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[794] Schon seit Menschengedenken pflegen die Bauersleute den Brauch, daß sie um die stille Zeit des Advents keine laute Hochzeit machen.

Ja, manche sagen sogar, man solle zwischen Kathrein und Heiligdreikönig überhaupt nicht heiraten, denn die um dieselbige Zeit geschlossenen Ehen schlügen gar oft zum Unglück aus.

Ob der Volksglaube dabei an das Walten böser und unholder Mächte gemahnt, oder ob er dem Unsegen religiöse[794] Ursachen und Wirkungen zugrunde legt, darüber denkt kaum einer nach; aber tatsächlich müssen schon zwingende Beweggründe vorhanden sein, daß sich ein versprochenes Paar in den Wochen des Advents einsegnen läßt.

So etwa, daß die Hochzeiterin nicht mehr weit hin hat, bis sie eine Wiege neben das Ehebett stellen muß.

Oder daß ein Hochzeiter gar geschwind ein goldenes Bremsscheit braucht, um den rollenden Bankerottskarren noch schnell aufzuhalten, ehe er ihm sein ganzes Heimatl über den Haufen fährt.

Aber daß einer bloß um der Ehe selber willen in der stillen Zeit heiratet, das ist gegen Brauch und Herkommen und fordert das Gerede der Leute heraus. Und so darf es Franz Schiermoser nicht wundernehmen, wenn heut, am dritten Sonntag im Advent, ganz Berganger und die Leute der umliegenden Orte des Kirchspiels von ihm reden, die Köpfe schütteln und ihren Unkenruf ertönen lassen.

Denn heute hat nach der sonntäglichen Predigt der hochwürdige Herr gewiß und wahrhaftig ganz laut und deutlich von der Kanzel herab verkündigt: »Zum heiligen Stand der Ehe haben sich versprochen der ehr- und tugendsame Jüngling Franz Schiermoser, Schiermoserbauernsohn dahier, und die tugendhafte Jungfrau Rosalie Scheuflein, Rechtsratstochter aus München. Erstes Aufgebot.«

So.

Gewiß und wahr auch noch!

Wie ein Ruck geht's durch die ganze Gemeinde.

Wie hat das geheißen? – Scheuflein! – Rechtsratstochter! – Und aus München! Ja, heiratet der jetzt wirklich die Städtische? – Die Sommerfrischlerin? – Die Tochter von der alten hochmütigen Stadtmadam, von der Adligen?

Vorbei ist's mit aller Andacht und Sammlung; ein Flüstern und Murmeln geht durch die Reihen der Betenden – Ellenbogen[795] stoßen sich, und die Blicke aller suchen die Kirchenstühle des Schiermoserhofs.

Aber weder bei den Mannsleuten noch bei den weiblichen Angehörigen des Hofes bewegt sich ein Mundwinkel, ein Auge – eine Miene.

Starr geradeaus schaut der Alte und sein Sohn, demütig gesenkt sind die Blicke der Großmutter, der Bäuerin, der Töchter und Mägde.

Und die Hochzeiterin selber ist gar nicht zu sehen.

Sie kniet hinter dem barocken Gitter über dem Hochaltar neben den frommen Frauen der Mädchenschule und blickt hinunter zu Franz.

Manchmal schielt eine von den armen Schulschwestern zu ihr hin – sonst bleibt sie ganz unbemerkt – bis nach der Kirche.

Da können es die Weibsleute der Gemeinde kaum erwarten, bis der Herr Pfarrer endlich sein Ite missa est gesungen und seinen Weihbrunn über sie gesprengt hat; sie rennen aus der Kirche wie die Geißen aus dem Stall und fangen draußen an zu schnattern wie eine Herde Gänse.

Hei, da geht's!

»Ja, was is denn jetz dös? Was hat jetz der hochwürdige Herr da verkünd't? Der Schiermoserfranzl heirat't! Jetz in der adventinga Zeit! Und a Stadtmadam heirat't er! – Ja hat jetz oana so epps aa scho g'hört!«

So ist die Red der einen.

Die Gegenred der andern aber ist die: »Ja Narr, ja Narr! So epps muaß der alt Schiermoser no auf seine alten Tag derleben und sie! – Heirat't der Bua a Stadtfrailein! – Ja ja. Bals die Leut gar z'guat geht, nachher werdns übermütig! – Nachher taugt eahna das rechte und guate Sach nimmer. – Nachher müassens auf d' Himmelsloater steign! – Aber insa Herrgott laßt d' Baam net bis in Himmel wachsen! Der find't seine Leut scho! Und dee aa!«[796]

Und eine Alte meint: »Jetz in heilinga Advent! Da hat er g'wiß epps ang'fangt, der Franzl! Gleichsehng tuats eahm scho, dem Hallodri! Is alleweil schon a solchener gwen!«

Worauf wieder eine andere jammernd ihre Meinung zum besten gibt: »Es is nur grad schad um den schön'n Bauernhof! Denn lang werds net dauern, nachher schwimmt er dahinab. Wia wird denn a Stadterin an Bauernhof dahaltn kinna! Wia wird denn a solchene fertig werdn!«

Aber die Reisertalerin sagt mit ihrem frömmsten Augenaufschlag: »Ah! Net fertig werdn, moanst, tuats! Die wird g'wiß und sicherlich fertig! Mit'm Haus und mit'm Hof und mit'n Sach! Und mit eahm selber aa – mit dem Deppn! – Aber es g'hört eahm net anderscht. Eahm net und die Altn aa net! Die hättn a andere Hochzeiterin aa no finden kinna als wia so a Stadtflugga. Gibt rechtschaffene Bauerndeandln grad g'nua da umanand!«

So geht das Mühlrad bei den Weibsleuten.

Und bei den Männern?

Oh! Mög keiner sagen, daß die still wären über diese Heirat! Die habens genauso notwendig wie die Weiber!

Nur daß sie nicht auf der Straße stehen bleiben wie diese, sondern den Postwirt und den obern Wirt, den Huber- und den Unterwirt heimsuchen.

Und auch sie haben Erbarmnis mit dem schönen Hof und fragen, wer wohl unter dieser neuen Herrschaft das Essen koche und den Stall richte und die Erdäpfel stecke und einernte? Und der Nachbar des Schiermoser läßt auch seine Meinung laut werden: »Mir kann si leicht denka, wia's kemma werd: Heut werdns mei Alte holn zum Brotbacka und zum Butterausrührn – und morgn mi zum Kaibeziahng. Denn die Stadtmadam mit ihrane seidigen Nerven fallt ja gwiß und sicherlich augenblickli in d' Ohnmacht und kriagt d' Kränk, bal a Kuah kalbet! O mei, o mei. Der arme Franzl. Aber wem net z'raten is, dem is aa net z'helfa.«[797]

»Ja ja.«

Und dabei ist aus dem Alten kein Sterbenswörtl darüber herauszukriegen, wie er über die Heirat seines Sohnes denkt!

Er schmunzelt nur, trinkt gemach seine Halbe Bier, raucht seine Sonntagszigarre und macht sich danach wieder auf den Weg hinüber zum Pfarrhof, wo sein Sohn und Rosalie das Stuhlfest feiern.

Derweil stehen bei der Leitnerkramerin so an die zehn Bäuerinnen und hecheln das Brautpaar so gründlich durch, daß auch nicht ein guter Faden an ihm hängen bleibt.

Und sie ärgern sich furchtbar, daß sie nichts Gewisses über diese Heirat wissen.

Nicht einmal Barbara Schiermoser kann mit einer Auskunft dienen!

Sie kauft nur etliche Meter himmelblaues Atlasband zum Ausputz für ihr Festgewand, sagt Grüß Gott und Adjes und geht wieder.

Dies ist natürlich ein neuer Anlaß zum Reden!

Und die alte Krautschneiderzenz meint: »Jetz i wenn Schiermoserin wär, i täts halt ganz oafach net gedulden! I saget halt ganz oafach naa, und der Handel wär aus und vorbei.«

Aber die Nachbarin des Schiermoser erwidert: »Moanst? Gell! Da hast aber falsch g'raten! Deswegen is der Handel no lang net aus! I woaß's ganz gwiß, daß sie, d' Bäuerin, naa gsagt hat. Und hat ihr doch nix gholfa. Gar nix. Bloß daß sie selber und die Altn ins Austraghäusl zogn san. Aber er und die Junga tean, was s' mögn.«

Das ist allerdings eine sehr interessante Neuigkeit, wenn man sie glauben darf.

Grad kommt die Schiermoserin selber in den Kramerladen und verlangt ein Päckchen Mandelkaffee und ein Pfund Zucker. Doch auch sie geht nicht aus sich heraus.[798]

Auf alle noch so spitzfindigen Fragen hat sie bloß ein »Ja«, »Nein« oder: »Des werdn mir scho sehgn.«

Und auf die boshafte Frage der alten Schleiferin, ob sie eine rechte Freude habe über die Hochzeit ihres Buben, erwidert sie ebenso boshaft: »No, bal er mir a deinige Tochter daherbracht hätt, würd i kaam an Kreizsprung gemacht habn! Und im übrigen is dees mei Sach, ob i a Freud hab oder net!«

Damit hat sie auch schon ihren Zucker und ihren Mandelkaffee in die endsgroße Rocktasche gesteckt, den Regenschirm genommen und die Ladentür geöffnet.

Sie muß aber doch noch unter der Tür ihr Gewand hochschürzen, obgleich es weder Regen noch Schnee draußen hat.

Denn grad, als sie auf die Straße treten will, gehen Franz und Rosalie lachend und scherzend am Laden vorbei, begleitet vom Schiermoserbauern.

Erst als die drei beim Postwirt das neue, schöne Fuhrwerk einspannen und samt den Schiermosertöchtern darin Platz nehmen, macht sie sich auf den Heimweg.

Die Gemeinde aber hat dadurch aufs neue erwünschten Stoff zur Unterhaltung und Wasser auf ihre Teufelsmühlen erhalten.


Die Hochzeit und der goldene Tag des jungen Schiermoserehepaares sind vorüber.

Es war ein einfaches, stilles Heiraten, ohne Prunk und Lärm, ohne Gevatterschaft und Wirtshaus.

Aber es war trotz alledem ein schöner, heiterer Tag, und die Schiermoserin samt ihrer Mutter barsten schier vor Wut und Verdruß, da sie von ihrem Fenster aus zusehen mußten, wie sich der ganze Hof freute und vergnügte, wie die Knechte die Zither traktierten und die Paare lustig in der Stube herumwirbelten.[799]

Der alte Großvater war trotz seiner Taubheit auch dabei und konnte danach die halbe Nacht nicht aufhören, die Schönheit dieser Hochzeit zu loben und zu preisen, so daß die Alte endlich ganz außer Rand und Band geriet, ihm alles, was auf ihrem Nachttischchen lag, an den Kopf warf und schrie: »Staad bist mir jetz guatwillig, Tropf, elendiger! I will nix wissen von dera Sippschaft!«

Worauf der gute Alte ganz verwundert den Kopf schüttelte, die Zudecke über das Gesicht zog und einschlief.

Rosalie ist also jetzt Schiermoserin – oder, wie das Dienstvolk sie nennt: Madam Bäurin.

Nicht etwa aus Spott oder sonst einem üblen Grund wird sie so genannt.

Nein.

Sie sah am Tag ihrer Hochzeit in dem schneeweißen Seidengewand und dem feinen Schleier so gut und vornehm aus, daß der Schiermoser mittendrin das Glas erhob und zu den Versammelten sagte: »Buam und Deandln, i sag enk dös: A schönerne Frau und a liaberne Bäuerin kriagt koaner mehr als insa Franzl. Drum sag i enk: Stößts mit mir o auf a glücklichs Lebn und auf an guatn Gsund von insana liabn Madam Bäurin! Sie soll lebn!«

Damit war das Wort geprägt, und wenn nun ein Knecht oder eine Magd etwas fragt oder berichtet, verlangt oder erbittet, so beginnt ein jedes seine Red' mit diesem Wort: »Madam, i tät fragn ... Madam, i muaß sagn.«

Und seltsam, Rosalie und Franz empfinden diese Anrede weder unrecht noch verletzend.

Das Wort kommt aus gutem Gemüt und begegnet wieder gutem.

So geschiehts, daß sowohl der alte Schiermoser wie auch Franz selber dem Dienstvolk gegenüber nicht von der Schiermoserin oder von der Bäuerin reden, sondern nur von der Madam.[800]

Daher kommts, daß auch drüben im Kirchdorf und drunten im Markt die Geschäftsfrauen und Handwerker diese Anrede gebrauchen.

Freilich, so harmlos und ohne Ränke, wie auf dem Schiermoserhof, ist es wohl kaum gemeint, wenn die Bäckerin in einem Ton, so süß wie ihre Zuckerbrezeln, sagt: »Recht guatn Tag, Madam Schiermoserin! Was geht ab, was darfs sein?«

Oder wenn die Postwirtin sich erst die feiste Hand an die Küchenschürze wischt, ehe sie diese Rosalie darreicht mit den Worten: »Jessas, d' Madam Schiermoser! A kloans bisserl, Madam! – Muaß grad no gschwindse meine Finger a weng abwischn, bevor i Eahna guatn Tag sag, Madam! Soo ... I hab halt die Ehr, Madam Schiermoser; i hab die Ehr ...«

Doch macht sich Rosalie nur wenig daraus.

Sie ist so zufrieden und glücklich als Bäuerin und als ihres Franzen Hausfrau, daß sie nur auf ihn hört und auf dessen Vater.

Freilich tut sie sich nicht allzu leicht in ihrem neuen Stand; sie, das Stadtmädl, weiß halt doch nicht so in allem bäuerischen Brauch und Tun Bescheid.

Da ihr aber die Schwägerinnen und das Dienstvolk getreu zur Seite stehen, arbeitet sie sich rasch ein und merkt gut auf bei allem, was ihr neu ist.

So leben die beiden jungen Leute glücklich in ihrem Heimatl, und mit ihnen freut sich jeden Abend auf den nächsten Tag ihr Vater, der Schiermoser.

Nur sie, die Schiermoserin, will nicht teilhaftig werden des Glückes ihres Sohnes.

Wie eine Nachteule verkriecht sie sich in ihrem Häusl, lebt einsam und trüb dahin und hofft auf ein baldiges Abscheiden gleich einer alten, müden Spitalerin.

Aber sie muß leben.[801]

Ein untätiges, freudloses Leben; noch verdüstert von schwarzen Gedanken der Rachsucht und des schwergekränkten Bauernstolzes.

Und sie bohrt sich immer tiefer hinein in ihren Groll und Haß und schließt sich auch von der übrigen Welt ganz ab und geht zu guter Letzt nicht einmal mehr in die Kirche.

Die alte Großmutter liegt schon seit Wochen krank danieder.

Aber während sie früher selbst bei schweren Leiden das Bett haßte und sich so schnell als möglich wieder aufraffte, liegt sie jetzt still und ergeben und seufzt ein übers andere Mal: »Es is nix mehr auf der Welt, bal der Mensch alt und unnütz wird. Die Jungen ham koa Religion und koa Sittsamkeit nimmer, die kümmern sich um koan Brauch und um koa Ehr ... ah was ... dees Beste wär, man könnt d' Augn zuamacha und nimmer auftoa in alle Ewigkeit!«

Und da eines Tages ihren alten tauben Eheherrn der Schlag trifft und man ihn hinausträgt zum Hoftor, da bricht sie ganz und gar zusammen, und kaum einen Monat danach muß die Schiermoserin auch ihre Ewigkeitstruhe mit den Blumenstöcken des Austraghäusls schmücken und sie hinabgeleiten zum Gottesacker.

Da wird es ganz seltsam still und leer in ihr.

So still und leer wie in dem Häusl.

Und sie wird mürb und klein, verzagt und lebensmüde in dieser Einsamkeit.

Und ihr Morgengebet gleicht ihrer Abendandacht und klingt aus in die Bitte: »Herrgott im Himmel, erlöse mich von dem Übel meines Daseins. Amen.«

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 794-802.
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