Des Basken Etchehons Klage

[311] (Gazette des tribunaux)


Gensdarmen, ausgesendet

Zu fahen den Etchehon,

Ihr sucht ihn vergeblich zu Barcus,

Er ist zu den Bergen entflohn.


Die Pyrenäen verbergen

Ihn gastlich in ihrem Schoß,

Da teilt er, in bitterem Elend,

Des flüchtigen Wildes Los.


Es staunen La Soules Hirten

Zu Eguiton ihn an,[311]

Und reichen das Brot des Mitleids

Dem blutigen Sängersmann.


Ihr staunt, mitleidige Hirten,

Wie blutig die Hand mir sei? –

Zehn Jahre hab ich geschmachtet

In Ketten und Sklaverei.


Ich hab ein Weib mir gefreiet

In meiner Jugend Kraft,

Sie hat mich umstricket in Liebe,

Mir Gift in das Haus nur geschafft.


Fünf Jahre lag ich in Ketten,

War kaum noch meiner bewußt;

In Eifersucht zehn Jahre.

Die reißt erst scharf in die Brust.


Ich trug wohl, Eguiapal,

Um dich der Ketten Last; –

Was trieb dich, mein Weib zu verführen,

Der selbst du ein Weib doch hast?


Du wußtest Ränke zu schmieden,

Du spanntest um mich den Verdacht;

Derweil in Sünde du schwelgtest,

Verkam ich in Kerkersnacht.


Ich lag in Ketten, im Kerker,

Auf Stroh, in Elend und Not,

Erweichte mit meinen Tränen

Mein hartes, mein trockenes Brot.


Du übermüt'ger Geselle,

Warst Herr in dem Hause mein,

Und schliefest auf meinen Pfühlen,

Und trankest von meinem Wein.


Und als den Tag der Freiheit

Ich endlich, endlich geschaut,[312]

Da dünkte reif uns die Rache,

Da hat es vor mir dir gegraut.


Ja! zittre, tückischer Bube!

Ich lade verhängnisvoll

Ins Feuerrohr die Kugel,

Die nieder dich strecken soll.


So harrt ich zu Nacht bei der Brücke

Von Barcus auf dich, mein Ziel; –

Es trieben die Geister der Hölle

Mit mir ihr grausiges Spiel.


Ich sah dich, du kamst gegangen,

Ich zielte sicher und gut,

Ein Druck – und – Etchegoyen

Lag röchelnd in seinem Blut.


Mein Etchegoyen, der liebend

Mich stets zu erfreuen gestrebt! –

Das ist das Blut, ihr Hirten,

Das mir an den Händen klebt.


Und nicht vergebens schreit es

Um Rache zum Himmel empor;

Du bist mir, Eguiapal,

Der Schuldige, siehe dich vor.


Du mochtest frevelnd dich rühmen,

Wie trefflich dir alles gelang;

Durch dich ein gleiches Verderben

Die Besten von Barcus umschlang.


Bin müde, nur Lieder zu dichten

Zu müßigem Zeitvertreib,

Nur Tränen der Wut zu weinen,

Gleich einem gekränkten Weib.


Es zieht mit Gewalt mich hinunter,

Hinunter ins heimische Tal,

Ob ich, ob du sollst dienen

Den Geiern des Himmels zum Mahl?
[313]

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 311-314.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte Und Versgeschichten
Peter Schlemihls wundersame Geschichte und ausgewählte Gedichte.
Chamissos Werke: Erster Teil: Gedichte
Gedichte: Ausgabe letzter Hand
Hundert Gedichte

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon