohne,
droht der Einfluß seines Sternes
(wie ihr wißt) mit tausendfachen
Unglücksfällen und Verbrechen.
Nun versuch ich, ob der Himmel,
der unmöglich Lügen redet
und uns überdies der Proben
seiner Strenge gnug gegeben
durch des Prinzen wild Gemüt,
sich nicht mindstens mag besänft'gen
oder mäß'gen, und, besiegt
durch Verstand und Mut, sich selber
widerrufen; denn der Mensch
überwältigt doch die Sterne.
Dies zu prüfen, bracht ich ihn
hieher, daß er sich erkenne,
meinen Sohn und des Gemütes[66]
Neigung auf die Probe stelle.
Wenn er mutig sie besieget,
soll er herrschen; doch entdeckt er
sich als grausam und tyrannisch,
send ich ihn zurück zum Kerker.
Aber, fragst du jetzo wohl,
war es dieser Probe wegen
nötig, ihn auf solche Weise
und im Schlaf hieher zu senden?
Auch auf dieses hab ich Antwort,
gänzlich dich zufriedenstellend.
Wenn der Prinz als meinen Sohn
heute sich erkennt, und fände
morgen sich zurückgeworfen
ins Gefängnis und ins Elend,
müßt er wohl bei seiner Art
der Verzweiflung sich ergeben;
denn, wohl wissend, wer er sei,
woraus könnt er Trost sich nehmen?
Doch nun wird im schlimmsten Fall
eine Tür uns offenstehen,
wenn man sagt, was er erblickte,
sei geträumet. Hiebei stellen
zur Erwägung sich zwei Stücke:
Seine Denkungsart fürs erste;
denn so wie er sinnt und denkt,
wird, erwacht, er sich benehmen;
und fürs andre seine Tröstung;
denn, obwohl er jetzt als Herrscher
sich erblicket, und hernach[67]
wiederkehrt in seinen Kerker,
kann er denken, daß er träumte.
Und recht hat er, dies zu denken;
denn in dieser Welt Clotald,
träumen alle, die da leben.
CLOTALD.
Gründe würden mir nicht mangeln,
um zu zeigen, daß du fehlest;
doch nun gibt es keinen Ausweg,
und wie alle Zeichen melden,
scheint der Prinz erwacht zu sein
und bereits sich uns zu nähern.
BASILIUS.
Ich entferne mich; du sollst
als sein Führer zu ihm treten
und von aller der Verwirrung,
welche seinen Sinn umdämmert,
durch die Wahrheit ihn befrein.
CLOTALD.
Also willst du mir gewähren,
alles ihm zu sagen?
BASILIUS.
Ja;
denn er wird, die Wahrheit kennend,
wenn er die Gefahr erblickt,
eher sich vielleicht bezähmen.
Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Leben ein Traum
|
Buchempfehlung
1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro