Nachtbild

[69] [69] Heil dem Lebend'gen, der mit voller Hand

Sich zu den Armen und Verlassenen wendet,

Der seinen Trost aus kühlen Bronnen spendet.

Heil dem Propheten in der Sonne Brand!

Dranmor.
[70]

Nacht bedeckt den kleinen Friedhof.

In dem dumpfen Leichenhause

Flackert zitternd einer Lampe

Rothe Flamme. – Heiser knarren

Jene Thüren, die das Leben

Sorgsam von dem Tode trennen.

Meine Hand hat sichern Druckes

Sie geöffnet; wie im Schlafe

Aber wandelnd, dacht' ich nimmer,

Sie zu schließen. –

Leise, wie mit Geisterstimmen

Klagt der Wind dort in den Weiden,

Pochet zürnend an die Fenster,

Flüstert mit den kranken Blumen,

Die aus der Verwesung sprießen,

Treibet mit den Wetterhähnen

Auf dem Thurm sein ächzend Spiel,

Flieget wimmernd um das Häuschen,

Daß die Fenster ängstlich klirren[71]

Und die Flamme furchsam zuckt ...

Jener bangen rothen Flamme

Schwankend Leuchten schien ein Winken,

Dem ich folgte, traumbefangen,

Und nun steh' ich in dem engen

Schaurig-öden, kahlen Stübchen, –

Ich allein bei einem Todten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Auf zwei Schragen und zwei Brettern

Ruht der Todte, alt und häßlich,

Nur in Lumpen eingehüllet;

Ihm zu Haupte brennt die Lampe,

Deren zuckend rothe Lichter

Öfter wie ein Lächeln gleiten

Über die erstarrten Züge

Des verkommenen Gesellen.

Eine harmlos gläub'ge Hand

Suchte seine wildgeballten,

Nun im Tod gekrampften Hände

Fromm zu falten, wie bei Jenen,

Deren Leben schloß ein Beten. –

Auf zwei Schragen und zwei Brettern

Ruht der Todte, still und einsam,

Schläft den letzten, traumlos, leeren,

Ewigen Schlaf.....[72]

Noch am Morgen jagten Bosheit,

Breit Behagen – dem das Elend

Unverständlich – Rohheit, Kaltsinn

Ruhlos ihn von Thür zu Thüre,

Und des Abends wankte jener

Unglücksel'ge, wie betrunken,

Durch die Straßen. Hunger weinte

Aus den kranken, trock'nen Augen,

Aber Trotz zuckt um die Lippen,

Als die Buben, die ihm folgten,

Näher trabten, um das Unthier

Zu beschauen, das man eben

Auf Befehl der weisen, milden

Obrigkeit von dannen hetzet.

Vagabund! so klingt es lachend

Aus dem Munde wilder Kinder;

Vagabund! so klingt es höhnend

Aus dem Mund der klugen Alten;

Vagabund! schreit roh der Büttel;

Vagabund! so ächzt er selber,

Weitertaumelnd. – – –

An der Straße, bei der Grenze

Todesmüde sinkt er nieder.

Fern verklinget das Gejohle

Jener tugendsamen Meute,[73]

Die ihn hetzte und befriedigt

Von dem Schauspiel heim jetzt kehret

Zu dem Herde. –

Dunkel senket schon die Nacht sich

Nieder auf die stille Erde,

Und es senket auch die Nacht sich

Nieder auf die dunkle Seele

Des Gehetzten, des Verfluchten;

Über seinem armen Antlitz,

Grau, wie Spinngeweb' gebreitet,

Liegen Elend und Verzweiflung.

Stumm umklammert er den Grenzstein

Und starrt finster nach dem einz'gen

Trüben Sterne, der herabschaut,

Auf sein Elend. –

Und es lösen von dem Steine

Los sich seine feuchten Hände

Und sie zucken, zittern, haschen

Nach den dunklen Nebelschatten.

Wild empor sind sie gerichtet,

Eine stumme, fürchterliche,

Himmelstürmend, crasse Drohung,

Wild empor noch schreit der Augen

Gottverneinend herbe Klage.

Aber plötzlich sinken nieder[74]

Seine Arme; es verlöschen

Seiner Blicke letzte Blitze.

Von dem schwarzen Himmel knisternd

Fällt der einz'ge Stern hernieder,

Und ein Windstoß, zaust die Haare

Einer Leiche .....

– – – – – – – – – – – – – – – – –

War es wie bei jenen Geiern,

Die da wittern, wo das Aas liegt,

Das sie nährt sammt ihren Jungen?

War es des Geschäftes Eifer,

Der ihn trieb, Dich aufzusuchen?

Denn es fand Dich, der berufen,

Sich zu nähren von den Todten,

An dem Grenzstein fand Dich, einsam,

Kalt und todt der – Todtengräber.

Mit den rauhen, derben Händen

Trug er selbst Dich in das Stübchen,

Das bestimmt ist für die Leichen

Jener, die am Wege sterben;

Für die Gott- und Weltverlass'nen

Ist dies Stübchen, ist der Schragen. –

Morgen aber scharret ein Dich,

Dort im letzten Friedhofwinkel,

Einsam, wie er Dich gefunden,[75]

Für gar kargen Lohn der Alte,

Er allein kann Dich verwerthen:

Tod ist Brot ihm! –

Und doch trug auf seinen Händen

Dich ein Mensch zum Ort des Friedens,

Und es schlug ein Menschenherz

Einmal doch an Deinem Herzen.....

Schaurig Mitleid: Dich verspottend

Noch im Tode, giebt er Dir nun,

Was im Leben Dir wohl nimmer

Ist geworden: Licht und Ruhe

Dach und Hände, die Dich nimmer

Von sich stoßen! ....

– – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Nacht bedeckt den kleinen Friedhof,

In dem dumpfen Leichenhause

Flackert ängstlich knisternd, zuckend,

Jener Lampe rothe Flamme,

Deren Schwanken mir ein Winken,

Dem ich folgte traumbefangen –

Und noch steh' ich in dem engen

Schaurig-öden, kahlen Stübchen, –

Ich alleine bei dem Todten! –

Quelle:
Ada Christen: Aus der Asche. Hamburg 1870, S. 69-76.
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