Ada Christen

Nachbar Krippelmacher

[48] Es steht nichts mehr dort als ein kahler Baum und ein windschiefer Pumpbrunnen. Das Haus, der schmale Garten, der große eingezäunte Hofraum, alles ist verschwunden, und eine Planke aus neuen Brettern schließt den wüsten Platz ab.

Jetzt deckt der Schnee mitleidsvoll die aufgewühlte Erde zu, und fremd gehen fremde Menschen vorbei und ahnen nicht, wieviel Lust und Leid auf dem eingeplankten Stück Boden gefühlt wurde, wieviel Lachen und Schluchzen in die Lüfte scholl, als noch das einsame Haus da oben stand neben dem niederen Hügel. Damals gab es keine breiten Straßen und Gassen, keine kühlen, vornehmen Leute in dem stillen Winkel; unsere Nachbarn, welche da lebten, schlossen sich lustig aneinander, halfen einander, zankten miteinander, vertrauten einander. Es war ein fröhliches Leben da in der Arbeiterecke, und besonders für uns Kinder, wenn die Weihnachtsfeiertage heranrückten.

Vorne am Ende des Flures wohnte der dicke Nachbar Krippelmacher und Türe an Türe sein Nachbar, der Weber. Bei dem Krippenmacher war es immer lustig, denn er und sein Sohn, ein flinker lachender Bursche von etwa vierzehn Jahren, waren Musikanten, und wenn die Monate heranrückten, wo die Krippenmacherei ruhte, da nahmen sie ihre Geigen und spielten an Sonntagen in den kleinen Schenken der Vorstadt zum Tanze auf. Je näher aber der Winter kam, desto voller wurde ihre Werkstätte von kleinen Arbeitern, und in den letzten vierzehn Tagen vor dem Christfeste hantierte schon alles, was im ganzen Hause und in der Nachbarschaft geschickte und gesunde Finger hatte. Es war aber auch für uns Kinder eine lustige Arbeit, denn das, was wir da machten, war ja halb Spiel für uns und halb Erwerb.

Gar wenige Menschen mögen jemals gesehen haben, wie so ein Kripplein entsteht, welches zur Weihnachtszeit auf dem Markte eine große Rolle spielt, die Schaufenster aller Spielwarenhandlungen schmückt und das Entzücken aller Kinder[48] ist. Selbst die, die es machten, freuten sich, wenn es so glitzernd und flimmernd fertig vor ihnen stand. Wie sie es machten?

Auf ein schuhlanges, flaches Brettchen, das zur Hälfte grün bemalt ist, werden an allen vier Ecken Holzstäbchen festgeleimt, die vorderen zwei sind handhoch, die hinteren doppelt so lang. Sind die Gestelle also hergerichtet, dann kommen große Kübel voll Leimwasser, in dieses werden breite Bogen von dickem, grauem Papier getaucht, wieder herausgezogen und dann zu unförmigen Knäueln zusammengedrückt; alle die großen und kleinen Hände formen aus diesem feuchten zerknüllten Papier über die vier Stäbchen gespannte Felsen, welche sich kühn nach hinten aufbauen und ganz unten in der Mitte eine kleine Höhle bilden. Das läßt sich nicht gut so hübsch erzählen, wie es flinke Finger zurechtmachen, wenn jedoch über diese grauen, leimfeuchten Felsen zerstoßener Glimmer gesiebt wird und blaugrauer Streusand, dann bedarf es keiner großen Einbildungskraft, sich glitzerndes Felsgestein vorzustellen. Kleine steife Bäumlein aus grobem Draht und grünem Papier, aufgefärbtes zartes Moos, Strohblumenknösplein werden dann auf die Felsen geklebt, in der Höhle wird ein winziges Futterkripplein festgemacht, in dieses kommen zierliche Strohhalme, und darauf wird das splitternackte Christkindlein gebettet. Ochs und Esel sind alsdann die nächsten, welche ihren Einzug halten, diese kleinen Tontierlein werden zu Häupten des Sohnes Gottes gestellt, im Vordergrunde aber werden Maria und Joseph festgeleimt, die beiden samt dem Jesuskinde haben große Heiligenscheine aus Rauschgold, und da die ganze Rauschgoldarbeit in einem Handgriffe gehen muß, wird auch gleich der Morgenstern, welcher über der Krippe schwebt, an ein Stückchen Draht geklebt und an die höchste Felsenspitze gehängt. Leuchtet der Stern, dann lassen die Krippenmacher den Müller mit dem Mehlsack auf dem Rücken, die Bäuerin mit dem Eierkorb, den Hirten mit seinen Schafen aufmarschieren. Zuallerletzt werden auf einem Felsen die Heiligen Drei Könige mit ihren Opfergaben aufgestellt, und wären die drei Unglücklichen[49] lebendig, so müßten sie eines elenden Todes sterben, denn es führt nirgends ein Weg zu jener Felsplatte, von welcher sie immerfort zu dem Stern emporschauen.

Es war also wieder einmal Weihnacht, und flimmernd standen auf treppenförmigen Brettern die Krippen rundherum in der Stube und hingen auf schaukelartigen Gestellen sogar an den Wänden und von der Decke nieder. Der Nachbar Weber, dem die Füße schwer waren, weil er tagsüber an dem Tretstuhl arbeitete, kam auch hinüber in die helle warme Stube, saß müde da und hörte dem Geplapper der kleinen Arbeiter zu, denn da wurden ganze Schauspiele aufgeführt, den Tonfiguren wurden allerhand wundersame Reden in den Mund gelegt, ja sogar Ochs und Esel unterhielten sich miteinander, die Schafe blökten oft herdenweise, und das Kindlein in der Krippe mußte vor Kälte so unmenschlich laut schreien, wie nur ein langer Bursche mit erfrorenen Ohren und Händen sich zurechtlegen konnte, daß er schreien würde, wenn er splitternackt zur Weihnachtszeit in einer Krippe liegen müßte. Manchmal wurde die Arbeit ein wenig beiseite gelegt, und gebratene Kartoffeln rückten an, der Krippelmacher geigte ein Stück, oder die zwei kleinen Mädchen des Webers sangen, denn die konnten zwitschern wie die Lerchen, so daß selbst der Vater mühsam den schweren Husten anhielt, um seine Kinder zu hören.

Der Weber war ein sehr armer Mann, der harte Tage mit unbeugsamer Geduld ertragen hatte. Er war krank, recht krank; niemand als er wußte, wie es um ihn stand, denn er saß hustend vom grauen Morgen bis in den sinkenden Abend am Webstuhl und arbeitete schweigend, damit seine Kinder ihr karges Brot hatten. Seit sein Weib tot war, hatte ihn niemand lachen gesehen; was sie getan hatte, das fleißige Weib, mußte nun er, der unbeholfene Mann, für die beiden Mädchen tun, er wusch und kochte nun sogar für die Seinen. Dabei fiel seine Brust immer mehr ein, die Schultern wurden immer höher, und die entsagenden Augen schauten immer größer aus dem wachsbleichen hageren Gesicht. Zuweilen, wenn der behäbige Krippenmacher an des Nachbars Tür[50] pochte und mit seiner lachenden Stimme hineinrief: »He! Nachbar! Gehen wir nicht ein wenig in die Felder mit unseren Kindern?«, ließ er das Schifflein ruhen, wandte sich auf dem schmalen Sitzbrett um und sagte in einem Tone, der aus seinem sehnsüchtigen Herzen herauskam: »Ja, Nachbar Krippelmacher, ich dacht heut schon selber dran, ich will nur erst meine Kinder zusammenrichten.«

Der dürftige Putz der Mädchen wurde dann hervor geholt, und mit frauenhafter Fürsorge zupfte und steckte der stille Mann jedes Band und jede Falte zurecht, und dann nahm er die Kinder rechts und links an die Hand und ging mit dem Krippelmacher hinaus über die Feldwege durch das wogende Korn. Aber selbst da draußen konnte er schweigend dahinschreiten, in die blaue Luft hineinschauen und sie einschlürfen wie einen köstlichen Trank. Seine gelblichen Wangen röteten sich dann leicht, das dünne ergrauende Haar schob er dann immer mit allen Fingern in die Höhe, als sollte die Luft auch[51] durch seinen müden Kopf strömen. Sie kehrten erst heim, wenn die hohen Pappeln an der Straße lange Schatten warfen, wenn alles voll Abendfrieden und Ruhe war da draußen ... jedesmal blieb er bei dem letzten Baum stehen, schaute zurück und sagte fast wehmütig: »Nachbar Krippelmacher, wissen Sie, ich hab nur den einzigen Wunsch, einmal ein paar Stunden da in der Luft zu liegen, im Schatten von dem großen Pappelbaum dort schlafen, das müßt wohltun, Nachbar Krippelmacher!«

Er hat sich aber diesen Lieblingswunsch nie erfüllen können, der Webstuhl hielt ihn ja fest. Das ging so fort, jahraus, jahrein, und während seine Kinder heranwuchsen, verwebte er sein Leben Stück um Stück für sie. Endlich aber kam der Tag, an welchem es ihm schwer wurde, das Webschifflein hin und her zu jagen, und er ging also schon am Mittag mit seinen schweren geschwollenen Füßen hinüber zu dem Nachbar Krippelmacher.

»Das ist gescheit, Nachbar!« lachte der Alte und schob die Mütze auf seinem kahlen Kopf schief. »Bleiben Sie heut bei uns, helfen Sie mit, unsere Arbeit ist leichter als das Abzappeln am Webstuhl. Sie schauen heut übel aus, Nachbar, wie geht's denn, he?«

Der Weber nickte nur dankend und saß mitten in dem Kindertrubel schier gedankenlos, er rief manchmal mit gedämpfter Stimme eins seiner kleinen Mädchen heran, streichelte ihnen die glatten blonden Köpfe, strich ihnen die Schürzen zurecht und schüttelte verstohlen ihre roten Hände, es regte sich sogar etwas wie ein Lächeln in seinen Mundwinkeln, als die Kinder vergnügt sangen und sprangen. Am Abend in der Dämmerung rückte er näher an seinen Nachbar hin, fuhr verschüchtert und schweigend eine Weile mit den flachen Händen auf seinen Schenkeln hinauf und hinunter, und dann sagte er halblaut: »Nachbar, ich hätt eine Bitt!«

»Heraus damit!« murmelte der andere gutmütig.

»Krippelmacher, da ist mein letzter Wochenlohn, unten beim Krämer bin ich mit sechs Groschen im Rückstand, noch vom Vorletzten ... nachher beim Bäcker von dieser Woche, wenn[52] Sie morgen hinschicken, möchten Sie das bezahlen für mich?... Ich werd morgen nicht ausgehen können.«

»Gern will ich das. Aber Weber, ist das gar so wichtig?« lachte der dicke Mann.

»Freilich, Nachbar Krippelmacher, denn wissen Sie ...«, er unterbrach sich und fingerte beteuernd in der Luft herum, »ich hab mein Lebtag keine Schulden gehabt, lieber habe ich und mein seliges Weib in unsere eigenen Finger gebissen als in ein Stück Fleisch, das nicht bezahlt war, und so sollen's auch einmal meine Kinder machen, nicht wahr, Krippelmacher?« »Freilich, freilich, Weber«, erwiderte dieser und sah von der Seite mitleidsvoll in das graublasse Gesicht, das im flackernden Lampenscheine dem Manne arg verändert erschien.

»Und dann, wenn ich einmal nicht ... aufstehen könnt ... liegen müßt, Nachbar! Sie würden schon für meine Kinder den Frühstückskaffee machen lassen, gelt?... Es tät auch dazu ausreichen ... das Geld ... und nachher ... freilich halt ... nachher ...«

»Was?«

»Meine Kinder haben sonst niemand auf der ganzen Welt als mich, Krippelmacher ... Sie ... sind der einzige gute Mensch ...«

Das war alles stockend, zagend und doch so feierlich hervorgebracht, daß der alte Mann die Pfeife aus dem Munde nahm, mit der Spitze rund auf die glitzernden Kripplein wies, die Augenbrauen ernsthaft in die Höhe zog, seinen Arm in den des Webers schob und so Schulter an Schulter ihm fast ins Ohr schrie: »Nachbar, die Welt stirbt noch lang nicht aus, und solang es kleine Kinder gibt, wird es Weihnachten geben, und solang es Weihnachten gibt, wird es Kripperln geben, und so lang werd alleweil ich die schönsten Kripperln machen, die am Markt sind, und damit noch zwei Kindermagen vollstopfen können und vier Kinderhänden was Rechtes lernen in der Krippelmacherei. Da, meine Hand drauf, Nachbar Weber, und jetzt legen Sie sich ruhig schlafen.«

»Jetzt geh ich ruhig schlafen ... Nachbar!... Vergelt's Gott!... Ich hab nicht viel vorwärts können mit der Red mein[53] Lebtag, g'redt hat mein seliges Weib über alles, ich hab halt nur gearbeitet«

Er trocknete sich die Stirne mit der Rückseite der Hand, nahm seine Kinder rechts und links, nickte allen zu und ging schwerfällig wieder zurück in seine einsame Stube. Zuerst brachte er die Mädchen zu Bette, legte ihnen alles zurecht für den morgenden Tag, streichelte ihnen immer wieder die Haare aus der Stirn und schaute in die hellen Kinderaugen, bis sie sich schlossen im Schlafe ... Dann ging er langsam auf und nieder in den Strümpfen, damit er seine Mädchen nicht weckte, und endlich setzte er sich matt auf das Brett vor seinem Webstuhl und ließ das Schifflein versuchend einigemal hin und her[54] fliegen, das Geräusch störte ja die Seinen nicht; als sie noch ganz klein gewesen, war das Klappern und Sausen der Arbeit ihr Wiegenlied, und als sie schwere Kinderkrankheiten durchmachten, sang der Webstuhl sie gar oft in den Schlaf.

Der Mann begann rascher zu arbeiten, die roten Flecke auf seinen Wangen traten schärfer hervor, und sein Blick folgte unablässig dem Schifflein ... Mit einmal ließ er die Arme sinken, fuhr nachdenklich prüfend mit den Händen über das Gewebe, dann hängte er das Schifflein aus, nahm die Schere und schnitt vorsichtig die letzten Fäden des gewebten Stoffes durch, seine Arbeit war fertig ... Aber als er die Schere fortlegte und sich erhob, da hielt er sich fast erschreckt an den braunen Pfosten des Stuhlgerüstes fest, er drückte seine Wange an das alte Holz und streichelte es so zärtlich, wie er die geliebten Häupter seiner Kinder gestreichelt hatte, mit dem Werkzeug hat er sie ja ernährt ... Und nun schritt er zu dem einzigen Schrank, der in der Stube stand, dort nahm er ein reines Leinenzeug und seine besten Kleider heraus, zog alles fürsorglich an, brachte seine Haare in Ordnung und blies die Lampe aus ... Dann schüttelte er das Kopfkissen eines Bettes zurecht, glättete die Decke und streckte sich auf das Lager hin, ein leichter Seufzer, schwankend zwischen Aufatmen und Schmerzgefühl, löste sich aus seiner Brust, und dann begann er zu flüstern und zu murmeln, immer ein und dasselbe, immer die demütige und inbrünstige Bitte für seine Kinder.

Als der Mond durch das Gebälke des Webstuhles schaute, da wendete ihm der Mann sein geduldiges Gesicht zu und atmete leiser, als ob ein tröstender alter Freund zu ihm gekommen wäre.

Drüben bei dem Nachbar Krippelmacher ging es noch lustig zu, da hielten die kleinen Tonfiguren noch große Reden, und die gebratenen Kartoffeln sprangen im Backofen herum vor Hitze.

»Ich weiß nicht, mir ist der Weber heut recht übel vorgekommen, Weib, meinst nicht?« fragte der Krippelmacher verdüstert, »ich möcht einmal hinüberschaun, vielleicht braucht er etwas.«[55]

»Ja, ja, schau nach, Alter!« drängte die gutmütige dicke Frau, und der Mann ging und klopfte sachte an die Türe seines Nachbars.

»Bin munter«, flüsterte es drinnen mühsam.

Der Krippenmacher trat zögernd ein und sah im ungewissen Mondlicht den Mann in seinem Feiertagsgewande daliegen. »Oho, Weber, ganz sauber angetan, wollen doch nicht fortgehen heut noch?«

Da langte die hagere Hand nach der des Krippenmachers, und es wisperte beschwörend: »Nicht die Kinder wecken, Nachbar ... es wird Ernst ... ich wart von Viertelstund zu Viertelstund auf den Tod ... Nachbar!... Kinder ... Krippelmacher ... bitt'...«

Die gewaltsam ruhige Stimme zitterte, und der Nachbar schwenkte ratlos sein Taschentuch mit der einen Hand, während er mit der andern die feuchtkalte des Webers drückte. »Aber, Nachbar Weber!«

Er räusperte sich, der Trost wollte nicht aus der Kehle, denn jetzt fiel das Mondlicht voll in das sanfte Gesicht des Kranken, und da sah er, wie die graugesprenkelten Haare festklebten an der feuchten Stirn, wie die Augen groß und erloschen in der Höhle lagen und wie nach dem Ohre zu die Haut gelb und abgestorben war.

»Krippelmacher?...«

Der flehende verschwimmende Blick sagte mehr als jedes Wort, mehr als die Hände, die sich glatt aneinanderlegten und sich mühsam bittend emporhoben bis zu dem Herzen des Nachbars.

»Alles, alles will ich tun für die Kinder, wenn Sie einmal –«, er unterbrach sich, schlug die Hände zusammen und setzte sich erschöpft neben dem Bette nieder.

»Immer ... kälter ... finste – rer ... Nachbar ... den Pfar – rer ... Kinder!!...«

»Nachbar!...« Der Krippelmacher rannte zu der Türe und rief mit erstickter Stimme: »Kinder, schnell ins Pfarrhaus, die Letzte Ölung ist notwendig; Weib, komm herüber. Lichter! Geschwind!«[56]

Jählings wurde es ängstlich-lebendig in dem Hause; ein paar der Kinder liefen nach dem Pfarrer, andere brachten mehr Lichter, als jemals in der niederen Stube auf einmal gebrannt hatten, und alle die kleinen und großen Krippenmacher standen zagend, schluchzend im Flur und zwischen der Türe, näher wagten sie sich noch nicht heran. Der Alte aber und sein Weib knieten neben dem Lager des Sterbenden und hielten seine starren Hände fest auf den Häuptern der schlaftrunknen Kinder, die nicht wußten, welch ein tapferes, liebevolles Herz schwächer und schwächer schlug. Der Weber lag langgestreckt da, seine Augen hingen an den jungen verwunderten Gesichtern, und das, was er ihnen oft gesagt hatte, sagte er ihnen auch jetzt, aber zum ersten Male fast drohend, befehlend: »Brav sein!... fleißig arbeiten!...« Und mit einmal rannen große Tropfen aus den weitgeöffneten Augen, und er flüsterte, dankbar zu ihm aufblickend und bittend: »Dem ... Krip – pel – macher ... fol – gen.«

Da klingelte es draußen in der Dunkelheit, aus der Ferne, ganz leise kam der feine Ton heran, jetzt war er näher und lauter, immer näher und näher ... Der Krippenmacher hob die Kinder mit einem Ruck vom Boden auf, gab sie dem Nächststehenden in die Hände, und so kamen sie von einem Nachbararm auf den anderen bis hinaus vor die Türe, wo sie dann ein Mann in die Werkstatt des Krippenmachers trug. Jetzt klingelte es schon laut vor dem Haustore, kam klingelnd über den Flur, und der Knabe, der das Glöckchen schwang, trat klingelnd in das Sterbezimmer ... Der Priester folgte mit dem Allerheiligsten, und wo er vorüberschritt, fielen die Arbeiter erschüttert auf die Knie und lagen da mit gesenkten Häuptern, nur der Weber richtete sich empor und saß harrend auf seinem Lager, das Antlitz hielt er dem Priester zugewendet, und seine Hände hatte er mühselig gefaltet ... Plötzlich flog ein Schatten über sein Haupt, die dunklen Augensterne wurden grau.

»Herr ... Pfar – rer, schnell ...«

»Mein Sohn! Wenn du deine Seele ...«

Der Priester faßte den Sinkenden und legte sein müdes Haupt[57] sachte auf das Kissen, das sanfte hinschwindende Gesicht neigte sich ergebungsvoll, und die dürren Lippen lispelten demütig im Beichttone: »Mein ... Leb – tag ... ge – ar – beit ... und ...«

Kein Laut mehr.


Sie gingen nach und nach alle fort, nur der Nachbar Krippenmacher blieb neben dem toten Weber sitzen die ganze lange Nacht.

Das Licht erlosch, doch er zündete es nicht wieder an, der Mond schien ja hell und klar in die öde Stube, und als der Totenwächter im Halbschlafe so hinschaute auf den leeren Webstuhl, da war es ihm, als schwebe das Schifflein geräuschlos hin und her, als bewege sich der Treter unhörbar, und dann sah er plötzlich die schlanke Gestalt des Toten, der lautlos alle Fäden des Gewebes entzweischnitt.

Der Krippenmacher rieb sich die Augen, nahm die starre Hand des Webers in seine beiden Hände, schüttelte sie feierlich und sagte dann, um sich Mut zu machen, recht laut: »Nein, nein, du bist und bleibst tot, du armer Kerl. Gott gib deiner Seele die ewige Ruh! Aber«, er nickte dem stillen Nachbar versichernd zu, »der Krippelmacher wird Wort halten und wird schon sorgen für die zwei.«

Und der Nachbar Krippelmacher hat ehrlich Wort gehalten.[58]

Quelle:
Ada Christen: Das Haus zur Blauen Gans. Berlin 1964, S. 48-59.
Erstdruck:
In: Unsere Nachbarn. Dresden (Heinrich Minden) 1884.
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