Der Steinriegerbauer

[880] Es war grad um die Zeit, da man die Sensen dengelt und das Korn schneidet in der großen Ernte; da starb des Steinriegerbauern eheliche Hausfrau und Bäuerin einen jähen Tod.

Es ist nicht gut, wenn einer muß in seinem Haus die Totenschragen aufrichten und eins von seinen Lieben zur letzten Ruh bestatten. Aber es ist am End doch zu überwinden; und gar zu einer Zeit, da man vor Arbeit nicht lange der Weil hat, zu seufzen und zu trauern.

Auch beim Steinrieger wars so.

Grad in den Tagen, da man am liebsten noch ein Trumm angestückelt hätt an die vierundzwanzig Stunden, da man die schwülen Vollmondnächte nützte mit dem Mähen der Garbe, – gerade zu dieser Zeit ging sie dahin, die Steinriegerin.

Ein Schlagfluß machte ihr das Herz still und die regsamen Hände starr und untätig für immer.

Sie, die doch werken sollte in Stall und Haus, die sorgen sollte für Speis und Trank, für des Steinriegers und seiner Schnitter Notdurft und Gesundheit, – sie legte sich hin und starb.

Ließ das Feuer am Herd erkalten und die Mittagglocke verstummen, das Vieh brüllen und das Hauswesen verkommen.

Denn wer sollte droben in der Schlafkammer das Bett aufmachen, Kisten und Schreine ordnen und die Spinnweben aus den Ecken kehren, wenn sie es nicht mehr tat?

In einer Zeit, da doch Kucheldirn und Stallmagd draußen werken mußten vom frühen Tag bis in die späte Nacht!

Was Wunder, daß der gute Steinrieger nach dem Eingraben beim Leichentrunk droben im Wirtshaus ein Krügl ums ander leerte und dazu brummte: »Akkrat jetz in der Ernt[880] hats mi hänga lassen, die Alt! Hätt man d' Annemirl draußen am Feld so nötig braucht, und jetz muaß man s' hoamhocken lassen ins Haus und in Stall! – Tät not, i schaffet mir auf der Stell a Wirtschafterin an.«

Ja ja. Es war nicht so unrecht, was er sagte. Aber er hätte es trotzdem nicht sagen dürfen; denn er verdarb sich viel damit bei seiner und der Verblichenen Freundschaft.

Denn die Schwester der seligen Bäuerin sagte es geradeheraus: »Da siecht ma 's wieder, was s' eahm golten hat, mei arme Schwester! Grad zu der Arbat is s' eahm guat gnua gwen! Grad als a Magd hat er s' braucha kinna! Wenns anderscht gwen wär, hättens ja do Kinder herbracht! Aber net oa oanzigs Kind hams ghabt mitanand! Net oa oanzigs!«

Und sie redet laut und unverhohlen und hetzt auch noch die andern drauf. Aber des Steinriegerbauern einziger Bruder fällt ihr grob ins Wort: »Red nur wieder recht saudumm daher, du alter Predigtstuhl! Daß s' koane Kinder ghabt ham! – I bin froh, daß koa so a Wuzlwar da ist! Was sands denn nutz, die Schratzen? Gar nix. Grad daß s' der Verwandtschaft 's Erbteil wegfressen. – Herrvergeltsgott, daß amal für unseroan aa epps außaschaugt, bal er stirbt, der Hausl.« – »Wenn eahm net no amal 's Heiratn einfallt!« mischt sich eine alte Base ein. »I fürcht, ös brauchts gar net lang z'warten drauf, nachher hat er wieder oane. Der is alleweil scho a bißl a lustiger gwen, der Stoariagerhausl!« Zum Wittiber aber sagt sie laut: »Wia denkst dir jetz nachher du die Gschicht, Vetter? Moanst net, daß d' no amal ans Heiratn denka muaßt? – Ohne Wei' wirst net guat furthausen kinna!«

Der Steinrieger schaut sie mit glotzenden Augen an.

»I denk mir gar nix. Daß i jetz hoamgeh, denk i. Und daß mir morgn leicht a fünf, sechs Fuada Woaz hoambringen, bal's Wetter aushalt't.«[881]

Damit steht er langsam auf, trinkt sein Krügl leer und wendet sich zum Gehen.

An der Tür dreht er sich nochmals um und murmelt:

»Moants, was 's mögts. – I tua, was i mag.«

Und dann geht er gemach heimzu. –

Die erste Zeit nach dem Abscheiden seiner Bäuerin ist keine gute für den Steinrieger. Überall mangelt ihm die Hausmutter; in der Kuchel, in der Speis – im Stall und in der Scheune; des Morgens beim Aufstehen und des Abends beim Niederlegen.

Wie es denn auch sonsten im Leben so ist, daß man jegliches, was man besessen, erst zu schätzen weiß, nachdem man es verloren. –

Darum treibts auch den guten Steinrieger des Tags oft drei-, viermal hinüber zum Gottesacker und hin zu dem kleinen Hügel, darunter seine liebe Bäuerin ihre dunkle Ruhstatt gefunden.

Da stellt er bald einen Rosmarein, bald ein blühendes Geraniumstöcklein auf den schwarzen Erdhaufen oder auch ein Schüsselchen mit Weichbrunn für die friedsame Ruhe seines seligen Eheweibs.

Und er klagt der Toten seufzend seine Schmerzen und seinen Verdruß: daß ihm die Arbeit nimmer von der Hand ginge, – daß es wohl ein rechtes Kreuz wär mit dem faulen Dienstvolk, – daß halt sie ihm abginge auf Schritt und Tritt, und daß sein eheliches Himmelbett ihm nimmermehr den guten Schlaf bereite wie vordem. –

Allmählich aber wurden seine Besuche seltener und seine Unterhaltungen auch kürzer. –

Und zu guter Letzt kam er nur noch an den Feiertagen vor der Kirche auf ein Vaterunser hin zu ihr und gab ihr den Weichbrunn mit den Worten:

»Es geht nimmer alloans. I muaß wieder heiraten. Nimms net für unguat.«[882]

Also findet man den Steinrieger mittendrin wieder auf Freiersfüßen.

Freilich nehmen es ihm die Anverwandten übel. Doch er schaut nicht lange um sich, sondern hört fleißig hierhin – dorthin, ob nicht von einer die Rede wär, die er sich nehmen kunnt als Hausfrau.

Und da die Schmuser es allmählich innewerden: der Steinrieger sucht eine Bäuerin, – da kommen sie wie die Bettelleut am Freitag.

Jetzt kann er sich auswählen, was er will, der Bauer.

Eine mit fünfzigtausend Mark und einem Kropf, so groß wie ihr Geldsack. – Eine mit dreihundert Tagwerk Grund, doch mit einer alten Schwieger, die ihm gewißlich die Höll heiß machen tät. – Oder eine dritte mit eigenem Bauernhof und sechzig Stuck Vieh, eine Wittib. Allein an ihrem Karren hängen auch vier Kinder aus der ersten Ehe, die er doch billigerweis mitheiraten müßt.

Dies ist also nicht das Rechte.

Da kunnt ihm die dicke Breitmoserin von Berganger noch ehender taugen. Die hat nicht Kind noch Kegel, nicht Vater noch Mutter, – kein Leiden und kein Gebresten.

Eine Vierzigerin, groß und stattlich, hat sie einen schuldenfreien Hof und einen ansehnlichen Geldsack.

Und da ihr Breitmoser erst vor wenig Wochen gleich der Steinriegerin dahinging, ist sie noch zu freien.

Das wär ehender eine Bäuerin in seinen Hof!

Und so tritt er denn nach der Grummeternte über ihre Schwelle und sagt: »Grüaß di der Himmel, Breitmoserin. Der Schimmelwirt sagt, du hättst zehn oder zwölf Tagwerk Holz zum verkaaffa. Is dees wahr oder net?«

Dabei betrachtet er blinzelnd ihr großmächtiges Ich und denkt: »Guat beinand. Recht guat.« Die Breitmoserin ist nicht dumm. Sie ruft sogleich der Kucheldirn: »Rosina! An Happen Fleisch eina fürn Stoariager und a Bier!«[883]

Und sie langt den Brotlaib samt dem Salzfaß aus der Tischlade, indem sie sagt: »Werst Hunger und Durscht habn von dem Marsch. Hock di a weng nieder und iß an Brocka. Gsegn dirs Good.«

Aber da nach einer Weile die Kucheldirn zur Tür hereinkommt, gibts dem Steinrieger einen Riß durch Leib und Seel.

Denn was er da sieht, ist nichts anderes als sein eigen Fleisch und Blut, seine lebendige Jugendsünd, seine Tochter.

Eine jähe Hitze steigt ihm auf, und er fragt die Breitmoserin: »Wia lang hast es denn scho, dees Dirndl?«

»D' Rosina?« erwidert die Bäuerin. »Die hab i erscht auf Liachtmeß eingstellt, wia ihra Muatta ins Narrnhaus kemma is. Aber sie taugt mir net. Sie is mir z' langsam.«

Da meint der Steinrieger: »I kunnts glei braucha. Bals aa koa Gschwinde net is. Balst nix dawider hast, nimm i s' mit.«

Selbstverständlich hat sie nichts dawider, die Breitmoserin! Sie wird doch ihrem zukünftigen Hochzeiter keine Bitte abschlagen! –

Also packte die Rosina ihr Bündel zusammen und ging mit dem Steinrieger.

Da war sie nicht lange Kucheldirn. Denn der Steinrieger hatte am drauffolgenden Sonntag eine langwierige Zwiesprach mit seiner seligen Bäuerin droben am Friedhof. Und er beichtete ihr allerhand und meinte: »Muaßt mirs net für unguat nehma. A jeder is amal jung gwen. I versprich dir dafür, daß i nimmer heirat. Daß i mitn Dirndl zsammhaus', solang i no leb auf dera Welt. Und als a eigens onehma tua i 's aa.« – –

So kam es, daß der Steinrieger seine Verwandtschaft um ihr Erbteil betrog und doch nimmer heiratete.[884]

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 880-885.
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