[343] Des Weidhofers alter Hund heulte in langgezogenen Klaglauten, als ich mich an jenem Morgen aus meinem Traum gähnte und mich noch lebend und wohlauf fand, obgleich mich eben mein Widersacher totgeschossen hatte.
Die Sonne stand schon so hoch, daß ihr Schein nur noch ein Ecklein meines Fensterbretts streifte, und ich sprang eilends aus dem Bett.
Da – bumm – die Scheiben des Fensters klirrten; abermals erschreckte mich ein Schuß, während drunten im Hof ein Knecht den Hund mit lautem Schelten in seine Hütte wies.
Und wieder und wieder krachte es und hallte von den Bergen zurück; draußen vor der Kammer und auf der Stiege[343] gings tripp trapp, der Meßmer gab kurze Befehle, die Ziehmutter lief hustend und schnaufend an meiner Tür vorbei, die Weibsleute schwatzten und lachten, und das Büblein, das Mathiasle, schrie und kreischte, als ob's im Messer steckt'.
Und mit einemmal fiel es mir ein: 's ist ja der Hochzeitstag der Schwaigerin – und der Jungfer, meiner liebsten Kathrein.
Da liefs mir siedigheiß den Rucken hinauf, und eiskalt überkams mich; ich gedacht mit Zittern und brennendem Schmerz jener Nacht, die ich als die glückhafteste meines Daseins gepriesen, und da ich die Jungfer als mein liebstes Bräutl gewähnt und ihr mein ganzes armseligs Leben versprochen hatte.
Nun sollt also ein anderer mit ihr hausen und für sie werken und sorgen, dessen ich mir selbsten ehmals so geschmeichelt hatte und darüber mich ein tiefes Schämen ankam. Doch stieg darnach erst leis, dann aber immer mächtiger eine boshafte Freud in mir auf, darob, daß dieser andere, der sie nun heimführen sollt, annoch nicht der erst gewesen.
»Bist ja dennoch der Beschissene!« dachte ich; »ich bin lang vor dir dagewesen und hab sie mein herzliebs Kathreinl geheißen und meine Freud an ihr ghabt!«
Lachte voll bübischer Lust für mich hin: Ha! Jungferlein! Hast gewähnt, ein Kindl wärs gewesen, bei dem du geschlafen; dachtest, ein Kind hätt dir deine roten Zöpf zerzaust, deine Wang gestreichelt und deine Augen und Lippen gebusst! Mich dünkt, es war wohl ein mehrerer gewesen denn ein Kindl!
Ach, da mußt ein jeds Augenblicklein jener Lieb herhalten in dieser Stund für meine schändliche Freud, und ich wähnte, damit alles Schöne und Herzliebe leichtlich in mir totzumachen und nur noch Grimm und Verachtung[344] für die falsche Dirn zu empfinden, da ich doch nachmals noch gar oft jene Zeit mit stiller Freud wieder durchlebte, ja, niemals im Leben hab aufhören können, des Maidls in tiefer, warmer Lieb zu gedenken und mich nach ihr zu sehnen.
Hatt also das Herz voller Gall und Gift und fluchte meiner kläglichen Gestalt und meinem elendigen Aussehen, fluchte dem Schelmen, der es verschuldet, und schwur bei mir selber, daß ichs ihm, so ich ihn einmal unter die Finger bekäm, reichlich ausmessen wollt, was er mir eingemessen. Derweilen wurde es im Weidhof immer lebendiger; vom Hof drang das Klingeln der Röllein herauf, mit denen die Geschirrung der Hochzeitsgäul geschmückt wurde; pfeifend und singend taten die Knecht ihre Arbeit, putzten und striegelten die Rosse und behingen sie mit Buschen und Bändern. Das Kuchelmensch stand im Festgewand am Brunnen und wusch und schwenkte einen Korb voll Gläser und Krüg für den Eingang und Ausgang, das ist, für die beiden Frühmahlzeiten und den Morgentrunk bei Ankunft der beiden Hochzeiter, und vor der Abfahrt zur Kirche.
Und da ich endlich aus meiner Kammer trat, prasselte und brodelte es mir von der Kuchel herauf entgegen, Geschirr klapperte, des Weidhofers Schnallenschuh knarzten über die Dielen, und die Nandl sang mit weinerlicher Stimme ihr Büblein in den Schlaf und fuhr es in dem hölzernen Karren am Hausflöz hin und her.
Aus der Kammer der Jungfer scholl das helle Lachen der Hochzeiterin und ihrer Nähterin, und von der Wohnstube herauf drang gedämpftes Zitherspiel und die halblauten Gsangln unserer Kostbuben.
Begab mich also zu ihnen hinab und wurde sogleich lustig und mit Scherz empfangen; und es sang mir der ältere von uns Kostbuben, der Hausl, gleich munter entgegen:
[345]
»He Büaberl, geh eina,
He Büaberl, kehr zua,
Balst a Feirtagwand o'hast
Und gnagelte Schuah!
Balst sakrisch tanzen kannst
Und schön hofiern
Und d' Sunnreuther Dirndln
Zum Lebzelter führn!«
Da mußt ich nun wohl oder übel meinen Schmerz und Grimm verbeißen und ein guts Gesicht zum Gespiel machen, auf daß ich nicht des Spruchs teilhaftig würd: Wer den Schaden hat, braucht ums Gespött nicht zu sorgen.
Aß alsdann meine Morgensuppe und kümmerte mich um das Kindlein, bis das alt Sixnwaberl, ein arms Häuslleut, kam und das Wuzerlein auf etliche Tag zu sich holte, bis die Hochzeit vorüber und die Nandl wieder in Ordnung wär.
Derweilen kamen die Musikanten ins Haus, gaben den zwei Hochzeiterinnen etliche Weisen als ein Ständchen und machten sich darnach zu den Hochzeitern, um auch ihnen den Tag anzublasen.
In der Wohnstube versammelten sich nun alle Hausgenossen, Knecht und Mägd, und der Weidhofer, mein Ziehvater, fragte ein jedes auf Treu und Gewissen, ob alles in Haus, Hof und Stall wohl gerichtet und getan sei, ob das Vieh bei gutem Gsund sei und nirgends was fehle. Und da ihm alle auf Ehr und glaublich die Gewißheit gaben, daß alles in der Ordnung war, sagte er: »Also, Leutln, nachher will i enk heunt alle miteinand auf d' Hochzat lassen; und soll ein jeds auf mein Namen kriegn: vier Speisen zu jeder Mahlzeit und Bier soviel, bis halt ein jeds langt. Aber mit der Bedingnis, daß einer von enk Bubn auf d' Zeit und unter der Zeit einmal heimschaut[346] zum Vieh, ins Haus und in Hof. Futtern tut man wie z' Feiertägs und melken auch. Also, jetzt wißt ihrs!«
Darnach lief er in die Kirche.
Nach diesem kam die Nandl in ihrem schwarzwollenen Brautgewand und einem Flitterkränzlein im Haar zur Tür herein und bat die Stalldirn, ihr die langen Haarbänder und den Rosmarin anzuklufen.
Steckte ihr also die Dirn ein paar himmellange, breite Bandmaschen hinter den Brautkranz aufs Haarnest und machte ein Rosmarinkränzlein um das flitterne drum, behing ihr darnach den Hals mit allerhand silbernen und blechernen Ketten, Kreuzlein und Amuletten und heftete ihr einen langen Rosmarinbuschen auf den Brustfleck.
Unterdessen begann vom Kreuzberg her wieder ein lustigs Schießen; da lief die Weidhoferin, meine Ziehmutter, eilends in ihre Kammer, um sich festtäglich herzurichten und zu schmücken.
Kam auch nach einer geraumen Weil in einem reichgefältelten bläulichen Gewand, mit seidenem Brustfleck und goldenen Litzen besetzt. Auf ihrem Kopf saß eine wunderliche, steife Spitzhaube aus goldenen Börtlein, Bändern und Blonden; ein feines Schleiergewebe bedeckte ihre Stirn und den Scheitel, und ein prächtiger Silberspieß steckte in ihrem geblümten Brokatmieder.
Sah also gar gut und fürnehm aus und stund ihr alles so wohl an, daß ich, ungeachtet meines Herzwehs und Grimms, einen großen Gefallen an dieser Tracht fand und mich ein heftiges Verlangen ankam, ein Maler zu sein und die Ziehmutter in solcher Gestalt zu konterfeien. Fragte sie auch, warum man solche herrliche Gewandung nirgends mehr fänd; worauf sie sagte: »Weil das schon gar lang ist, daß solchs modisch gewesen; ist ja mein Brautgwand und meiner Mutter, Gott hab sie selig, ihre Brauthauben. – Gibt ja auch ganz andere schöne Sachen[347] jetzt; – bringen ja neumodischs Zeug von überall her: von Welschland, von den Franzosen und von der Münchnerstadt! – Ist auch nit schiach – für die Jungen.«
Ja, da hatte sie recht; denn als nun die Tür aufging und die ander Hochzeiterin, das Kathreinl, hereintrat, da bracht ich das Maul nimmer zu und riß die Augen auf, daß sie mir übergingen. Das flimmerte von Seide und Gold, von Silbergehäng und Geschmeid; Spitzen ums güldene Brautkrönlein, Fransen am Miedertuch, Edelstein in den Fürstecknadeln und Perlen in den Ohrgehängen. Da bauschte sich eine brokatne Schaube und prangte drüber ein weißes, seidenes Fürtuch mit Blonden und Perlen, und klirrte und knisterte es bei jedem Schritt und schimmerte das Gewand bald silberig, bald grün und rötlich. Das Haar aber trug sie gar kunstvoll aufgesteckt und hatte ein köstlichs Myrtenkränzlein um die steingeschmückte Brautkron. Mit lieblichem Lächeln ging sie von einem zum andern und dankte für die Wünsch, die ihr ein jedes mitgab; doch wartete sie bei mir vergeblich auf dergleichen Redensart: ich stand vor ihr, wortlos, mit flammendem Gesicht und klopfendem Herzen, faßte ihre beiden Händ und drückte sie heftig, während mir in meinem Sinn bloß das eine Wort umging: Kathreinl!
Da schrie sie leis auf und sagte bittend: »Mathiasle! 's ist gut!«
Worauf ich ihre Händ losließ und mich umwandte.
Da war alles in den Wind gestreut: mein ganzer Grimm und Schmerz, die Gewißheit ihrer Heirat, – alles war vergessen, und ich glich einem Kind, das da glaubt, es müßt seinen Willen durchsetzen um allen Preis der Welt, – ich hatte nur noch einen Wunsch und ein Verlangen, daß ich sie wieder wie ehemals um den Hals nehmen durft und mein herzliebes Kathreinl heißen.
Trug mich also mit dem Gedanken und hatte das Herz[348] voller Gier, mein unsinnigs Verlangen zu stillen, dabei ich aber nach außen hin vor den Leuten ein gar ruhigs und ehrbars Wesen zur Schau trug.
Indes fuhren draußen zwei Chaisen vor: dem Weidhofer seine, die den Häuslpauli brachte, und die vom Lackenschuster, darin der Anderl selber kutschierte.
Gleich liefen alle Mannsleut hinaus, und indes die Bräute sich eilends in eine Kammer versteckten, empfingen sie die beiden Hochzeiter mit Juchzen und Schreien und führten sie ins Haus, da es dann abermals an ein Grüßen und Plärren, Glückwünschen und Juchzen ging, daß man sein eigens Wort kaum mehr verstund.
Da kam der Hochzeitlader scharf angeritten, band sein Rößl an den Brunnen und lief hinein in das Haus; und derweilen die beiden Hochzeiter geschwind aus der Stube verschwanden, öffnete er die Tür und rief:
»Grüaß enk der Himmel und grüaß enk Gott!
Heunt sechts mi alle in ara großen Not:
I hätt zwee Jungherrn von Sonnareuth epps Wichtigs zum Sagn
Und kunnt s' um alls in der Welt nindascht findn oder dafragn;
Drum hätt i halt jetzand a großmächtige Bitt an enk Leut;
Geh, leicht's ma zwee Kuahglocken, daß i fleißig damit läut,
Und daß i s' de zwo Hochzeiterinnen um 'n Hals umma bind,
Damit daß a jede no vor der Kopulier ihren Hochzeiter findt!«
Ging also einer der Knechte hinaus, brachte zwei von unsern Kuhglocken und läutete damit durchs Haus.
Da kamen die beiden Hochzeiter lachend wieder in die Stube und führte jeder sein Bräutl an der Hand. Darüber schien der Lader, oder was er mich dünkte, der Bandelnarr,[349] gar erfreut und steckte einen großmächtigen Rosmarinzweig zu seinen vielen Bändern auf den Hut, juchzte und machte allerhand Sprüch und Reime.
Derweil hatten die Weibsleut den Tisch aufgedeckt und die Weidhoferin etliche Schüsseln mit Voressen, Kraut und Würsten hereingetragen, was man den Eingang heißt; und es wurde nun fröhlich gegessen und dazu Bier und Schwarzkirschenschnaps getrunken.
Darnach klopfte der Bandlnarr mit seinem langen, reichverzierten Stab etlichemal auf den Boden; da standen alle vom Tisch auf, und der Lader machte den Abdank. Das ist eine gar schöne Red in guten Reimen, darin auch der dahingegangenen Eltern und lieben Freund gedacht wird. Hab sie aber leider nicht in meinem Sinn gehalten können, denn ich bei diesem Abdank gleich den andern hab so viel schneuzen, krigeln und augenwischen müssen, daß mir davon alles entfallen ist.
Unterdessen begann es von der Kirch zum Amt zu läuten, und alles stellte sich in Ordnung: Die Fuhrwerke wurden vor die Haustür gebracht, und es stiegen die Hochzeiter in die eine, die Bräut in die ander Kutschen; die Knecht und Mägd aber samt der Weidhoferin und den Kostkindern saßen nach gutem Verschluß des Hauses auf den gezierten Leiterwagen, davor vier Rösser gespannt waren. Und es ritt der Hochzeitlader voran und führte den Zug durch das ganze Dorf, obgleich die Kirch schier an dem Weidhof lehnte; doch gings ohne Juchzen und ohne Musik mit großem Ernst dahin, indes vom Turm alle Glocken läuteten und vom Berg die Böller krachten.[350]
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Mathias Bichler
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