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[307] Vers 7507–8132.
In enger Hütte nah' bei einem Wald
In einem Thale lebte, arm und alt,
Vor Zeiten eine Wittwe. Und dort hatte,
Seitdem gestorben war ihr Ehegatte,
Die Frau, von der ich Euch erzählen will,
Geführt ihr Leben in Geduld und still.
Klein war die Pacht und ihr Bestand an Vieh;
Durch Sparsinn aber, den ihr Gott verlieh,
Ernährte sie zwei Töchter und sich selber.
Sie hatte nur drei Schweine und drei Kälber
Und außerdem ein Schaf, mit Namen Malle.
Von Rauch geschwärzt war Wohngemach und Halle,
Wo täglich sie die karge Malzeit nahm.
In ihren Mund kein Leckerbissen kam,
Pikante Brühen blieben ihr stets fremd,
Denn schlicht war ihre Nahrung, wie ihr Hemd.
Durch Ueberladung wurde sie nie krank,
Die Mäßigkeit war ihr Verdauungstrank
Und Arbeit und zufriedner Sinn. Die Gicht
War hinderlich am Tanz der Wittwe nicht,
Noch litt ihr Kopf je durch Apoplexie,
Denn Rothwein oder Weißwein trank sie nie.
Aus Weiß und Schwarz bestand ihr Mittagsschmaus,
Denn Milch und Grobbrod waren meist im Haus,[308]
Bisweilen Speck, ein Ei, kam's hoch, ein Paar,
Da sie nur eine Tagelöhn'rin war.
Auch einen Hof besaß sie, rings umgeben
Von hohen Hecken und von trocknen Gräben,
Für ihren Hahn, der Chanteklär genannt.
Kein bess'rer Kräher war im ganzen Land;
Weit lustiger als Kirchenorgelklang
An Messetagen tönte sein Gesang,
Vom Balken scholl weit sicherer sein Schrei,
Als Uhr und Glocke jeglicher Abtei,
Und er erkannte durch Instinkt sofort
Die Nacht- und Tageslänge für den Ort.
Er krähte, wenn die Sonne funfzehn Grad'
Erklommen hatte, laut und accurat.
Sein Kamm war röther, als die Blutkoralle,
Und krenelirt, gleich einem Festungswalle;
Schwarz war sein Schnabel wie der Kohle Schein,
Und himmelblau erglänzten Fuß und Bein;
Die Krallen waren weißen Lilien gleich,
Und sein Gefieder schien wie Gold so reich.
Der edle Hahn war Oberherr von sieben
Stets dienstbefliss'nen Hennen, die zu lieben
Von ihm als Schwestern waren, wie als Frau'n,
Und die ihm wunderähnlich anzuschaun.
Jedoch das schönste Farbenspiel am Hals
Trug Fräulein Pertelote jedenfalls.
Sie war so höflich, so discret und zierlich,
Von so gefäll'gem Wesen und manierlich
Bereits zur Zeit, als sie nur wochenalt,
Daß sie das Herz von Chanteklär alsbald
Gefesselt hielt und ganz und gar gewann.[309]
Er liebte sie – und fand Gefallen dran.
Ihn anzuhören, war die höchste Wonne,
Wenn er beim Schein der frühen Morgensonne
So lieblich sang: »Mein Lieb ist fern von hier!«
– Denn damals hatten Vögel und Gethier
Gesang und Sprache noch, wie ich vernahm. –
Als eines Tags die Morgendämmrung kam,
Saß Chanteklär mit seiner Weiberschaar
Auf seinem Balken, der im Vorhaus war,
Und zwar ganz nah' zur Seite seiner schönen
Frau Pertelote und begann zu stöhnen,
Gleich einem Mann, den schwere Träume plagen.
Und Pertelote hörte seine Klagen,
Ward bleich und sprach: »Was fehlt Dir, liebes Herz,
Daß Du so ächzest? sag', was macht Dir Schmerz?
Pfui! alter Schläfer, hast Du keine Scham?«
Ihr Antwort gebend, sprach er drauf: »Madam,
Ich bitte Dich, sei nur nicht gleich verletzt.
Bei Gott, mir träumte Schlimmes eben jetzt.
Von Angst und Schreck ist noch mein Herz beklommen,
Nun, gebe Gott, es möge besser kommen,
Und wahre mir die Freiheit meiner Glieder!
Mir träumte nämlich, daß ich auf und nieder
Im Hofe ging, wo ich ein Thier erblickte,
Gleich einem Hund, das sich zum Sprung anschickte
Auf meinen Leib, und würgte mich zu Tod.
Der Farbe nach war's zwischen gelb und roth.
Und schwarze Flecken, ungleich seinen Haaren,
An seinem Schwanz und seinen Ohren waren.
Schmal war die Schnauze; seine Augen sahn[310]
Mich glühend an. – Mein Ende fühlt' ich nahn.
Und darum mußt' ich seufzen, zweifellos.«
»Pfui! feige Memme!« – fuhr sie auf ihn los –
»Beim hohen Gott im Himmel sei's geschworen,
Du hast mein Herz und mein Vertrau'n verloren,
Denn einen Feigling lieb' ich nun und nimmer!
Zum Ehegatten wünschen wir uns immer
Nur einen Mann – was auch die Weiber sagen –
Der kühn und klug und frei ist von Betragen,
Kein Geizhalz und kein Thor ist, welcher schwätzt
Und sich vor jedem dummen Spuk entsetzt,
Und der kein Prahlhans ist. – Beim Herrn der Seelen!
Wie wagst Du, Deinem Liebchen zu erzählen,
Daß irgend etwas Dich erschrecken kann?
Wie, hast Du nicht das Herz von einem Mann
Und einen Bart, und weißt Du nicht, daß Träume,
Bei Gott, nur eitel sind und leere Schäume?
Die Träume kommen durch Naturanlagen
Und oftmals auch aus überfülltem Magen,
Und wenn uns Ueberfluß an Säften plagt.
Daß Nachts ein Traum in Schrecken Dich gejagt,
Hat seinen Grund ganz sicher im Geblüt,
Denn Du bist hochcholerisch von Gemüth.
Und darin hat es eben sein Bewenden,
Daß wir von Pfeilen träumen und von Bränden,
Von Kampf und Streit; daß uns Insekten beißen
Und rothe Thiere unsern Leib zerreißen,
So fährt aus melancholischem Humor
Man oftmals schreiend aus dem Schlaf empor
Aus Furcht vor schwarzen Bären oder Stieren
Und bald, weil schwarze Teufel uns entführen.[311]
Noch andre Säfte wüßt' ich aufzuzählen,
Die manchen Mann in seinem Schlafe quälen,
Doch ich berühre diesen Punkt nur leise.
Sieh' Cato an! Was sagte dieser Weise?
›Der Träume wegen mach' Dir keine Grillen!‹
Drum, lieber Herr, nimm gleich um Gottes Willen,
Fliegst Du mit mir vom Balken, zu laxiren;
Und Leib und Seele will ich gern verlieren,
Wenn dieser Rath nicht gut ist. Auf mein Wort,
Den Zorn sowie die Schwermuth fegt er fort.
Doch säume nicht; und da in dieser Stadt
Man leider keinen Apotheker hat,
So will ich selbst zwei Kräuter für Dich lesen,
Und Du wirst Dich erholen und genesen.
In unserm Hof kann ich die Kräuter finden,
Die von Natur die Eigenschaft verbinden,
Von unten und von oben Dich zu rein'gen.
Indeß, bei Gott im Himmel, dem Dreiein'gen!
Bedenke, daß cholerisch ist Dein Blut.
Sei vor der Mittagssonne auf der Hut,
Besonders wenn Dich heiße Säfte plagen;
Denn einen Groschen möcht' ich daran wagen,
Dem kalten Fieber kannst Du nicht entgehn,
Und packt Dich dieses, ist's um Dich geschehn.
Ein bis zwei Tage mußt Du Dich ernähren
Von nichts als Würmern und Dich dann entleeren
Durch Tausendgüldenkraut und Heckenrauch
Und Hundebeeren, Kresse, oder Lauch,
Und was man sonst im Hofe finden kann
An Nieswurz oder lust'gem Gundermann.
Pick' alles auf und schluck' es frisch hinunter.[312]
Bei Deinen Ahnen! lieber Mann, sei munter!
Und, kurz und gut, scheuch' Traum und Sorgen fort.«
»Madame,« – sprach er – »Grand mercy für dein Wort.
Indeß wenn Cato sagte, den die Welt
Ob seiner Weisheit so in Ehren hält,
Daß wir um Träume uns nicht kümmern sollten,
So schreibt doch Mancher, welcher mehr gegolten,
Als Cato jemals galt, bei meinem Heil!
In alten Büchern ganz das Gegentheil
Und hat, bei Gott! die Meinung, die er hegt,
Mit Gründen der Erfahrung wohl belegt
Und hält die Träume von Bedeutsamkeit,
Weil dadurch Leid und Freude prophezeit,
Die uns im Lauf des Lebens widerfahren.
Ich kann die Argumente mir ersparen,
Da es thatsächlich zu begründen ist.
Der größte Autor, der zu finden ist,
Erzählt, daß einstmals, freundschaftlich gesellt,
Zwei Männer eine Wallfahrt angestellt.
Und es geschah, als einst ihr Tagesziel
Erreicht war, daß im Dorfe sie so viel
Verschiednes Volk in jedem Wirthshaus trafen,
Daß sie in keiner Hütte Raum zum Schlafen
Mitsammen finden konnten für die Nacht.
So war es zur Nothwendigkeit gemacht,
Daß sie sich trennten, und der Eine hier,
Der Andre dort im Gasthaus sein Quartier
Sich suchen mußte, wie er's eben fand.
In einem Stall, der fern im Hofe stand,
Fand Einer bei den Ochsen Unterkommen,
Der Andre wurde besser aufgenommen,[313]
Wie es ihm Zufall oder Glück beschieden,
Die Alles lenken auf der Welt hinieden.
Und als er in dem Bette lag, geschah,
Daß ihm im Traume, eh' der Morgen da,
Sein Kamerad erschien und zu ihm sprach:
›In einem Ochsenstalle werde, ach!
Ich diese Nacht ermordet. Auf der Stelle
Such' mich zu retten, lieber Mitgeselle.
Hier lieg' ich, und der Tod steht mir bevor!‹
Erschreckt fuhr jener aus dem Schlaf' empor,
Doch als aus seinem Schlummer er erwachte,
Dreht' er sich schleunig wieder um, und dachte:
Es war ein Traum. Bekümm're dich nicht weiter.
Doch nach dem ersten Traume kam ein zweiter
Und dann ein dritter – und er hörte sagen,
So schien es ihm: ›Jetzt bin ich schon erschlagen!
Sieh' meine tiefe, weite, blut'ge Wunde!
Steh' zeitig auf in früher Morgenstunde,
Um nach dem Westthor dieser Stadt zu gehn.
Dort wirst Du einen Düngerkarren sehn,
In dem verborgen meine Leiche ruht.
Drum halt' ihn an mit unerschrocknem Muth!
Mein Gold war leider meines Todes Grund.‹
So machte, bleich und jammernd, er ihm kund
Den ganzen Hergang, wie er umgekommen.
Und glaubt es mir, was er im Traum vernommen,
Traf wirklich ein. – Beim Tagesanbeginn
Ging er zum Gasthof des Gefährten hin,
Wo er sofort zum Ochsenstalle lief,
Und wiederholt nach seinem Freunde rief.[314]
Der Gastwirth gab zur Antwort auf der Stelle:
›Herr, abgereist ist Euer Mitgeselle;
Früh Morgens schon hat er die Stadt verlassen.‹
Doch dieser Mann begann Verdacht zu fassen,
Als er bedachte, was ihm Nachts geträumt;
Drum ging er fort, und lief dann ungesäumt
Zum Westthor von der Stadt. Und, sieh', er fand
Dort einen Karr'n, der Dünger auf das Land
Zu bringen schien, ganz in derselben Art,
Wie ihm im Traum vom Todten offenbart.
Und unerschrocken hub er an zu sprechen:
›Recht und Vergeltung fordert dies Verbrechen!
Mein Freund, der diese Nacht erschlagen ist,
Liegt hier im Karren leblos unterm Mist,
Beklagen will ich mich beim Magistrat,
Der in der Stadt die Oberleitung hat.
Helft, helft! o weh! hier liegt mein Freund erschlagen!‹
Was soll ich mehr von der Geschichte sagen?
Das Volk kam angestürzt, und warf sodann
Den Karren um und fand den todten Mann,
Ganz frisch ermordet, liegen unterm Dünger.
O, guter Gott, getreuer Segenbringer!
An jedem Tage sehen wir es klar,
Mord will heraus! Du machst ihn offenbar.
Gott hasset und verabscheut allen Mord,
Denn Er ist billig und des Rechtes Hort.
Ein bis zwei Jahre bleibt er wohl verborgen
Doch wird dereinst Gott für Entdeckung sorgen.
Mord will heraus! – Das ist mein letztes Wort!
Die Stadtbehörde ließ jedoch sofort
Den Karrentreiber und den Gastwirth greifen,[315]
Und auf der Folter so erbärmlich kneifen,
Daß sie alsbald die Missethat gestanden,
Und an dem Galgen dann ihr Ende fanden:
Drum Träume sind zu fürchten, wie Du siehst.
Gewiß, im folgenden Capitel liest
Man in demselben Buche fernerweit
– Ich lüge nicht, bei meiner Seligkeit! –
Daß einst zwei Männer im Begriffe standen
Aus guten Gründen nach entlegnen Landen
In einem Schiff zu reisen über Meer.
Doch blieben sie, dieweil der Wind conträr,
In einer Stadt, die an dem Hafen lag.
Doch mit der Fluth trat an dem nächsten Tag
Ein Wechsel ein – und günstig blies der Wind
Froh legten beide sich zu Bett geschwind,
Um zeitig aufzustehen für die Reise.
Doch einer hatte wunderbarer Weise,
Als er im festen Morgenschlafe war,
Ein seltsam Traumbild; denn er sah ganz klar,
Vor seinem Lager einen Menschen stehn,
Der ihm Befehl gab, nicht zu Schiff zu gehn,
Und zu ihm sprach: ›Willst Du es morgen wagen,
Mußt Du ertrinken. Mehr bleibt nicht zu sagen.‹
Vom Schlaf erwacht, bat er den Mitgesellen,
Nach diesem Traum die Seefahrt einzustellen
Und zu verweilen bis zum nächsten Tag.
Der Mann, der neben ihm im Bette lag,
Begann verächtlich über ihn zu lachen
Und sprach: ›Kein Traumbild kann mich bange machen.
Mich scheeren Träume, hab' ich mir ein Ding
Fest vorgenommen, keinen Pfifferling.[316]
Denn Träume sind nur eitle Gaukelspiele.
Von Eulen und von Affen träumen Viele
Und andern Spukgeschichten, wenn sie schlafen,
Die nie die Wahrheit treffen oder trafen.
Wenn Du die Fluth indeß aus Eigensinn
Verpassen willst, so bleib' Du immerhin.
Du thust mir leid. Leb' wohl! Ich gehe fort.‹
So sprach er grüßend, und verließ den Ort.
Doch kaum auf halbem Wege seiner Reise
Ward dieses Schiff auf irgend eine Weise
– Ich weiß nicht wie – durch einen Zufall leck,
Und Schiff und Mannschaft sanken auf dem Fleck,
Wie andre Schiffe, die auf gleicher Bahn
Gesegelt waren, in der Nähe sahn.
Nun, theure, schöne Pertelote mein,
Dies Beispiel mag Dir eine Lehre sein,
Daß man die Träume mit zu leichter Wage
Nicht messen soll. Denn ohne jede Frage
Ist mancher Traum zu fürchten, sag' ich Dir.
Im Leben von St. Kenhelm lesen wir:
Des Königes von Mercia, Kenulphs Sohn,
Der vorerwähnte Kenhelm, habe schon
Von seinem Mord geträumt, kurz vor dem Tag,
An welchem er der Mörderhand erlag,
Und ihm erklärt von seiner Amme sei,
Daß er sich hüte vor Verrätherei,
Der ganze Traum; doch sieben Jahr' nur zählte
Das Kind, und seinem heil'gen Herzen fehlte
Es noch an Einsicht in der Träume Wesen.
Bei Gott! wenn die Legende Du gelesen,
Wie ich es that, ich gäbe drum mein Hemd![317]
Frau Pertelote – Lügen sind mir fremd –
Makrobius sagt, wenn er vom Traumgesicht
Des edlen Scipio Afrikanus spricht,
Daß Träume Wahrheit reden, uns zu warnen
Vor Dingen, welche später uns umgarnen.
Und ferner bitt' ich, lies die heil'ge Schrift
Und sieh' darin, was Daniel betrifft,
Ob Träume Gaukeleien sind zu nennen,
Lies Joseph ferner, und Du wirst erkennen,
Daß oft ein Traum – wenn auch nicht unbedingt –
Uns warnend kund macht, was die Zukunft bringt.
An Pharao, Aegyptens König, denke!
Empfanden er, sein Bäcker und sein Schenke
Nicht bald die Wirkung ihrer Traumgesichte?
Wenn man durchforscht die Acten der Geschichte,
So stößt auf wunderbare Träume man.
Sieh' Krösus nur, den König Lydiens, an!
Er saß, so schien es ihm, auf einem Baume,
Und sah den eignen Galgen nur im Traume.
Andromache, des Hectors Weib, betrachte,
Die, als den Gatten man ums Leben brachte,
Des Nachts zuvor in einem Traum gesehn,
Wenn Hector wage hin zur Schlacht zu gehn,
So sei sein Leben selben Tags verloren!
Indessen predigte sie tauben Ohren.
Nichts hielt ihn ab. Er ging, den Kampf zu wagen,
Und wurde von Achilles drin erschlagen.
Indeß zu lang ist, dieses mitzutheilen.
Der Tag ist nah'; ich mag nicht länger weilen,
Und kurz und gut, ich sage Dir zum Schluß,
Mir bringt mein Traumbild sicher noch Verdruß.
Jedoch was die Laxanzen anbetrifft,[318]
So weiß ich sicher, sie sind Nichts, wie Gift,
Und ich bediene mich derselben nie,
Ich mag sie nicht, ja, ich verachte sie.
Genug davon! – Jetzt laß uns fröhlich sein!
Frau Pertelote, bei der Seele mein!
Mir schenkte Gott ein herrliches Geschick.
Fällt auf Dein schönes Angesicht mein Blick,
Und Deine scharlachrothen Augenlider
So schwinden Furcht und Sorgen in mir wieder;
Denn sicherlich, wie in principio
Mulier est hominis confusio
– Und übersetzt heißt dies Latein genau:
Des Mannes Lust und Segen ist die Frau –
Sitz' ich des Nachts an Deiner weichen Seite
– Obschon es sein mag, daß ich Dich nicht reite,
Weil mir's an Raum auf diesem Balken fehlt –
So bin ich immer freudevoll beseelt
Und scheuche Träume und Visionen fort.«
Mit allen Hennen flog bei diesem Wort
Der Hahn vom Balken, da es Morgen war,
Und rief mit lautem Klucken seine Schaar
Höchst königlich, da jede Furcht geschwunden,
Sobald im Hof er nur ein Korn gefunden,
Und Pertelote federt' er und trat
Wohl zwanzigmal, eh' Primezeit genaht.
Wild, wie ein Löwe, war er anzusehen
Und auf und nieder schritt er auf den Zehen,
Als hab' er Scheu, den Boden zu berühren.
Gelang es ihm, ein Körnchen aufzuspüren,
So kluckt' er gleich, und zu ihm liefen Alle.[319]
So fürstlich wie ein Prinz in seiner Halle
Mag Chanteklär auf Nahrungssuche gehn,
Und dann erzähl' ich, was hernach geschehn.
Der Monat März, in welchem Gott den Mann
Erschaffen hatte, als die Welt begann,
War längst verstrichen und noch überher
Ein voller Monat und zwei Tage mehr,
Als Chanteklär, der äußerst stolz inmitten
Von seinen Frau'n im Hof umhergeschritten,
Zur Sonne schaute, die am Himmelspfade
Im Stiere stand und mehr als zwanzig Grade
Durchlaufen hatte; und ihm sagte drum
Naturinstinkt und nicht sein Studium,
Daß Prime sei. Und krähend laut vor Wonne,
Rief er: »Schon zwanzig Grade hat die Sonne
Und mehr durchzogen an dem Himmelszelt!
Frau Pertelot', mein Alles in der Welt!
O, höre, wie die Vögel jubelnd singen,
Sieh', wie empor die frischen Blumen springen!
Vor Wonne schwillt das Herz mir in der Brust!«
Doch arges Unheil folgte rasch der Lust.
Denn allzuoft wird Freud' in Leid verkehrt,
Da Erdenglück, Gott weiß, nicht lange währt.
In eine Chronik buchte diesen Satz
Mit Fug und Recht als hohen Weisheitsschatz
Ein Autor, welcher Redeschwung besitzt.
Nun, kluge Herren, jetzt das Ohr gespitzt!
Denn die Erzählung ist so wahr, wie je
Die Chronik war von Lancelot vom See,
Die alle Weiber überhoch verehren.
Jedoch zur Sache will zurück ich kehren.[320]
Ein falscher Fuchs, in jeder List erfahren,
Der schon im Walde hauste seit drei Jahren,
Durchbrach bei Nacht die Hecke, wie der Traum
Es prophezeit, und schlich sich in den Raum,
Wo Chanteklär nach altgewohntem Brauch
Spazieren ging und seine Weiber auch,
Und hielt im Krautbett sich an jenem Morgen
Bis nach der neunten Stunde still verborgen,
Bereit zum Sprung auf unsern Chanteklär,
Wie sich in Hinterhalte von jeher
Die Schurken legten, war der Mord ihr Zweck.
O, falscher Mörder, lauernd im Versteck,
O, neuer Judas, neuer Ganelon!
Dem Griechen Sinon, welcher Ilion
Zu Falle brachte, gleich an Heuchelei!
O, Chanteklär, verflucht der Morgen sei,
An dem vom Balken in den Hof Du flogst!
Wenn Du Dein Traumbild in Erwägung zogst,
So mußtest die Gefahren Du ersehen!
Indeß was Gott bestimmt hat, muß geschehen,
Wie dies von vielen Weisen uns erklärt ist.
Doch weiß ein Jeder, welcher selbst gelehrt ist,
Daß in der Schule stets Verschiedenheit
Der Ansicht war, und kann von Zank und Streit
Euch zwischen Hunderttausenden berichten.
Ich kann das Mehl nicht von der Kleie sichten,
So wie der heil'ge Doctor Augustin,
Boetius und Bischof Bradwardin,
Ob ich durch Gottes heil'gen Vorbeschluß
Ganz schlechterdings Jedwedes thuen muß,
Das heißt, Nothwendigkeit mich dazu treibt,[321]
Oder zur That die freie Wahl mir bleibt,
Und Thun und Lassen steht in meiner Hand,
Obschon mein Handeln Gott vorher bekannt;
Und ob vielleicht sein Wissen nur bedingt,
Doch nicht nothwendig, mich zur Sache zwingt.
Doch die Materie sei hier abgethan,
Denn die Geschichte spielt von einem Hahn,
Der auf den Rath von seiner Frau mit Sorgen
Im Hühnerhof spazieren ging am Morgen,
Obschon ein Traum ihn warnte, wie ihr wißt.
Doch allzu kühl oft Weiberrathschlag ist.
Durch Weiberrath kam unser erstes Leid,
Denn er trieb Adam aus der Seligkeit
Des Paradieses, wo es ihm behagte.
Doch kränken mag, was ich hier tadelnd sagte
Vom Rath der Weiber füglich manches Herz.
Darum genug! Ich sprach es nur im Scherz.
Lest die Autoren, die im Fach beschlagen,
So höret Ihr, was sie von Weibern sagen.
Dies sind vom Hahn die Worte, nicht die meinen,
Da mir die Frauen äußerst harmlos scheinen.
Im Sande badend, lag im Sonnenschein
Mit ihren Schwesterhennen im Verein
Frau Pertelote, während Chanteklär
So fröhlich sang, wie jemals nur im Meer
Sirenen sangen, und daß deren Ton
Gar herrlich sei, sagt Physiologus schon.
Und es geschah, als seinen Blick er scharf
Auf einen Schmetterling im Grase warf,[322]
Daß er den Fuchs dort auf der Lauer fand.
Worauf zum Kräh'n ihm alle Lust verschwand,
Und er als banger, angsterfüllter Mann,
Nur »Kluckkluck« schreiend rasch von dannen rann.
Denn, wenn ein Thier den Erzfeind plötzlich sieht,
So ist es ganz natürlich, daß es flieht,
Selbst wenn es ihn zum ersten Mal erblickte;
Weßhalb sich Chanteklär zur Flucht anschickte,
Als er den Fuchs gesehn. Doch dieser sprach:
»Was wollt Ihr thun, mein lieber Herr? – Gemach!
Jagt Angst und Furcht der beste Freund Euch ein?
Weit schlimmer als ein Teufel müßt' ich sein,
Käm' ich hierher, Euch Böses zuzufügen.
Das Spioniren ist nicht mein Vergnügen.
Nein, der Beweggrund, der mich zu Euch bringt,
Ist nur allein, zu hören, wie Ihr singt.
Denn wahrlich Eure Stimme schallt so schön,
Wie Engelssang in hehren Himmelshöh'n.
Ihr übertrefft selbst des Boetius Kenntniß
Und manches Andern an Musikverständniß.
Seht, Euern Vater – ruh' er sanft im Grabe –
Und Eure reizend güt'ge Mutter habe
Ich oft vergnügt bei mir im Haus gesehn.
Herr, was ich für Euch thun kann, soll geschehn!
Doch glaubet mir, wenn man von Singen spricht,
Selbst mit den schärfsten Augen hab' ich nicht,
Euch ausgenommen, einen Mann erspäht,
Der früh am Morgen je so schön gekräht,
Wie Euer Vater. – Das kam aus der Seele!
Und zu verstärken seinen Klang der Kehle,
Ließ er sich selbst die Mühe nicht verdrießen,
Um laut zu schrein, die Augen zu verschließen,[323]
Sich auf den Zehen hoch empor zu recken
Und seinen langen, schmalen Hals zu strecken.
Und dabei übertraf im ganzen Land
Kein einz'ger Mensch ihn sicher an Verstand
Noch an Gesang und an bescheidnem Wesen.
Im ›Esel Burnell‹ hab' ich einst gelesen
Nebst andern Versen, daß einmal ein Hahn
Den Sohn des Priesters, der ihm weh gethan
Als Hähnchen hatte und ans Bein ihn stieß,
Die Pfründe späterhin verlieren ließ.
Doch kein Vergleich wird angestellt von mir.
Besonnenheit und Weisheit war die Zier
Von Eurem Vater, nicht Verschlagenheit.
Nun singt, mein Herr! Thut's aus Barmherzigkeit!
Laßt sehn, könnt Ihr den Vater überflügeln?«
Sofort schlug Chanteklär mit beiden Flügeln,
Denn hoch entzückt durch diese Schmeichelei,
War vor Verrath jedwede Furcht vorbei.
Ach, große Herr'n! an Eurem Hof gefällt
Manch falscher Schmeichler, mancher Zungenheld
Euch besser, als ein Mann, der unverzagt
– Glaubt meinen Worten – Euch die Wahrheit sagt.
Den Ecclesiasten lest und laßt Euch warnen,
Daß Euch nicht Schmeichler mit Verrath umgarnen.
Auf seinen Zehen hoch emporgereckt,
Geschlossnen Auges und den Hals gestreckt,
Stand Chanteklär und krähte laut und hell.
Aufspringend, packte bei der Kehle schnell
Ihn Schlaufuchs Rössel und entschwand alsbald,[324]
Ihn auf dem Rücken tragend, in den Wald,
Und lief, von Niemandem verfolgt, von hinnen.
O, Schicksal, welchem Keiner kann entrinnen!
Ach! daß es Dich vom Balken fliegen machte!
Daß Traumvisionen, ach, Dein Weib verlachte!
Und Dir ein Freitag ward verhängnißvoll!
O, Freudengöttin Venus, warum soll
Jetzt Chanteklär, der als Dein treuer Knecht,
Aus Lust, nicht bloß zu mehren sein Geschlecht,
Nach bester Kraft stets Deinen Dienst versehn,
An Deinem Tage so zu Grunde gehn?
O, Galfried, theurer Meister von uns Allen,
Der Du so jammernd klagtest, als gefallen
Dein würd'ger König Richard durch den Pfeil,
Warum ward mir nicht Deine Kunst zu Theil,
Den Freitag, der ihn dieser Welt entrückte,
So auszuschelten, wie es Dir einst glückte?
Dann würd' ich Euch die Angst und alle Qualen
Von Chanteklär aufs Jammervollste malen.
Kein lauteres Geschrei ward je gehört
Aus Damenmund, seit Ilion zerstört,
Und Pyrrhus König Priam mit der Hand
Am Bart erfaßt und mit dem Schwert durchrannt
– Wie in der Aeneide dies beschrieben –
Als in dem Hofraum alle Hennen trieben,
Sobald sie sahn von Chanteklär die Noth.
Vor Allen aber schrie Frau Pertelot',
Ja, lauter als die Gattin Hasdrubals,
Nachdem ihr Mann verloren seinen Hals,[325]
Als Römerhand Karthago einst verbrannte.
Zur Wuth entfacht, von Schmerz gepeinigt, rannte
Sie in das Feuer mit beherztem Muth
Und starb aus freien Stücken in der Gluth.
Ach, arme Hennen, Ihr schriet vor Entsetzen
So schlimm, wie einst – als Rom in Brand zu setzen,
Nero befahl – die Frau'n der Senatoren,
Weil ihre Gatten sämmtlich sie verloren,
Die schuldlos hingemordet der Tyrann!
Jetzt heb' ich die Erzählung wieder an.
Als sie gehört das Angstgeschrei der Hennen,
Begann die Wittwe aus der Thür zu rennen,
Gefolgt von beiden Töchtern, und sie sahn
Den Fuchs zum Walde rennen, mit dem Hahn
Auf seinem Rücken. Und sie schrien und riefen:
»Aha, der Fuchs! Halloh, Herbei!« und liefen
Rasch hinterdrein mit Angst- und Wehgeschrei.
Mit Stöcken kamen Schaaren Volks herbei,
Hund Kolle kam und Talbot und Gerland
Und Malchen mit der Kunkel in der Hand.
Und Kuh und Kalb, ja selbst die Schweine kamen,
Als das Gebell der Hunde sie vernahmen,
Und liefen beim Geschrei von Mann und Weib
Sich schier aus Furcht die Lungen aus dem Leib.
Sie schrien, wie Teufel in dem Höllenschlunde,
Und, wie gekniffen, heulten alle Hunde,
Die Gänse flogen ängstlich über Hecken,
Die Bienen zogen schwärmend aus den Stöcken,
Ein Heidenlärm war's, daß sich Gott erbarm!
Gewiß Jack Straw hat nie mit seinem Schwarm,[326]
Als er die vläm'schen Händler umgebracht,
Solch ein entsetzliches Gebrüll gemacht,
Wie solches angestellt ward um den Fuchs.
Sie brachten Hörner mit von Blech und Buchs,
Von Horn und Blei und tuteten auf diesen
Und dabei heulten, schrieen sie und bliesen;
Es schien, als stürzten sie den Himmel ein.
Jetzt bitt' ich, freundlichst mir Gehör zu leihn!
Seht, gutes Volk, zum Gegentheil kehrt oft
Und schnell das Glück, was stolz ein Feind erhofft.
Der Hahn, der von dem Fuchs davongetragen,
Begann in seiner Herzensangst zu sagen:
»Auf daß mir Gott das ew'ge Heil gewähre,
Mein Herr, wenn ich an Eurer Stelle wäre,
So spräch' ich: ›Scheert Euch gleich nach Haus, ihr Tröpfe!
Die Pestilenz komm' über Eure Köpfe!‹
Bin ich doch längst, trotz Eurem Thun und Treiben,
Dem Walde nah'! Mir soll der Hahn verbleiben,
Und aufgefressen wird er, auf mein Wort!«
»Das soll geschehen!« – rief der Fuchs sofort.
Indessen während er noch sprach, war schon
Der kluge Hahn aus seinem Maul entflohn
Und hatte Zuflucht hoch im Baum genommen.
Sobald der Fuchs sah, daß der Hahn entkommen,
Sprach er: »Ach, bester Chanteklär, o Weh!
Ich that Dir Unrecht, wie ich zugesteh',
Indem ich Dir so großen Schrecken machte,
Als ich Dich fing und aus dem Hofe brachte.
Flieg' nieder, Herr! dann will ich Dir erklären[327]
Der Wahrheit nach – soll Gott mir Heil gewähren –
Ich hab's in böser Absicht nicht gethan.«
»Nein, treffe Fluch uns Beide!« – rief der Hahn
»Und zwar mich selbst zunächst mit Blut und Bein,
Wenn mehr als einmal Du durch Schmeichelei'n
Mich fangen kannst und wieder dazu bringen,
Geschlossnen Aug's Dir etwas vorzusingen.
Denn wer aus freiem Antrieb, statt zu sehn,
Die Augen schließt, verdient zu Grund zu gehn.«
»Nein!« – rief der Fuchs – »Gott richte den zu Grund,
Der nicht im Zaum zu halten weiß den Mund
Und schwatzen will zur ungelegnen Zeit!«
Seht, so ergeht's der Unbesonnenheit,
Dem Leichtsinn und der Lust an Schmeichelei'n!
Dies ist kein thöricht Märchen, das allein
Um Hahn und Fuchs und Hennen sich nur dreht,
Nein, gute Herren, die Moral versteht!
St. Paulus sagt, was aufgeschrieben wäre,
Sei Alles nur geschrieben uns zur Lehre.
Drum nehmt die Frucht und laßt die Spreu allein!
Nun, lieber Gott, sollt' es Dein Wille sein,
So bessre Du und führ' in Christi Namen
Zur Seligkeit in Ewigkeit uns. – Amen!
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Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro