Der Dorfdummerl

[906] Es können leicht an die dreißig Jahre sein, daß ich ihn zum letztenmal gesehen, den Riederbauern von Öd. Ich lief dazumal noch in Kinderschuhen und ließ mich des öftern von ihm oder seiner Riederbäuerin aus dem Obstgarten staupen, wenn die Pflaumen zeitig wurden.

Zu jener Zeit war es auch, daß meine Großmutter das jüngste Maidl des Riederbauern, das Babettei, aus der Taufe hob.-

Nun, nach dreißig Jahren also, kam ich wieder dahin, wo die Gehöfte meiner Freundschaft standen, wo ein einschichtigs Kreuz und ein schmaler Erdhügel die Ruhstatt meiner lang dahingegangenen Voreltern weisen.

Und ich sah den großmächtigen Riederhof wieder wie dereinst zwischen fruchtbeladenen Bäumen und Hecken prangen.

Da kam mich ein Gelüsten an, dieses Haus wieder heimzusuchen und seine Bewohner zu begrüßen. Und ich stieg die alten, ausgetretenen Steiglein des Hügels hinan, ging an dem blumenreichen Hausgarten vorüber und trat zum Gehöft.

Da saß ein fremder Bauer neben der geschnitzten Haustür auf der Bank und fragte mich, was ich suchte an diesem Ort.

Ich bat ihn um Bescheid über den alten Riederbauern und seine Leut. Da sagte er: »Hock di a weng nieder da. Dees is a lange Gschicht, dees vom Rieder, – die Gschicht vom Dummerl.« –

Vom Dummerl, sagte er.

Ja, es war eine lange Geschichte, eine seltsame und schier unerhörte.

Der Riederbauer war schon in seinen jungen Jahren ein gspaßiger Mensch, ein Sonderling, ein einschichtiger, gewesen.[906] Sein Sinn hing am Neuen, Fremden, Modischen, und er fand keine Freude am Althergebrachten, Überkommenen.

Als daher sein Vater starb, ließ er sogleich das ganze Inventar des Hauses versteigern samt Künikammer und Spinnradl, riß den alten Bauernhof bis auf die Grundmauern nieder und baute darauf ein neumodisches Gut. Und er stattete alles aus mit Maschinen und neuartigen Einrichtungen und suchte sich nun eine Hochzeiterin nach seiner Art.

Die einzige Tochter des steinreichen Wiesmüllers von Au war ihm gerade recht: in der Stadt erzogen, modisch gewandet und den Sinn nach allem gerichtet, was fremd und teuer war.

Der Geldsack kam auch hier wieder zum Geldsack; und dazu hatten die beiden auch noch Glück.

Es ging vorwärts bei ihnen, und die Goldtruhe wurde schwerer und schwerer.

Freilich, sonst fanden sie nicht viel Fröhlichkeit in ihrem Dasein. Denn sie hatten nicht viele Freund und Gönner, dafür aber desto mehr Feind und Neider. Sogar der Pfarrer war ihnen nicht gewogen und sagte es ganz unverhohlen von der Kanzel herab, daß kein Reicher ins Himmelreich einginge; am allerwenigsten solch ein unchristlicher Protz, wie der ... na, er wolle ihn nicht nennen ... denn derselbige Tropf wüßte schon selber, daß er gemeint wär!

Die Gemeinde wußte es natürlich auch, wen dies anging.

Was Wunder, daß aus dem Riederbauern bald ein Einödbauer wurde!

Daß er alle mied und sich abseits hielt mit seinem Weib und seinem Dienstvolk.

Nur meine Großmutter ging bei ihm aus und ein und stand, als die Riederbäuerin ihrem Eheherrn ein junges[907] Menschlein ums ander in die Hauswiege legte, getreulich am Taufbecken und legte allen die Hand auf. –

Und die Zeit ging dahin in Arbeit; die Kinder wuchsen heran und gediehen wohl.

Aber sie hatten den Sinn von Vater und Mutter geerbt, fanden keine Lust am Bauernleben und waren, kaum daß sie der Schule entwachsen, auf ja und nein dahin – in der Großstadt.

Dies war nun freilich nicht nach dem Kopf des Alten. Aber was half's? Er mußte sie halt ziehen lassen, so sehr er sich auch dagegen stemmte.

Die Riederbäuerin freilich konnte den Abschied von ihren Kindern nicht verwinden. Sie ward krank und serbend, und etliche Jährlein darnach mußte ihr Eheherr sie hinaustragen lassen zur ewigen Ruhstatt unter einem kleinen schwarzen Erdhügel.

Nun hatte er niemanden mehr, der Rieder; denn auch meine Großmutter war zu der Zeit längst heimgegangen zum ewigen Frieden.

Da hätt er's gar gern gesehen, daß eins oder 's ander von seinen Kindern gekommen wär zu ihm, dem Einsamen.

Aber die waren alle nun versorgt und verheiratet drinnen in der Stadt und wollten nichts mehr wissen von Stall und Feld. Und die Jüngste, das Babettei, ließ überhaupt nichts mehr hören seit Jahr und Tag; die war verschwunden und verschollen.

Und wie leicht hätte gerade sie mit ihrer Jugend des Vaters Tage ein wenig gewürzt und erfrischt! Denn er war unversehens müd und alt geworden, der Rieder.

Sein ehedem rötlicher Vollbart war gebleicht, und das ergraute Haar hing wirr um die eingefallenen Schläfen.

Und doch war er noch gut bei Jahren!

Immer noch ein Wittiber, der das Zeug gehabt hätte, eine zweite zu freien![908]

Manchmal dachte er auch selber bei sich: »Es is net schee, oaspannig durchs Lebn roasn; i suach mir eppa gar wieder a Gspann – – –«; aber er fand nichts draußen in den Dörfern, was ihm getaugt hätte dazu.

Und so kam er zu guter Letzt auf den Gedanken, den ganzen Hof zu verkaufen und drinnen in der Stadt sich eine zu freien, die ihn noch einmal aufleben ließe und jung machte.

Also ließ er den schönen und großmächtigen Bauernhof fahren, kaufte sich in der Stadt ein Häusl mit einem Garten daran, richtete sich modisch her und ging auf die Freite.

Das Haar hatte er sich nun kunstgerecht zustutzen und den Bart ganz abnehmen lassen; und seine städtische Gewandung ließ ihn als einen ganz anderen erscheinen. Ja, als er eines Tages nochmals zurück mußte in sein Heimatdorf, um etliches zu schlichten, da erkannte ihn kein Mensch wieder. –

Nun lebte er also mit seinem Gelde in der großen Stadt und ging als Freiersmann herum.

Da traf es sich eines Abends, daß ihn, gerade als er aus einem Weinhaus trat, ein Mädchen ansprach und ihn einlud, mitzukommen.

Das Weibsbild gefiel ihm, und so kam es, daß er frei auf seine verheirateten Kinder und auf seine fünfzig Jahre vergaß, die er am Buckel hatte; und daß droben in Öd ein kleiner Fleck Erde war, unter dem seine Riederin schlief und auf ihn wartete!

Nur allzu willig tappte er hinter dem raschelnden Seidenfähnlein her und dachte weiter nichts, als daß er ein Wittiber wär und tun könne, was ihm gefiel. Ja, er lud das Mädel sogar für den kommenden Tag zu sich ein und versprach ihm allerhand Geschenke, wenn es sich entschließen könnte, bei ihm zu bleiben!

Selbstverständlich wollte sie, die Jungfer! –[909]

Am andern Morgen. Der Rieder hat für die Kleine, die er gern zu seiner Haushälterin möchte, ein hübsches güldenes Halskettlein erstanden mit einem Kreuz aus Granatsteinen daran. Denn er möcht das Weibsbild gar zu gern bei sich haben. Da könnt er am End auch ohne nochmalige Heiraterei das Dasein gemütlich beschließen ...

Irgendwo trinkt er sein Schöpplein Wein und hängt dabei allerhand Gedanken nach.

Und unversehens erwacht in ihm der Wunsch, seine Kinder aufzusuchen: Den Franz, die Lies und die Gretl ...

Und das Babettei ... Sein Babettei!

Wo mag jetzt das Dirndl wohl weilen? Wo soll er es suchen? Drüben auf der Polizei hat er es erfragt, wo seine Kinder sind.

Und in der Hand hält er die Zettel, davon der eine besagt, daß das Fräulein Betty Rieder aus Öd in Bayern ein Privatmodell ist und Hotterstraße 2 wohnt. Ob sie es wohl wirklich ist?

Der Rieder setzt sich in einen Fiaker und befiehlt: »Hotterstraße zwoa fahrst mi!«

Und dann tritt er ins Haus und läutet.

Eine Alte öffnet und gibt ihm Bescheid: »Ja, ja, Herr; dees stimmt schon. Die is's schon. Aber sie is grad net z' Haus. In einer halben Stund, hats gsagt, kommts wieder!«

Sie führt ihn in die Stube des Mädchens und schiebt ihm einen Sessel hin: »Warten S' halt derweil; sie wird glei kommen. Lassen S' Ihnen die Zeit net lang werdn.« – – –

Der Rieder steht in der Stube.

Aber er hat kaum einen Blick durch den Raum getan, da steigt ihm eine fliegende Hitze auf, und darnach schüttelt ihn ein Frost ... Er fällt in den Sessel, – springt wieder auf, – rennt hin und her ...

Schlägt sich vor die Stirn und schaut irr um sich ...

Kein Zweifel, – es ist so. –[910]

Und er setzt sich auf den Rand des Bettes, stemmt die Arme auf die Knie, lehnt den Kopf schwer darauf und schnauft ...

Leichtlich eine Viertelstunde hockt er so da – ganz starr und stumm.

Plötzlich aber springt er auf, reißt das güldene Kettlein aus dem Sack und wirft es auf die Zudeck ...

Zieht den Beutel, reißt ihn auf und streut die Silberstücke und Papierfetzen auf den Boden herum, brüllt auf wie ein wundes Tier und rennt davon ... dahin ... immer fort ... dahin ...

Etliche Tage darnach kniet vor dem Grabhügel der seligen Riederbäuerin ein irrer Mensch, wühlt in der Erde und stöhnt: »I kaaf dir a Kreuzerl ... i kaaf dir a Ketterl ... aber mei Ruah gib mir wieder ... mei Ruah ...«

Und seit der Zeit sagen die Leut: Der Riederbauer von Öd wär ein Dummerl worden. – – –[911]

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 906-912.
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