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[157] Vers 14829–15468.
Ihr Herr'n! Wenn meine Stimme mit Gewalt
Bei meiner Predigt durch die Kirche schallt,
Tönt sie, wie eine Glocke, rund und voll;
Denn memorirt hab' ich, was kommen soll.
Mein Thema ist und war und bleibt stets das:
Radix malorum est cupiditas!
Erst mach' ich kund, von wannen ich gekommen;
Dann werden meine Bullen durchgenommen,
Dann weis' ich auf das Königssiegel hin
An dem Patent, damit ich sicher bin,
Daß Priester nicht und Küster sich erfrechen,
Mich in dem heil'gen Werk zu unterbrechen.
Und hinterher beginn' ich zu erzählen.
Von Päpsten, Patriarchen, Kardinälen,
Bischöfen weiß ich Bullen aufzutischen,
Ein Wort Latein dem Vortrag einzumischen,
Daß ich die Predigt würze, sie belebe,
Und so die Andacht meiner Hörer hebe.
Dann werden meine Gläser mit den alten,
Zerbroch'nen Knochen ihnen vorgehalten,
Und für Reliquien sieht sie Jeder an.[158]
Ein Schulterbein in Messing zeig' ich dann
Von einem heil'gen Judenschafe vor:
»Ihr, guten Leute!« – sprech' ich – »spitzt das Ohr!
In einer Quelle wascht den Knochen hier;
Und wie geschwollen Kalb, Schaf, Kuh und Stier
Vom Biß und Stich der Würmer sind und Maden,
Laßt nur des Thieres Zunge darin baden,
So wird es heil für immer auf der Stelle. –
Kuriren kann ein Schluck aus dieser Quelle
Von Räude, Pocken und von aller Plage
Jedwedes Schaf! – Behaltet, was ich sage!«
Wenn wöchentlich, bevor der Hahn gekräht,
Der Herr des Thieres zu der Quelle geht,
Und schöpft daraus sich nüchtern einen Trunk,
Vermehren sich – nach Ueberlieferung
Des heil'gen Juden – bei ihm Vieh und Frucht!
Und, meine Herr'n! – es heilt auch Eifersucht!
Ist diese Wuth bei Jemand ausgebrochen,
Laß aus dem Wasser er sich Suppe kochen,
Sodann mißtraut er nimmer seiner Frau,
Und kennt' er auch die Schuld von ihr genau,
Ja, hielte sie's mit mehr als einem Pfaffen!
Hier, diesen Handschuh mögt ihr jetzt begaffen!
Steckt in denselben Jemand seine Hand,
Vervielfacht sich sein ganzer Fruchtbestand,
Ob Hafer er gesät hat oder Weizen.
– Nur müßt ihr nicht mit Deut und Groschen geizen! –
Doch, Herrn und Frauen! seid gewarnt von mir,
Ist irgend einer in der Kirche hier,
Der auf sich lud so große Sündenlast,
Daß, sie zu beichten, ihn die Scham erfaßt,[159]
Sind alte, oder junge Frau'n zugegen,
Die Männern Hörner aufzusetzen pflegen,
So darf und will ich keine Opfergaben
Von solchem Volk für die Reliquien haben.
Doch trage, wer von solchem Tadel frei,
In Gottes Namen zu dem Opfer bei;
Und von den Sünden absolvir ich ihn,
Wie mir die Bulle dazu Macht verlieh'n.
– Der Kniff verschaffte hundert Mark im Jahr
Mir stets, seitdem ich Ablaßkrämer war. –
Ganz wie ein Theologe stell' ich mich
Auf meine Kanzel. – Setzt der Pöbel sich,
Beginnt die Predigt, wie ich schon berichtet,
Mit hundert Lügen, die ich zugedichtet.
Ich reck' und strecke meinen Hals und blicke
Hinab aufs Volk nach Ost und West und nicke,
Wie eine Taube auf dem Scheunendache.
Mit Hand und Zunge bin ich bei der Sache,
So daß sich Alle meines Eifers freu'n.
Ich pred'ge stets, vor Lastern sich zu scheu'n,
Wie Geiz und Habsucht; doch im Pfennigschenken
Nicht karg zu sein – und meiner zu gedenken.
Mein ganzes Streben ist zu profitiren,
Nicht etwa sie von Sünden zu kuriren.
Sind sie begraben, ist mir's einerlei,
Wie brombeerschwarz auch ihre Seele sei.
Denn, sicher, hinter mancher Predigt steckt
Gar schlimme Absicht. Oft wird nur bezweckt,
Dem Volke Schmeicheleien darzubringen,
Durch Heuchelei sich rasch emporzuschwingen,[160]
Indessen Haß und Ruhmsucht Andre treibt,
Wenn ich es sonst nicht wagen darf, so bleibt
Mir noch der Weg, mit meiner Zunge Jeden
Scharf durchzuhecheln in den Kanzelreden
Und Jeden zu verläumden ungestraft,
Der mich beleidigt und die Brüderschaft.
Und führ' ich Keinen auch mit Namen an,
Den, wer gemeint ist, kennt doch Jedermann,
Da es aus meinen Winken leicht erhellt;
Und das fühlt Jeder, welcher uns mißfällt.
So spuck' ich Gift und Galle unterm Schein
Der Frömmigkeit, und gelte fleckenrein.
Denn kurz und gut, auf Treu' und Ehrlichkeit!
Mein Grund der Predigt ist Begehrlichkeit.
Mein Thema ist und war und bleibt stets das:
Radix malorum est cupiditas.
So schelt' ich auf das Laster, das zumeist
Ich selbst besitze, und das Habsucht heißt.
Von dieser Sünde, der ich mich ergab,
Zieh' ich hingegen andre Leute ab,
Und suche sie vom Geize zu bekehren.
Indessen dies ist nicht mein Hauptbegehren
Aus eigner Habsucht halt' ich meine Predigt;
Und damit sei die Sache nun erledigt.
Dann pfleg' ich ihnen mancherlei Geschichten
Aus alter Zeit als Beispiel zu berichten,
Da solche Sachen der gemeine Mann
Gern nacherzählt und leicht behalten kann.
Wie, glaubt ihr, wenn mir Gold- und Silbergeld
So leicht durch Pred'gen in die Hände fällt,[161]
Ich sollte dennoch freiwillig und gern
In Armuth leben? – Nein, das liegt mir fern!
Ich pred'ge mich und bettle mich durchs Land
Und thue keine Arbeit mit der Hand,
Von Körbeflechten brauch' ich nicht zu leben,
Ich bettle fleißig – und mir wird gegeben.
Nicht die Apostel ahm' ich nach. – Auf Geld,
Korn, Käse, Wolle ist mein Sinn gestellt;
Und schenkt sie mir im Dorf der ärmste Knecht,
Die ärmste Wittwe – mir ist Alles recht;
Ob ihre Kinder auch verhungern müssen.
Nein! Rebensaft will trinken ich und küssen
Die schmuck'sten Dirnen in jedwedem Ort!
Horcht auf, ihr Herr'n! Ich werde nun sofort
– Wie's Euch beliebt hat – zur Geschichte kommen.
Mein Schlückchen Doppelbier hab' ich genommen,
Und – wie zu Gott ich hoffe – wird Euch Allen,
Was ich erzähle, zweifellos gefallen.
Zwar bin ich selbst ein lasterhafter Mann,
Jedoch, gewohnt um Geld zu pred'gen, kann
Ich auch moralisch reden, wenn ich will;
Und jetzt beginn' ich – drum schweigt Alle still!
In Flandern war von jungen Zechgenossen
Einst eine Bande, die Hasard und Possen
Und Rauferei in jeder Schenke trieb,
Beim Würfelspiele Tag und Nacht verblieb,
Zum Lauten-, Harfen- und Ginternenklang
Dort tanzte, speiste und gewaltig trank.
So hielten in des Teufels eigenem Haus
Verruchter Weise sie bei üpp'gem Schmaus[162]
Ihr Teufelsopfer, fluchten laut und schworen
So grauenhaft, daß es für reine Ohren
Entsetzlich klang. Auch rissen sie in Stücke
Des Herren Leib, als ob der Juden Tücke
Nicht zur Genüge schon zerfetzt ihn hätte,
Und spotteten der Sünde um die Wette.
Dann kamen hübsche, schlanke Tänzerinnen
Und junge Obst- und Waffelhändlerinnen,
Und Huren, Harfenmädchen und was mehr
Als Officier dient in des Teufels Heer,
Die fleischlichen Begierden zu entflammen.
Denn Völlerei und Kitzel wohnt beisammen.
Die heil'ge Schrift kann darin Zeuge sein:
Zur Ueppigkeit reizt Trunkenheit und Wein.
Seht Loth Euch an! wie er in trunk'nem Muthe
Bei seinen beiden Töchtern schamlos ruhte,
Unwissend, was er in dem Rausch begann.
Auch von Herodes führen Bücher an,
Daß, an der Tafel sitzend bei dem Mahl,
Im Rausche zu enthaupten, er befahl,
Johann den Täufer, schuldlos wie er war.
Ein gutes Wort sprach Seneka, fürwahr,
Als er uns sagte: »Zwischen einen Mann,
Der trunken ist, und einem Tollen kann
Ich wesentlichen Unterschied nicht sehen.
Nur wird die Tollheit nicht so rasch vergehen,
Wie Trunkenheit, die meistens bald vorbei.«
O, schändliche, verruchte Völlerei!
O, Quelle jedes Jammers und Verderbens!
O, Urgrund der Verdammniß und des Sterbens,[163]
Eh' durch sein Blut erkauft uns Jesus Christ!
Mit kurzen Worten: Seht, so theuer ist
Die Welt erkauft und von dem Fluch befreit,
Der sie getroffen durch Gefräßigkeit!
Denn eben dieses Lasters wegen stieß
Zu Müh' und Arbeit aus dem Paradies
Gott unsern Vater Adam und sein Weib.
So lang er fastete, war sein Verbleib
Im Paradies ihm sicher. Als indessen
Er die verbot'ne Frucht vom Baum gegessen,
Ward er zu Weh' und Pein daraus verjagt.
O, Schwelgerei! mit Recht wirst Du verklagt!
Ach! wüßte nur der Mensch, wie mancherlei
Beschwerden zeugt maßlose Völlerei,
So würd' er sich weit mäßiger im Speisen
Bei seiner Mahlzeit sicherlich beweisen.
Doch für die zarten Gaumen, kurzen Kehlen,
Sieht man in Nord, Süd, West und Ost sich quälen
Die Menschen, daß aus Wasser, Luft und Erde
Ein leck'rer Bissen oder Trunk uns werde.
Von dieser Sache sprichst Du, Paulus, auch,
Wenn Du besagst: »die Speisen für den Bauch,
Der Bauch für Speise; aber Gott vernichtet
Diesen und jene« – so hast du berichtet.
Ein schlimmes Wort! – Doch schlimmer unbedingt
Ist noch die That, wenn man sich so betrinkt
In Roth- und Weißwein, daß vor Ueberfluß
Zum Abtritt man die Kehle machen muß.
Es klagte der Apostel unter Thränen:
»Wie viele wandeln auf der Welt, von denen[164]
Ich Euch gesagt – nun sag' ich es mit Weinen –
Die Christi Kreuz gering zu achten scheinen.
Ihr Gott heißt Bauch; ihr Ende ist der Tod!«
O, Bauch! o, Wanst! Du Stinktopf voller Koth,
Voll von Verderbniß, Unrath und Gestank,
Wie faul aus beiden Enden ist Dein Klang!
Was kostest Du? – Wie müssen wir uns placken?
Wie müssen Köche stampfen, mahlen, hacken,
Eh' aus dem Stoff die Speise hergestellt,
Die Deiner Schlinglust mundet und gefällt!
Den harten Knochen wird das Mark entnommen,
Nichts wirft man fort und nichts läßt man verkommen,
Was sanft uns lieblich durch die Gurgel gleitet.
Aus Wurzeln, Lauch, Gewürz und Zimmt bereitet
Man leck're Brühen, die vortrefflich schmecken,
Und stets von Neuem Appetit erwecken.
Doch ist der Mann, der nach Genüssen jagt,
Lebendig todt, bis er der Lust entsagt.
Ein geiles Ding ist Wein und Trunkenheit,
Voll Jammer, voller Elend und voll Streit.
Verzerrt ist dein Gesicht, o, trunk'ner Mann!
Faul ist dein Kuß! dein Athem widert an!
Durch deine trunk'ne Nase kommt ein Ton,
Als sprächest Du nur stets: »Simsōn, Simsōn!«
Und dennoch liebte Simson nicht den Wein;
Doch du fällst um, wie ein gestoch'nes Schwein.
Lahm ist die Zunge; Anstand, Sitte fort!
Denn Trunkenheit ist der Begräbnißort
Für Manneswitz und Umsicht und Verstand.[165]
Gewinnt der Trunk bei uns die Oberhand,
So ist's vorbei mit der Verschwiegenheit.
Nun, auf der Hut vor Weiß- und Rothwein seid,
Besonders vor dem weißen Wein von Lepe,
Den man verkauft in Fishstreet und in Chepe!
Mit diesem Wein aus Spanien versetzt
Man unsern Landwein schlauer Weise jetzt,
Was einen solchen Rausch zu Wege bringt,
Daß, wenn man nur drei Züge davon trinkt,
Und glaubt in Chepe sich zu Hause – so
Ist man nicht in Rochelle mehr und Bordeaux,
Nein, längst im Spanierland, in Lepe schon,
Und sagt beständig nur: »Simsōn, Simsōn!«
Ein Wort, ihr Herren! bitt' ich noch zu sagen:
Was sich im alten Bunde zugetragen,
Was dort durch Gottes allgewalt'ge Macht
An Thaten und an Siegen je vollbracht,
Geschah allein durch Fasten und Gebet.
Seht in die Bibel, wo's geschrieben steht.
Schaut, Attila, den großen Sieger traf
Ein scham- und ehrenloser Tod im Schlaf
Durch Nasenbluten in der Trunkenheit.
– Ein Hauptmann lebe stets in Nüchternheit. –
Vor allem macht es der Befehl Euch klar,
Der einst dem Lamuel gegeben war;
– Nicht Samuel, nein Lamuel sag' ich –
Lest nur die Bibel, da wird nachdrücklich
Der Weingenuß beim Richterstand gerügt.
Nicht's mehr davon! Was ich gesagt, genügt.[166]
Sprach ich bislang vom Unmaß im Genuß,
Ich vorm Hasardspiel nunmehr warnen muß.
Spiel ist die wahre Mutter alles Lügens,
Des gottverfluchten Schwörens und Betrügens,
Des Mord's, der Läst'rung Christi, und dabei
Zugleich auch Zeit- und Geldvergeuderei.
Als ehrenrührig und als Vorwurf gilt,
Wenn man uns liederliche Spieler schilt.
Je höher Jemand seinem Stande nach,
Um desto größer ist für ihn die Schmach,
Ein Fürst, der dem Hasardspiel sich ergiebt,
Wird auch – und sei er noch so sehr beliebt,
Durch sein Geschick im Herrschen und Regieren –
Die öffentliche Achtung bald verlieren.
Stilbon, ein großer Staatsmann voll Verstand,
Ward ehrenvoll einst nach Korinth entsandt
Von den Spartanern, um mit jenem Reich
Ein Bündniß abzuschließen. – Doch sogleich
Nach seiner Ankunft es ihm höchst mißfiel,
Als er des Landes höchste Herr'n beim Spiel
Dort sitzen fand. – Drum stahl er sich nach Haus,
So rasch es ging, und sagte frei heraus:
»Ich will nicht meinen Ruf dadurch verlieren,
Mit diesem Spielervolk Euch zu alliiren!
Ich will nicht meinen guten Namen schänden!
Ihr möget and're Diplomaten senden.
Fürwahr, zu Grunde will ich lieber geh'n,
Als Euch im Bunde mit den Spielern seh'n!
Zu ehrenhaft ist Euer Ruf und Wandel,
Als daß ich solches Bündniß, solchen Handel[167]
Je schließen könnte, jemals schließen würde.«
– So sprach der weise Philosoph mit Würde.
Ein Paar von gold'nen Würfeln ward aus Hohn
Vom Partherkönig – nach der Tradition –
Dem Könige Demetrius gesandt,
Der ihm schon längst als Spieler war bekannt.
So zeigt' er ihm, daß sich trotz Ruhm und Macht
Um seine Achtung jener Fürst gebracht.
Denn, wahrlich, mit weit ehrenhaftern Dingen
Kann seinen Tag ein großer Herr verbringen.
Nun sollt Ihr noch vom Fluchen und vom Schwören
Ein Wort bis zwei aus alten Büchern hören:
Abscheulich ist und höchst zu tadeln nur
Das laute Fluchen und der falsche Schwur,
Und allgemein vom lieben Gott verdammt.
Dies Zeugniß giebt Matthäus uns, mitsammt
Dem heil'gen Jeremias, welcher spricht:
»Den Schwur nimm ernst und lüge dabei nicht.
Heilig, gerecht und weise sei dein Eid,
Denn eitel Schwören ist Verworfenheit!«
Auf des Gesetzes erste Tafel seht,
Wo Gottes Wille aufgeschrieben steht,
Und gleich das zweite der Gebote spricht:
»Mißbrauch' den Namen Deines Herren nicht!«
Seht! Schwören ist so gut verboten dort,
Wie andre Sünden, so zum Beispiel Mord.
Wer die Gebote Gottes kennt, vergißt
Auch nicht, was ihre Reihenfolge ist.
Und weiß, daß dies im zweiten wird befohlen.
Und fernerweit sag' ich Euch unverhohlen:[168]
Von Rache wird das Haus stets heimgesucht
Von dem, der übermäßig schwört und flucht.
»Bei Deinem Leib und Deinen Nägeln, Christ!
Beim Blute Gottes, das in Hailes ist!
Mein Wurf war sieben – Deiner fünf und drei!
Bei Gottes Arm! treibst du Betrügerei,
Fährt Dir mein Messer durch das Herz sofort!«
Seht! Fluchen, Falschheit, Zorn und Menschenmord,
Das sind die Früchte, welche Knöchel tragen!
Beim Heiland, der ans Kreuz für uns geschlagen,
Das Schwören laßt im Ernst und Scherze sein!
Doch, werthe Herr'n, jetzt lenk' ich wieder ein.
Die drei erwähnten Spieler saßen, lang'
Bevor die Glocke noch die Prime rang,
Bei ihrem Trinken in der Schenke schon.
Da hörten sie des Todtenglöckleins Ton,
Als eine Leiche man zu Grabe trug.
Der eine rief den Knecht herbei und frug
»Was giebt's? – Sieh' zu, und forsche schleunigst aus,
Mit welcher Leiche man an diesem Haus
Vorüber zieht? und merke Dir den Namen!«
»Das thut nicht Noth! Bevor die Herren kamen,
Wußt' ich schon seit zwei Stunden« – sprach der Knabe –
»Den alten Freund von Euch trüg' man zu Grabe,
Dem man in dieser Nacht das Leben nahm.
Betrunken saß er auf der Bank, da kam
Ein Dieb heran geschlichen, Tod genannt,
Der alle Menschen umbringt hier zu Land,
Und der sein Herz mit einem Speer durchstach,
Und darauf fortging und kein Wörtchen sprach.[169]
Der Pestilenzkerl hat schon umgebracht
An Tausende. Drum, Herr, nehmt Euch in Acht,
Ihm in den Weg zu kommen. Wie mir scheint,
Thut große Vorsicht Noth bei solchem Feind.
Genug! Ihm zu begegnen, stets parat
Zu sein, gab meine Herrin mir den Rath.«
»Bei St. Marie! das Kind spricht nur zu wahr!«
– Begann der Schenkwirth – »Er hat dieses Jahr
In einem Dorfe, eine Meile fern,
Erschlagen Knechte, Kinder, Frau'n und Herr'n.
Dort hat er seinen Wohnsitz, wie mir scheint;
Am klügsten ist, man sieht sich vor dem Feind,
Bevor er Schaden thun kann, weislich vor.«
»Bei Gottes heil'gen Arm!« – der Raufbold schwor –
»Wenn's so gefährlich ist, ihm in den Weg
Zu kommen, will ich jeden Pfad und Steg
Nach ihm durchsuchen! Bei des Herrn Gebein!
Beschwör ich das! – Gesellen, kommt, schlagt ein!
Laßt alle drei die Hand uns darauf geben,
Daß wir fortan als treue Brüder leben.
Wir wollen den Verräther Tod erschlagen,
Dem schon so viele Menschen unterlagen
– Bei Gottes Würde! – noch vor Abendzeit!«
So schwuren dann die dreie sich den Eid,
Einander Beistand stets auf Tod und Leben,
Wie dies gebor'nen Brüdern ziemt, zu geben.
In trunk'ner Wuth verließen sie das Haus
Und zu dem Dorfe zogen sie hinaus,
Sobald den Namen sie vom Wirth erfuhren.
Des Herren Leib zerrissen sie und schwuren[170]
Dabei entsetzlich: »Packen wir am Kragen
Nur erst den Tod, so wird er todtgeschlagen!«
Doch kaum nach einer halben Meile Weges
Sah'n bei dem Ueberschreiten eines Steges
Sie einen armen Greis an jenem Ort,
Der sie bescheiden grüßte mit dem Wort:
»Gott schenke, werthe Herren, Euch Gedeih'n!«
Gleich rief der schlimmste Raufbold von den drei'n:
»Warum, bis auf dein trauriges Gesicht,
Verhüllst Du, Schuft, Dir Deinen Leib so dicht?
Warum lebst Du so lange, alter Mann?«
Mit festen Blicken sah der Greis ihn an
Und sprach: »Fürwahr, in keinem Dorf und Flecken
Von hier bis Indien weiß ich zu entdecken
Den Menschen, welcher meines Alters Bürde
Mit seiner Jugend gern vertauschen würde.
Ich muß darum, so lange Gott es will,
Mein Alter tragen in Geduld und still.
Der Tod, – o, weh! – begehrt mein Leben nicht,
Und rastlos wandern muß ich armer Wicht,
Ob früh und spät geklopft mit meinem Stabe
Ich an dem Thor der Mutter Erde habe,
Und stets gerufen: Mutter! laß mich ein!
Verschrumpft und morsch sind Fleisch, Haut, Blut und Bein'!
Wann finden meine armen Knochen Ruhe?
Ach, Mutter! gern vertauscht ich meine Truhe,
Die ich bewahrte schon seit langer Zeit
In meinem Zimmer, für ein hären Kleid,
Mich drein zu wickeln. – Doch sie hört mich nicht
Und bleich und welk ist darum mein Gesicht.[171]
Jedoch, ihr Herr'n, nicht höflich ist's, noch gut,
Daß einem Greis ihr solchen Schimpf anthut,
Der sich in Wort und Thaten nicht versündigt.
Lest in der heil'gen Schrift. Da wird verkündigt:
›Vor einem alten Mann mit greisem Haupt
Erhebet Euch!‹ – und meinen Worten glaubt:
Fügt alten Leuten keine Kränkung zu,
Wenn Ihr nicht wollt, daß man Euch Gleiches thu'
In Eurem Alter, falls der Tod Euch spart.
Nun, Gott sei mit Euch auf der Wanderfahrt!
Denn meines Weges muß ich weiter zieh'n.«
»Nein, alter Schuft, das sollst Du nicht!« – fuhr ihn
Der zweite der drei Spieler darauf an. –
»So leicht entkommst Du nicht, bei St. Johann!
Du hast hier den Verräther Tod genannt.
Der alle Freunde uns erschlägt im Land.
Ich glaube sicher, Du bist sein Spion!
Sag' wo er ist, sonst kriegst Du Deinen Lohn!
Du bist – beim heil'gen Sakrament von Gott! –
Ganz ohne Zweifel mit ihm im Complott,
Uns junges Volk zu tödten, falscher Dieb!«
»Nun, Herren!« – sprach er – »ist es Euch so lieb
Den Tod zu finden, folgt dem krummen Saume;
In jenem Haine unter einem Baume
Verließ ich ihn; und dort wird er noch sein;
Er läuft nicht fort vor Euren Prahlerei'n!
Bei jener Eiche könnt ihr ihm begegnen.
Gott, der die Welt erlöste, mög' Euch segnen
Und besser machen!« – sprach der alte Mann.
Dem Baume zu gleich jeder Raufbold rann.
Sie langten an und sahen – welch' ein Fund! –[172]
Dort gold'ne Gulden liegen, neu und rund;
Beinah acht Scheffel schienen sie zu messen.
Gleich auf der Stelle war der Tod vergessen,
So selig waren sie in ihrem Glücke
Beim hellen Glanz der blanken Guldenstücke.
Zu ihrem Schatze setzten sie sich nieder,
Und es begann der schlimmste der drei Brüder:
»Merkt Freunde, was ich sagen will, genau.
Trotz Spiel und Spaß bin ich gewitzt und schlau.
Fortuna hat uns diesen Schatz gegeben,
Damit in Lust und Fröhlichkeit wir leben.
Leicht kam er uns, leicht sei er durchgebracht!
Ei, Gottes Würde! hätten wir gedacht,
Es sei das Glück uns heute noch so hold?
Ich wünschte nur, wir hätten erst das Gold
In mein Haus oder Euer Haus geschafft;
Denn uns gehört es ganz unzweifelhaft.
Wir könnten jubeln, wär' es erst geschehen.
Jedoch bei hellem Tage wird's nicht gehen.
Für Diebe würden wir sofort von Allen
Gehalten werden, und dem Strick verfallen.
Den Schatz so klug wie heimlich fortzubringen,
Kann nur allein uns in der Nacht gelingen.
Aus diesem Grunde schlag' ich Euch jetzt vor,
Wir wollen Loose zieh'n, und wer verlor,
Der muß gutwillig nach der Stadt sofort
In größter Eile laufen, um von dort
Mit Brod und Wein zu uns zurückzuwandern
Heimlich und rasch, indeß die beiden Andern
Den Schatz getreu bewachen. Und bei Nacht
Wird er von uns an einen Ort gebracht,
Den als den besten wir vorher bereden.«[173]
Zur Hand nahm er die Loose und bat Jeden
Zu seh'n, auf wem das kürzte würde fallen;
Und, sieh'! – es traf den Jüngsten unter Allen,
Der dann zur Stadt in großer Eile ging.
Sobald er seinen Rücken wandte, fing
Der Eine zu dem Andern an zu sprechen:
»Willst du geschwor'ne Brüderschaft nicht brechen,
Erfährst Du deinen Vortheil gleich von mir.
Sieh! unser Mitgesell ist fort – und hier
Ist Gold in Fülle und in Ueberfluß,
Das in drei gleiche Theile gehen muß.
Indessen sollte mir der Plan gelingen,
Nur zwischen uns zur Theilung es zu bringen,
Das wäre doch ein Freundschaftsstück für Dich?«
»Wie soll das angeh'n?« – rief der zweite – »sprich!
Er weiß genau, wie viel uns übertragen;
Was bleibt zu thun? was sollen wir ihm sagen?«
Der erste rief: »Willst Du Dir rathen lassen,
So könnt' ich's schon in kurze Worte fassen,
Wie dies am besten auszuführen wäre.«
Der zweite sprach: »Auf Glauben und auf Ehre!
Ich werde niemals ein Verräther sein!«
»Nun« – sprach der erste – »wir sind hier zu zwei'n,
Und zweie können einen leicht bezwingen!
Setzt er sich nieder, hast Du aufzuspringen,
Als wolltest Du im Scherze mit ihm streiten;
Und ich durchsteche rasch ihm beide Seiten,
Wenn ihr im Spiele miteinander ringt, und Du
Stößt mit dem Messer ebenmäßig zu.[174]
Ist das gescheh'n, mein theurer Freund! so fällt
Zu gleichem Theil an mich und Dich das Geld.
Dann fröhnen wir der Lust, soviel wir wollen,
Und lassen munter unsre Würfel rollen!«
So waren einig beide bald geworden,
Den dritten – wie ihr hörtet – zu ermorden.
Zur Stadt indessen ging der Jüngste hin.
Doch nimmer wollten ihm aus seinem Sinn
Die schönen, neuen, blanken Gulden weichen,
»O, Herr!« – sprach er – »vermöcht' ich zu erreichen,
Allein nur zu besitzen alles Geld,
Wär' sicherlich auf Gottes weiter Welt
Kein Mensch so selig und beglückt wie ich.«
Der Teufel aber in sein Herz sich schlich
Und rieth ihm, Gift zu kaufen ohne Säumen,
Um die Genossen aus dem Weg zu räumen.
Dem Bösen freilich konnt' es leicht gelingen
Bei solchem Hang in Schaden ihn zu bringen.
So war zum Morde seiner zwei Genossen
Er ohne Reue daher fest entschlossen.
Und ohne Zögern lief er dann sofort
Zu einem Apotheker in dem Ort,
Und etwas Gift bat er ihm zu verkaufen.
Er sei von vielen Ratten überlaufen,
Gefressen sei schon mehr als ein Kapaun
Von einem Iltis, der durch seinen Zaun
Gekrochen sei; und dieser Thiere wegen
Gedächte Gift er in der Nacht zu legen
Der Apotheker sprach: »Ich will Dir geben
– So wahr mir Gott mag gnädig sein im Leben! –
Ein Gift, durch welches jede Kreatur[175]
– Frißt oder säuft sie von der Mischung nur
Soviel, als wie ein Weizenkörnchen wiegt –
Ganz unbedingt dem Tode unterliegt;
Ja, sterben muß und schon verendet ist,
Eh' eine Meile Du gegangen bist.
So stark und heftig wirkt es auf der Stelle.«
Mit seiner Hand ergriff der Schandgeselle
Die Dose mit dem Gifte, und lief dann
Zur nächsten Gasse hin zu einem Mann,
Um sich drei große Krüge dort zu leih'n.
In zwei von ihnen goß er Gift hinein,
Doch rein ließ er den dritten mit Bedacht,
Um selbst zu trinken, wenn er in der Nacht
Das schwere Gold vom Platze heimwärts trüge.
Und als den Wein in die drei großen Krüge
Der jämmerliche Raufbold dann gegossen,
Ging er zurück zu seinen Spießgenossen.
Doch was bedarf es vieler Worte mehr?
Wie seinen Tod beschlossen sie vorher,
So ward er auch erschlagen auf dem Fleck.
Als dies vollbracht war, sprach der eine keck:
»Erst laßt uns trinken, laßt uns lustig sein!
Dann scharren später wir den Leichnam ein.«
Und mit dem Wort ergriff durch Zufall's Walten
Er einen Krug, in welchem Gift enthalten.
Er trank daraus; – so that sein Mitgeselle,
Und sterben mußten beide auf der Stelle. –
Ich glaube, selbst bei Avicen trifft man
Im ganzen Kanon keinen Abschnitt an.[176]
Mit solcher wunderbaren Giftgeschichte,
Wie dieser Tod der beiden Bösewichte.
So kamen die zwei Mörder um das Leben
Mitsammt dem Schurken, der das Gift gegeben.
O, aller Thaten höchste Frevelthat!
O, Meuchelmord! heimtückischer Verrath!
O, Schlemmerei und Ueppigkeit und Spiel!
Ach, Menschenkind! Du lästerst Christ so viel,
Du prahlst, Du wucherst, fluchst und schwörst so gern,
Sag' an, wie kannst Du gegen Deinen Herrn,
Der Dich erschaffen hat und für Dein Leben
Sein theures Herzblut hat dahingegeben,
So äußerst falsch und undankbar nur sein?
Nun, Eure Sünde möge Gott verzeih'n,
Ihr liebe Herr'n! – Doch scheut des Geizes Laster!
Mein Ablaß ist das beste Sündenpflaster,
Bringt ihr zum Opfer Nobel mir und Groschen
Und Silberlöffel, Ringe oder Broschen. –
Vor meiner heil'gen Bulle senkt das Haupt!
Ihr Weiber kommt! gebt Wolle her, und glaubt,
Trag', ich in meine Rolle hier Euch ein,
So werdet selig Ihr im Himmel sein!
Euch wasch' ich dann, bringt Ihr mir Opfer dar,
Wie neugebor'ne Kinder rein und klar
Von aller Schuld! – Seht, das ist, was ich pred'ge!
Verzeihen möge Jesus Christ, der gnäd'ge
Arzt unsrer Seelen, Euch die Sündenlast!
Das ist das Beste! – Mir ist Trug verhaßt. –
Doch, Herr'n! ein Wort vergaß ich einzuschalten:
Reliquien sind in meinem Sack enthalten,[177]
Und Ablaßzettel von des Papstes Hand,
Wie sie kein Mensch hat in ganz Engeland.
Wenn einer unter Euch aus Devotion
Mir opfern will und sich Absolution
Von mir erholen, mag er niederknien,
Und seine Schuld sei ihm von mir verzieh'n.
Sonst nehmet Ablaßbriefe für die Fahrt
In jeder Stadt von Frischem Euch, und spart
Beim Opfern nicht. – Nein, gebt stets mehr und mehr
An echten Nobeln, vollen Groschen her!
Ein großes Glück für Jeden, der hier reitet,
Ist, daß ein Ablaßkrämer Euch begleitet,
Der auf der Fahrt Euch absolviren kann.
Durch Zufall kommt oft Mancher übel an.
Der eine oder andre fällt vom Pferde
Und bricht sich seinen Nacken an der Erde.
Seht! welche Sicherheit gewährt Euch allen,
Daß in Gesellschaft ich mit Euch gefallen!
Denn, eh' die Seele aus dem Leibe flieht,
Seid absolvirt ihr sonder Unterschied.
Zuerst beginnt – so denk' ich – unser Wirth,
Der auf den schlimmsten Sündenpfaden irrt!
»Komm' her, Herr Wirth! Erst gieb Dein Opfer mir,
Dann küsse jede der Reliquien hier
Für einen Groschen! – Thu' den Beutel auf!«
»Nein, nein!« – rief er – »das ist ein schlechter Kauf!
Mich möge Christ verfluchen, wenn ich's thu!
Zum Küssen hieltest als Reliquie Du
Vielleicht mir Deine alten Hosen hin,
Obschon die Farben Deines St...... d'rin.
Beim heil'gen Kreuz, das St. Helene fand,[178]
Hätt' ich, anstatt Reliquien, in der Hand
Jetzt Deine zwei T...... – Ei! Dir würde
Durch einen Schnitt genommen Deine Bürde
Und eingeschreint in Schweinedreck sofort!«
Der Ablaßkrämer sprach kein Sterbenswort;
So schnürte Wuth ihm seine Kehle zu.
»Mit zorn'gen Leuten« – sprach der Wirth – »wie Du
Treib' ich am besten länger nicht mein Spiel!«
Doch ihm ins Wort der würd'ge Ritter fiel
– Denn lachen sah er ringsumher die Leute –
»Nichts mehr davon! – Es ist genug für heute!
Herr Ablaßkrämer! sei vergnügt und fröhlich!
Und Dir, mein vielgeliebter Wirth, befehl' ich:
Du küssest auf der Stelle diesen Mann.
Nun, Ablaßkrämer, bitte, tritt heran!
Kommt! scherzen, lachen wir nach alter Weise.« –
Sie küßten sich – und weiter ging die Reise.
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Canterbury-Erzählungen
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