Pars Quarta.

[23] Vier Jahre waren dergestalt verflossen,

Eh' sie vom Grafen wieder schwanger war

Und ihm durch Gottes Fügung einen Sprossen,

Den anmuthreichsten, schönsten Sohn gebar.

Und mit dem Vater jubelte die Schaar

Des ganzen Volks und pries für seine Güte

Den lieben Gott aus dankbarem Gemüthe.


Als nach zwei Jahren von der Amme Brüsten

Das Kind entwöhnt war, ließ zu jener Zeit

Der Markgraf sich zum zweiten Mal gelüsten,

Zu prüfen und versuchen fernerweit

– O, nutzlos Thun! – der Gattin Festigkeit.

Doch, Maß zu halten, leicht der Mann vergißt,

Sobald sein Weib allzu geduldig ist.


»Weib!« – sprach der Graf – »Du wirst vernommen haben:

Man hat mir unsre Heirath stets verdacht;

Doch ist mein Volk seit der Geburt des Knaben,

Wie nie zuvor darüber aufgebracht.

Den Muth sein Murren mir verlieren macht;

Zu Ohren kommen mir so scharfe Klagen,

Daß mir ins Herz sie Todesschrecken jagen.«


»Sie sprechen: Ruht einst Walther in der Grube,

So folgt, da uns ein andrer Erbe fehlt,

Aus dem Geblüt Janikolas der Bube.

Fürwahr! das ist's, was murrend man erzählt

In meinem Volk und was mit Furcht mich quält.

Doch sicher muß Gewicht ich darauf legen,

Obschon sie schweigen, bin ich selbst zugegen.«[24]


»Wo möglich, wünsch' ich Frieden zu bewahren;

Und fest hab' ich mir deßhalb vorgesetzt,

Wie ich mit seiner Schwester bin verfahren,

Ganz so verfahr' ich heimlich mit ihm jetzt.

Drum sei gewarnt, wie schwer es Dich verletzt,

Nicht plötzlich leidenschaftlich aufzuflammen,

Nein, bitte, nimm Dich in Geduld zusammen.«


»Ich sagte« – sprach sie – »und ich werde sagen

Es immerdar: Dein Wunsch ist mein Gebot!

Wenn Du befiehlst, werd' ich geduldig tragen

Den Tod des Sohnes, wie der Tochter Tod.

Ich litt um sie schon Schmerz in Kindesnoth,

Als ihnen Dasein dieser Schoß gegeben,

Und Schmerz um sie blieb auch mein Loos im Leben.«


»Du bist mein Herr, und mit den Deinen schalten

Kannst Du nach Willkür! Laß mich ungefragt!

Wie ich von meiner Kleidung nichts behalten,

Als ich Dich nahm, hab' mit der Tracht der Magd

Ich meiner Freiheit auch zugleich entsagt,

Und nahm Dein Kleid, drum thu', was Du beschlossen,

Gehorsam folg' ich Dir stets unverdrossen.«


»Wo je zuvor nur die geringste Ahnung

Ich hegen konnte, was Dein Herz begehrt,

Bedurft' ich auch gewißlich keiner Mahnung;

Und jetzt, nachdem Dein Wille mir erklärt,

Wirst Du mich standhaft finden und bewährt

Bis an den Tod. Mir sei zu Deinem Frommen

Und Deinem Wohl er jederzeit willkommen!«[25]


»Mehr gilt mir Deine Liebe, als mein Leben!«

Die Worte sprach sie. – Und der Markgraf schlug

Die Augen nieder, staunend, wie ergeben

Und fest und standhaft sich sein Weib betrug,

War auch die Prüfung schmerzensvoll genug.

Mit finstren Blicken, doch erfreuten Sinnen

Ging dann der Markgraf wiederum von hinnen.


Und wieder trat der garst'ge Mann ins Zimmer

Und wiederum ergriff er, wie er schon

Einst ihre Tochter holte, ja, noch schlimmer,

Wenn's möglich wäre, ihren schönen Sohn.

Geduldig trug sie fort und fort den Hohn;

Sie klagte nicht, sie setzte nichts entgegen;

Nein, gab dem Knaben Abschiedskuß und Segen.


Sie bat ihn nur, wenn es sein Amt erlaube,

Für ihres Söhnchens feinen, zarten Leib

Ein Grab zu graben, daß er vor dem Raube

Der Vögel und der Thiere sicher bleib'.

Doch keine Antwort fand das arme Weib.

Fort ging er, scheinbar mit verstocktem Sinn,

Doch sorgsam trug er's nach Bologna hin.


Des Markgrafs Staunen wuchs mit jedem Tage,

Je mehr er sah, wie sie geduldig blieb;

Und ständ' es nicht so gänzlich außer Frage,

Ihr wären beide Kinder mehr als lieb,

So hätt' er wähnen können, daß ein Trieb

Nach Rache heimlich ihr am Herzen zehre,

Und Maske nur die Duldermiene wäre.[26]


Er wußte ja, es hing ihr Herz beständig

Zunächst nach ihm allein den Kindern an.

Mich an die Weiber nunmehr fragend wend' ich:

Ob diese Probe nicht genügen kann?

Ist's möglich, daß ein unbeugsamer Mann

Noch mehr ersinnt, von ihr Geduld und Treue

Und Weiblichkeit zu prüfen stets aufs Neue?


Doch solche Leute trifft man oft im Leben,

Die, wenn sie einen Vorsatz erst gefaßt,

Daran mit solchem Eigensinne kleben,

Als ob sie gleichsam fest an einen Mast

Gebunden wären. Und dies Gleichniß paßt

Auch auf den Grafen. Stets blieb er gesonnen,

Es fortzutreiben, wie er es begonnen.


Er lauerte, ob sie in Wort und Wesen

Sich nicht verändert zeige gegen ihn.

Doch, wie in ihren Zügen nichts zu lesen,

Blieb ohne Wechsel auch ihr Herz und schien,

Je mehr und mehr der Jugend Jahre fliehn,

Wo möglich noch mit größerem Verlangen

Nach seiner Liebe fest an ihm zu hangen.


Und somit schienen nur von einem Willen

Die Zwei beseelt. Vergnügt und wohlgemuth

Entsprach Griseldis jeder seiner Grillen;

Und so ging Alles – Gott sei Dank! – auch gut.

Sie zeigte, daß ein Weib am Besten thut,

Dem Mann zu folgen und in allen Dingen

Den eignen Willen gänzlich zu bezwingen.[27]


Doch wunderweit durch alle Lande drangen

Bald die Gerüchte seiner Grausamkeit.

Daß an den Kindern heimlich Mord begangen,

Weil er ein Weib aus niederm Stand gefreit,

Erzählte man im Volke weit und breit.

Kein Wunder war's, da Niemand es erfahren,

Daß beide Kinder noch am Leben waren.


Stand er bei Allen in der höchsten Achtung,

Eh' dies Gerücht dem Volk zu Ohren drang,

So fiel er jetzt in niedrige Verachtung;

Verhaßt vom Mörder war des Namens Klang.

Er aber trieb es weiter wie bislang,

Stets blieb bei ihm der böse Vorsatz oben:

Sein Weib noch mehr zu prüfen und erproben.


Als etwa in dem Alter von zwölf Jahren

Die Tochter stand, entsandte Botschaft er

Zum Hof nach Rom, in der Art zu verfahren,

Wie listig abgekartet war vorher,

Und wie ein Schreiben zu ersinnen wär',

Daß ihm der Papst gestatte zum Gedeih'n

Und Wohl des Volks ein andres Weib zu frei'n.


Das heißt, gefälscht, wie er befohlen hatte,

In einer Bulle ward des Papstes Hand,

Indem man schrieb, daß ihm der Papst gestatte,

Zu lösen seiner Ehe Bund und Band,

Damit geschlichtet zwischen seinem Land

Und ihm der Zwiespalt sei, der sich entzündet.

– So sprach die Bulle – und so ward's verkündet.[28]


Das rohe Volk – kein Wunder war es – dachte,

Es hätte durchaus seine Richtigkeit.

Mich aber dünkt, das schwerste Herzweh machte

Griseldis sicher diese Neuigkeit.

Indeß sie trug die Widerwärtigkeit,

Zu welcher sie vom Schicksal war erlesen,

Mit immer gleichem und geduld'gem Wesen.


Sich jeder Laune fügend, blieb ihr Sinnen

Und ganzes Denken stets ihm zugewandt.

Doch, den Bericht nicht länger auszuspinnen,

Erzähl' ich kurz, daß von des Grafen Hand

Ein Schreiben nach Bologna war entsandt,

In welchem alle Pläne, die er hegte,

Er im Vertrauen klar und offen legte.


Dem Grafen von Panago, seinem Schwager,

War dringend das Ersuchen übermacht,

Die Kinder wieder an des Hofes Lager

Ihm heimzusenden in der größten Pracht,

Ganz öffentlich, jedoch mit Vorbedacht,

An keinen Menschen und auf kein Befragen

Von ihrer Herkunft irgend was zu sagen;


Doch auszusprengen, daß zur Braut erwählte

Der Markgraf von Saluzzo diese Maid. –

Und nachzukommen seinem Wunsch, verfehlte

Auch nicht der Graf. Denn zur bestimmten Zeit

Sah man ihn unter stattlichem Geleit

Mit ihr und ihrem Brüderchen daneben

Sich nach Saluzzo auf den Weg begeben.[29]


Man schmückte sie mit Gemmen und Gesteinen

Wie eine Braut zum Hochzeitsfeste dann,

Und kleidete in gleicher Art den kleinen,

Nur sieben Jahre alten Bruder an;

Worauf der Festzug feierlich begann.

Im höchsten Glanze ritten froh und heiter

Von Tag zu Tag sie nach Saluzzo weiter.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 23-30.
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