8. Szene.

[97] Clotald, Sigismund, Rosaura, Clarin, Diener.

Clotald bleibt im Hintergrunde.


CLOTALD für sich.

Ihn noch zu zähmen darf ich wohl vertrauen,

denn ich erzog ihn ja. – Was muß ich schauen?


Rosaura erblickend.[97]


ROSAURA zu Sigismund.

Mich rührt dein gütig Streben;

mein redend Schweigen mag dir Antwort geben.

Denn, Herr, wo der Verstand sich blöde zeiget,

da spricht am besten, wer am besten schweiget.


Will gehen.


SIGISMUND.

Halt, gehe nicht von hinnen!

Wie? Wolltest du so schleunig meinen Sinnen

des Lichts Erquickung rauben?

ROSAURA.

Ich bitte, diese Gunst mir zu erlauben.

SIGISMUND.

Gehn mit so eil'gen Schritten,

das heißt, die Gunst sich nehmen, nicht erbitten.

ROSAURA.

Ich nehme sie, willst du sie nicht gewähren.

SIGISMUND.

In Rauheit wirst du meine Huld verkehren;

denn so mir widerstreiten,

heißt, mir ein Gift für die Geduld bereiten.

ROSAURA.

Ob dieses Gift voll Strenge

und Zorn und Wut auch die Geduld bezwänge,[98]

doch kann und darf's mitnichten

die Achtung, die ich fordern muß, vernichten.

SIGISMUND.

Um, ob ich's kann, zu lernen,

werd ich die Scheu vor deinem Reiz entfernen.

Unmögliches bezwingen

ist meine Lust; dort vom Altane springen

mußt einer heut, trotz seinem Draufbestehen,

es könne nicht geschehen.

Und so nun möcht ich, um zu sehn mein Können,

auch deiner Ehre solchen Sprung vergönnen.

CLOTALD für sich.

Er läßt sie nicht von hinnen;

sein Rasen steigt. O Himmel, was beginnen,

da wütendes Begehren

zum zweiten Male droht, mich zu entehren?

ROSAURA.

Ha, nicht vergebens zagte

dies arme Land, da man voraus ihm sagte

von dir solch wild Erfrechen,

Wut, Mord, Verrat und jegliches Verbrechen.

Doch kann sich anders zeigen,

wem nichts vom Menschen als der Nam ist eigen?

Wer, stolz und übermütig,

barbarisch, frech, unmenschlich, grausam, wütig,

aufwuchs bei rohem Wilde?[99]

SIGISMUND.

Ich zeigte dir vorhin so große Milde,

um dich mir zu verpflichten

und diese freche Schmähung zu vernichten.

Doch bin ich das, was deine Lippen nennen,

so sollst du so, bei Gott, auch ganz mich kennen.


Zum Gefolge.


Holla! Entfernt euch alle. Diesen Toren

soll niemand nahn; schließt ab.


Clarin geht mit den Übrigen ab.


ROSAURA.

Ich bin verloren!

O höre!

SIGISMUND.

Den Barbaren

zu bändigen, kannst du die Mühe sparen.

CLOTALD für sich.

O gräßliches Verderben!

Ihn hindern muß ich schnell, und sollt ich sterben.


Hervortretend.


Halt ein, o Herr! Erwäge ...

SIGISMUND.

Zum zweitenmal machst du den Zorn mir rege,

tollkühner Greis! Verachtest

du meinen Grimm, den du zu reizen trachtest?

Wie bist du hergekommen?[100]

CLOTALD.

Auf dieser Stimme Ruf, den ich vernommen,

kam ich, um dir zu sagen:

Sei milder, Prinz, willst du die Krone tragen,

und nicht, weil du beherrschest diese Räume,

sei grausam; denn vielleicht sind dies nur Träume.

SIGISMUND.

Zur Wut wirst du mich führen,

wagst du das Licht der Wahrheit anzurühren.

Dich tötend, will ich schauen,

ob's Traum, ob's Wahrheit sei.


Er zieht den Dolch; Clotald hält diesen von sich ab, indem er niederkniet.


CLOTALD.

Dem Todesgrauen

kann ich nur so entkommen.

SIGISMUND.

Die freche Hand vom Stahl hinweggenommen!

CLOTALD.

Nein, bis ich Hülf erhalten,

die mich beschützt vor deines Grimmes Walten,

laß ich dich nicht.

ROSAURA.

O Himmel![101]

SIGISMUND.

Los, Verräter,

feindsel'ger Greis, wahnsinn'ger Missetäter!

Sonst will ich ohn Erbarmen

erwürgen dich mit meinen starken Armen.


Sie ringen miteinander.


ROSAURA.

Heran, ihm beizustehen!

Ermordet wird Clotald!


Ab.

Astolf tritt auf in dem Augenblick, da Clotald zu seinen Füßen hinfällt, und stellt sich zwischen beide.


Quelle:
Calderon de la Barca, Pedro: Das Leben ein Traum. Leipzig 1964, S. 97-103.
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La vida es sueño /Das Leben ist Traum: Spanisch/Deutsch

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