|
[305] Vers 7453–7506.
»Ha!« – rief der Ritter – »Herr, Nichts mehr davon!
Was Ihr gesagt habt, ist genügend schon,
Und mehr als das! – Mich dünkt, an eignen Plagen,
So klein sie sind, hat man genug zu tragen.
Mir wenigstens erscheint höchst unergötzlich,
Wenn Menschen aus dem Wohlstand, ach! so plötzlich
Zu Grunde gehn. Im Gegentheile kann
Uns trösten und erbauen, wenn ein Mann
Sich aus der Armuth in die Höhe schwingt,
Stets weiter strebt und es zu etwas bringt,
Und sich erhält in stetem Wohlgedeih'n.
Das scheint mir ein erbaulich Ding zu sein,
Von dem zu hören, Jedermann erfreut!«
»Ja!« – rief der Gastwirth – »bei St. Pauls Geläut'!
Ihr sprecht ganz wahr! Der Mönch hat laut geblasen.
In Wolken hüllte sich nach seinen Phrasen
Fortuna ein; ich weiß nicht recht mehr, wie?
Ihr hörtet die Tragödie. – Doch, Pardi!
Was hilft, daß man bejammert und beklagt,
Was abgethan ist? Denn, wie Ihr gesagt,
Von Leiden hören, macht das Herz uns schwer.
Bei Gottes Huld! – Herr Mönch, davon nichts mehr!
Der ganze Kreis fühlt sich dadurch verletzt;
Nicht eine Fliege werth ist, was Ihr schwätzt![306]
Darin ist Nichts von Späßen oder Scherzen!
Herr Mönch – Dan Peter – laßt von ganzem Herzen
Euch bitten, tragt uns etwas Andres vor.
Denn wahrlich, rasselten mir nicht im Ohr
Die Schellen stets von Eurem Zaumbehange,
Wär' ich – beim Herrn, der für uns starb! – schon lange
Vor Schlaf vom Roß gesunken, und ich läge
Wohl in der tiefsten Pfütze hier am Wege,
Und ganz umsonst wär', was Ihr vorgetragen.
Denn sicherlich, wie die Gelehrten sagen:
Wenn es an Hörern einem Mann gebricht,
So nützt Nichts alle Weisheit, die er spricht.
Ich weiß zu wohl, uns muß der Stoff beseelen,
Um eine Sache würdig zu erzählen.
Drum tragt uns Jagdgeschichten vor, ich bitte.«
»Nein,« – sprach der Mönch – »Scherz ist bei mir nicht Sitte.
Ich bin zu Ende. Mögen Andre sprechen.«
Zum Nonnenpriester wandte sich mit frechen
Und rohen Worten unser Wirth sodann:
»Komm' näher, Priester! Komm', mein Herr Johann!
Laß einen heitern Schwank uns jetzt vernehmen!
Du brauchst Dich Deines Kleppers nicht zu schämen.
So dünn er ist, thut er für Dich, als Reiter,
Doch seinen Dienst. Drum gräme Dich nicht weiter,
Sei nur von Herzen fröhlich immerdar!«
»Ja, Wirth,« – sprach er – »vergnügt bin ich fürwahr,
Ob ich zu Fuß, ob ich zu Pferde reise,
Denn sonst wär' ich zu tadeln;« und zum Kreise
Gewandt, hub gleich mit der Erzählung an
Der herzensgute Priester, Herr Johann.
Ausgewählte Ausgaben von
Canterbury-Erzählungen
|
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro