De Gula.

[301] Nach dem Geize kommt Völlerei, welche ausdrücklich gegen Gottes Gebot ist. Völlerei ist maßlose Neigung, zu essen und zu trinken, oder sonst maßlose Lust und ungeordnete Begierde in irgend welchen Bezug auf Essen und Trinken. Diese Sünde verdirbt die ganze Welt, wie aus der Sünde Adams und Evas hervorgeht. Siehe auch, was der heilige Paul von der Völlerei sagt: »Viele wandeln« – sagt er – »von welchen ich euch gesagt habe, und nun sage ich es mit Weinen, die Feinde des Kreuzes Christi, welcher Ende ist Tod und welcher der Bauch ihr Gott ist und ihr Ruhm, zur Verdammniß Deren, welche so irdischen Dingen dienen.« Der, bei welchem diese Sünde der Völlerei gewohnheitsmäßig ist, kann keiner Sünde widerstehen; er muß zum Sclaven aller Laster werden, denn dies ist des Teufels Schlupfwinkel, wo er sich versteckt und wo er rastet. Diese Sünde hat viele Arten. Die erste ist Trunkenheit; diese ist das schreckliche Grab der menschlichen Vernunft; und wenn daher ein Mensch betrunken ist, so hat er seine Vernunft verloren, und dieses ist Todsünde. Indessen, wenn ein Mensch nicht an starke Getränke gewöhnt ist und vielleicht die Macht des Getränkes nicht kennt, oder in seinem Kopfe sich schwach fühlt, oder so gearbeitet hat, daß er mehr als sonst trinkt und dann plötzlich vom Getränk überwältigt wird, so ist es keine Todsünde, sondern eine läßliche. Die zweite Art der Völlerei ist, wenn der Geist des Menschen durch Trunkenheit getrübt und er der Vorsicht seines Verstandes beraubt wird. Die dritte Art der Völlerei ist, wenn der Mensch seine Speise verschlingt und sich beim Essen unpassend benimmt. Die vierte ist, wenn durch großen Ueberfluß an Speise die Säfte seines Körpers verdorben werden. Die fünfte ist Vergeßlichkeit durch zu vieles Trinken, wodurch bisweilen ein Mensch am Morgen vergessen hat, was er am Abend zuvor that.

In anderer Weise unterscheidet man die verschiedenen Sünden der Völlerei nach St. Gregorius. Die erste ist, vor der Zeit zu essen. Die zweite ist, wenn ein Mensch sich leckerem Essen und Trinken zuneigt. Die dritte ist, wenn man über das Maß hinaus nimmt. Die vierte ist Künstelei im Zubereiten und Anrichten der Speisen.[301] Die fünfte ist, gierig zu essen. Diese sind die fünf Finger von des Teufels Hand, durch welche er die Leute in Sünde zieht.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 301-302.
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