Die blaue Krugel

[825] Dem alten Kronawitter seine einzige Tochter lag im Kindlbett.

Aber es war kein Stammhalter und kein Nesthockerl, das sie in dies armselige Dasein hergesetzt; vielmehr ein ganz unliebs und überflüssiges Bälglein, das keiner gerufen zum Kommen und keiner begrüßen und mit einem Ehrentrunk feiern mocht.

Und so kam es, daß der arm Wurm, kaum er den ersten Lufthauch dieser Erdenwelt verspürt, ihn gleich also kalt empfand, daß er nicht mocht darin weiterschnaufen, sondern vielmehr sich die Engeleinsfittich an die Ärmlein hing und dahin flog, wo solcher Unglückshascher schon mehr verweilen. Und, wie es schon sein mußt: hatte das Kindl bei den Kronawittern durch sein Kommen nicht viel Ehr aufgehoben, so mocht ihm jetzt bei seinem Hingehen auch kein Hahn gern nachkrähen; die Barbara, seine Mutter, wischte sich so ein drei, vier Zähren aus den Augen, zog ihm ein steif gestärktes Totenhemdlein an und sagte: »Waarst guat da gwen – aber bist aa guat aufghebt a so. Wer woaß's, was no wordn waar mit dir.«

Und der alt Kronawitter zimmerte selber das Trüchlein und meinte dabei: »Herrvergeltsgott, daß's gstarbn is, dees Wurm. Liaber a tote Schand wia a lebendige.«

Und da er die winzige Ewigkeitswiegen vollendet hatte, nahm er eine von den blauen Steinkrugeln aus der Speis, schwenkte sie im Brunnengrand und holte drunten beim Lebzelter den Totenschnaps. Denn man kunnt doch nicht wissen, ob nicht die Neugierd zum Leichenbeten käm oder auch die Freundschaft des Kindsvaters, der als schwerer Reitersmann irgendwo im Frankreich stand, indes seine Mutter als Austraglerin bei einer schlechtverheirateten Tochter ein elendigs Dasein führte.[825]

Also war beim Kronawitter eine Leich im Haus, hübsch aufgebahrt, zwischen Geranien und blühenden Menschenlebenstöcken, als sich draußen im Stall was riegelte.

Da lag die Blaßenkalm schon seit drei Tagen, tränend, brüllend und tauchend – und der Tierarzt sagte: »Abwarten.«

Man hatte den Sixenbauern geholt, einen erfahrenen und gescheiten Mann; aber auch der wußte nichts zu sagen als:

»Abwarten, was kemma muaß, dees kimmt scho.«

Und nun, grad um die Zeit, da man die Leichenbeter jede Stund erwarten kunnt, kam der alte Kronawitter aufgeregt aus dem Stall in die Kammer seiner Tochter Barbara und rief: »Wabn, geh abe zu der Loach; – i glaab, jetz kalbets, d'Blaßen!«

Die Wabn fuhr eilends in den schwarzen Spenzer.

»Ja ha! – Naa, wias nur sein kann! Just jetzand, wo ma si für d' Freundschaft richtn sollt! Ja, meine Zeit, i wer dir net viel heifa kinna, fürcht i!«

Sie kroch langsam in ihrer Schwäche und Mattigkeit hinein in die Stube.

Der Kronawitter aber rannte zum Nachbarn.

»Brandl, geh, i hätt a Bitt an di! – Schaug – so und so – kurz und guat – no ja, a Kaibe kimmt, und i bin ganz alloa.«

Und dachte dazu bei sich: »Herrgott! Wenn halt mei Kronawitterin no lebn tat,... oder wenn meine Buam vom Kriag da waarn ...«

Der Brandl besann sich hin und her, druckte lang herum und zeigte nicht gar viel Lust zum Helfen.

»Ja no ... ja mei. – Wenn i nur besser Derweil hätt! – Aber jetz sollt i Streu haun – und Kleemaahn – und Heu hodern ...«

»Und mir verkalbet derweil mei Blaßen!« sagt der Kronawitter bitter, kehrte der Brandltür den Rücken und dachte:[826]

»Kimmst scho aa amal um a Gfälligkeit; aber nachher wart! – Moanst, i woaß's net, warum daß d' net magst! – Loder, fader! – – –

Ja, ja – die Barbara! Es is nur guat, daß der Hascher glei selber so gscheit war und gangen ist!« –

Er lief heim ins Haus und in den Stall. –

Aber – da stand schon die alt Weberin, die künftige Schwiegermutter seiner Barbara, und sie werkte und schrie wie ein Roßknecht, indes die Wabn matt und fiebernd zugriff, um dem wie tot daliegenden Kälblein zum Leben zu verhelfen.

»An Sechter voll Wasser her!« schrie die Weberin grad. »An Strohwuschel her! – Schaug, daß d' Kuh in d' Höch bringst! – Wüh! Alte! In d' Höch, sag i! – Giaß eahm halt a kalts Wasser in d' Ohrn! – Her da! – Jetz wischst 's Kaibei trucka! – Nur schnell a bißl! – Sakra, wann sa si nur rührn tat! – Habts koa Dreikiniwasser da? – Oder an Weichbrunn? – Herrgott, der Kronawitter! – Da bist ja!« Sie schnaufte erlöst auf.

»Weilst nur da bist! – Wiast nur hast furtgeh mögn, wo 's so gnau gstanden is! – So was durft bei ins dahoam net vürkemma, dessell sag i dir scho! – Hast jetz 's Dreikiniwasser, Wabn?«

Sie wischte und rieb immer noch am Kalb, indes der Kronawitter sich um die Kuh bekümmerte und sie auftrieb.

»Du hast leicht redn, Weberin!« brummte er: »I renn umanand, daß mir oana helfa tat – und es geht mir koana zuawa. – Und warum? – Grad zwegn dein Buam! – Grad zwegn dera Schand da!«

Die Barbara trat wankend mit einer blauen Steinkrugel in den Stall.

»Da is a Dreikiniwasser!« sagte sie müd. »Der Vetter, der Hausl und die drei Sixnbuam san zum Betn da.«

»Red net lang! Her da, sag i!« rief die Weberin, welcher[827] grad eine grobe Antwort für den Alten auf der Zung lag, die sie aber lieber wieder hinunterfraß in Anbetracht ihres Sohnes, der ihr zu einem jungen Kronawitterbauern wie geschaffen deuchte.

Und sie riß der Wochnerin die Krugel aus der Hand und goß dem Kälblein die ganze Lache über sein gruselgelbes Fell, indes der Kronawitter brummte: »Ja no nachher, balst moanst, daß du Herr bist in mein Stall – nachher konn i ja geh.« Worauf er in die Leichenstube ging, die Freundschaft und die Neugierd begrüßte, aus dem Küchenschrank die schillernden Schnapsgläser holte und aus der Speiskammer die blaue Krugel mit dem »Leichenbitter«.

Derweil saßen die andern drin auf der Ofenbank, flüsterten über das Kindl, über die Barbara, über die Schand – und über den Alten, der sich samt seiner Tochter nicht ein kleins wenig schämt'.

Da kam er mit der blauen Krugel und den Gläsern.

»Alsdann, meine liabn Freund und Leitln; indem daß ös mir die Ehr oto habts und seids kemma nach dem alten Brauch – so is's billig und recht, daß i enk a bißl aufwart mit an kloan Kirschwasserl!«

Er stellte die Gläser aufs Fensterbrett und schenkte ein.

»Alsdann. Jetz trinkts amal: auf di ewi Seligkeit von dem Kloan – und auf a gsunds Hoamkemma von sein Vatan, auf daß mir nachher bald an Hochzatstrunk austeiln kinna.« Jeder setzte eine ehrwürdige Miene auf, und eins ums andere trat ans Fenster, nahm sein Glas und führte es an die Lippen.

Und der Vetter sagte: »Kronawitter, du woaßt es a so, was i sagn möcht – und was insa Wunsch is. – Sollst lebn – dei Wabn danebn – der Kindsvater bring enk a Freud – und 's Kindl hab d' Seligkeit!«

Und dann tranken sie.

»Pfui Teixel!«[828]

»Kreuzsakra!« – Das war ja Wasser! – Altes, leeres, moderiges Wasser!

Der Kronawitter fiel vor Schreck und Verlegenheit so auf die Ofenbank, daß sie krachte.

»Ja Himmelherrgott ... was hat mir denn die alt Hex da für a Gift gebn?...«

Im selben Augenblick kommt die alt Weberin fuchsteufelswild zur Stubentür herein und schnappt nach Luft.

»A saubere Tochter hast! – Moanst, daß i mein Buam an a sechane hergib! – Mir waars ja grad gnua!« –

Und damit ist sie auch schon wieder draußen.

Krachend fliegt die Haustür zu.

Der alte Kronawitter starrt ihr blöd nach, wie sie an den Fenstern draußen vorbeirennt und mit den Armen fuchtelt.

Indes die Leichenbeter entrüstet einer nach dem andern das Kindl mit Weichbrunn besprengen, dem Alten ein grobs Wort hinsagen – vom Leutderblecken und für den Narrenhalten reden – und sich davonmachen.

»Da hört sichs auf! – A Wasser!«

»Zu der Schand, wo ma hat in der Freundschaft – aa no dees Gspött!«

»Zu dem gehn mir glei wieder Leichenbetn!«

Beim Kronawitter im Stall aber lag ein scharfer Geruch von Kirschgeist; und die Barbara hockte bei dem Kälblein auf dem Stroh und sagte: »Jetzt is's scho, wia's is. 's Kindl hätt er alleweil nimmer lebendi gmacht, der Schnaps – und 's Gspött nimmer tot.

D' Hauptsach is, daß i die alt Raffel net zu meiner Schwieger krieg!« – – –[829]

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 825-830.
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