Remedium Luxuriae.

[308] Nun kommt das Mittel gegen die Wollust, und das ist im Allgemeinen Keuschheit und Enthaltsamkeit, welche alle unordentlichen[308] Neigungen der Fleischeslust in Zaum halten, und Diejenigen werden um so größeres Verdienst haben, welche am meisten die schlimme Begierde und Hitze dieser Sünde beschränken; und dieses geschieht auf zweierlei Weise, nämlich durch Keuschheit in der Ehe und durch Keuschheit im Wittwenthume.

Nun müßt Ihr verstehen, daß Ehe das erlaubte Beisammensein zwischen Mann und Weib ist, wie solches ihre Verbindung durch die Kraft dieses Sakramentes ihnen gewährt hat, so daß sie sich nicht mehr während ihres Lebens von einander scheiden können, das will sagen, so lange Beide leben. Dies ist – wie das Buch sagt – ein besonders hohes Sakrament. Gott machte es – wie ich gesagt habe – im Paradiese und wollte selbst aus der Ehe geboren werden, und um die Ehe zu heiligen, war er auf einer Hochzeit, wo er Wasser in Wein verwandelte, welches das erste Wunder war, das er vor seinen Jüngern vollführte. Die treue Wirkung der Ehe reinigt den Beischlaf und füllt die heilige Kirche mit guter Nachkommenschaft; denn das ist der Zweck der Ehe und wandelt Todsünde in läßliche bei Denen, so verheirathet sind, und macht in allen, die verheirathet sind sowohl die Herzen als auch die Leiber eins. Dieses ist die wahre Ehe, welche von Gott eingesetzt war, ehe die Sünde kam, als das natürliche Gesetz noch in rechter Geltung im Paradiese stand; und es ward befohlen, daß ein Mann nur ein Weib haben sollte und ein Weib nur einen Mann – wie St. Augustin sagt – und zwar aus vielen Gründen. Denn erstens ist die Ehe dargestellt in der Verbindung Christi mit der heiligen Kirche; und ein anderer Grund ist, weil der Mann das Haupt der Frau ist – wenigstens nach der Vorschrift sollte es so sein. Denn, wenn ein Weib mehr als einen Mann hätte, so würde sie auch mehr Häupter als eines haben und das wäre eine greuliche Sache vor Gott; und ebenso dürfte ein Weib nicht mehren zugleich gefallen und es würde nimmer Frieden und Ruhe zwischen ihnen sein, denn jedes würde sein eigenes Recht fordern. Und fernerhin könnte kein Mensch seine eigene Nachkommenschaft kennen, noch wissen, wer sein Erbe sein solle, und das Weib würde um so weniger geliebt werden, wenn sie mit mehren Männern verbunden wäre.

Nun kommt, wie ein Mann sich gegen sein Weib betragen soll, besonders in zwei Punkten, nämlich in Langmuth und Ehrerbietung; und dieses zeigt Christus, als er das erste Weib machte. Denn er machte sie nicht aus dem Haupte von Adam, dieweil sie keine zu große[309] Herrschaft in Anspruch nehmen sollte, denn, wo das Weib die Meisterschaft hat, da macht sie gar zu vielen Unfug. Dafür bedarf es keiner Beispiele, die Erfahrungen, welche wir Tag für Tag machen, können hinreichend genügen. Gewiß, Gott machte auch das Weib nicht aus den Füßen von Adam, denn sie soll nicht zu niedrig gestellt werden, da sie nicht geduldig leiden kann. Aber Gott machte das Weib aus der Rippe von Adam, denn das Weib soll die Genossin des Mannes sein. Männer sollten sich ihren Weibern gegenüber mit Treue, Aufrichtigkeit und Liebe benehmen, wie St. Paul sagt, daß ein Mann sein Weib lieben solle, wie Christ die heilige Kirche, die er so sehr liebte, daß er für dieselbe starb; so sollte ein Mann für sein Weib thun, wenn es erforderlich ist.

Wie nun ein Weib ihrem Gatten unterthan sein soll, das erzählt St. Petrus. Zuerst in Gehorsam. Und wie ebenfalls das Decret sagt: ein Frauenzimmer, welches ein Eheweib ist, hat, so lange sie dieses ist, keine Macht zu schwören oder Zeugniß abzulegen ohne die Einwilligung ihres Ehemannes, der ihr Herr ist. Wenigstens sollte es der Vernunft nach dieses sein. Sie sollte ihm auch in aller Ehrbarkeit dienen und in ihrem Anzuge mäßig sein. Ich weiß wohl, daß sie ihr Bestreben dahin richten soll, ihrem Gatten zu gefallen, aber nicht durch die Absonderlichkeit ihres Anzuges. St. Hieronymus sagt: Weiber, welche sich mit Seide und köstlichem Purpur aufputzen, können nicht in Jesu Christo gekleidet sein. St. Gregorius sagt ebenfalls, daß man nur des eitlen Ruhmes wegen und um von den Leuten geehrt zu werden, nach kostbaren Anzügen trachte. Es ist große Thorheit, wenn ein Weib auswärts schöne Kleider trägt, während sie selbst inwendig faul ist. Ein Weib sollte gleichfalls mäßig sein in Blicken, Betragen und Lachen und bescheiden in allen ihrem Reden und Thun, und über alle Erdendinge sollte sie von ganzem Herzen ihren Ehemann lieben und ihm mit ihrem Leibe treu sein. So sollte ein jeder Ehemann auch seinem Weibe treu sein, denn da ihr ganzer Leib dem Gatten gehört, so sollte es auch ihr Herz, denn sonst ist zwischen ihnen in dieser Hinsicht keine vollkommene Ehe. Dann sollten die Männer begreifen, daß aus drei Gründen ein Mann mit seinem Weibe zusammenkommen mag. Der erste ist in der Absicht der Kindererzeugung für den Dienst Gottes, denn, gewiß, das ist der Endzweck der Ehe. Ein anderer Grund ist, sich gegenseitig die Schuld des Leibes zu entrichten, denn keiner von beiden hat Gewalt über[310] seinen eigenen Leib. Der dritte ist, Hurerei und Schlechtigkeit zu vermeiden. Der vierte gehört der Todsünde an. Was den ersten anbetrifft, so ist er verdienstlich; der zweite auch, denn – wie das Decret sagt – hat Diejenige das Verdienst der Keuschheit, welche dem Gatten die Schuld ihres Leibes abträgt, selbst wenn es gegen ihre Neigung und gegen die Lust ihres Herzens ist. Die dritte Art ist läßliche Sünde; gewiß, kaum irgend einer von ihnen bleibt ohne läßliche Sünde wegen der Verderbniß und des Vergnügens, welche dieser Sache ankleben. Die vierte Art ist so zu verstehen, wenn sie nur aus sinnlicher Liebe zusammen kommen und nicht aus einem der vorerwähnten Gründe, sondern nur um ihr brennendes Verlangen, wer weiß, wie oft, zu stillen. Fürwahr, das ist Todsünde; und dennoch – mit Sorgen sag' ich es – wollen sich einige selbst anstrengen, noch mehr zu thun, als ihrem Bedürfnisse genügt.

Die zweite Art der Keuschheit ist, eine reine Wittib zu sein, und die Umarmung eines Mannes zu fliehen und nach der Umarmung Jesu Christi zu verlangen. Diese sind Diejenigen, welche Weiber gewesen sind, aber ihre Gatten verloren haben und auch Frauen, die Wollust getrieben haben und durch ihre Buße erlöst sind. Und, gewiß, wenn ein Eheweib sich ganz keusch erhalten könne durch Erlaubniß ihres Gatten, so daß sie ihm keine Veranlassung und keine Gelegenheit gäbe, sich zu vergehen, so würde es für sie ein großes Verdienst sein. Diese Art von Frauen, welche die Keuschheit beobachten, muß reines Herzens, Leibes und Sinnes sein, mäßig in Kleidung und Haltung, enthaltsam im Essen und Trinken, im Sprechen und im Thun und dann gleicht sie dem Gefäße oder der Büchse der gesegneten Magdalena, weil sie die heilige Kirche mit gutem Geruche erfüllt.

Die dritte Art der Keuschheit ist Jungfräulichkeit, und es versteht sich, daß sie heilig von Herzen und rein von Körper sei. Dann ist sie die Braut Jesu Christi und das Leben der Engel; sie ist das Lob der Welt und sie kommt den Märtyrern gleich. Sie trägt in sich, was keine Zunge aussprechen kann und kein Herz denken. Jungfräulichkeit besaß unser Herr Jesus Christ, und eine Jungfrau war er selber.

Ein anderes Mittel gegen die Wollust ist, daß man sich besonders derjenigen Dinge enthalte, welche Veranlassung zu jener Schlechtigkeit geben, als Wohlleben, Essen und Trinken; denn, fürwahr, wenn der Topf überkocht, so ist das beste Mittel, ihn vom Feuer fortzurücken. Langer Schlaf bei großer Ruhe ist gleichfalls eine große Nährerin der Wollust.[311]

Ein anderes Mittel gegen Wollust ist, daß Mann und Weib die Gesellschaft derer fliehen, von denen versucht zu werden sie argwöhnen; denn, wenn auch immerhin der That widerstanden wird, so ist dennoch die Versuchung groß. Fürwahr, eine weiße Wand wird, wenn sie das Flimmern einer Kerze auch nicht in Brand setzt, dennoch durch das Licht schwarz.

Gar oft las ich, daß Niemand auf seine eigene Vollkommenheit bauen solle, er sei denn stärker als Simson, heiliger als David oder weiser als Salamo.


Nachdem ich nun, so gut ich konnte, die sieben Todsünden und ihre verschiedenen Zweige und Gegenmittel erklärt habe, möchte ich, fürwahr, wenn ich könnte, euch auch die zehn Gebote Gottes vortragen; aber eine so hohe Lehre überlasse ich den Gottesgelehrten. Nichtsdestoweniger hoffe ich zu Gott, daß ein jegliches unter allen in dieser Abhandlung berührt ist.

Da nun der zweite Theil der Buße in der Beichte des Mundes besteht, so sage ich, wie ich im ersten Capitel begann, daß St. Augustinus spricht: Sünde ist jedes Wort und jede That und alles, was Menschen dem Gesetze Christi zuwider thun, und das besagt: sündigen im Herzen, im Munde und in der That durch die fünf Sinne, welche Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen sind. Nun ist es gut, die Umstände zu kennen, welche zu jeder Sünde beitragen. Du, welcher die Sünde thust, sollst in Erwägung ziehen, was du bist, Mann oder Weib, jung oder alt, edel oder hörig, frei oder dienstbar, gesund oder krank, verheirathet oder ledig, Priester oder Laie, weise oder thöricht, geistlich oder sekulär, ob sie körperlich oder geistlich dir nahe steht oder nicht, ob irgend einer deiner Angehörigen mit ihr gesündigt hat oder nicht, und was der Sachen mehr.

Ein anderer Umstand ist dieser, ob es in Hurerei oder Ehebruch geschehen ist oder nicht, in irgend einer Art von Todtschlag oder nicht, ob es eine greuliche, große Sünde sei oder eine kleine, und wie lange du in der Sünde beharrt hast. Der dritte Umstand ist der Art, allwo du die Sünde begangen hast, ob in andrer Leute Hause oder in deinem eigenen, im Felde, in der Kirche oder in dem Kircheneigenthume, in geweihten oder in ungeweihten Kirchen. Denn, wenn eine Kirche geheiligt ist und Mann oder Weib an diesem Orte ihr Geschlecht verschütten, so wird die Kirche mit dem Inderdict belegt, so lange bis[312] sie der Bischof wieder gereinigt hat; und wäre es ein Priester, der solche Schlechtigkeit beginge, so könnte er bis an das Ende seines Lebens keine Messe mehr singen, und wenn er es dennoch thäte, so würde es jedesmal Todsünde sein, wenn er eine Messe sänge.

Der vierte Umstand bezieht sich auf Vermittler und Boten zur Verlockung und Einwilligung und sich zum Mitgenossen zu machen, da manch elender Mensch lieber zum Teufel in die Hölle fahren will, als nicht Genossenschaft zu halten. Deßhalb sind Diejenigen, die zu Sünden reizen oder Sünden billigen, Theilnehmer an der Sünde und an der Verdammniß des Sünders. Der fünfte Umstand ist, wie oft man gesündigt hat, und ob es im Herzen war, und wie oft man gefallen ist. Denn Derjenige, welcher häufig in Sünde fällt, verachtet die Gnade Gottes und verschlimmert seine Sünde und ist unerkenntlich gegen Christus, und wird immer schwächer, der Sünde zu widerstehen, und sündigt leichter und erhebt sich um so später daraus, und wird lässiger zur Beichte und namentlich bei dem, welcher sein Beichtvater war. Aus welchem Grunde auch Leute, wenn sie wieder in ihre alte Thorheit zurückfallen, entweder ihren alten Beichtvater ganz verlassen, oder sonst ihre Beichte auf verschiedene Stellen vertheilen; aber, fürwahr, Diejenigen, welche solcher Art ihre Beichte vertheilen, verdienen nicht die Gnade Gottes für ihre Sünden. Der sechste Umstand ist, weßhalb ein Mensch sündigt, sowie durch welche Versuchung und ob er selbst sich solche Versuchung bereitete, oder durch Andere angeregt wurde; oder ob bei einem Weibe die Sünde mit ihrer eigenen Einwilligung geschah, oder ob das Weib ungeachtet ihres Willens gezwungen wurde oder nicht; das soll sie erzählen, und ob es aus Begehrlichkeit war oder aus Armuth, und ob es durch ihr eigenes Betreiben war oder nicht, und andere solche Sachen. Der siebente Umstand ist, in welcher Weise er seine Sünde begangen hat, oder wie sie gelitten hat, daß er die Sünde an ihr vollziehe. Und so soll man es schlicht erzählen mit allen Umständen und ob man mit gewöhnlichen öffentlichen Dirnen gesündigt hat oder nicht, ob es zu einer geheiligten Zeit war oder nicht, während der Fasten oder nicht, ob vor seiner Beichte oder nach seiner letzten Beichte und ob dadurch vielleicht die auferlegte Buße gebrochen wurde, mit wessen Hilfe, auf wessen Rath, ob durch Zauberei oder durch List, alles muß erzählt werden. Alle diese Dinge belasten, je nachdem sie groß oder klein sind, das Gewissen von Mann und Weib. Und auch der Priester, welcher dein[313] Richter ist, gewinnt dadurch Einsicht, um die Buße mit Verständniß aufzuerlegen in Gemäßheit deiner Zerknirschung. Denn, verstehe wohl, wenn ein Mann, nachdem er seine Taufe durch Sünde geschändet hat, zur Erlösung gelangen will, so giebt es keinen andern Weg, als durch Reue, Beichte und Genugthuung, und namentlich durch die beiden ersteren, wenn ein Beichtiger vorhanden ist, dem man bekennen kann, und falls man zuvor wahrhaft zerknirscht und reuevoll fühlt; und durch die dritte, falls man am Leben bleibt, sie auszuführen.

Dann soll der Mensch einsehen und erwägen, daß wenn er eine aufrichtige und nutzbringende Beichte machen will, er vier Bedingungen zu erfüllen hat. Erstens muß sie aus kummervoller Bitterkeit des Herzens kommen, wie der König Ezechiel zu Gott sprach: Ich will alle Zeit meines Lebens in der Bitterkeit meines Herzens daran gedenken. Diese Bedingung der Bitterkeit hat fünf Zeichen. Das erste ist, daß die Beichte Beschämung zeigt und die Sünde nicht verschleiert oder verbirgt, sondern eingesteht, wodurch gegen Gott gefehlt und die Seele geschändet ist. Und hierüber sagt St. Augustinus: das Herz liegt in Wehen aus Scham über seine Sünde; und wer große Beschämung fühlt, ist würdig, die Gnade Gottes zu erlangen. So war die Beichte des Zöllners, welcher seine Augen nicht gen Himmel heben wollte, weil er Gott im Himmel beleidigt hatte, für welche Erniedrigung er sofort die Gnade Gottes gewann. Und deßhalb sagt St. Augustin, daß solche schamerfüllte Leute der Vergebung und Gnade am nächsten sind. Ein anderes Zeichen ist Demuth in der Beichte, worüber St. Peter sagt: Demüthigt euch vor der Macht Gottes! – Die Hand Gottes ist mächtig in der Beichte, denn dadurch vergiebt uns Gott die Sünden, denn Er allein hat dazu die Macht. Und die Demuth soll wie im Herzen so auch in äußern Merkmalen bestehen, denn, wie man Demuth gegen Gott im Herzen trägt, so sollte sich ebenso auch der äußere Leib vor dem Priester demüthigen, der an Gottes Stelle sitzt. Darum sollte auch in keinem Falle, alldieweil Christus der Herr ist und der Priester der Unterhändler oder Vermittler zwischen Christus und dem Sünder, und der letztere selbstverständlich der niedrigste ist, ein Sünder so hoch sitzen, wie sein Beichtvater, sondern zu seinen Füßen vor ihm knien, falls ihn nicht Krankheit daran hindert; denn er soll nicht daran denken, wer vor ihm sitzt, sondern in wessem Stelle er dort sitzt.

Ein Mensch, welcher sich gegen seinen Herrn vergangen hat und[314] zu ihm kommt, um Gnade zu bitten und seine Versöhnung zu machen, sich aber sofort neben seinen Herrn niedersetzen wollte, würde Jedermann für unverschämt halten und nicht für würdig, sobald Vergebung und Gnade zu erhalten. Das dritte Zeichen ist, daß die Beichte unter vielen Thränen geschehe, wenn der Mensch weinen kann; und wenn er nicht mit seinen leiblichen Augen weinen kann, so laßt ihn in seinem Herzen weinen. So war die Buße St. Peters, denn nachdem er Jesus Christus verläugnet hatte, ging er hinaus und weinte bitterlich. Das vierte Zeichen ist, daß man sich nicht schäme zu beichten und zu bekennen. So war die Buße der Magdalena, die nicht aus Scham vor Denen, so auf dem Feste waren, zögerte, sondern zu unserem Herrn Jesu Christo ging und ihm ihre Sünden bekannte. Das fünfte Zeichen ist, daß Mann und Weib gehorsam sind, die Buße anzunehmen, welche ihnen auferlegt ist. Denn, wahrlich, Jesus Christus war um der Schuld der Menschheit willen gehorsam bis zum Tod.

Die zweite Bedingung für die aufrichtige Beichte ist, daß sie eilig geschehe; denn, wahrlich, je länger ein Mensch, welcher eine tödtliche Wunde hat, mit deren Heilung zögert, desto schlimmer wird sie und desto rascher treibt sie ihm dem Tode entgegen und desto schwerer wird sie zu heilen sein. Und ebenso geht es mit der Sünde, welche im Menschen lange verheimlicht bleibt. Gewiß, man muß seine Sünde aus manchen Gründen rasch zeigen, unter andern aus Furcht vor dem Tode, der oft plötzlich kommt und bei dem es ungewiß, wann und wo er uns treffen möge; auch zieht das Verbergen einer Sünde andere nach sich; und ferner ist man, je länger man zögert, um so entfernter von Christus. Und wenn man bis zu seinem letzten Tage damit zurückhält, so mag man kaum seine Sünde bereuen und sich ihrer entsinnen oder wegen der furchtbaren Todeskrankheit beichten können. Und ebenso wie man in seinem Leben nicht auf Christ hörte, wenn er zu uns sprach, so wird auch unser Herr an unserm letzten Tage, so sehr wir auch zu ihm schreien mögen, uns kaum hören. Und lernt, daß diese Bedingung vier Sachen umfaßt. Erstlich, daß die Beichte vorbereitet und überlegt sein muß; denn schlimme Eile nützt zu nichts; und daß der Mensch bei seiner Beichte wissen muß, ob die Sünde aus Stolz, Neid und so weiter kommt mit allen Umständen und Unterarten; und daß er in seinem Gemüthe die Zahl und Größe seiner Sünden begriffen hat, so wie auch, wie lange er in der Sünde beharrte, und auch, daß er zerknirscht über seine Sünden sei und fest[315] in seinem Vorsatze, mit Gottes Gnade nie wieder in Sünde zu fallen, und auch, daß er wohl Acht gebe und aufpasse die Gelegenheit zu derjenigen Sünde zu meiden, zu welcher er geneigt ist. Und ebenso sollst du alle deine Sünden einem Manne beichten und nicht stückweise durcheinander bei verschiedenen, das besagt in der Absicht, aus Scham oder Furcht die Sünden zu theilen; denn das heißt, deine eigene Seele erwürgen. Denn, gewiß, Jesus Christus ist die vollkommenste Güte, in ihm ist keine Unvollkommenheit, und deßhalb verzeiht er entweder vollständig oder überhaupt nicht. Ich sage nicht, daß du gebunden bist dem bestimmten Beichtiger, dem du einer bestimmten Sünde wegen zugewiesen bist, auch den ganzen Rest deiner Sünden zu zeigen, welche du bereits deinem Pfarrer gebeichtet hast, so weit du es etwa aus Demuth nicht gern thun willst; dies ist kein Theilen der Beichte. Nein, ich sage nicht, wenn ich vom Theilen der Beichte spreche, daß, insofern du die Erlaubniß hast, einem verschwiegenen und ehrlichen Priester zu beichten, und wo es dir gefällt und unter Gestattung deines Pfarrers, du auch diesem nicht alle deine Sünden beichten könntest; aber laß keinen Flecken zurück; laß keine Sünde unerzählt, soweit dein Gedächtniß reicht. Und wenn du bei deinem Pfarrer beichtest, so erzähle ihm auch alle Sünden, welche du seit deiner letzten Beichte gethan hast. Dieses ist keine böse Absicht, die Beichte zu vertheilen.

Auch die wahre Beichte fordert gewisse Bedingungen. Erstens, daß du aus freien Stücken beichtest, nicht gezwungen, nicht aus Scham vor den Leuten, nicht aus Krankheit oder aus sonstigen andern Gründen; denn es ist vernünftig, daß Derjenige, welcher aus seinem freien Willen gefehlt hat, auch aus seinem freien Willen seine Fehler bekennt und daß kein Anderer seine Sünde erzähle, wie er selbst; nein, er soll seine Sünde weder läugnen noch verneinen, noch gegen den Priester böse werden, weil er ihn ermahnt, von seiner Sünde zu lassen. Die zweite Bedingung ist, daß deine Beichte rechtmäßig sei, das heißt, daß du, welcher beichtest, und auch der Priester, der deine Beichte hört, wahrhaftig in dem Glauben der heiligen Kirche stehen, und daß Keiner an der Gnade Christi verzweifeln solle, wie es Kain und Judas thaten. Auch muß man sich seiner eigenen Sünden anklagen und keinen Andern, und sich selbst wegen seiner Bosheit und seiner Sünden tadeln und angeben, aber keinen Andern; indessen, wenn Jemand der Anstifter und Anreizer zur Sünde gewesen ist, oder von solchem Stande ist, daß dadurch die Sünde erschwert wird, oder daß man sonst nicht klar[316] beichten kann, ohne die Person zu nennen, mit welcher man gesündigt hat, so mag man es sagen, vorausgesetzt, daß es nicht in der Absicht geschieht, die Person anzuschwärzen, sondern nur um seine eigne Sünde zu erklären.

Du sollst auch nicht aus Demuth in deiner Beichte lügen, indem du vielleicht sagst, daß du diese oder jene Sünde begangen habest, deren du niemals schuldig warst. Denn, St. Augustin sagt, daß, wenn du in deiner Demuth dir etwas selbst anlügst, so bist du, falls du auch vorher nicht in Sünde warst, doch nunmehr deiner Lüge wegen in Sünde. Auch mußt du die Sünde mit deinem eigenen Munde bekennen, wenn du nicht stumm bist, aber nicht brieflich. Denn du, welcher die Sünde begangen hast, sollst auch die Scham der Beichte tragen. Du sollst auch deine Beichte nicht mit schönen und gewandten Worten übertünchen, um desto besser deine Sünde zu verhüllen; denn du betrügst dich selbst und nicht den Priester; du mußt schlicht erzählen, ob auch deine Sünde noch so schlimm und greulich sei. Du sollst auch einem Priester beichten, der dir verständigen Rath ertheilen kann; und du sollst auch nicht aus Eitelkeit beichten, noch aus Heuchelei, noch aus irgend einem andern Grunde, sondern nur allein aus der Furcht Christi und für das Heil deiner Seele. Du sollst auch nicht plötzlich zum Priester rennen und ihm deine Sünde leicht hinerzählen, wie man einen Spaß oder eine Geschichte erzählt, sondern überlegt und mit guter Andacht; und im allgemeinen beichte oft; wenn du oft fällst, so erhebe dich oft wieder durch die Beichte. Und wenn du auch mehr als einmal die Sünden bekennst, von denen du losgesprochen bist, so ist es ein um so größeres Verdienst. Und wie St. Augustin sagt, du sollst dann leichteren Erlaß und Gnade bei Gott finden, sowohl für die Sünde als für die Strafe. Und sicherlich einmal im Jahre ist zum mindesten geboten, das Sacrament zu empfangen; denn, fürwahr, alle Dinge auf Erden werden im Verlaufe eines Jahres erneuert.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 308-317.
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