Pars Sexta.

[35] Es fand inzwischen das Gerücht Verbreitung

Und rings im ganzen Volke ward es laut

Es käme von Bologna in Begleitung

Des Grafen von Panago Walthers Braut;

Und nimmer wäre solcher Pomp erschaut

Im ganzen Westen von der Lombardei,

Wie bei dem Festzug zu erblicken sei.[35]


Der Markgraf aber lenkte wie am Faden

Das ganze Spiel; und ließ, bevor sein Gast

Die Stadt erreichte, schon durch Boten laden

Das arme Kind, Griseldis, zum Palast.

Und ohne Haß und Groll kam sie, gefaßt,

Demüthig, freundlich, um ihn zu begrüßen,

Und warf sich voller Ehrfurcht ihm zu Füßen.


»Griseldis!« – sprach er – »es ist mein Verlangen,

Die Dame, die ich mir zum Weib erwählt,

So königlich hier morgen zu empfangen,

Daß, soweit möglich, nichts im Hause fehlt,

Und Jeder, der zu meinen Gästen zählt,

Nach seinem Rang gestellt und auf das Beste

Gefeiert und bedient sei bei dem Feste.«


»Mir fehlt die Weiberhand, des Hauses Hallen

Nach meinem Wunsch zu schmücken, und so bin,

Dies herzurichten, ich auf Dich verfallen;

Denn Du bist unerfahren nicht darin,

Und kennst aus frühern Zeiten meinen Sinn.

Ist auch Dein Anzug schlecht und abgerissen,

Thu' Deine Pflicht und zeig' Dich dienstbeflissen.«


»Nicht nur erfreut, mein Herr« – so sprach sie – »bin ich,

Zu thun, was Ihr verlangt; nein, jeder Zeit

Euch zu gefallen und zu dienen sinn' ich,

Und bin dazu ganz wankellos bereit.

Denn wie im Glücke, so wird auch im Leid

In meinem Busen nie der Wunsch erkalten,

In treuster Liebe fest an Euch zu halten.«[36]


Und mit dem Wort begann sie schon zu schmücken

Das Haus, macht Betten, deckt die Tafeln dann,

Und trieb, um Alles bestens zu beschicken,

Zum Fegen und zum Scheuern, wie sie kann,

Die Dienerschaft in Gottes Namen an.

Doch sie war stets die Thätigste von allen;

Und bald im Festschmuck prangten Haus und Hallen.


Am Morgen traf etwa zur neunten Stunde

Der Graf sodann mit beiden Kindern ein.

Zusammen lief das Volk bei dieser Kunde

Und nahm die Herrlichkeit in Augenschein.

Und gleich zuerst hieß es schon allgemein:

Kein Thor sei Walther, und wär's auch nicht recht,

Sein Weib zu wechseln, sei der Tausch nicht schlecht.


Daß sie weit schöner als Griseldis wäre,

An Jahren jünger, vornehmer an Stand,

Und schöne Früchte sicher ihm gebäre,

Ward von dem Volke ringsum anerkannt.

Auch an dem hübschen, frischen Bruder fand

Es viel Gefallen, und gelobt ward offen,

Vortrefflich sei des Markgrafs Wahl getroffen.


O, stürmisch Volk, in Dir wohnt keine Treue!

Mit jedem Wind, gleich einem Wetterhahn,

Dreht sich Dein steter Flattersinn aufs Neue;

Mehr als der Mond dem Wechsel unterthan,

Jubelst Du Beifall jedem frischen Wahn.

Falsch ist Dein Urtheil, schwankend, niemals fest;

Der ist ein Narr, wer sich auf Dich verläßt.[37]


So sprachen in der Stadt gesetzte Leute,

Indessen gaffend rings der Pöbel stand.

Und mit veränd'rungssücht'gem Sinn sich freute

Der neuen Herrin über Stadt und Land.

Doch nun verlass' ich diesen Gegenstand,

Damit ich von Griseldis' fester Seele

Und ems'gem Schaffen fernerhin erzähle.


In jeder Hinsicht that sie dienstbeflissen,

Das Fest zu ordnen, wacker ihre Pflicht.

War auch ihr Anzug grob und halb zerrissen,

Sie schämte sich der armen Kleidung nicht.

Nein, ging zum Thor mit freundlichem Gesicht,

Die Gräfin dort gemeinsam zu empfangen;

Und dann ward flugs ans Werk zurückgegangen.


Mit holder Anmuth grüßte sie die Gäste,

Und hofgemäß und fehlerlos empfing

Nach Rang und Stand sie Jeden auf das Beste,

Und Allen schien's ein wundersames Ding,

Woher der Frau, von Anschein so gering,

Die höfischen, gewandten Formen kämen;

Und Jeder pries als würdig ihr Benehmen.


Und alle Zeit hindurch sie nur zum Preise

Der jungen Maid und ihres Bruders sprach

Aus vollem Herzen und in güt'ger Weise;

Und keinem Andern stand sie darin nach.

Doch als man schließlich zum Bankett aufbrach,

Da rief Griseldis, welche dort im Saal

Geschäftig wirkte, zu sich ihr Gemahl.[38]


Und er begann, als ob's sein Stichwort wäre:

»Griseldis, sprich, wie Dir mein Weib gefällt?«

»Sehr gut!« – gab sie zur Antwort – »ja, auf Ehre!

Ich sah kein schön'res Wesen auf der Welt.

Sei Glück und Segen stets Euch beigesellt;

Das gebe Gott! und seine Huld und Gnade

Begleit' Euch stets auf Eurem Lebenspfade!«


»Doch diese Warnung will ich nicht verhehlen:

Ich bitte Dich, die zarte, junge Maid

Nicht so wie mich zu martern und zu quälen,

Sie ist an Liebe nur und Zärtlichkeit

Allein gewöhnt, und kann daher im Leid

Nicht, wie ein Weib aus niedern Lebenskreisen,

So zähen Muth und festen Sinn beweisen.«


Und als sie so ergeben fand ihr Gatte

Und sah, daß ohne Groll noch immerdar,

Wie schwer und oft er sie beleidigt hatte,

Sie fest und stark wie eine Mauer war,

Und ihre Güte stets unwandelbar,

Da regte sich in seinem Herzen Reue

Daß er bezweifelt seines Weibes Treue.


»Dies ist genug, Griseldis mein!« – so rief er –

»Sei nicht mehr angst! Dir widerfährt kein Leid!

Von keinem Weibe ward erprobt je tiefer

Der feste Sinn und die Beständigkeit.

In Glanz und Armuth hab' ich jeder Zeit,

O, theures Weib, Dich fest bewährt gefunden!« –

Und damit hielt sie küssend er umwunden.[39]


Ob ihr die Worte zwar zu Ohren drangen,

Sie faßte kaum, daß Alles sie betraf.

Ihr war zu Muth, als führe sie aus bangen

Und schweren Träumen plötzlich aus dem Schlaf.

»Du bist mein Weib, Griseldis!« – rief der Graf –

»Und – soll mir Gott im Himmel gnädig sein! –

Nie war, noch wird ein andres jemals mein!«


»Die Dame, die Du für mein Weib gehalten,

Ist Deine Tochter, und der Knabe hier

Dein Sohn, und als mein Erbe soll er schalten.

Was einst Dein treuer Schooß gebar, sei Dir

Zurückgegeben wiederum von mir!

Nur in Bologna hielt ich sie verborgen;

Du brauchst nicht mehr um ihren Tod zu sorgen.«


»Wer jemals anders dachte, soll erfahren:

An meinen Finger haftet nicht das Blut

Von meinen Kindern. – Gott soll mich bewahren! –

Mich trieb nicht Lust an Grausamkeit, nicht Wuth;

Nur zu erproben Deinen festen Muth,

Geschah's, daß ich sie heimlich von hier sandte,

Bis daß ich Dich von Herzensgrund erkannte.«


Sie hört es an und sinkt zu Boden nieder,

Ohnmächtig, halb vor Freude, halb vor Schmerz;

Und weinend drückte wiederum und wieder

Sie beide Kinder an ihr Mutterherz,

Und schluchzte laut und blickte himmelwärts,

Benetzend unter heißen Freudenküssen

Der Kinder Haupt mit ihren Thränengüssen.[40]


O, rührend war's, wie sie in sanftem Tone

Das Wort ergriff und schwankend niedersank:

»Grand merci, Herr! Daß Gott Dich dafür lohne!

Gerettet sind die Kinder! – Habe Dank!

Nun ist mir nimmer vor dem Tode bang;

Da Du mich liebst, da Deine Gunst ich habe,

So sterb' ich gern und geh' getrost zum Grabe!«


»O, zarte, theure Kinder! tief im Grunde

Des Mutterherzens wähnt' ich lange Zeit,

Daß ihr der Fraß der Würmer und der Hunde

Geworden wär't. Des Vaters Gütigkeit

Erhielt Euch mir. – Gott sei gebenedeit!«

Und mit den Worten sank bewußtlos wieder,

Vom Glück bewältigt, sie zu Boden nieder.


Doch in der Ohnmacht immer noch umschlang sie

Die beiden Kinder fest mit ihrer Hand,

Bis halb durch Güte man und halb durch Zwang sie

Den Mutterarmen wiederum entwand.

O, thränenleer im Kreise Niemand stand.

Wie sehr den Schmerz er unterdrücken wollte,

Feucht ward sein Auge, und die Thräne rollte.


Jedoch, durch Walther aufgeheitert, legte

Sich ihre Sorge, bis verwirrt sie dann

Empor sich wieder aus der Ohnmacht regte,

Und, froh gestimmt durch ihn und Jedermann,

Auch das Bewußtsein bald zurückgewann.

Ein schöner Anblick war's, vereint aufs Neue

Die Zwei zu seh'n in alter Lieb' und Treue.[41]


In ihre Kammer führten sie die Damen,

Sobald der Zeitpunkt ihnen passend schien,

Wo sie die grobe Hülle von ihr nahmen,

Um ihr ein goldnes Prachtkleid anzuzieh'n.

Im Haupt die Krone, welcher Glanz verlieh'n

Die reichsten Steine, schritt sie dann zur Halle,

Und nach Gebühr begrüßten sie dort Alle.


So frohes Ende hat der Tag gefunden,

Der schlimm begann. Und allen Frau'n und Herr'n

Entschwanden unter Lust und Scherz die Stunden,

Bis hell am Himmel glänzte Stern an Stern;

Und zugestanden ward von Jedem gern,

Weit glänzender sei dieses Festgelage,

Als das Bankett an ihrem Hochzeitstage.


Und Beide lebten dann in Ruh' und Frieden

Und höchstem Glück noch manches liebe Jahr.

Der Tochter ward der beste Mann beschieden,

Der in Italien nur zu finden war.

Und an dem Hofe ward für immerdar

Ihr alter Vater durch der Kinder Hände

Getreu gepflegt bis an sein Lebensende.


Und nach dem Tode Walthers trug die Krone

Sein Sohn, der, auf das Glücklichste vermählt,

In Ruh' und Frieden lebte, jedoch ohne

Daß er sein Weib versucht hat und gequält.

Denn unserm jetzigen Geschlechte fehlt

Der Vorzeit Kraft. Zu läugnen ist dies nicht,

Und darum hört, was mein Gewährsmann spricht:[42]


Nicht ist es die Moral von dieser Sage,

Daß jedes Weib mit der Ergebenheit,

Wie hier Griseldis, jede Schmach ertrage;

Denn das zu thuen, ist Unmöglichkeit.

Nein, daß wir allesammt in Noth und Leid

So fest und standhaft wie Griseldis blieben,

Empfahl Petrark, der den Bericht geschrieben.


Denn, wenn ein schwaches Weib sich so geduldig

Schon gegen einen Sterblichen beträgt,

O, wie viel mehr sind wir alsdann wohl schuldig,

Zu tragen, was uns Gott hat auferlegt,

Der Alles lenkt und Alles wohl erwägt.

Denn, wie im Briefe St. Jakobus spricht:

Er prüft den Menschen, doch versucht ihn nicht.


Und wenn er manchmal mit den scharfen Ruthen

Des Leidens und des Ungemachs uns straft,

Geschieht's zu unsrer Prüfung, unserm Guten,

Nicht zu erproben unsre Willenskraft.

Gott hat zuvor von Allem Wissenschaft.

Er züchtigt nur aus Liebe, nur aus Huld.

Darum ertrag' Dein Leiden in Geduld.


Hört noch ein Wort, ihr Herr'n, bevor ich ende:

Erstaunlich wär' es, wenn man zwei bis drei

Griselden jetzt in einer Stadt noch fände,

Die willig trügen solche Quälerei.

Gemischt dem Gold ist zu viel Kupfer bei.

Die Münze freilich hat viel Glanz und Schimmer,

Doch sie zerbricht, indeß sie biegt sich nimmer.[43]


Jedoch dem Weib von Bath und mit ihr allen

Den andern Weibern schenke lebenslang

Gott die Regierung. Ihnen zu Gefallen

Sing' ich aus frohem, frischem Herzensdrang

Zum Schlusse noch den lustigsten Gesang;

Drum schweigt mit mir von ernsten Sachen still!

Dies ist mein Lied! Mir höre zu, wer will.


Griseldis starb. Ins welsche Grab gefahren

Ist die Geduld mit ihr zur gleichen Zeit. –

Zu Euch, ihr Männer, sprech' ich jetzt in klaren

Und schlichten Worten: Treibt es nicht zu weit!

Denn eine zweite findet Ihr wohl schwerlich

Gleich der Griseldis an Geduldigkeit.


Aus Demuth stumm die Zunge zu bewahren,

O, edle Weiber, das ist nicht gescheidt;

Gebt zu Gedichten nie durch ein Gebahren

Wie einst Griseldis die Gelegenheit.

Denn Chichevache ist hungrig und begehrlich

Und frißt Euch auf, wenn Ihr geduldig seid!


Der Echo folgt, die – wie Ihr selbst erfahren –

Sobald man ruft, schlagfertig wieder schreit.

Versteht es, Euch die Herrschaft zu bewahren,

Und hütet Euch vor blinder Folgsamkeit.

Hört meinen Rathschlag und befolgt ihn ehrlich;

Er kann Euch nützen bei Gelegenheit.


Erzstarke Frau'n, an Kraft gleich Dromedaren,

Erduldet von den Männern niemals Leid;

Ihr Schwachen aber, die Ihr Euch nicht wahren

Und wehren könnt im ehelichen Streit,[44]

Macht's wie die Klappermühlen und gefährlich

Wie je ein Tiger nur in Indien seid!


Statt Furcht und Demuth stets zu offenbaren,

Schießt Eurem Gatten durch das Panzerkleid,

So daß sein Hals- und Bruststück sie durchfahren,

Die Pfeile zänkischer Beredsamkeit.

Denn wie die Wachtel duckt er, wenn beschwerlich

Ihr ihm durch eifersücht'ge Grillen seid!


Und bist Du schön, so laß die Welt erfahren,

Wie zugeschnitten sei Gesicht und Kleid,

Und bist Du häßlich, so sei im Gebahren

Wie's Lindenblättchen voller Leichtigkeit,

Dann wird ein jeder Mann nach Dir begehrlich,

Wenn auch der Deine klagt und weint und schreit.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 35-45.
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