Feierabend

[917] Der alte Kreuzeder hat's Heimgehen im Sinn.

Ächzend und ziehend liegt er in den hochaufgebetteten Polstern seiner Liegerstatt, hat die eingebrochenen Augen weit offen, die brandigen Lippen fest zusammengepreßt und die groben, knochigen Hände auf der geblümten Zudeck ineinandergeschlungen.

Eine dämpfige Schwüle brütet in der Kammer; – die alte Stockuhr hackt langsam ihre Zeit, – die Fliegen tanzen leise summend um die Fransen der Perlenampeln an den Fensterstöcken.

Die Kreuzederin gießt aufseufzend aus einer Steinkrugel Öl ins Nachtlicht, setzt einen neuen Docht ein und stellt eine zerbrochene Kaffeeschale voll Weichbrunn auf den Nachttisch.

Eine Weile steht sie nachsinnend mit verschlungenen Händen vor dem Bett des Absterbenden.

Darnach bricht sie ein Zweiglein vom Rosmarinstock am Fensterbrett, taucht's in den Weichbrunn und besprengt damit ihren Kreuzeder.

Und sagt mit verhaltener Stimm: »Wia is dir denn, Vata?«

Und da der Alt nicht sagt: schlecht – oder: guat, – so zieht sie ihren Rosenkranz aus dem Sack, wickelt ihn um die hageren Finger des Vaters und murmelt: »Hilf, Herr, – er ziagt.«

Und geht leise hinaus und holt die andern.

Ihren Jüngsten, – den Hans.

Und die Zenz, das Maidl.

Und denkt an den Sepp, ihren Ersten.

Dann ruft sie die Ehehalten zusammen, – die Knecht und Mägd.-

Drüben beim Leinthaler läuten sie zum Feierabend.[917]

Da wispern die vom Kreuzederhof: »Jetz gilt's für eahm aa. Jetz macht er gähent aa Feiramd.«

Sie ziehen die Holzpantoffeln von den Füßen und gehen langsam und gedrückt die Stiegen hinauf, – hinein in die Kammer des Alten.

Der liegt starr, wie ehvor.

Nur die Augen wenden sich erkennend den Eintretenden zu.

Die Kreuzederin geht ans Bett des Sterbenden.

»Vata! – D' Leut waarn da ... zum Pfüagoodn.«

Der Hans tritt hinter sie und schaut über ihre Achsel nach dem Vater.

Und würgt an den Worten:

»Is dir net guat, Vata?«

Die Zenz stellt sich an das Fußende der Bettstatt, hält das Fürta vor's Gesicht und fängt laut zum weinen und jammern an.

Indes die Ehehalten scheu und verlegen an der Tür bleiben und den abscheidenden Bauern betrachten.

Der läßt den Blick langsam von einem zum andern gehen.-

Langsam bewegen sich die knöchernen Finger.

Langsam öffnen sich die ersterbenden Lippen. Und lallend haucht der Alte: »Leut.«

Die Kreuzederin beugt sich zu ihm nieder.

»Möchst eppas sagn, Vata?«

Der Bauer rafft die letzte Kraft zusammen.

»Muatta ... Leut ... ich muaß ... geh. – Halt's ... guat ... z'samm ... und schaugt's ... auf ... d' Sach.« –

Er setzt erschöpft ab.

Die Bäuerin gibt ihm mit dem Löffel ein Wenigs von dem roten Wein am Nachttisch.

Der Alt fährt fort:

»Hans,... der Schimme ... is leicht ... verdorb'n. – Und[918] der Fuchs ... derf net ... grittn werdn. – Hat d' Hürblerin ... scho kalbet? – Bal ... der Sepp ... vom Kriag ... hoamkimmt,... soll er ... an Hof ... habn ... – Leut ... i dank enk ... und ... nix ... für ... unguat.«

Hart und kurz abgerissen ist die Rede gekommen.

Noch einmal flackert das Leben auf. »Aufrichten!« flüstert er.

Die Bäuerin schiebt ihren Arm unter seine Polster.

Vürsichtig stützt sie den Sterbenden, bis er schier aufrecht sitzt.

Da hebt sich langsam seine welke Rechte, – fährt unsicher über die Zudeck und fällt müd herab.

»Insa ... Herr ... gsegn ... enk. – Hans ... Zenz ... Muatta ... Sepp! – Der Sepp ... soll bald ... heiratn ... daß ... a Bauer ... am Hof ... is. – O ... mei ... Heiland ... –«

Die Zenz schreit laut auf.

Der Hans tritt vom Bett weg – mit tiefgebeugtem Kopf.

Die Kreuzederin läßt die Kissen sinken.

Es ist aus.

Sie drückt dem Vater leise auf die Augenlider.

»O Herr, gib eahm die ewi Ruah ...«

Und der Ochsenbub läutet dem Bauern den Feierabend.

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 917-919.
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