Faustina

[6] Unseliges Weib! – Ich sah Dich auf der Bühne,

Ich hörte Dein berauschend-süßes Singen,

Ich sah Dich lachen und den Becher schwingen,

Sah Deinen Blick – und fühlte Deine Sühne...

Denn Deines Auges dunkle Wimper zittert,

Schaut es den Mann, der auf den sammtnen Kissen

Der Loge ruht – den Du an Dich gerissen

Mit wahrstem Lieben – den Dein Reiz umflittert.

Und immer wieder sucht Dein Blick den seinen,

Du fühlst sein Aug' an Deinen Lippen hangen

Voll heißem, jugendfrohem Liebverlangen –

Da zuckt Dein Mund von unterdrücktem Weinen...

Wohl bist Du schön, die königlichen Glieder

Sie leuchten durch die schimmernd-weiche Hülle,

Der gold'nen Locken üppig-duft'ge Fülle

Rollt auf dem stolzen Nacken glänzend nieder.

Und dennoch ist, Unselige, Dein Lieben,

Dein echtes, tiefes, viel zu spät entglommen,

Bald wird der Tag, bald wird die Stunde kommen,

Wo von dem Glück nur Elend Dir geblieben.[7]

Du fühlst schon heute Deiner Jugend Sterben,

Die Todesangst sie klingt selbst durch Dein Lachen,

Du weißt es: der Geliebte wird erwachen –

Und sein Erwachen, Weib, ist Dein Verderben...

Umhüll' Dein Haupt alsdann mit schwarzen Schleiern

Und komm' zu mir in jener Todesstunde,

Hier kannst Du bluten lassen Deine Wunde

Und das Begräbniß Deiner Jugend feiern.

Quelle:
Ada Christen: Schatten, Hamburg 1872, S. 6-8.
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