Pars Quinta.

[30] Inzwischen blieb des Grafen böses Sinnen,

Sein Weib zu prüfen immer mehr und mehr.

Und um die Ueberzeugung zu gewinnen,

Ob sie sich standhaft zeige wie zeither,

Ersann die schwerste aller Proben er,

Und sprach zu ihr im öffentlichen Kreise

Des ganzen Hofs in dieser schnöden Weise:


»Gewiß, Griseldis, nimmer fühlt' ich Reue,

Daß ich dich hab' zu meinem Weib erwählt;

Denn Deine Güte, Folgsamkeit und Treue

Ersetzen, was an Blut und Reichthum fehlt.

Doch auch die Wahrheit blieb mir nicht verhehlt,

– Und allzutief hab' ich sie jetzt empfunden –

Daß Herrschaft stets mit Knechtschaft ist verbunden.«


»Nicht wie ein Bauer darf ich thun und treiben,

Was mir gefällt. – Mein Volk verlangt und schreit

Und drängt, mich anderweitig zu beweiben;

Und um zu schlichten diesen Zank und Streit,

Ist auch der Papst gesonnen und bereit,

Es zu gestatten. – Und so laß Dir sagen:

Mein neues Weib kommt schon wenig Tagen.«[30]


»Sei starken Herzens! – Schleunigst mußt Du räumen

Ihr Deinen Platz. – Nimm Deinen Brautschatz mit!

Ich schenk' ihn Dir. – Doch lenke sonder Säumen

Zu Deines Vaters Hütte jetzt den Schritt.

Nicht Jedermann ist seines Glückes Schmied;

Und trifft Dich Unglück ohne Dein Verschulden,

So lerne Du, mit Gleichmuth es erdulden.«


Sie aber sprach ergeben und gelassen:

»Mein Herr! ich weiß und hab' es längst erkannt,

Dein hoher Rang kann nicht zusammenpassen

Mit meiner Armuth, meinem niedern Stand;

Und mir, wie Jedem, sagt es der Verstand:

Zur Zier gereichen kann ich Deinem Hofe

Nicht als Dein Weib; nein, kaum als Kammerzofe.«


»Doch Gott wird mir das Zeugniß nicht versagen

– Sonst fahre meine Seligkeit dahin! –

Nie hab ich mich als Herrscherin betragen,

Seitdem ich Dame Deines Hauses bin;

Nein, stets als Deiner Hoheit Dienerin;

Und so verbleib' ich auch fürs ganze Leben

Dir mehr als jeder Kreatur ergeben.«


»Daß Deine Güte Du so lang bewährtest,

Und daß Du weit, weit über die Gebühr

Stets in der adeligsten Art mich ehrtest,

Mit ganzem Herzen dank' ich Gott dafür.

Er lohne Dir's! – Mich aber laß zur Thür

Der Vaterhütte meine Schritte wenden;

Dort laß mich wohnen und mein Leben enden!«[31]


»Ich lebte dort in meinen Jugendjahren.

Dort will ich auch als Wittwe bis ans Grab

Dir Leib und Seele keusch und rein bewahren,

Und wie ich Dir zu eigen mich ergab

Und Dich als treues Weib geliebt, so hab'

Auch keine Furcht, daß ich nach solcher Ehre

Je einem Andern meine Gunst gewähre.«


»Dein neues Weib! – Nun, Heil und Segen spende

Nur stets durch sie Dir Gottes Gnadenhand! –

Gern räum' ich meinen Platz ihr ein und wende

Mich fort vom Haus, wo ich mich wohl befand,

Durch Dich, der einst mein Alles war, verbannt!

Indeß, Dein Wunsch und Wille soll geschehen:

Du heißt mich gehen – und ich werde gehen!«


»Du schenkst mir Alles, was als Morgengabe

Ich Dir gebracht! – Doch Silber nicht, noch Gold,

Ein altes Kleid war alle meine Habe,

Und das ließ ich zurück, wie Du gewollt.

– O, lieber Gott, wie treu, wie gut, wie hold,

Wie freundlich warst Du mir in Wort und Mienen

An unserm ersten Hochzeitstag erschienen!«


»Ein Sprichwort sagt, und daß es wahr und treu ist,

Hat die Erfahrung auch an mir bewährt:

Alt ist die Liebe nur, so lang sie neu ist!

Doch bester Herr, was mir auch widerfährt,

Bis an den Tod bleibst Du mir lieb und werth!

Ich gab mein Herz auf ewig Dir zu eigen

Und keine Reue werd' ich je Dir zeigen.«[32]


»Auf Dein Geheiß warf ich mein schlichtes Mieder,

Als ich mein Vaterhaus verließ, von mir;

Ich brachte nichts als meine nackten Glieder,

Mein Mädchenthum und meine Treue Dir!

Zurück empfange Deine Kleider hier,

Zurück den huldvoll mir geschenkten Schimmer,

Zurück auch Deinen Ehering – für immer!«


»Was Du mir sonst an Schmuckwerk hast verliehen,

Das, darf ich sagen, birgt mein Schlafgemach.

Du nahmst mich nackend, und Du heißt mich ziehen

Auch nackend heim zum väterlichen Dach.

All Deinen Wünschen komm' ich willig nach.

Doch kann ich nicht an Deine Absicht glauben,

Mich jeder Hülle schamlos zu berauben.«


»Du kannst mich nicht so schonungslos verletzen,

Mich wie den Wurm im Staube nackt und bloß

Dem Gafferblick des Pöbels auszusetzen,

Zur Schau ihm stellend meinen Mutterschoß,

Aus welchem Dir Dein Kinderpaar entsproß.

Erinn're Dich, mein theurer Herr, ich bleib',

Werth oder unwerth, immerhin Dein Weib!«


»Ich brachte Dir mein Mädchenthum, doch kehre

Mit meinem Mädchenthume nicht zurück;

Drum darf ich bitten, lieber Herr, gewähre

Mir zum Ersatz ein grobes Kleidungsstück,

Wie ich es trug, damit des Volkes Blick

Den Leib nicht sehe, der Dein eigen war;

Und damit Herr, leb' wohl auf immerdar!«[33]


»Das Hemd,« – sprach er – »das Du auf Deinem Rücken

Jetzt trägst, behalte; geh' damit nach Haus.«

Doch konnt' er kaum die Thränen unterdrücken,

Und schlich betrübten Herzens sich hinaus.

Doch vor dem Volke zog ihr Kleid sie aus,

Und nur im Hemde lenkte sie die Schritte,

Baarfüßig, baarhaupt zu des Vaters Hütte.


Und weinend zogen mit ihr Volkes Massen

Und fluchten laut dem unbeständ'gen Glück;

Doch sie verhielt sich schweigend und gelassen,

Und keine Thränen trübten ihren Blick.

Entsetzt vernahm der Vater ihr Geschick,

Verwünschend Tag und Stunde, die das Leben

Ihm armen, unglücksel'gen Mann gegeben.


Denn, ohne Zweifel, Ahnungen durchdrangen

Seit langer Zeit des armen Greises Brust,

Der Markgraf werde, wenn erst sein Verlangen

Gesättigt wäre und gestillt die Lust,

Sich nur zu rasch des Unterschieds bewußt

Von seinem Rang und ihrem niedern Stande,

Und baldigst lösen seiner Ehe Bande.


In Eile lief der Tochter er entgegen,

Als ihm der Lärm des Volks zu Ohren drang,

Ihr unter Thränen wieder anzulegen

Ihr altes Kleid, was nimmer ihm gelang.

Zu alt und fadenscheinig war schon lang

Der grobe Kram geworden seit den Tagen,

Als sie am Hochzeitsmorgen ihn getragen.[34]


Hinfort blieb unter ihres Vaters Dache

Die Blume weiblicher Ergebenheit.

Und nie verrieth durch Mienen oder Sprache

Sie vor der Welt, noch in der Einsamkeit,

Was sie ertrug an Kränkung und an Leid.

Kaum schien sie die Erinn'rung zu bewahren

An ihren Rang in Haltung und Gebahren.


Kein Wunder war's, da sie im höchsten Schimmer

Des Herzens Demuth keiner Zeit verlor;

Verzärtelt hatte Sinn und Leib sie nimmer,

Nie blähte sie der Hoheit Pomp empor.

Geduldig, freundlich blieb sie, wie zuvor;

Ehrbar, verschwiegen, ohne Ueberhebung

Gehorchte sie dem Gatten mit Ergebung.


Von Hiobs Langmuth haben uns die Schreiber

Gar viel erzählt. Stets stellen sie voran

Die Männerwelt und haben für die Weiber

Nur wenig Lob. Und doch in Demuth kann

Mit einer Frau sich messen nie der Mann;

Und keinen giebt es, der nur halb so treu ist;

Sonst liegt ein Fall vor, welcher gänzlich neu ist.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 30-35.
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