Pars Tertia.

[18] Und als sie kurze Zeit an ihren Brüsten

Das Kind gesäugt, geschah – was oft gescheh'n

Daß ihr Gemahl, der Markgraf, von Gelüsten,

Sie zu versuchen, sich erfaßt geseh'n.

Zu schwach, dem tollen Wunsch zu widersteh'n,

Sann er auf Mittel, wie zu diesem Zwecke,

Griseldis er – Gott weiß, umsonst! – erschrecke.


Durch manche Probe war von ihrer Treue

Ihm längst zuvor schon der Beweis geschenkt.

Was nützt es ihm, daß er sie stets aufs Neue

Versuchen will? – Ach! wenn auch Mancher denkt,

Es sei höchst geistreich, daß sein Weib man kränkt,

So sag' ich Euch, ein schmähliches Betragen

Ist, ohne Nutzen es in Furcht zu jagen.


In solcher Absicht war zur Nacht erschienen

Der Markgraf einst in ihrem Schlafgemach,

Wo er mit düstren und verstörten Mienen

In dieser Weise zu Griseldis sprach:

»An jenen Tag, an dem aus Noth und Schmach

Ich Dich einst zog, Dir Glanz und Rang zu schenken

Wirst Du, Griseldis, sicherlich noch denken.«[18]


»Griseldis, daß ich Dich mit Ehren schmückte

Und zu dem Rang und zu der Würdigkeit,

Die jetzt Dich ziert, aus niederm Stand entrückte

Und tiefer Armuth, als ich Dich gefreit,

Vergißt Du, denk' ich, wohl zu keiner Zeit.

Doch bitt' ich aufmerksam mich anzuhören;

Wir sind allein; kein Lauscher kann uns stören.«


»Du weißt es selber, wie Du eingezogen

In dieses Haus bist – kurze Zeit ist's her.

Zwar lieb ich Dich und bin Dir treu gewogen,

Doch meine Ritter sind Dir's nimmermehr,

Und sagen jetzt, es kränke sie zu sehr,

Daß ich ergäbe mich so ganz zum Knechte

Dir, die entstammt so niederem Geschlechte.«


»Und da Du mir ein Töchterlein beschieden,

So liegen sie beständig mir im Ohr.

Ich lebte gern in Ruhe und in Frieden

Mit meinem Adel ferner, wie zuvor.

Dies leicht zu nehmen, bin ich nicht der Thor;

Und muß daher mit Deiner Tochter schalten

Nach meiner Ritter, nicht nach meinem Walten.«


»Jedoch, weiß Gott, zuwider und verdrießlich

Bleibt mir der ganze Handel immerhin;

Und darin vorgehn will ich nicht, bis schließlich

Ich Deiner Zustimmung versichert bin.

Darum bethätige geduld'gen Sinn,

Wie Du mir hoch und theuer hast geschworen,

Als ich im Dorf zum Weibe Dich erkoren.«[19]


Sie hörte jedes Wort. Doch im Benehmen,

In ihrer Haltung und Geberde stand

Sie ruhig da und schien sich kaum zu grämen.

»Mein Herr« – sprach sie – »wir sind in Deiner Hand.

Sei Tod, sei Leben über uns erkannt,

Ich und mein Kind sind Dir von ganzer Seele

Gehorsam stets und, was Du willst, befehle.«


»So wahr ich hoffe, selig einst zu werden,

Was Dir nicht lieb ist, das mißfällt auch mir.

Ich wünsche nichts, hab' ich nur Dich auf Erden,

Ich fürchte nichts, als den Verlust von Dir!

Das ist mein Herzenswille für und für,

Den unverändert ich durch Zeit und Lage

Bewahren werde bis zum Todestage.«


Wie immerhin der Markgraf sich verstellte,

Ihn freute dennoch, was Griseldis sprach.

Dem Anschein nach voll Mißmuth und voll Kälte

Verließ indessen er ihr Schlafgemach,

Um seine Pläne kurze Zeit hernach

Ganz heimlich einem Manne mitzutheilen,

Dem er befahl, zu seiner Frau zu eilen.


Ein' Art Profoß war der vertraute Diener,

Den er stets treu in großen Dingen fand,

Und auch, um Böses auszuführen, schien er,

Wie Leute solchen Schlages, ganz zur Hand;

Und da in ihm sich Lieb' mit Furcht verband

Für seinen Herrn, stahl er, als dessen Wille

Bekannt ihm war, in ihr Gemach sich stille.[20]


»Madam,« – sprach er – »laßt mir es nicht entgelten,

Wenn ich vollführe, wozu man mich zwingt.

Ihr seid so klug und wißt, daß Herren schelten,

Wenn ihren Auftrag man nicht unbedingt

Gehorsam ausführt und genau vollbringt.

Man muß es thun, trotz Jammer und trotz Klagen;

Und so will ich! – Mehr bleibt mir nicht zu sagen.«


»Dies Kind zu holen, ist mir aufgegeben.«

Mehr sprach er nicht. Jedoch, zur Thür gewandt,

Ergriff er es, als wenn er ihm das Leben

Entreißen wollte mit entmenschter Hand.

Still ließ Griseldis ohne Widerstand,

Fromm, wie ein Lamm, mit unterdrückten Zähren

Den rohen Schergen klagelos gewähren.


Verdächtig war des Mannes Ruf und Wandel,

Verdächtig gleichfalls war sein Blick und Wort,

Verdächtig war der Zeitpunkt von dem Handel!

Ach! zu der heißgeliebten Tochter Mord

– So wähnte sie – sei er bereit sofort.

Doch ruhig blieb sie, keine Thräne floß,

Und willig trug sie, was der Graf beschloß.


Indessen Worte fand sie doch am Ende,

Und fleht so sanft, als ob ein Edelmann

In der Person des Schergen vor ihr stände,

Daß sie ihr Kind noch einmal küssen kann

Vor seinem Tod; und nimmt betrübt es dann

Auf ihren Schoß und lullt es auf und nieder

Und segnet es und küßt es immer wieder.[21]


Mit milder Stimme hub sie an zu sagen:

»Leb' wohl, mein Kind, auf Nimmerwiederseh'n!

Nun, da mein Kreuz ich über Dich geschlagen,

Kann Dir des Himmels Segen nicht entgeh'n.

Ich will zum Herrn am Marterholze fleh'n

Für Dich, mein Kind! Denn Deiner Mutter wegen

Gehst Du dem Tode diese Nacht entgegen!«


Wohl hätte jede Wärterin mit Schmerzen

Dies angesehn, und, sicher, Wehgeschrei

Hätt' es entlockt jedwedem Mutterherzen.

Und dennoch blieb sie ernst gefaßt dabei,

Geduldig tragend alle Quälerei;

Und sprach zum Schergen mit ergeb'nem Sinn:

»Nimm hier mein kleines Mädchen wieder hin!«


»Nun geh'!« – sprach sie – »und thu', was Dir geboten!

Doch eine Bitte sei Dir noch gestellt:

Ist Dir's erlaubt, so grab' der kleinen Todten

Ein Grab an irgend einem Platz der Welt,

Damit zum Raub sie nicht den Vögeln fällt.«

Doch aus des Schergen Munde kam kein Wort;

Er nahm das Kind und zog des Weges fort.


Der Scherge lief zum Grafen ohne Weilen,

Um, was sie sprach, wie ihr Benehmen war,

Ihm Punkt für Punkt in Kürze mitzutheilen,

Und reichte dann sein Töchterlein ihm dar.

Etwas ergriff des Grafen Herz es zwar,

Doch wollt' er trotzdem sich beharrlich zeigen;

Denn stets ist Starrsinn großen Herren eigen.[22]


Den Schergen hieß das Kind in weiche Decken

Er heimlich hüllen und es wohlverwahrt

In einen Kasten oder Korb zu stecken

Und fortzutragen schonungsvoll und zart;

Doch sich zu hüten – auf daß ihm erspart

Der Galgen sei – daß Niemand Argwohn finge,

Woher er käme und wohin er ginge.


Doch nach Bologna hin zu seiner Schwester,

Der Gräfin von Panago, schickt' er ihn,

Um sie zu bitten, dieses Kind in bester

Und liebevollster Weise zu erziehn;

Und, da für seinen Plan es nöthig schien,

In jedem Falle strenge zu verschweigen

Vor aller Welt, wem dieses Kind zu eigen.


Der Scherge ging, den Auftrag auszuführen;

Doch kehren wir zum Grafen jetzt zurück.

Stets trieb ihn Neugier, weiter nachzuspüren,

Ob nicht sein Weib in Worten oder Blick

Verändert scheine durch ihr Mißgeschick.

Doch keinen Wechsel nahm er an ihr wahr,

Ernst aber freundlich blieb sie immerdar.


Sie schien ihn unverändert noch zu lieben;

Demüthig, freundlich, thätig, dienstbereit,

In jeder Hinsicht war sie gleich geblieben;

Doch von dem Kind sprach sie zu keiner Zeit,

Und nie verrieth sie irgendwie ihr Leid;

Und selbst in frohen Stunden, wie im Grame

Blieb unerwähnt stets ihrer Tochter Name.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 18-23.
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