13. Szene.

[111] Rosaura.


ROSAURA.

Wohl mir, wenn ich nicht sie kennte!

Hilf mir, Himmel! Welches Weib,

noch so klug und so bedächtig,

würde sich zu raten wissen

in so schrecklichem Gedränge?

Gibt es jemand wohl hienieden,

den des Himmels rauhe Härte

mehr verflocht in schwere Leiden,

mehr durch Mißgeschick bekämpfte?

Was zu tun, in der Verwirrung,

wo unmöglich zu erspähen

scheint ein Mittel, das erleichtre,

noch Erleichtrung, die mir helfe?

Seit dem ersten Mißgeschicke

ist, was vorgeht, was begegnet,

stets ein neues Mißgeschick;

denn, einander selbst beerbend,

folgt dem ersten stets das zweite.

Wie man von dem Phönix meldet,

stammet eines von dem andern,

Leben aus dem Tode nehmend;

und mit ihrer Asche bleibt

immerdar ihr Grab erwärmet.

Feige sei'n die Mißgeschicke,[112]

sprach ein Weiser; denn man sehe

keines unbegleitet kommen.

Doch ich sage, sie sind Helden;

denn sie schreiten immer vor,

ohne je sich umzuwenden.

Wem sie zum Geleite dienen,

der kann alles unternehmen;

denn er fürcht in keinem Falle,

daß von ihm sie sich entfernen.

Sagen darf ich's; denn bei allem,

was im Leben mir begegnet,

fand ich nie mich sonder Unglück;

nie ermattet's, bis es endlich

mich, verwundet vom Geschicke,

wird im Arm des Todes sehen.

Wehe mir! Was soll ich tun

in der Not, die jetzt mich ängstet?

Sag ich, wer ich bin, so könnte

leicht Clotald, dem doch mein Leben

Schutz und Ehre hat zu danken,

sich von mir beleidigt wähnen;

denn er sagt mir, daß ich schweigend

harren soll auf Hülf und Ehre.

Sag ich, wer ich bin, Astolfen

nicht, und wird er hier mich sehen:

Wie verhehl ich mich vor ihm?

Denn wofern auch sich verstellen

Stimme, Zung und Augen wollten,

wird das Herz sie Lügner schelten.

Was zu tun? – Doch warum sinn ich,[113]

was ich tun soll? Denn ich werde,

wie ich auch mich vorbereite,

alles überdenk und wäge,

wenn der Augenblick erscheint,

doch nur dem Gebot des Schmerzes

Folge leisten. Kann doch niemand

seines Grams Gewalt beherrschen!

Und da meine Seele zagt,

eine feste Wahl zu treffen,

wohl, so komme heut der Schmerz

an sein Ziel, es komm ans Ende

heut die Qual; ich will auf einmal

allem Zweifel und Bedenken

mich entreißen; doch bis dahin

steht mir bei, ihr hohen Mächte!


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 111-114.
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