Der Prolog zu Melibeus.

[232] Vers 6527–6574.


»Bei Gottes Würdigkeit, nichts mehr davon!«

– Rief unser Wirth – »Ich bin so müde schon

Von Deiner dummen, faden Leierei,

Daß meine Ohren – stehe Gott mir bei! –

Mir schmerzen von den abgeschmackten Sachen.

Der Teufel möge solche Reime machen!

Das nenn' ich Knüppelreime!« – sprach der Wirth.


»Wie so?« – frug ich – »Soll ich denn unbeirrt

Nicht forterzählen, wie ein andrer Mann,

Da dies der beste Reim ist, den ich kann?«


»Bei Gott!« – rief er – »ganz grad' heraus erklärt,

Nicht einen Deut ist Dein Gereime werth,

Nur Zeitverschwendung ist's! Mit einem Wort,

Mein lieber Herr, Du reimst nicht weiter fort.

Laß sehen, weißt Du keine Thatgeschichten,

Und sei es auch in Prosa, zu berichten,

Die lehrhaft sind und lustig obendrein?«


»Recht gern,« – sprach ich – »bei Christi süßer Pein!

In Prosa weiß ich etwas vorzutragen,

Und, wie ich denke, soll es Euch behagen,

Sitzt Ihr nicht allzustrenge zu Gerichte.

Es ist die sittsamste Moralgeschichte;[233]

Doch daß sie auch von Andern wird erzählt

In andrer Weise, sei Euch nicht verhehlt.

Ihr wißt gar wohl, daß jeder Evang'list

Vom Leiden unsres Herren, Jesu Christ,

Nicht immer grade wie der andre schreibt,

Wenn ihre Meinung auch dieselbe bleibt.

Sie stimmen in den Sachen überein,

Mag auch ihr Ausdruck oft verschieden sein.

Der schildert kurz, und jener schildert lang

Uns Christi jammervollen Kreuzesgang,

Doch gleichen Sinns, wie man nicht zweifeln kann,

Sind Mark, Matthäus, Lukas und Johann.

Und daher bitt' ich insgesammt Euch, Herr'n,

Zeih't mich nicht gleich der Willkür, insofern

Mehr Sprüche, als Ihr früherhin vernommen,

In der Erzählung Euch zu Ohren kommen.

Dem kleinen Schriftstück dadurch mehr Effect

Zu geben, hab' ich einzig nur bezweckt.

Hört Ihr mich drum mit andern Worten reden

Wie Ihr gewohnt seid, bitt' ich dennoch Jeden

Mich darum nicht zu tadeln; denn ich weiche

Vom Sinn nicht ab. Die Meinung ist die gleiche

Mit jener kleinen Abhandlung geblieben,

Nach welcher ich dies lust'ge Stück geschrieben.

Drum, darf ich bitten, was ich sage, hört,

Und auserzählen laßt mich ungestört!«

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 2, S. 232-234.
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