|
Die Geschichte, wie die Walter Hanni eine alte Jungfer geworden ist und warum sie von den Leuten in der Blauen Gans Jungfer Mutter genannt wurde, ist nicht so leicht und schnell zu erzählen, als man meinen könnte, daß sich ein armes kleines Leben erzählen läßt. Sie wundert sich heute noch, wenn man ihr sagt, daß sie viel erlebte, denn so eigentlich weiß sie nur, daß sie immer fleißig gearbeitet hat.
Sie ist vor der Zeit schneeweiß und alt geworden und hat nie eine andere Freude gehabt als ihr Kind.
Ihr Kind war der eheliche Sohn ihrer Jugendfreundin, der Weis Leni, welche sich längst Madame Madeleine Weis nennt. Der kleine Ziehsohn der Hanni wurde nach seinem Vater Leopold Weis getauft und wußte seit seinem zehnten Jahre, daß sein Vater sich ein Taschenmesser in das Herz stieß und zu Füßen seines wunderschönen Weibes starb. Sooft der kleine Polderl seine »Frau Mutter« sah, ging ihm das, was er gehört, durch den Kopf, mehr als einmal wollte er sie fragen: Warum? – aber er getraute sich nicht, sie war so schön und sah so vornehm aus und redete wenig mit ihm. Niemand konnte oder wollte ihm die ganze Geschichte von dem Tode seines Vaters erzählen.
»Wenn du groß bist und alt genug dazu, wirst schon alles hören«, tröstete ihn seine Ziehmutter, die Hanni, wenn er ihr vorgreinte davon.
Der kleine Weis Polderl wußte auch nicht, daß sein sterbender Vater ihn als heiliges Vermächtnis der Hanni hinterlassen hatte und daß die Leni, seine »Frau Mutter«, ihn der Hanni nur zugeschickt hatte, weil der sterbende Mann dem Weibe in der wilden, lustigen Art drohte, er werde aus seinem Grabe aufstehen und sie allnächtlich als kohlschwarzer Mann schütteln und beuteln, bis ihr die Seel halb aus ihrem wunderschönen heiligen Leib fliege, wenn sie den letzten Willen nicht erfüllen sollte.
Die Leni war und ist immer eine ehrbare, tugendhafte, fromme[83] Frau und so felsenfest überzeugt von der dies- und jenseitigen Nichtsnutzigkeit ihres Ehemannes, daß sie an seinen nächtlichen Ausflügen nach dem Tode niemals zweifelte. Sie ließ auch darum gleich am nächsten Morgen das Kind zu ihrer »falschen Freundin« tragen und dem Toten ein teures Begräbnis bereiten. Bald stand auch auf seinem wohlgepflegten Grabe ein Kreuz von Stein, und jedes Jahr ließ sie an seinem Todestage eine Seelenmesse lesen. Gewissenhaft kleidete sie sich ein Jahr in schwarze und ein zweites in graue Gewänder, und sie war in der schlichten Trauertracht mit ihrem goldroten Haar schöner als jemals.
Der Sohn der Leni blieb also bei seiner Ziehmutter, die er, als er erst reden konnte, »Frau Mutter« nannte, wie die anderen Kinder es zu ihren Müttern sagten, obwohl es altmodisch war. Da gab es aber ein großes Entsetzen in der Blauen Gans, aus Respekt vor der Leni wurde es ihm gelinde verwiesen und ihm eindringlich erklärt, seine rechte Frau Mutter habe ihn nur »dem Mädel« – der Hanni – zum Aufheben gegeben; denn die Hanni sei gar keine Frau und werde keinen Mann nicht kriegen und eine alte Jungfer werden!
Von der ganzen wohlmeinenden Auseinandersetzung behielt das Büblein das, was er oft gehört hatte: »alte Jungfer«, und Gott weiß, wie er sich das in seinem Köpfchen zurechtrückte, aber er nannte von da ab die Hanni »Jungfer Mutter«. Erst wurde der Titel von den Nachbarn spottend wiederholt, als jedoch die Kinder ihn stündlich lallten und schrien, bürgerte er sich ein, und das alte Mädchen heißt nun schon seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr anders unter den Leuten, die sie kennen.
Gleich nach dem Tode ihres Mannes wollte die Leni den Unterhalt ihres Sohnes bestreiten, aber da erwies sich die falsche Freundin zum erstenmal im Leben ihr gegenüber widerspenstig. Sie nahm keinen Kreuzer und ließ die Frau Mutter des Polderl nur um zwei Dinge bitten: Zuerst, daß sie die alte Einrichtung der Wohnung behalten dürfe für ihren Ziehsohn, als Erbschaft von seinen Urgroßeltern, Großeltern[84] und Vater, und dann, daß die Frau Mutter das Geld für den Polderl in die Sparkasse legen möchte bis zu der Zeit, in der er ein Handwerk lernen müßte. Dabei blieb es.
Der Polderl wurde ein Poldl, ein Leopold endlich, als er die Kunstschlosserei erlernt hatte, aber seine »Jungfer Mutter« hatte von seiner »Frau Mutter« noch immer kein Geld genommen. »Ich laß mich derweil recht schön bedanken, ich kann derweil gar nichts brauchen für unsern Buben«, war immer die gleiche Antwort.
Als der Poldl Soldat werden mußte, kam wieder eine sauber geschriebene Anfrage, ob denn der Sohn jetzt nichts brauche in dem neuen Stande. Da ging die Hanni in das Stübchen des Advokatenschreibers, der auch ein heimlicher Maler und Dichter war, Virgilius Stramirisko hieß, der Kürze wegen aber der »einsame Spatz« genannt wurde. Nur in besonders wichtigen Dingen ging die Hanni zu dem alten Herrn, dessen rosiges glattes Gesicht nicht zu seinen fünfundsechzig Jahren und seinen schneeweißen Locken passen wollte.
»Ich bitt, Herr ei ...«, sie mußte schnell den einsamen Spatzen schlucken, so gewohnt war sie ihn, »Virgilius, schreiben Sie mir an meinen Sohn seine Mutter, aber gelten's, Wort für Wort, wie ich's Ihnen vorsag?«
»Ja, Jungfer Mutter«, sagte er fein lächelnd und setzte sich zurecht.
Die Hanne streifte mit beiden Händen über ihre Schürze, räusperte sich und begann:
»Frau Magdalena Weisin!
Ich danke dir für deinen guten Willen, aber derweil ist kein Geld nicht notwendig, die selige Großmutter vom Poldl hat seinem gottseligen Vatern auch nichts mitgeben können als ihren Segen, und um den tät ich dich für unsern Sohn recht schön bitten, den einen Segen von mir hat er eh' schon, kriegt er deinen dazu, so hat er zweimal so viel als sein gottseliger Vater kriegt hat. Indem ich dir die beste Gesundheit wünschen tue, schließe ich mein Schreiben und danke dir mein Lebtag.
Mit Achtung Johanna Walter.«
[85]
Die Frau Mutter legte den Brief hübsch zu manchen andern und wartete mit ihrem Segen, bis der Leopold kam und ihn holte und damit versehen nach Bosnien marschierte.
Für die »Jungfer Mutter« begann eine schwere Zeit, aber sie hielt sich aufrecht und still wie allzeit. Sie saß am Fenster bei ihrer längst neumodischen Handmaschine und dachte an den fernen Sohn ...
Ach, wie oft tauchte sein Vater, der tote Leopold, vor ihr auf ... der hatte nur einen Arm mit heimgebracht von Italien; sie dankte Gott demütig, daß ihr Poldl noch mit zwei Armen Krieg führte in Bosnien.
Jeden Abend fuhr sie mit leichter Hand über die alte Wiege, die noch bei ihrem Bett stand, genau wie vor fünfundzwanzig Jahren, als das Kind immer neben ihr schlief.
Fünfundzwanzig Jahre!
Heute ist sein Geburtstag, und heute soll er heimkommen aus Bosnien, das hat er seiner Jungfer Mutter sogar von der vorletzten Station noch telegrafiert. Die ganze Blaue Gans lief zusammen über das Ereignis – ein Telegrafenbrief!
Und nun sitzt sie am Fenster, wartet und murmelt vor sich hin: »Ob er daran denkt, daß heut sein Geburtstag ist?« Sie läßt die Hand von der Maschine gleiten, hält den Atem ein und lauscht.
Ein kleines, blondes, zerzaustes Mädel kommt zum Fenster gesprungen und plappert hastig: »Laß mich die schönen Blumen sehn, Jungfer Mutter, für den Leopold sein's, gelt?« Sie steckt das Köpfchen ins Fenster, bläht die feingeschwungenen Nüstern, schnuppert und guckt hastig um und um wie ein Eichkätzchen.
Die Hanni lacht.
»Wart nur, bis mein Sohn wieder da ist, dann zeig ich dir alles.«
»Ja – nein – aber, weißt, die Laternenanzünder-Godel erzählt's schon allen großen Leuten, daß 's den Rosenbuschen von seiner Frau Mutter g'sehn hat, und alle Kinder haben ihn unterm Haustor g'rochen, gleich wie ihn der Dienstmann bracht hat,[86] mit ein' seidernen Papier! Das seiderne Papier will ich aber auch sehn!« schreit sie herausfordernd und springt wieder davon.
Die alte Jungfer streicht ihre Scheitel zurecht, glättet ihre frische Schürze und schaut wieder auf den Torbogen. »Er müßt schon da sein, der Eisenbahnzug ist gewiß in Wien ... wenn er keine Verspätung hat«, fügt sie in Gedanken bei.
Sie soll ihm nicht auf dem Bahnhof entgegenkommen, hat er sie in seinem letzten Briefe gebeten, nicht unter den vielen Leuten, die sie hin und her stoßen, weil sie sich nirgends auskennt, sie soll ihn nur zu Hause erwarten und sich keine Sorgen machen, wenn er etwas später kommt.
Und sie wartet ... wartet ... wartet.
Sie sucht die Zeit hinzubringen, wie es nur angeht. Sie hat viel gearbeitet, gebetet, mit den Nachbarn geplaudert, die sich zu ihrem Fenster stellten, sie hat sogar gesungen! Alle die lustigen und empfindsamen Wiener Lieder, die er als Kind mit[87] ihr zwitscherte, und so ist der Tag hingegangen, sie aber lauscht und wartet.
Draußen im Hof verklingen die schrillen Kindersrimmen, der Tageslärm erstirbt, und der Herbstabend fällt ein, schnell, düster, wie von dem wimmernden Wind heruntergedrückt, der noch in der Höhe saust. Jetzt fährt er schon über die Dächer, mit einmal aber stürzt er sich herab, springt durch den Hof und jagt pfeifend alle Papierfetzen, Taubenfedern, Haarbüschel und wirren Kram vor sich her, erwischt die Brunnenstange und schüttelt sie, daß sie wie ein Uhrpendel hin und her baumelt und angstvoll knarrt. Da schlurft ein Mensch über den Hof – hopp! – Der Wind wirft sich über den greisen Laternenanzünder, packt den langen grünen Kittel, zerrt an ihm und bläht ihn auf wie ein Segel. Der Alte stößt atemlos einen Dragonerfluch nach dem andern aus, und der Wind fliegt jählings davon, wieder hoch über die dunklen Hausdächer hinweg.
Seit langer Zeit brennt in dem großen Hof der Blauen Gans das Gaslicht, aber es brennt in so kleinen Flämmchen, daß es schwer zu unterscheiden ist, ob die dünnen Lichter nicht doch verkappte Öllampen sind.
Die junge Brut der Blauen Gans behauptet steif und fest: »Der Laternenanzünder-Göd vernagelt die Gasbrenner, so daß nur ein Viertellicht heraus kann, und nachher schimpft er, daß bei dem ›Luftlicht‹ sich alle Leut die Füß brechen müssen.«
Der alte Mann schleppt seinen Lampenstock bis zu dem Fenster der Hanni; als er ihr blasses verfallenes Gesicht sieht, sagt er gutmütig: »Mußt nimmer warten, Jungfer Mutter, heut kann er nimmer kommen, dein Bub!«
»Aber schau, Göd, der Kaffee ist schon seit drei Stunden fertig.« Dann zupft sie an seinem grünen Kittel. »Du, ein' Gugelhupf hat ihm dein Weib heimlich g'backen, du darfst aber nichts wissen davon, hat's g'sagt, weil du so schmutzig warst und ihm nur drei Packeln Tabak schenkst zum Geburtstag«, flüstert die Hanni, und die beiden nicken sich zu und lachen lustig.[88]
»Seine Frau Mutter hat ihm einen Rosenbuschen g'schickt mit einer seidernen Einfassung! Fuffzig Rosen beieinander auf einmal, mir scheint, man riecht's bis daher, gelt? Und eine Visitenkarte steckt mittendrin, da steht drauf, sagt der einsame Spatz: Mei-nem Heim-gekehr-ten zum Geburtstage. Siehst, sie denkt halt doch an ihn.«
»Mei-nem?!« Der Alte lacht kurz auf. »Bin ich mein Weib«, knurrt er dann, »daß ich aus allem, was die Lenerl zu heiligen Zeiten tut, ein blaues Wunder mach? Was hat er denn von die fuffzig Rosen? Laß anschaun!«
Sie schleppt das große kostbare Bukett zum Fenster, und der Laternenanzünder vergräbt seine lange Nase in die Blumen. »Ah! – ah! Schad', daß man's nicht essen kann! – Der Wind schlägt um, wirst sehn, Hannerl, das wird ein Regen.«
Gravitätisch zündet er die Laternen vor dem Fenster der alten Jungfer an. »Dem Poldl zu Ehren hab ich's ganz aufgedreht«, sagt er feierlich, »aber du wirst's sehen, er kommt heut nimmer. Denkst dran, wie sein Vater heimkommen ist von Italien aus dem Feldzug mit ein' Arm? – Das ist doch recht was Sonderbares, gelt? – Dem armen Kerl sein ganzes Leben hat der Krieg verpatzt, wär er kein Krüppel worden, so wär er ein lustiger glücklicher Mensch geblieben. – Jetzt schau – der Lepold liegt am Währinger Gottesacker, und sein rechter Arm ist in Italien am Schlachtfeld verscharrt« – er wischt sich seinen großen weißen Schnurrbart ab, seufzt nachdenklich: »Wie wird er den Arm nach Wien kriegen bei der Auferstehung des Fleisches?!«
»Hab heut viel an den Verstorbenen denkt und unsern Herrgott kniefällig dankt, daß er mir den Buben als ganzen Menschen z'Haus schickt, g'sund und frisch, wie er fort ist.«
»Hast du's seiner Frau Mutter sagen lassen, daß er kommt?« brummt der Laternenanzünder vorwurfsvoll.
Die Hanni nickt nur freundlich.
»Na, hörst! Und sie? Sie kommt nicht g'rennt und hockt sich daher und wart't auf ihn, gelt? – Da ist sie z'nobel, sie kann's kommoder z'Haus tun«, schreit der Alte entrüstet. »Weißt, ich mag mit der Meinigen nimmer streiten, jetzt sein wir schon[89] zu alt dazu, aber den Magen dreht's mir um, wenn sie die Lenerl so in Himmel hebt.«
»Mußt nicht ungerecht sein!«
»Laß mich aus mit ihr, seit's das Geschäft von der alten Blank, von der Mode-Madam, übernommen hat, tut's ja, als ob's gar nicht mehr reden könnt mit unsereiner. Warum's nimmer g'heirat't hat, sie ist doch allerweil noch eine sehr saubere Person, und jung ausschaun tut's! Von auswendig könntst du ihre Großmutter sein, und ihr seid's doch in ein' Alter?«[90]
»Nein, nein«, sagt die Hanni eifrig, »sie ist um sechs Monat jünger, und nachher hat sie sich halt pflegen können, gut essen und trinken, hat keine schwere Arbeit g'habt, keine Sorgen und keine Kinder!«
Er lacht und lacht, daß seine hagern Glieder schlottern: »Jetzt fehlt nur noch, daß du dir einbildst, du hast ihren Buben geboren, nachher bist ganz verruckt! – Bist und bleibst halt eine alte dumme Urschel!«
Der Laternenanzünder schlurft weiter durch den Hof, und als in dem breiten niedern Torbogen ein dünnes Flämmchen aufblitzt, das er angezündet hat, hört sie noch immer sein vergnügtes überlegenes Kichern.
Die Hanni lehnt den Kopf an das Fensterkreuz und bleibt in dem finstern Zimmer einsam sitzen. Draußen hebt der Wind wieder sachte an, darum zittern und zucken die Gasflämmchen, ihr unsicheres Licht huscht in die große Stube und weckt die Schatten auf, die in allen Winkeln schlafen, sie hasten hervor, fliegen über die Zimmerdecke, rennen an den Wänden hinab, laufen über den Fußboden und flattern über das sanfte Gesicht der alten Jungfer. Die wurmstichigen Kasten krachen und stöhnen, wenn ein Windstoß durch den Ofen hereinschnaubt, und das alte Ledersofa knistert, es steht mit seinen breit ausgespreizten Beinen wie ein schwarzes Ungetüm in der dunkelsten Ecke, und die Lichter hüpfen darüber hin wie gelbe Frösche, sooft der Sturm an der knarrenden Laterne vor dem Fenster rüttelt.
Ein weicher Duft zieht durch die Stube, so süß und eindringlich, daß er die Einsame fast betäubt, sie denkt nicht mehr daran, woher der Wohlgeruch kommt, sie atmet nur tief, schaut zurück in die Vergangenheit ... und es schüttelt sie ein träumerischer Schreck.
Vergangenheit!
Weit, weit liegt sie dahinter mit ihrem unklaren Leid ... Sie sitzt ja schon bald ein Vierteljahrhundert da an dem Fenster und arbeitet für den Sohn des toten Leopold und seiner schönen Frau. Bringt die stille Geburtstagsfeier das holde Gesicht der Jugendfreundin so lebendig vor ihre Augen?... Die Leni[91] kommt ja niemals da herunter in die Dunkelheit ... die lebt oben im Licht, geehrt, reich, schön, was soll sie da auf dem vergessenen armen Platz?
Sie aber, die Einsame, hat sich diesen Platz schwer errungen durch harte Arbeit, stumme Demut, tiefes Mitleid und grenzenlose Liebe. Ein verlorner Posten sitzt da, dessen keiner gedenkt als er ... Die Vergangenheit versinkt ... Er ... ihr Sohn, ist das Glück und die Zukunft.
Die Rosen duften stärker, die Gewitterluft hat sie erfrischt, und wie jetzt draußen der Regen niederprasselt, tun sie ihre Kelche weit auf, und das Gemach ist ganz erfüllt von schwülem Geruch.
Sie, »das alte Mädchen«, denkt jetzt nur daran, daß die Blumen für ihn da sind, zu seinem Geburtstag auf ihn warten gleich ihr, und sie weiß, daß es ihn zu ihr drängt, daß er auch auf der ganzen weiten Welt keinen lieberen Platz hat als ihr Herz und den Winkel, in dem seine Wiege steht.
In der Küche auf dem Herd sprühen plötzlich die glühenden Kohlen – ein Windstoß tobt durch die aufgeschleuderte Türe, und aus der Finsternis jubelt eine junge gute Stimme: »Grüß dich Gott, Jungfer Murter!«
»Mein Bub!... mein Poldl!... mein ... mei!«
Der Ton bricht ab, sie kichert, lacht und lacht, daß ihr die Tränen über die Wangen fließen.
Die zwei blutfremden Menschen halten sich fest umschlungen, eins geworden durch überwundene Leiden, unermeßliche Liebe und eine Treue, die stärker ist als der Tod!
»Warum kommst du denn so spät, mein Kind?« stammelt sie. »Ich hab mir denkt«, und er blinzelt pfiffig nach dem Hof, »ich möcht heut Ruh haben vor unsern Nachbarn. Weißt noch, was du mir oft erzählt hast, wie's mein' Herrn Vattern seckiert haben mit'n Erzähln, wie er heimkommen ist aus'n Feldzug. Ich hab aber mit dir allein sein wollen, Jungfer Murter! Du, was riecht denn so gut bei uns?«
»Jesus ja! Laß den Vorhang runter und zünd's Licht an, ich möcht dich ja sehn als'r Ganzer!«
Er zieht rasch den Vorhang vor und zündet mit einem Griff[92] die Lampe an, sie aber rückt die geweihten Kerzen, die auf dem Schubladenkasten neben dem Christus stehen, vorsichtig näher und steckt sie feierlich an, dann nimmt sie den jungen Soldaten bei der Hand, führt ihn zu dem Kasten und fragt geheimnisvoll: »Weißt, was heut für ein Tag ist?«
»Nein, Murterl, ich hab ja unter den Wilden g'lebt!«
»Alsdann«, sagt sie immer noch sehr feierlich, »dein Geburtstag!«
»Der – meiner Seel!«
»Der noble Rosenbuschen da, der so gut riecht im Zimmer, ist von deiner Frau Mutter, der Gugelhupf da ist von der Laternanzünder-Godel!«
»Hat's recht stark g'weint, wie's ihn g'macht hat, die Frau Patin?« unterbricht er die Hanne in kläglichem Ton und[93] geschraubtem Hochdeutsch, und dann lachen beide gutmütig. »Da sein drei Packeln Tabak vom Laternanzünder-Göden, und da ... zwölf Paar Zwirnsöckeln, die hab ich dir g'strickt bei der Nacht, im Bett, in der Finster, wann ich nicht schlafen hab können und viel hundert Vatterunser für dich bet't hab und für die arme Seel im Fegfeuer, für dein Vattern. Kein Fürscht hat schönere. Und jetzt, jetzt kommt der Oberskaffee!«
Sie sitzen lange beieinander und reden nur von der Zukunft, von dem glücklichen Beisammenbleiben bis an ihr Lebensende.
»Ich bin dir so viel schuldig, Jungfer Murter, daß ich es dir nicht zahlen kann, wenn ich hunderttausend Jahr alt würd«, beteuert er treuherzig und tätschelt die hagern Hände der alten Jungfer in den seinen. »Magerer bist word'n.«
»Ja. Aber akarat wie dein seliger Vatter schaust du aus, so ist er g'sessen auf demselben Sessel, wie er heimkommen ist, und o du mein ... g'nauso hat er an sein' blonden Schnauzbartel zupft ... und hat deine Frau Mutter und mich angelacht.«
»Und so müd war er auch wie ich ... gelt, Murterl? Es ist ein tüchtiger Marsch von Bosnien bis nach Wien, unter Menschen, die wieder eine ordentliche Sprach reden als wie wir jetzt miteinander.«
Sie räumt den Tisch ab und verlöscht die Lichter, als sie aber den Vorhang wieder aufzieht, schaut sie verwundert hinaus in die lautlose Nacht.
»Da schau, wie schön all's worden ist, das klare Mondlicht, die frische Luft und die Stillheit, das tut so wohl ... so wohl ...«
Und nun bettet sie ihr großes Kind auf das breite alte Ledersofa, schüttelt ihm noch einmal die Polster recht hoch und macht ihm genau wie allzeit in seinen Kindertagen das Zeichen des Kreuzes über die Stirn. Nur wie der Schatten eines Lächelns huscht es dabei über seine hübschen Züge, und mehr zu sich selbst sagt er halblaut: »Bin halt noch allerweil für dich der kleine Bub.«[94]
Als sie das Fenster geschlossen hat, schiebt sie den Bettschirm vor ihr Lager und liegt nun still dahinter mit gefalteten Händen, bewegt die Lippen wortlos und horcht auf die Atemzüge ihres Kindes. Er muß ja heute gut schlafen, zum erstenmal wieder daheim nach Jahren. Eine Weile lauscht die Hanni vergeblich, dann hört sie ihn leise reden, wie im Traum.
»Jungfer Murter!«
Sie horcht gespannt, jetzt wieder: »Jungfer Murter!?«
»Was denn, Poldl?«
»Ich kann nicht schlafen, schau, da scheint mir der Mond mitten ins Gesicht – der läßt mich nie in Ruh – b'sonders in den letzten Jahren. Wenn ich auch die Fenster mit Kotzen verhängt hab, ich g'spür ihn doch, und er findet mich. Wenn ich aber doch einschlafen kann, so träum ich allerweil eine Menge durcheinander, drum bin ich schon lieber munter, wenn ich auch schnurgrad ins Mondlicht schaun muß.«
Die Hanni seufzt verzagt und murmelt befangen: »Das hast schon als kleines Kind g'habt, hast's von dein Vattern geerbt, der hat oft lange Reden g'halten im Schlaf, wenn Vollmond war.«
»So – so –?« sagt der Soldat unvertraut aushorchend: »Aber du, ich glaub, die Rosen von der Frau Mutter riechen jetzt noch stärker, oder sein wir das nicht g'wöhnt?«
»Wird schon so sein ... wir werden's halt erst g'wöhnen.«
Die Schwarzwälder Uhr neben dem Bett der alten Jungfer schlägt zwölf. »Gute Nacht«, lispelt die Hanni.
Das Gemach ist wie in bläuliche Schleier gehüllt, das unbewegliche Mondlicht erfüllt es ganz, und die beiden schauen hinaus in den feucht glitzernden Hof und lauschen den heimlich wispernden Stimmen der träumenden Herbstnacht.
»Jungfer Murter, heut war ich fünfundzwanzig Jahr alt, schau, sei gut, erzähl mir, weil du auch nicht schlafen kannst, die G'schicht von meinen Eltern. Jetzt bin ich doch alt genug dazu, daß ich alles wissen kann? – Morgen, wenn ich ausgerast't bin, muß ich nachschauen, wie's der Frau Mutter geht.«
Eine Weile schweigt die Hanni, denn das Herz klopft bleischwer[95] , sie setzt sich in ihrem Bett sachte auf und sagt halblaut verlegen: »Ja, das ist halt schwer ... Wissen tu ich alles ganz genau, aber erzählen kann ich's dir nicht so wie es eigentlich war, so nacheinander. Der einsame Spatz hat sich die ganze G'schicht aufgeschrieben, so, wie ich sie ihm einmal erklärt hab. Dann hat er sie mir wieder vorg'lesen, und es war alles ganz recht, nur so, so halt, als ob er besser gewußt hätt, was wir uns alle miteinander denkt haben. Les' das in Gottes Namen, mein Kind, wenn du eh' nicht schlafen kannst. Im Schubladkasten, in der ersten Lad auf der rechten Seiten liegt das geschriebene Büchel.«
Der junge Soldat zündet die Lampe wieder an, holt sich das Buch, atmet so tief, als ob er den süßen Rosenduft trinken wollte, und beginnt dann zu lesen.
Aus der Chronik der Blauen Gans Niedergeschrieben von Virgilius Stramirisko
Die kleine Walter Hanni war vom Dach gestürzt, als sie dem eben Heimgekehrten, dem Weis Leopold, seinen Kreuzschnabel holen wollte, der davongeflogen war und neben dem hohen Rauchfang saß.
Sie war damals noch ein halbes Kind und meinte, der junge Invalide, der nur einen Arm aus Italien mitbrachte, sei plötzlich so traurig des entflohenen alten Vogels wegen. Der Kreuzschnabel steckte noch unversehrt in ihrem Jäckchen an ihrer Brust, sie selbst aber hatte Arm und Bein gebrochen, und ich war der erste, der das all den heulenden Weibern sagte und dem Arzte half die Glieder einrichten. In der Blauen Gans, dem langgestreckten Vorstadthaus, war man darüber einig, daß die Hanni nichts Besseres tun könne als rasch sterben, denn: »Nur kein krüppelhaftes Kind, lieber ein totes«, erklärte selbst ihre Mutter, die eine böse Zunge und ein rohes Herz hatte.
»Die Lenerl ist die Schönste und der Hannerl ihre beste Freundin, die muß schwarz verschleiert mit der abgebrochnen[96] Kerzen hinter der Totentruhen gehn als allererste«, bestimmten die halbwüchsigen Mädeln.
Aber die Hanni ist nicht gestorben, das Kind hat sich langsam erholt, nachdem die Glieder gut eingerichtet waren, und nach einem Jahr gemahnte nichts mehr an das Unglück. Und nun kam die Zeit des Lachens wieder: »Laß nur gehn, bis d' heiratst ist alles gut«, wurde ihr bei jedem Anlaß lustig zugerufen, und so gewöhnte sich das junge Mädchen daran, alles das, was ihr an Freude und Glück fehlte, nur von der Ehe zu erwarten, Arbeit und Ungemach aber als das Notwendige hinzunehmen wie die meisten Bewohner der Blauen Gans.
Die Jahre gingen hin, und eines Tages stand die Hanni wirklich wohlgemut im weißen Kleide beim Traualtar, doch nur als Brautjungfer, neben der bräutlich geschmückten Lene. Das war eine Braut, an der sich keiner satt sehen konnte! Und dann die Hochzeit! So etwas hatte dort unten, wo die letzten Häuser stehen, seit Menschengedenken niemand erlebt, und will ich ehrlich sein, so muß ich gestehen, daß auch mich das frische, gesunde, lustige Treiben angemutet und erfreut hat. Es war ja eine Heiterkeit, eine jubelnde Lebenssucht unter den schlichten armen Leuten, die mir selbst an ihnen, die das Leben nur in Ausnahmefällen schwerer nahmen, fast fremd erschien.
Ich sah und horchte wohl darum so genau hin.
Die Blaue Gans stand wie ausgestorben da, als der Zug in die Kirche ging, sogar der alte Türk und der Schuftl, die beiden Wächterhunde, rannten hinterher. Wo die Menschen in ihren Feiertagskleidern vorüberschritten, lief alles, was Beine hatte, an die Fenster und Haustore, und jeder, der sich auf längere Zeit von der Arbeit losmachen konnte, schloß sich dem Zuge an.
Das kleine Kirchlein konnte die Menge gar nicht aufnehmen, da wurden denn wieder, wie bei allen besonderen Festen, wenn Mangel an Raum war, die Kinder, die zu erwischen waren, hinausgejagt. Eine Weile heulten sie vor der Kirchentüre, dann kletterten sie auf das niedere Schindeldach, welches[97] seitwärts in Manneshöhe von der Kirchenmauer abstand, weil unter diesem Schutze die Feuerleitern und die roten Löscheimer der Gemeinde aufbewahrt hingen. Mit einer langen eisernen Kette und einem großen Anhängeschloß daran waren sie fest zusammengesperrt, das Wetter konnte diesem Gemeindestolz nicht bei, und ich glaube, selbst freundnachbarliche Diebe hatten Ehrfurcht vor ihnen.
Auf diesem Vordach über den Feuerleitern und Eimern hockten die Ausgewiesenen; die Röcke der Mädeln verfingen sich in den langen Schindelnägeln, die Sonntagshosen der Buben bekamen ausgebohrte Knie, alle saßen elendiglich da oben, aber halb aus Trotz über ihre Verweisung, halb aus Behagen an der Gefährlichkeit ihres Vergnügens fanden sie doch den Platz viel schöner als die heiße, vollgestopfte Kirche.
Es war ein wunderheller Frühlingstag, die Sonne schien so warm auf die weiße Kirchenmauer und auf das rohe Schindeldach, die Tauben flatterten hin und her, denn sie nisteten in den Luken des Türmchens, die Spatzen schrien und zankten sich in den Kirchenfenstern genauso keck wie unten auf der staubigen Straße. Die Ausgewiesenen aber saßen unbeweglich und lauschten, ob sie nichts erhaschen könnten von der langen Rede, die drinnen der Priester dem Brautpaare hielt; als sie jedoch nichts hörten, begannen sie sich erst zu hecheln und zu knuffen, und endlich schwatzten sie über das Ereignis des Tages, zuerst halblaut, dann mit der schrillen Verbissenheit ärgerlicher junger Stimmen, so daß man sie bis in die stille Kirche hinein streiten hörte.
»Dem Leopold wachst doch kein neuer Arm, wenn er auch heut heiraten tut!« keifte ein dürres kleines Ding mit Sommersprossen und Blatternarben im Gesichte.
»Aber die Lene ist heut schön!« sagte das älteste Mädchen und schaute mit großen ahnungsvollen Augen hinauf in die goldflimmernde Luft, und als ein duckmäuserischer Knirps von einem Buben, der neben ihr saß, nicht gleich beistimmte, gab sie ihm mit dem Ellenbogen einen Stoß und sah ihn herausfordernd an.
»Was willst denn?... Schaust am Stephansturm und redst dabei[98] !... Auweh!... Freilich ist sie schön!... Ich rück weg von dir!« zeterte der Bursche, setzte sich aber aus Furcht vor ihrem Ellenbogen ganz nahe zu ihr. »Da kann's nicht puffen«, lachte er schlau.
»Freilich ist sie heute schön, aber rote Haare hat sie doch«, sagte nachdenklich ein blasses kleines Mädchen mit einer stark vorgebauten Stirne. Die Kleine knüpfte ihre dichten blonden Zöpfe unter dem Kinn zu einer Schleife; sie saß ganz vorne am Rand, schief, als ob sie davonreiten wollte, und so ließ sie auch die Beine in der Luft baumeln.
»Jetzt kann sie aber den ganzen Tag spielen, muß gar nichts arbeiten, kann in der seligen Frau Weis ihrem Zimmer sitzen, muß nicht alleweil Handschuhknöpfe annähen wie wir«, seufzte ein puppenhaft feinzartes Ding, die jüngere Schwester der Brautjungfer, und schaute dabei auf ihre zerstochenen Finger.
Aus dem Bierhause neben der Kirche scholl jetzt Musik herüber, zwei kernfrische Mädchenstimmen sangen hellaut:
»Ist wieder einmal Hochzeit,
Gibt's wieder ein neues Paar.
Das Mädel – war eine Gredel,
Und das Mannsbild ein Narr.
Na? – ist's etwa nicht wahr?«
Schallendes Gelächter war die Antwort der Bierhausgäste. Die Türe flog auf, und im Tanzschritt sprangen zwei junge ganz gleich gekleidete Mädchen heraus. Sie hatten ihre nachtschwarzen Haare sorgfältig geordnet, als gingen auch sie zu einem Feste, ihre knappen blaugestreiften und gesteiften Kleider, die blütenweißen Schürzen, die buntseidenen Halstücher waren der echte Wäschermädchenstaat. Jede der im Äußeren so gleichen und eigentlich doch ungleichen Gestalten trug einen schmalen Korb am Arme, der war sauber und zierlich, als ob er gerade aus dem Kaufladen käme, trotzdem man die beiden nie ohne Deckelkörbe sah. Hinter ihnen gab es eine bunte Gesellschaft, die nachzottelte mit den Händen in den Taschen. Da waren drei oder vier Hausherrensöhne der Vorstadt[99] , ein paar Soldaten, Gesellen, die bis Mitte der Woche blauen Montag machten, ein bekannter alter Fabrikant, der die große üppige Klara ins Herz geschlossen hatte, aber von einer Heirat nichts wissen wollte. Als die übermütigen Leute an der Kirche vorbeizogen, lachten sie laut auf, und mit heiserer Stimme sang einer der Soldaten: »Ist wieder einmal Hochzeit.«
»Möchtest mich nicht heiraten, Marie? Schau, es ginge jetzt gleich in einem«, rief mit ironischer Zutunlichkeit das jüngste Hausherrnsöhnlein der zierlicheren von den beiden zu.
»Dich?... Lieber den alten Mesner, der drei Nasen übereinander hat. Zu ebener Erde die natürliche, im ersten Stock die Wein- und im zweiten Stock die Schnapsnase.«
Das weiße zarte Gesicht, das sich ansah wie ein Heiligenbild, wenn das Mädchen schwieg, wurde zur widerlichen Fratze, wenn sie im derben Volkston ihre Spitzfindigkeiten hinwarf. »Nein, das ist zu arg«, sagte das jüngste Mädchen oben auf dem Schindeldach entrüstet, »das muß ich meiner Frau Mutter erzählen, die hat alle zwei zur Firmung geführt.«
»Was denn? was denn?« fragten die Kleineren neugierig und schauten hinab auf die lärmende Schar.
»Daß die Strohschneidermädeln schon vor der Kirche singen und schreien, gelt?« fragte das größte Kind, »die tun mehr, was unserm Herrgott nicht recht ist«, betonte sie dann mit halbem Verständnis.
Das spielte sich draußen auf der Straße ab, während drinnen in der Kirche der Leopold und die Lene das bindende »Ja« sprachen und alle Weiber wie bei einem Begräbnis einige Minuten lang in die weißen Taschentücher weinten.
»Na ja! Sind halt doch ein paar arme Waisen. Wie schnell dem Leopold seine Mutter gestorben ist, gleich nach ihrem Alten. Und der Lene ihre Leut erst, was die für eine Freud gehabt hätten an ihren Kindern, wenn sie das erlebt hätten!« schluchzte die Laternenanzünderin.
»Aber Nachbarin«, flüsterte ein hochbusiges, lebensfrohes Weib, »heut haben wir ja keine Leiche, sondern eine Hochzeit!«[100]
»Freilich, wahr ist's«, seufzte die Frau und weinte weiter, da sie einmal begonnen.
»Sie, Jungfer Braut, Sie müssen mehr denn je Ihrer Pflichten eingedenk sein, Sie müssen Ihrem Manne mehr sein als jedes andere Weib dem Manne ist, Sie müssen seine rechte Hand sein, und Ihr werdet wahrhaftig den Weg des Herrn in Frieden wandeln und in Ehren.« – So schloß der Pfarrer seine Rede, noch ein tiefes »Amen«, und die zwei waren eines. –
»Und da soll ein Mensch nicht weinen, wenn einer so schön redet wie der Herr Pfarrer?« wimmerte die Laternenanzünderin.
Auch der Leopold fuhr bei dem Schluß der Rede mit der Faust über die Augen, dann blickte er auf seinen leeren Ärmel und dann mit glückleuchtenden Augen auf sein junges blühendes Weib. Er hatte während der Trauung ihre Hand nur auf die eine Sekunde losgelassen, es war ihm auf dem Herzensgrunde so gruselnd-ängstlich, als könnte ihm das Mädchen da an seiner Seite noch im letzten Augenblicke genommen werden, und was hatte er dann auf der Welt?
Seit er heimgekehrt war, hatte er an dem Kinde seine Freude, die Schönheit des jungen Geschöpfes machte ihn weich, wenn er grollen wollte, und lustig, wenn ihn sein Schicksal traurig dünkte, und stark, wenn er sich schwach und gedrückt fühlte gegenüber der alten fröhlichen Zeit. Je länger das währte, desto näher rückte der Wunsch heran, sie zu seinem Weibe zu machen. Und er hätschelte sie heimlich und offen und sagte ihr oft, wie draußen in der Welt, gleich in Italien, da, wo er war, die Männer ihre Weiber gut hielten, und ihre Kinder, setzte er meist hinzu, denn sie war ja noch ein halbes Kind damals. Und als die Alten dann eines nach dem andern starben, seine große Elternstube leer wurde, als er Brot genug erwarb für zwei, er war Straßenaufseher geworden, da fragte er: »Lene, möchtest du nicht die Meinige werden?« Ei, wie ihm bei der Frage etwas im Hals zitterte und wie er eine Faust machte aus purer Verliebtheit, weil er sich nicht zu helfen wußte.[101]
Sie schaute ihn an, schmiegte sich ein wenig an ihn, lächelte und lief davon, ohne ein Wort zu sagen. Acht Tage später aber fragte sie in ihrer faulen, zurückhaltenden, kindischen Weise unauffällig, so wenn es sich schickte nur, alle alten Leute in der Blauen Gans: ob der Leopold hübsch sei, ob er eine Frau erhalten könne, ob er nie trinken würde so wie die andern paar leichtsinnigen Männer, die im Hause lebten, und ob er nicht sein Weib schlagen würde, so wie es im Zorn oder im Rausch fast jeder einmal wenigstens getan hätte.
Die Leute antworteten erst lachend, dann ernst dem Mädel, das kaum aus den Kinderschuhen gesprungen war, kein rechtes Anschicken zur Arbeit hatte und eigentlich von dem ganzen Hause verzogen und erhalten wurde.
»Weil sie ein armes Waiserl ist und so viel schön«, meinten die Weiber, und die Männer dachten sich dasselbe.
»Sollst den Leopold heiraten, Lene!« sagte der Laternenanzünder, der ihr Vormund war seit ihres Vaters Tod, »bist ein Waisenkind jetzt, und der Leopold hat ein gutes Einkommen, kann sich schon so eine Prinzessin nehmen, und der Leopold ist ein ehrlicher Kerl und hat eine Manier gelernt in der Welt, und der Leopold schaut am Sonntag aus wie ein gnädiger Herr, und er hat dich gern und verzieht dich von klein auf. Soll ich mit ihm reden?«
»Nein, nein! Laß der Herr Laternanzünder-Göd das nur sein«, sagte sie leichthin und schlenderte davon. Noch am selben Abend aber, als sie am Brunnen stand, fragte sie den Leopold:
»Wirst du nie viel Wein und Bier trinken?«
»Hab ich nie getan, du Kindskopf«, lachte er.
»Wirst du dein Weib niemals schlagen?«
»Schäm dich, Mädel, daß du um so etwas fragst«, erwiderte er ernst.
»Wirst's nicht?« fragte sie ruhig, mit Beharrlichkeit.
»Die Weiber in unserem Stand sind geschlagen genug mit Sorge, Arbeit und kleinen Kindern«, sprach er mitleidig vor sich hin.
»Kleine Kinder?« fragte sie erschreckt aufhorchend.
»Na ja, glaubst, sie kommen schon so groß auf die Welt und[102] so schön wie du? Bis sie so werden, denk nur zurück, kosten sie viel Sorg und Pflege.«
»Ich mag aber keine kleinen Kinder«, flüsterte sie trotzig. »Auch recht!« schrie der Leopold übermütig und lachte wie toll in das junge blühende Gesicht.
»Wenn du mir das alles versprichst, dann heirate ich dich«, sagte sie ernst und setzte sich wie vor Jahren auf seinen Schoß und lehnte ihren Kopf an seine Schultern.
»Goldfuchs! Wer würde nicht der bravste Mann, wenn er so ein schönes Mädel zum Weib kriegt; gut sollst du es haben bei mir wie keine in der Blauen Gans!«
Vier Wochen später war die Hochzeit, und Leopold dachte schmunzelnd zurück an die drollige Verlobung am Brunnen, und darum hielt er seine Lene so fest an der Hand, damit der Kindskopf nicht fortlaufe, damit sie ihm keiner mehr nehmen[103] könne ... Ah, bah! Jetzt waren sie ja wirklich Mann und Frau, jetzt gehörte sie ihm an, er schlug seinen Arm um ihren Leib und drückte sie fest an sich, sie aber blinzelte hinauf zu ihm und wisperte: »Aber Leopold! Du tust mir weh!« Und sie kicherte schon in dem Augenblicke, als sich der Pfarrer umwendete und hinausschritt.
»O du!... du meine! Ich möcht dir dein Lebtag nicht weh tun«, sagte der junge Ehemann fast zu laut und küßte sie schallend auf die roten, vollen Lippen.
»Zerzaus mich nicht, Leopold«, lispelte sie geziert und zog den Schleier über das feingefärbte Gesicht, ordnete ihre Locken und das dünne lange Kleid, dann erst horchte sie selbstgefällig zu den Nachbarn hin, die ihre Glückwünsche darbrachten.
»Jetzt geht die ganze Hochzeit in die Sakristei, dort wird die ganze Hochzeit eingeschrieben, und nachher wird gegessen, getrunken und getanzt!« rief der Laternenanzünder und streckte sich in seiner vollen Länge. Der alte Dragoner führte heute das große Wort, er war ja Brautvater, war Vormund und Beistand, er hatte zu dieser Feier sogar seine alte Uniform herausgesucht. »Wie eine Prinzessin schaut das Mädel aus!« brummte er vor sich hin.
»Gelt, Laternanzünder, ich hab's erraten mit dem Goldfuchs?«
»Ob es aber so gegangen wäre ohne mein Dreinreden?« fragte der Laternenanzünder. Der Leopold nickte dankbar, zog den Arm der Lene in seinen und führte sie aus der Kirche. Draußen stand der Nachbar Krippelmacher mit seinem Sohne, sie hatten ihre Geigen mit, und noch ein dritter Musikant war dabei, der blies die Klarinette, daß es jedem durch Mark und Bein ging; alle drei empfingen die Hochzeiter mit einem lustigen Marsch, dann stellten sie sich an die Spitze und gingen musizierend dem Zuge voran in die Blaue Gans.
War das eine Herrlichkeit! Die große Waschküche war zum Speisesaal und Tanzsaal mit bunten Öllämpchen, Tannenreisig und weißem Zeug hergerichtet, der glitzernde blanke Sand auf der Diele knirschte, und als sie nach der großen[104] Esserei die Tische beiseite rückten und zu tanzen begannen, da liefen alle Nachbarn aus den nächsten Häusern herbei zu den Fenstern, machten lange Hälse und guckten hinein zu den lustigen Hochzeitsleuten.
Der junge Hausherrnsohn, der fast immer mit den Strohschneidermädeln herumzog, und noch ein zweiter leichtsinniger Mann, der geschieden von seiner Frau lebte und seines Vaters Geld vertat, die beiden gingen frischweg hinein, schüttelten dem Leopold die Hand, fragten nach seiner Braut und schauten sich alle die anderen hübschen Mädchen an. Der junge Ehemann holte sein Weib, und wie sich das Paar fast ganz allein bei dem Ehrentanz drehte, die mädchenhafte Frau sich so biegsam und lässig bewegte und mit halbgeschlossenen Augen auf den Arm ihres Mannes stützte, da kam es den neuen Gästen vor, als hätten sie die Lene noch nie gesehen.
»Du, wie ist denn die so in die Höhe geschossen, ohne daß wir sie bemerkt haben?« lallte der Jüngere.
»Ward uns weggeschnappt!« erwiderte sein Begleiter.
Gleich nachdem der Walzer vorbei war, bot der Leopold seiner Frau einen Stuhl, er trocknete sich die Stirn, küßte die Lene auf die Schultern und lief zu den Musikanten hinüber, die zwei Nachtschwärmer aber drängten sich hinter die Braut. »Das schönste Mädel, das ich mein Lebtag gesehen hab!« flüsterte der bartlose Bursche, jedoch so laut, daß es die Lene hören mußte.
»Aber Franz, Frau! Frau, mußt du sagen. Die hätte einen Ganzen kriegen können, nicht so einen Dreiviertelmann, der sich anschaut wie ein Vogelschrecker im Saatfeld, an dem die leeren Ärmel herumfliegen, wenn der Wind geht«, spottete der andere.
Die Lene blickte zu ihrem Manne hin und schrak zusammen, dann wandte sie sich nach den beiden um, ließ einen langen Blick über die Eindringlinge gleiten und zuckte die Achseln bedauernd und aburteilend. Als der Leopold kam, hängte sie sich an seinen Arm und sagte so laut, daß es die beiden als Antwort nehmen konnten: »Führ mich bald heim, es sind Leut da, die nicht hergehören.«[105]
Das junge Ehepaar ging auch davon, ohne Abschied zu nehmen, sie liefen hinüber in die stille große Stube. Die blendend weißen Vorhänge waren niedergelassen, der Tisch war weiß gedeckt, und ein bunter Strauß stand neben dem Nachtlicht. Die hochaufgebauschten Betten glänzten, so weiß und fein war das Leinenzeug, das die Waschfrauen der Lene zur Aussteuer geschenkt hatten. Mit einem leichten Seufzer schaute sich das junge Weib in dem friedlichen Gemache um. – Auch der Leopold blickte in alle Winkel, überall nickten ihm Erinnerungen entgegen. Es ist doch etwas wert, so ein altes, liebes Heim zu haben, dachte er, setzte sich nieder, zog seine schöne bräutliche Frau auf den Schoß und sagte: »Weißt, Lene, so sind wir gesessen, wie ich heimkommen bin.«
Bis in den hellichten Tag hinein tanzten die Nachbarn, und noch in den Schlummer des jungen Paares schlichen sich die schmeichelnden Töne des Walzers, den sie zuletzt miteinander getanzt hatten.
Am Himmel stand die blasse Mondsichel.
Ein böses Wort verfolgte die junge Frau bis in ihre Träume, scheuchte sie auf, und mit Grauen sah sie beim blassen Schein des Nachtlichtes, daß der Traum Wirklichkeit wurde.
Seit jenem fröhlichen Hochzeitsfeste waren nun wie der zwei Jahre um. Die Lene saß in der großen Stube auf dem Fensterbrett und musterte aufmerksam die kostbar gestickten Sommerkleider und Röcke, die draußen im Hof an der Waschleine hingen.
Ein Kind lag in ihrem Arme, das sog und sog und schmatzte mit den Lippen. Die Lene strich sich die Scheitel glatt, zog die schweren Flechten tiefer ins Genick, betrachtete aufmerksam ihre schlanke Hand, schaute auf die atlasweiße Haut ihres Busens, hob dann das Kind ein wenig und knöpfte ihr Kleid bis an den Hals hinauf zu. Gleichmäßig wie eine Maschine schaukelte sie den Kleinen hin und her und sang leise.
»Grüß dich Gott, Lene, wie geht's mit dem Buben jetzt?«
»Na, es geht halt wie immer.«[106]
»Du lieber kleiner Kerl, du!« sagte die Hanne lachend und beugte ihren schmalen Körper zum Fenster hinein, küßte das Kind und setzte sich von außen der Lene gegenüber auf das Fensterbrett.
»Kommst aus der Stadt?«
»Ja, ich war die Handschuhe abliefern. Ich bin alleweil froh, wenn ich wieder daheraußen bin, die vielen Leut, die Wagen, der Lärm! Ganz dumm komm ich mir vor, wenn ich außer unserem Haus bin.«
Die Lene nickte und schaute nachsinnend auf das dunkle Kleid der Hanne. Es war auch ein gar schlichtes Gewand, zugeschnitten wie für eine Nonne, ohne jeden Aufputz, und[107] als die Augen des schönen Weibes hinaufrückten bis zu dem Kopf der andern, da lächelte sie bedauernd.
Wer wird sich die Haare so glatt hinter die Ohren streichen; wie das Mädel aussieht! dachte die Lene.
Eigentlich war die Hanne nur größer geworden und sah geordneter aus, sonst war alles gleichgeblieben an ihr, dasselbe still-freundliche Kindergesicht, die anspruchslose schmale Gestalt, das verschüchterte Gebaren, die weiche, sich gleichsam in sich selbst verbergende Art.
»Dein Mann ist mir auch begegnet«, hub die Hanne mit unsicherer Stimme an, »hast du Verdruß mit ihm gehabt?« »Warum?« fragte die Frau gähnend.
»Weißt, weil er halt so wild dreingeschaut hat. Seine Straßenkehrer hat er auch zusammengeschimpft; so ist er meistens, wenn es zu Hause ... wenn du ...«
»Ich?«
»Ja weißt, du sollst halt freundlicher mit ihm sein, er tut ja alles, was er dir von den Augen absieht«, erwiderte das Mädchen kleinlaut.
»Jetzt ist der Bub fast sechs Monat alt, und die ganze Zeit hat er Tag und Nacht geschrien, soll ich da vielleicht alleweil lachen?«
»Aber dafür kann doch dein Mann nichts! So ist es deiner Mutter und meiner und allen Weibern gegangen. Kleine Kinder machen halt Verdruß und Sorgen«, klagte sie kleinlaut und frauenhaft. Die Hanne hatte ja ihre jüngeren Geschwister aufziehen helfen, sie wußte ein Lied davon zu singen. »Verdruß und Sorgen genug!« greinte die Lene. »Der Bub nimmt mir die schönste Zeit weg, immer muß ich da hocken, er macht mich um zehn Jahre früher alt und vor der Zeit häßlich, das weiß ich.«
»Aber Lene, das ist ja eine schwarze Sünd, so zu reden ... Tag und Nacht plagt sich dein Mann für dich! Er kann doch nicht auch Kinder warten? Denk doch nur nach darüber. Du hättest keinen besseren Mann kriegen können.«
Die Hanne hatte sich atemlos geredet, sie schwieg plötzlich erschrocken, das Kind weinte auch wieder, und die Lene, die[108] keine Antwort zu geben wußte, brütete vor sich hin. Sie schüttelte das Kind mehr, als sie es wiegte, mit einmal aber fragte sie hochfahrend: »Bin ich vielleicht nicht mehr wert als die andern Weiber? Bin ich nicht schöner?«
Das war nun freilich für alle Bewohner der Blauen Gans ein überzeugender Grund. Die Schönheit des jungen Weibes wurde wie etwas Kostbares, Wertvolles anerkannt und von ihr selbst als solches hingestellt. Fremde konnten über dieses naive Selbstgefühl lächeln, die Nachbarn aber nickten beifällig, wenn die Lene von ihrer eigenen Schönheit sprach. Sie war nie auf Widerspruch oder Neid in ihrem Kreise gestoßen, sie hatte nie die böswilligen Nörgeleien zu ertragen gehabt gleich anderen hübschen Mädchen, sie war anerkannt worden und blieb es auch, seit sie dem Leopold sein Weib war. Auch jetzt schien die Hanne verblüfft über die Frage, sie blickte mit scheuer Bewunderung in das reizvolle Gesicht der Freundin und beteuerte ehrlich: »Natürlich! so schön, wie du bist, hat es ja noch keine gegeben. Heute habe ich an dich gedacht, hab gedacht, wenn ich so schön wäre wie du und gewachsen wie du, könnt ich jetzt mein Glück machen.«
»So, wie denn?« fragte die Frau und lächelte befriedigt.
»Denk nur, dreißig Gulden jeden Monat zahlt, unserem Herrn' seine Schwester, die Französin, dem Blank seine geschiedene Frau, einem schönen jungen Mädel. Weißt, sie hat das Handschuhgeschäft aufgegeben, sie hat jetzt einen Salon, wo sie Kleider machen läßt für die nobelsten Leut. Die Kleider muß eine schöne, schlanke Person anziehen, hin und her gehen, niedersetzen damit, weißt, daß es halt die noblen Damen sehen, wie das paßt. Dreißig Gulden! Das wäre mein meistes Geld, das ich je in der Hand gehabt hätte. Und dann noch –«, die Hanne hielt inne, so rasch hatte sie gesprochen. »Und dann noch?« wiederholte die Lene gespannt.
»Noch zwei schwarze Kleider im Jahre und ein Christgeschenk und Neujahrsgeld und Trinkgelder von den Damen.«
»Den ganzen Tag schöne Kleider anprobieren, bei lauter noblen Leuten sein, kein Kindergeschrei hören«, sagte die Lene mehr zu sich selbst und schaute nachsinnend auf das Mädchen[109] , und nach einer Weile sprach sie laut, als ob sie eine lange Gedankenreihe abschließen würde: »Hätt sollen dich heiraten, der Leopold.«
Zwei-, dreimal flogen dunkelrote Schatten über das blasse Gesicht der Hanne, sie zog die Ellenbogen an die Hüften und schob die Schultern hinauf, so, als ob sie ihren dürftigen Leib noch schmaler machen wollte, und als sie endlich zaghaft zu der jungen Frau aufblickte, da waren ihre großen klugen Augen voll Wasser. Behutsam griff sie nach den zarten Händchen des Kindes, schlug sich damit sachte auf die Stirn und murmelte, nur so die Worte zusammenraffend: »Hörst, Polderl – was deine – Frau Mutter – für spaßige Sachen redet!« Das Kindchen lächelte mit jenem zerflossenen Lächeln, das sich nirgends regt, das nirgends haftet, die ausdruckslosen Augen stierten in das blasse Gesicht, und da verzogen sich plötzlich die vollen roten Lippen wirklich, und nun sah der Kleine seiner schönen Mutter ähnlich.
»Und dein Bub wird genau wie du«, rief die Hanne und schaute in die Augen des Männleins, »nur die Augen, die Augen, die hat er von seinem Vater.«
Der kleine Bursche krabbelte mit allen zehn Fingern über das Gesicht des Mädchens, endlich erwischte er auf ihrer Stirn ein Büschel Haare, daran klammerte er sich nun. Die Lene duselte wieder so mit halbgeschlossenen Lidern, sie blinzelte nur manchmal seitwärts hinüber auf die wehenden gestickten Falbeln der Kleider und Unterröcke. »Wer solches Zeug an sich tragen kann! Das gibt doch gleich eine andere Form als so ein Kattunkittel da. Den ganzen Tag solche und noch weit schönere Kleider anprobieren!«... Der Kleine schrie gellend mitten in diese rosigen Träume.
»Grüß dich Gott, Lenerl! Servus, Kronprinz!« rief es vom Haustor her, und der Leopold, der eben heimkam, schwenkte seinen Hut fröhlich, pfiff laut und rein den Anfang eines Volksliedes, und als er den halben Weg zurückgelegt hatte, sprang er mit großen Sätzen heran. »Bist auch da, Hanne? So schön! Mein Bub reißt dir alle Haare aus; wirst das bleibenlassen, kleiner Racker?«[110]
Er löste die Hand des Bübleins los, blickte aber dabei immer auf sein Weib, das sich nicht regte noch rührte, nur jetzt ein klein wenig den Kopf rückte, als er sie schallend küßte. »Ist's dir schon wieder nicht recht?« fragte er und nahm sie am Kinn, »soll ich dir nicht ›Grüß Gott‹ sagen in meiner Weis?«
»Vor alle Leut?«
»Und was weiter? Seit wann ist die Blaue Gans so nobel worden, daß sie es nicht sehen kann, wenn sich Eheleut küssen?« rief er, lachte gezwungen und küßte sie wieder.
Die Lene drückte das Kind fester an sich, stand auf und ging langsam in der Stube auf und nieder, die Hanne schüttelte dem Leopold die Hand und schritt durch den Hof hinüber in ihre Kammer.
»Sag mir nur, Weib, was du willst?« fragte der Mann durch das Fenster hinein, als aber die Lene keine Antwort gab und nur rascher auf und nieder ging, schwang er sich über die Brüstung und stand jählings mitten in der Stube. Er schleuderte seinen Hut in eine Ecke und setzte sich an den Tisch.
Es war nichts verändert in dem Gemache, nur die beiden Ehebetten waren in das dunkle hintere Ende geschoben und auseinandergerückt, weil das Wiegenbettchen des Kindes dazwischen stand. Und noch etwas fiel auf, gegenüber dem Fenster, soviel als möglich im Lichte, stand eine rohe Kiste, die mit weißem billigem Vorhangzeug überkleidet war. Auf diesem sonderbaren Putztisch lagen grellfarbige Neujahrskarten und übel aussehende Tanzorden, es standen auch ein paar schreiend bemalte Gipsfigürchen dort, und das Bild der jungen Hausfrau schaute durch ein grünliches Glas geziert und steif zugleich auf die Schätze, die es umgaben. Über dem Tisch hing der alte Spiegel, der die Menschengesichter im vollen Licht noch mehr verzerrte.
Der Leopold saß da und pfiff leise durch die Zähne, er wartete eine geraume Zeit, dann sagte er: »Lene, ich möcht essen.«
»Hab nicht gekocht.«
Der Mann schaute überrascht auf, dann lächelte er vergnügt, sie hatte ja seit langer Zeit kein einziges Mal gescherzt, und[111] jetzt machte sie ein ganz ernsthaftes Gesicht zu dem Spaß; er wartete wieder, die Lene aber ging wie ein Pendel so gleichmäßig auf und nieder und wiegte das Kind, sonst aber rührte sie keinen Finger.
»Du, das wird doch nicht dein Ernst sein?« sagte er plötzlich und wurde blutrot.
»Schau.«
Er stand auf, sah über die Achsel nach dem Weibe und ging rasch in die Küche. Dort fand er den Herd kalt, alles blank und sauber geputzt, sie hatte richtig nichts gekocht. Er biß sich in die Unterlippe und kehrte zurück in die Stube.
»Was hast du denn gar so Notwendiges zu tun gehabt, daß du nicht die Stund für mich gehabt hast?« warf er nur leicht hin, als ginge es ihm nicht zu nahe.
»Schlafen.«
»Schlafen!« fuhr er auf, »beim hellichten Tag, bist verrückt?« »Nein. Aber die ganze Nacht hab ich den Schreihals da herumgeschleppt.«
»Na und?«
»Und da muß ich mich am Tag ausschlafen«, erwiderte sie bestimmt.
»Was tun die Weiber, die den ganzen Tag arbeiten müssen?« Sie schaute ihn überrascht an und klagte dann weinerlich:
»Soll ich auch so geschwind alt und häßlich werden wie die anderen und das alles wegen dem Kind?« Sie warf im Vorübergehen einen Blick in den Spiegel, trat dann auf ihn zu und sagte: »Da schau mich nur an.«
»Ich seh nichts Besonderes«, sagte er und bemühte sich, gleichgültig hinzusehen auf das schöne Weib, das vor ihm stand und ihn mit den feuchtschimmernden Augen anstarrte. »Schau meine Augen an, die schwarzen Ränder. Und da, da und da«, sie schob die runde weiße Achsel aus dem Kleide und streifte den Ärmel über Gelenk und Ellenbogen, »da überall sieht man schon die Knochen.«
»Aber Lene!« flüsterte der Mann begütigend und legte seinen Arm um ihre Schultern, »du bist viel schöner, als du warst!«[112]
Und seine Lippen suchten ihren Mund, sie aber entwand sich ihm.
»Es ist nicht wahr! Seit dem Kind bin ich ganz anders. Was soll ich anfangen?«
»Freundlich sein.«
Sie antwortete nicht, nur ihre Oberlippe hob sich. Endlich schlief das Kind, sie legte es vorsichtig in die Wiege, ließ die Arme sinken und jammerte: »Kein Glied kann ich rühren.« »Und was hat denn die gnädige Frau zu Mittag gespeist?« fragte er spottend, um seine Fürsorge zu verbergen.
»Die Hanne hat drüben bei ihr mitgekocht in der Rastzeit.« »Schämst du dich nicht vor dem armen, fleißigen Mädel?« brauste er auf.
»Nein!«
»Ich geh ins Wirtshaus.«
»Recht hast«, sagte sie nachlässig. »Bring mir etwas heim, ich geh bald schlafen.«
Sie kauerte sich wieder in die Fensternische und sah aufmerksam zu, wie eine Nachbarin die gestickten Unterröcke von der Leine nahm. Ihr Mann ging ohne Gruß davon, nur zufällig schaute sie ihm nach, der Hof war so lang, und durch den großen Torbogen flog der feine Straßenstaub herein, so daß sich die dunkle Gestalt des Leopold genau abhob. Der Abendwind bewegte den losen Ärmel seines Rockes, und sie mußte immer das flatternde Stück an der Figur des Mannes im Auge behalten ... da waren der Traum und die Wirklichkeit der Hochzeitsnacht wieder.
Der ganze Mensch war verändert, wenn er einmal den leeren Ärmel nicht in die Tasche steckte, als ob er auseinanderfliegen könnte, so schaute sich dieses unruhige Flattern aus der Ferne an. Dazu ging er auch nicht so stramm wie sonst, er ließ die Schultern vorhängen und hieb mit einer aufgelesenen Gerte vor sich und hinter sich, als wolle er ein müdes Pferd, das ihn schlecht weitertrug, antreiben. So schlenderte er zum Tore hinaus, und die Lene starrte ihm nach, allmählich war sie befriedigt, weil der Kleine schlief und ihr Mann nicht sprach.[113]
Auf dem Hofe draußen wurde es lebendig, Feierabend war, die Weiber kamen aus ihren Küchen und riefen laut nach ihren Kindern, die Männer kehrten von ihrer Arbeit heim, und so saß den großen Hof entlang vor jeder Türe ein Häuflein beisammen, alle aßen und plauderten, schrien einander zu und waren so fröhlich, als säßen sie mitten im Überfluß. Die Lene hockte in ihrem Fenster, lauschte mit halbem Ohr und schaute mit halbem Blick nach ihnen, nur wenn ein Kind aufschrie, zuckte sie zusammen und horchte in die dunkle Ecke. Als die Hanne und noch ein paar Jüngere dem Fenster nahe kamen, winkte sie ihnen nicht, sondern legte einen Finger an die Lippen und deutete in die Stube. Sie wollte allein sein. Ich weiß ja, wovon die alle reden, dachte sie, während sie hinüberschielte zu den Nachbarn.
Und sie wußte auch wirklich, wovon die andern sprachen, von Kindesbeinen an hatte sie das eintönige, lustige oder schwermütige Gesumme mit angehört: Arbeit, Liebschaften, Neuverheiratete, kleine Kinder, Tote, das war alles. Zuweilen sprachen sie von jenen, die aus der alten Tretmühle hinausgekommen waren, die ihr Glück gemacht hatten in der Welt, so wie die Gretel, die unter die Theaterleute gegangen war und erst vor kurzer Zeit sich wieder um die Blaue Gans geschlichen hatte, ein seidenes Kleid am Leibe, so erzählte der Hausherr. Das ging über die Begriffe des schönen Weibes. Wie kann man wieder dahergehen, wenn man ein seidenes Kleid trägt, daher, in diesen Winkel voll Waschdunst, Lärm und kleinen Kindern?
Sie blickte wieder flüchtig zu den Nachbarn hin. Jetzt steckten sie die Köpfe zusammen und wisperten, warum? wovon? – Von ihr selbst natürlich! Sie erzählten einander, daß sie heute nicht gekocht habe und daß ihr Mann ins Wirtshaus gegangen, das war ja etwas Neues für die Blaue Gans. Sie schlug das Fenster zu, ließ die Vorhänge nieder und zündete die Lampe an.
»Ei, sollen reden«, murrte sie vor sich hin. Sie richtete mißmutig die Betten für die Nacht zurecht, und als das Kind halb im Schlafe leise aufweinte, gab sie im Vorübergehen der[114] Wiege einen sachten Stoß, daß sie sanft weiterschaukelte. Immer vor sich hin brütend, löste sie ihr prächtiges rotes Haar, schüttelte es über die marmorweißen Schultern und liebäugelte mit ihrem Bilde, das selbst in diesem Spiegel noch schön blieb. Mit einmal nahm sie ein Kästchen von dem Putztische, kramte unter den Seidenbändern, die drin lagen, und zog endlich ein Päckchen Spielkarten hervor. Träge setzte sie sich an den Tisch, rückte die Lampe heran, mengte die Karten langsam und legte dann die Blätter in vier Reihen, eine unter die andere, vor sich hin. Da saß sie nun, und das feine kindliche Antlitz ruhte mit dem Kinn in der hohlen Hand, und die graugrünen Augen rückten spähend von einem Blatt auf das andere.
»Eins ... zwei ... drei ... vier ... fünf ... sechs ... sieben! Verdruß!« Sie seufzte leise und zählte weiter bis zur nächsten Sieben. »Veränderung?!... Richtig, drei Aß nebeneinander! Kummer! Unglück!... Und da wieder ein kleines Kind!«
Das junge Weib wurde kreidebleich, sie streifte entsetzt die Karten zusammen, verbarg sie wieder und ging niedergeschlagen zu ihrem Lager. Noch aus dem Bette schaute sie nachdenkend auf den kleinen Buben hinab, der unruhig in seiner Wiege schlief, dann drehte sich die Lene unmutig gegen die Wand, als aber das Kind schluchzend seufzte, wandte sie sich um und spähte in das rosige Gesichtchen, bis ihr die Augen zufielen. Bald bewegten ihre Atemzüge gleichmäßig die Flamme des Nachtlämpchens, das neben ihr stand.
Sie machte große Augen, als sie aufwachte und ihren Mann vor dem Spiegel stehen sah. Er bürstete sich die Haare zurecht.
»Gehst du fort?« fragte sie schlaftrunken, ohne Erinnerung an den letzten Abend.
»Nein, Schatz!« stieß er heraus und kicherte wie ein Weib, »ich komm heim.«
»Jetzt?«
»Ja, es ist erst fünf Uhr.«
»Ah!... das ist arg«, sagte die Lene und setzte sich jäh im Bette auf, »wo warst du?«[115]
»Alleweil im Wirtshaus. Hab aufs Heimgehen vergessen, weil es dort so lustig war und weil die Leut alle so freundlich mit mir waren. Die Allerhand-Mädeln haben gesungen, ein paar alte Kameraden waren da, getanzt ist worden und da ha ...«
»Sei still!«
»Oho!«
»Sei still. Ich bitt dich. Geh bald wieder fort«, sagte sie tonlos.
»Und warum?«
»Ich kann dich in einem solchen Zustand nicht anschaun.«
Der Leopold stand jetzt neben dem Lager seines Weibes, er hatte die Hand in der Hosentasche stecken, und eine erloschene Zigarre hing aus dem Mundwinkel nieder, er spreizte die Beine weit auseinander und ließ sich immer von den Fersen[116] auf die Zehen und von den Zehen wieder auf die Fersen sinken, dabei musterte er die Lene mit seinen rotunterlaufenen Augen und lachte ihr manchmal kurzweg ins Gesicht.
»Geh, sag ich dir!« rief sie eindringlich.
»Und wenn ich nicht gehen will? Wenn ich mich jetzt niederlegen will und schlafen, wer könnte mir das verbieten? Wer? Wer ist der Herr im Hause?«
»Du hast zu tief ins Glas geschaut.«
»Daß ich nicht zu tief in die Teller schaue, dafür sorgst du! Kochst nichts, legst dich am hellichten Tage schlafen. Was wirst du tun, wenn wir erst fünf, sechs Kinder haben? Da bleibt die ganze Familie alleweil im Bett liegen, gelt?« schrie der Leopold und lachte verbissen. Die Frau schaute ihm plötzlich voll ins Gesicht, ein Schauer lief durch ihre Glieder, sie zog ihr Nachtleibchen höher hinauf, warf einen Rock über, sprang aus dem Bette und huschte an ihm vorbei in die Küche hinaus. Der Leopold ließ die Zigarre aus dem Munde fallen und warf sich auf sein Bett, er schleuderte die Stiefel polternd von den Füßen, streckte und reckte sich und gähnte mit aufgesperrtem Mund, dann rief er nach seinem Weibe, schnarchte aber schon, ehe sie ihm hätte Antwort geben können.
Die Lene öffnete leise die Türe und blickte vorsichtig nach ihrem Manne; als er ungestört weiterschlief, schlich sie geräuschlos in die Stube, kleidete sich allmählich an, nahm das Kind aus der Wiege und schob sich dann geduckt und lauernd hinaus; sie verschloß die Küchentüre und glitt, ohne sich umzuwenden, dahin über den stillen Hof. Bei dem Kammerfenster der Hanne blieb sie stehen und atmete zum ersten Male aus voller Brust, dann pochte sie hastig an die Scheiben. Das junge Mädchen hob den Kopf, ließ die Arbeit erschreckt in den Schoß fallen und machte ein Zeichen gegen die Türe; sie stand mühsam auf und öffnete. Die Lene schlüpfte hinein, ließ das Kind in die Arme der Hanne gleiten und kauerte sich auf den einzigen Lehnstuhl, der in der Kammer stand.
»Ist dem Leopold etwas geschehen?« fragte das Mädchen zitternd.[117]
»Ah! Jetzt ist er heimgekommen! Die ganze Nacht im Wirtshaus, hat gesungen und getrunken und getanzt mit den verrufenen Weibsbildern, mit den Allerhand-Mädeln!«
»Aber was ist ihm da nur eingefallen?« klagte die Hanne hilflos, »und warum laufst du so verstört herüber?«
»Weil mich ein Grausen anpackt, wenn ich einen betrunkenen Menschen seh. Und mein Mann? Ob ich ihn noch einmal anschauen kann, seit ich ihn so gesehen hab, weiß ich nicht. Brr ...« Es schüttelte die Lene, als ob sie aus einem Schneegestöber käme.
»Aber denk nur, da müßten Sonntag und Montag fast alle Weiber von ihren Männern davonlaufen. So was kommt manchmal vor, und jede ertragt es.«
»Ich bin nicht wie eine jede. Ich hab ihm das gesagt, eh' ich ihn genommen hab. Ich trag es nicht.« Sie sagte das ruhig und bestimmt, lehnte den Kopf zurück und schaute an die Zimmerdecke, dann setzte sie halblaut hinzu: »Der hat doch recht gehabt. Wo hab ich nur hingeschaut?«
Der Leopold erwachte erst gegen Mittag, und als er die Türe verschlossen fand, stieg er durch das Fenster in den Hof hinaus. Er schaute sich nach allen Seiten um, da er aber sein Weib nirgends sah, ging er weiter und pfiff recht laut und auffallend. Die Nachbarn sollten nichts merken davon, daß es etwas gegeben hatte in der Wirtschaft, er eilte vorwärts, und so wie am Abend früher flatterte sein Ärmel in der Luft herum. Der Leopold dachte nicht daran, daß sein Weib aufpaßte und hinter dem Fensterkreuz, solange sie ihn sehen konnte, auf den leeren Ärmel stierte. Als sie ihren Mann weit genug entfernt wußte, lief sie mit ihrem Kinde hinüber in ihre eigene Stube. Sie ordnete langsam, was da herumlag, aber es ging ihr nichts von der Hand. Es war auch, als ob der Kleine die ängstliche Verdrossenheit seiner Mutter eingesogen hätte, so böswillig greinte und quiekte er und wollte nicht in seiner Wiege bleiben; wenn sie ihn aufnahm, schwieg er; wie aber konnte sie das Kind in den Armen halten, sie hatte doch über und über zu schaffen?
Mit beschmutzten Stiefeln war der Leopold in der Stube herumgetrottet[118] , die Betten standen zerwühlt da, Mitte der Woche war bereits, und sie mußte daran denken, das Bündel Wäsche rein zu machen, das unter dem Putztisch seit der vergangenen Woche versteckt lag, kochen sollte sie und den Schreihals warten. Sie dachte dabei fortwährend an ihren Mann, seit einigen Stunden wußte sie, daß sie das alles tun müsse. Das Kind hielt sie lässig in den Armen und reihte sich so aneinander, was geschehen würde, wenn sie nicht so wie die anderen Weiber zugreifen und sich abplacken wollte. Dieses innerliche Zurechtlegen und Nachdenken über eine Menge Dinge, die ihr, ohne daß sie sich früher klar darüber wurde, zuwider waren, erschien ihr jetzt noch unerträglicher als die gewohnten, täglich wiederholten Handgriffe. Eines hing aber mit dem andern zusammen; wenn sie nicht arbeiten, nicht alt und häßlich werden wollte vor der Zeit, wenn sie nicht jedes Stück, das da stand und lag, Tag um Tag reiben, fegen, waschen wollte, wenn die Suppe nicht auf ihn wartete, wenn sie das Kind nicht herumschleppte, so durfte ihr Mann sie ausschelten und die Nächte hindurch im Wirtshaus bleiben, er brauchte ihr kein Geld zu geben für sie und sein Kind, er konnte sie am Ende sogar noch schlagen, wenn er volltrunken heimkam ... Das durfte er, weil sie sein Weib war. Sie mußte also wie er das tägliche Brot erwerben, sie mußte arbeiten für ihn und für die Kinder, die sie noch mit tausend Schmerzen so wie das eine schreiende da zur Welt bringen sollte; sie kroch in sich zusammen vor Angst und Zorn. Und niemals soll das anders werden, bis an das Ende immer derselbe mühseliglangweilige Weg? Jetzt erinnerte sie sich an die unscheinbare, unschöne Mutter ihres Mannes, die sich immer abgequält und abgemüht hatte, die so arm und klein war neben ihrem rechthaberischen Eheherrn, dem Vater des Leopold. Wenn der seinem Vater nachschlagen würde, dann müßte sie unausbleiblich solch ein verkümmertes, zusammengerackertes Geschöpf werden, wie die alte Frau Weis gewesen. Und warum muß das sein?
Zum ersten Male, seit sie die Frau des Leopold war, kamen ihr die Worte des Pfarrers in den Sinn, es war ihr, als hörte[119] sie die Trauungsrede mit einer Deutlichkeit, daß sie nach der Ecke hinhorchte, denn von dort her sprach die eintönig pathetische Stimme zu ihr: »Freud und Leid miteinander tragen. Treu bleiben bis in den Tod. Streng jede Pflicht erfüllen. Stets der Pflicht eingedenk sein. In Wahrheit seine rechte Hand werden. In Frieden wandeln ...«
Sie schüttelte sich bei dieser Erinnerung. Ja, ja! Das hat er alles gesagt, und jetzt wußte sie auch, was das Wort Pflicht heißt. Warum hat ihr damals kein Mensch ihre Pflichten haarklein vorgesagt, vor dem Altare hörte sich die Geschichte wie eine lange schöne Rede an, sie hatte hingehorcht mit halbem Ohr und mit lachendem Herzen, es war ja so lustig, von allen Leuten angeschaut zu werden, schön aufgeputzt zu sein und Hochzeit zu halten. Und was der Leopold alles versprochen hatte, als er beim Altar stand und ihre Hand so fest drückte! – Was ist aus dem Versprechen geworden? – Ja, er ist treu geblieben, er hat für sie gesorgt, aber was er zu geben hatte, war wenig genug. Sie mußte es doch besser haben können auf der Welt, sie ist ja schöner als alle Mädchen und Weiber der Vorstadt.
Mochte sie es anstellen, wie sie wollte, sie kam immer zu diesem Schlusse. Sie hatte schon ein schmerzhaftes Pochen und Zerren im Genicke, hinter den Schläfen fühlte sie ab und zu ein Krachen, als ob eine Stecknadel hineingestoßen würde, ihre Arme zitterten, so sehr erregte sie das Nachgrübeln über die Vergangenheit und Zukunft, dabei wurde die Arbeit in ihren Händen immer mehr, so widerwillig packte die Lene sie an.
Von jenem Tage ab war kein Stäubchen in der Stube zu sehen, kein Knopf fehlte an den Hemden des Leopold, kein Fleck war in der Wäsche, und kam er heim, so dampfte die Suppe schon auf dem Tische. Das junge Weib hatte sich mit schwerfälliger Genauigkeit eingeprägt, was sie zu tun habe, um den Frieden zu erhalten, und von jenem Tage ab durfte der Mann nimmer über sein Hauswesen klagen. Was konnte ihm das helfen, nach kurzer Zeit schon hätte er über jede Nachlässigkeit geschwiegen, wenn ihn ihre roten Lippen mit einem Kuß[120] begrüßt hätten, und selbst wenn er sie halb im Zorn, halb in auflodernder Zärtlichkeit an seine Brust riß, konnte er doch kein liebevolles Wort aus ihr herauspressen. Und das ging Woche um Woche so fort.
»Was soll ich denn anfangen mit ihr?« sagte der Leopold zu dem Laternanzünder, »sie ist jetzt für das Haus ein ganz tüchtiges Weib, sie ist nicht trotzig und keift auch nicht wie die andern, aber man kommt halt zu keiner rechten Freud neben ihr, sie geht um und um, hin und her bei einem, als ob sie ganz allein auf der Welt wär.« »Kauf ihr ein neues Kleid«, sagte der Laternanzünder, nachdem er sich schweigend besonnen hatte; mit behaglicher Pfiffigkeit setzte er hinzu: »Und wenn sie sich am nächsten Sonntag damit aufdonnert, so führ sie am Arm durch die ganze Vorstadt, das wird sie schon wieder lebendig machen, sie ist halt ein verzogenes Ding, die Rote!«
»Ja freilich!« seufzte der junge Ehemann, »wir alle miteinander haben sie verzogen, sie hat es viel zu oft gehört, daß sie schön ist«, er kaute an den Schnurrbartenden und wurde rot bis hinter die Ohren.
»Hm! – ja – schon möglich«, knurrte der Laternanzünder, »die Meinige war kein so schönes Frauenzimmer, und es hat aber doch so seine drei-, viermal genützt, wenn sie stützig worden ist, das neue Kleid hat sie gebogen, und in solchen Sachen sind die Weibsleut alleweil gleichgesinnt.«
Der Leopold hörte den erfahrenen Ehemann aufmerksam an, er preßte den Kopf in die Hand und schaute mit traurigen Blicken auf die verwitterte Gestalt mit dem verschmierten grünen Kittel. Der hatte sein maulendes Weib zu Paaren getrieben, aber die beiden waren nun alt. Doch er und sein Weib waren jung, hatten das ganze Leben vor sich, konnten noch so glücklich sein, warum all die Reibereien, die Kleinlichkeiten, warum das armselige Bestechen des Weibes, dieses Spekulieren auf ihre Eitelkeit, was half das alles, wenn ihr Herz kalt war?
»Jetzt ist die Meinige alt«, knurrte der Laternanzünder in die schwermütigen Gedanken des Leopold, »jetzt ist sie alleweil[121] gerührt über alles, ich glaub, das hat sie sich von der Christl ihrer Mutter angelernt, jetzt heult sie über jeden Knopf, wenn sie vergessen hat, einen anzunähen. Wenn es aber manchmal, so zum Quartal, einen tüchtigen Sturm im Haus gibt, dann kriegt sie keinen Atem, weil sie halt dick ist – dann schütt ich ihr einen Krug Wasser ins Genick, dann schnappt sie eine Weile wie ein Fisch, hockt sich in einen Winkel und jammert den ganzen Tag, als wenn ich ihr weiß Gott was tät. Neues Kleid aber kriegt sie doch keines!« Er schleuderte die Arme mit einer großartig verneinenden Bewegung auseinander.
Der Leopold war ganz still und weich geworden, er rieb den lackierten Schirm seiner Mütze auf dem Knie und sagte dann recht gedrückt: »Ich dank dir, Laternanzünder, für deinen guten Rat, du bist ja doch ihr Vormund und hast mitzureden.«
»Ja!« erwiderte der alte Dragoner und streckte die Brust würdevoll heraus.
»Jetzt kaufe ich gleich das Kleid«, sagte der Leopold entschlossen, als ob es sich um etwas ganz Besonderes handelte, und noch als er an der Türe stand, rief er zurück: »Gleich, grüß Gott!«
»Behüt Gott!« schrie ihm der Laternanzünder nach. »Hast doch keine Courage, bist wie ein Waschlappen wegen dem Rotschädel!« brummte er für sich, als der junge Ehemann die Türe hinter sich geschlossen hatte.
Er schüttelte seine Truhe mit den Öllämpchen sehr energisch, hielt noch eine liebevolle Anrede, als ob er zu lebenden Wesen spräche, und ging dann seine dunklen Wege, um den Menschen Licht zu bringen. Er ging sehr tiefsinnig dahin.
Peter Michl hatte zwei Schwächen, welche seinem stets gerührten Weibe das Leben schwer machten. Die erste war, daß er sich gern auf den Unwiderstehlichen hinausspielte – trotzdem es keinen treueren und besseren Ehemann in der Blauen Gans gab –, aber das war eine Gewohnheit aus seiner lustigen Soldatenzeit her. Die zweite Schwäche war gefährlicher, und sein Weib stand ihr vollständig hilflos gegenüber. Michl[122] hatte sich nämlich aus den sonderbarsten Scharteken eine Art entsetzlicher Bildung und aus allerlei Erlebnissen und Erfahrungen, die sich in seinem Gehirn als Besonderes widerspiegelten, einen »philosophischen Standpunkt« aufgebaut. Die runde Frau wagte nicht zu atmen, wenn er ihr von dieser Höhe herab ihre Fehler vorhielt, sie verstand sein Kunterbunt beinahe ebensowenig wie er. War er aber einmal im Zuge, so mußte er sehr viel reden, das gab ihm Respekt vor sich selbst, und zum Schlusse erklärte er immer, daß die Blaue Gans ohne ihn und den einsamen Spatzen weder Licht noch Bildung hätte.
Er hatte das Bedürfnis, vielen Leuten klarzumachen, daß er ein unentbehrlicher Mensch sei, und diese vielen fand er nur in der Schenke; aber je eindringlicher er redete, desto mehr wurde ihm zugetrunken, und je öfter er Bescheid tat, desto unklarer wurde ihm selbst dabei zumut. Der würdige Mann hatte das Unglück, gerade jetzt in lustige Gesellschaft zu kommen, als er ein Glas Wein trinken wollte. Wirtshausbrüder setzten sich zu ihm, und die Strohschneidermädeln standen aneinandergelehnt, hörten lachend seine lange Rede über das neue Licht und liebäugelten mit ihm.
»Jetzt muß ich zum Geschäft schauen«, schloß er, »aber wie sie alle brennen, komm ich wieder, und dann werd ich euch beweisen, daß es auf einmal finster sein wird. Keine Luft! – Alsdann später.«
Der Laternanzünder ging kerzengrade, aber seine Lämpchen klirrten, und wenn er um die Ecke bog, so zog es ihn immer um ein paar Schritte über die Laternen hinaus. Er bohrte dann die Absätze ein, beugte den Oberkörper zurück und blinzelte mit zusammengezogenen Augen hinauf zu den Laternen, ging ein paar Schritte rücklings, und sowohl er als die Öllämpchen schwankten bedenklich, wenn sie nach langem Zielen am rechten Platz waren. An diesem Abend war es da draußen recht übel beleuchtet, und als das letzte Lämpchen festsaß, beeilte sich der Laternanzünder, wieder seine Zuhörerschaft im Wirtshaus aufzusuchen. Oben auf der Hauptstraße lief der Leopold von Laden zu[123] Laden und suchte lange, bis er ein Kleid kaufte, das den Farben nach Aufsehen machen mußte in der Blauen Gans. Als Feierabend war, rannte er mit dem Zeuge heim, je näher er dem Hause kam, desto mehr freute er sich über die großen Augen seiner Lene.
»Die wird dreinschauen!« Das Herz schlug ihm, als er in die Stube trat, und er hätte gern aufgejauchzt vor Freude, anstatt daß er mit prahlerischer Gleichgültigkeit das Umschlagpapier abwickelte und sein Geschenk auf den Tisch legte. Er ließ den Stoff im Lichte glänzen, bauschte ihn so auf in Falten, wie er es in den Schaufenstern gesehen hatte, und sagte endlich schmeichelnd, weil er wußte, daß sie das am liebsten hörte: »Du, Frau, laß dir dein neues Kleid da bald machen.«
Es verlegte ihm die Stimme, er schwieg; wenn sie nur aufstehen und herkommen würde; er steckte rasch seine Hand in die Tasche, damit er nicht den Arm nach ihr ausstrecken konnte. Von der Seite hatte sie sein Tun beobachtet, aus dem Bettwinkel hervor, in dem sie mit der Wiege verschanzt hockte und ihr Kind einschläferte. Sie rührte sich nicht und sagte nur halblaut: »Ich dank dir schön.«
»Was, sonst sagst du nichts?« fragte er enttäuscht.
»Was sonst?«
Er biß die Zähne übereinander, daß sie es bis in ihren Winkel hin krachen hörte, denn der Leopold hatte weiße, breite Zähne, die stark wie von Eisen waren.
»Meinen Namen mußt vergessen haben, denn ich hör ihn nimmer von dir, und lachen, scheint mir, gehst auf den Dachboden, denn ich schau immer nur in dein mürrisches Gesicht. Sei gut, Lene! Gib mir freundlich die Hand, und denk doch daran, daß wir für alle Lebenszeit beieinander bleiben müssen. Was soll denn unser Herr Sohn für eine Meinung von uns kriegen?« Er lächelte ihr treuherzig zu und versuchte wieder, das Kleid aufzubauschen.
Das Weib hob die Augen nicht zu ihm auf, aber plötzlich schüttelte ihren schlanken Leib ein verhaltenes Schluchzen. Das war es ja, beieinander bleiben für alle Lebenszeit, immer[124] freundlich sein und ein heiteres Gesicht machen, wenn einem auch gar nicht so zumute ist; immer arbeiten, Tag um Tag das nämliche, Freude haben, wenn der Mann solches Zeug daherbringt. Das grellfarbige Ding sollte ihr Freude machen! Ein Falbel von den Röcken, die im Trockenhofe hingen, war mehr wert als das ganze neue Kleid. Und wie der Leopold nur so dastehen konnte vor ihr? Mit jeder Woche sah er nachlässiger aus, sie hatte aufgemerkt, sogar sein Schnurrbart war zerwirbelt und zerzaust, und immer baumelte der leere Ärmel herum. Ehemals war der Mann viel hübscher, und wenn sie ihn auch nicht so liebhaben konnte wie er sie, so gefielen ihr doch seine Gestalt und sein Wesen besser. Aber schon an ihrem Hochzeitsabend mußte sie anhören, daß er ein Krüppel war. – Sie hatte es verwinden wollen; wo hab ich nur hing'schaut? – sann sie doch wieder. Sie wußte nicht, warum ihr jetzt der Mann und die andern Leut, die Wirtschaft, ja sogar die Blaue Gans zuwider waren. Daß sie alles das, wie es war, für die ganze Lebenszeit ansehen und aushalten müsse, das ging ihr immer durch den Sinn, und darauf pochte er noch und stand vor ihr und wartete auf eine freundliche Antwort. Woher nehmen?
»Ich will gar nicht davon reden, wie lang du mir nicht ein einziges Bussel geben hast ... Schau, Lene, ich bin halt anders wie die anderen Männer, die du kennst da bei uns herunten. Ich hab die Welt gesehen, hab ein wenig etwas gelernt draußen und gelesen ... Du bist so schön, und ich hab dich gern gehabt, wie du noch ein kleinwinziges Ding warst, und ich hab dich immer lieber kriegt und gar nichts sonst gedacht, als daß ich dich heiraten und dich recht glücklich machen will. Wenn du dir nur überlegen könntest, wie weh du mir tust.«
»Ich kann nicht anders sein, als ich bin«, antwortete sie leise.
»Kannst nicht anders sein?... Warst doch vor der Hochzeit zutraulicher. Sitze doch nicht so dort, komm hervor, und schau dir wenigstens das neue Kleid in der Nähe an.«
Sie knüpfte sich das Tuch fester auf dem Rücken, ließ die Schultern einsinken und schob sich langsam zwischen dem[125] Bett und der Wiege hervor. Wie ein gescholtenes Schulmädchen stand sie neben dem Tische und zog die Ellenbogen an die Hüften.
»Du tust ja, als ob du alle Tage eine Tracht Prügel kriegen tätst!« rief er und hob ihren Kopf am Kinn auf. »Geh, Frau, sei nicht trotzig, es paßt nicht zu deinem schönen Gesichtl, sei gut.« Als sie nichts erwiderte, glaubte er auf den roten Lippen ein leichtes Lächeln zu sehen, er nahm sie um die Mitte und wollte sie an die Brust ziehen, aber als sie mit ihrer Wange seine Schulter berührte, taumelte sie zurück wie fortgestoßen und schaute mit dem Ausdruck des Grausens nach dem leeren Ärmel.
»Was hast du?« frug der Leopold erstaunt.
»Ich – du – weil«, stotterte sie zagend und deutete auf seinen Arm.
»Mein Arm?« Er griff mit der Hand an den Stumpf, und es blitzte etwas in seinen Augen, das sie noch ängstlicher machte.
»Dein Armstumpf, freilich – ich hab mich angestoßen, da« – sie zeigte auf ihre Wange und schüttelte sich.
»Na und?«
»Stopf was hinein, laß dir einen hölzernen Arm machen, nur laß den leeren Ärmel nicht so herumfliegen.« »Warum?«
»Ich – ich fürcht mich, und die Leut lachen, weil ...«
Sie konnte nicht weiterreden, der Leopold hatte sie rückwärts am Halse gepackt und sie auf einen Sessel niedergedrückt, er schaute ihr ganz nahe in die Augen und sagte mit trockenen Lippen und dürrer Zunge wie ein Kranker: »Red nur fort, über was lachen die Leut?«
Lene bog sich ein wenig beiseite und blickte mit zuckenden Wimpern zu ihm hinauf, als ob sie sein Gesicht sehen wollte, wenn sie ihm einen Hieb gab dafür, daß er sie, die Prinzessin, rauh angefaßt hatte; ihre graugrünen Augen flimmerten fast gehässig, als sie weitersprach: »Die Leut lachen mich aus, weil – weil ich einen Dreiviertelmann geheiratet hab!« »Einen ...«, keuchte er.[126]
»Einen Krüppel!«
»Weib!« schrie der Leopold auf und stand mit erhobenem Arm vor ihr, »hat dir das Gesindel nicht gesagt, daß ich dich und mein Kind mit dem einen Arm besser erhalte als die andern Männer die ihrigen mit zwei Händen?«
Die Frau duckte sich zusammen, hielt sich die Ohren zu und schloß die Augen.
»Und du denkst auch so von deinem Mann? Ich soll mir einen Arm machen lassen?« Jählings wurde er dunkelrot und schrie heiser: »Es graust dir also vor mir, weil ich ein Krüppel bin?«
»Ja!« stieß sie rücksichtslos trotzig heraus, gleich dahinter aber rief sie bittend: »Schlag nicht!«
Es war zu spät, seine wuchtige Faust fiel auf ihren Nacken nieder ... Der Leopold wankte und torkelte, als ob er den[127] Schlag bekommen hätte, das wutverzerrte Gesicht wurde nach und nach schlaff und fahl, er schleppte sich an das Fenster, ohne sein Weib anzusehen, er horchte und wußte nicht auf welchen Laut; als sich aber minutenlang nichts regte in der Stube, stöhnte er: »So weit kann ein Weib einen Mann bringen«, und ohne daß er den Kopf erhob, tappte er aus der Stube.
Ohne Mütze, mit weitoffenem Rock und flatterndem Ärmel schritt er schwerfällig durch den Hof, über die Straße und hinaus auf die Trockenwiese. Dort stand er jetzt still, sah sich um und holte tief Atem, dann ging er langsam weiter über das Feld, querdurch, wie ihn seine unsicheren Füße trugen, und so kam er zu dem Feldrain, auf dem er damals ausrastete, als er heimkehrte. – Schier auf demselben Platz setzte er sich nieder, er hatte ja damals hier Frieden gefunden.
Damals.
Der Menschenlärm, der Schreck über den Sturz der kleinen Hanne, das Herzleid und die Körperschwäche, die ihn angefallen hatten, alles war hier zurückgewichen, und er saß damals still da mit der Lene, mit demselben Kinde, das heute sein Weib war – und dasselbe Geschöpf hatte ihn auch diesmal hierhergetrieben, heute saß er aber allein, verlassen, von ihr beschimpft mit dem schlimmsten Schmähwort, das es für ihn gab.
Von jetzt ab erst war er ein Krüppel, er wußte, daß seinem Weibe vor ihm grauste und daß ihn die Leute verlachten, weil er den Mut gehabt hatte, das schönste Mädchen zu heiraten, er, der Einarmige, der Dreiviertelmann. – Ach! – die Schmerzen, die Schmerzen! Er litt alles wieder durch, was er auf dem Schlachtfelde und im Spital ertragen hatte, und der Armstumpf zuckte und zitterte an seinem Leibe. – Da plötzlich spürte er seine verlorene Hand wieder; als er mit der lebendigen Hand verzweifelt an die linke Schläfe fuhr und die Faust fest andrückte, da war ihm, als ob die rechte entgegenpreßte, und als er die linke mutlos zwischen die Knie sinken ließ, da fühlte er, wie die Finger, die längst vermodert[128] waren, sich rührten und zwischen die lebendigen schlüpften, wie die beiden Hände sich ineinanderkrallten und flehend hinaufreckten zu dem dämmergrauen, stummen, mitleidlosen Herbsthimmel. – Der Rest seines Armes bewegte sich fort und fort, alle Muskeln dehnten sich, er spürte sein begrabenes Stück Körper wirklich wieder, das Herzleid hatte es lebendig gemacht, die Seele schrie nach diesem Glied, als könnte sich dann der gequälte Mensch wehren, als müßte sie nicht hilflos erdulden, was sie schädigte für alle Zeit.
Das war ein ganz anderer, der jetzt da auf dem Feldrain hockte, das war der Leopold, den man nie äußerlich sah, das war der Mensch, der jetzt sich selbst genau anschaute, als ob sein heimliches verborgenes Ich wie ein Zwillingsbruder, den er versteckte, da ihm gegenübersitzen würde. Es jammerte ihn, was sie alles gemacht haben aus dem blonden, lustigen Burschen: »Die Zeit ... und die Leut ... und das Weib!...« Er hatte so redlich gesorgt für sie, er liebte sie so dumm, so unsinnig, daß er sich schämte, es ihr zu sagen; die sonderbarsten Dinge flüsterte er vor sich hin, wenn er sie[129] umarmte, so schöne Worte, wie er sie sprach, standen ja nur in den Büchern oder sagten die Leute auf dem Theater, das durfte sie nie hören, beileibe nicht, sie hätte ihn ja doch nicht verstanden – wenn es gut gegangen wäre, höchstens gelacht. Dafür aber konnte sie nichts, das war nicht ihre Schuld. Alle können ja nicht so sein wie der, welcher ihm gegenübersitzt und mit traurigen Augen auf die fahlen Grashalme schaut.
Sie ist so schön! – Wie liebte er sie, und sie konnte es dahin bringen, daß er seinen männlichen Arm entehrte und den anderen noch im Grabe zuschanden machte dadurch, daß er ein Weib schlug – sein Weib, dieselbe Lene, die er doch bis zur Stunde noch mit allen Qualen des Gekränkten liebte. »So weit kann nur ein Weib einen Mann bringen!« schrie er jählings, so daß die Hunde aufbellten, die noch unten in den Feldern herumtollten.
Was soll nun daraus werden? – Wie wird das Leben jetzt weitergehen? – Was soll er ihr sagen, wenn er heimkommt? – Der Blick, mit dem sie ihn ansah, als sie die Abscheulichkeit aussprach, brannte ihm noch auf der Stirne und in der Brust; das war ein gehässiger Blick, so schaut jemand, der nicht in der Zornwütigkeit hinschlägt, wie er es getan hat. »Die kann nicht vergessen und verzeihen«, stöhnte der Mann.
Dieweil war geräuschlos ein großer Hund herangezottelt, legte sich auf ein paar Schritte entfernt nieder, streckte alle vier Pfoten von sich und kläffte, als ob er den Leopold rufen wollte. Es war ein junges Tier mit ungelenken Gliedern und einem dummen Gesicht. Langsam schob und kollerte er sich näher, sprang spielend rund um den Mann, bis er endlich mit einem plumpen Satz hinter ihm war. Jetzt richtete er sich auf, legte die Vorderpfoten auf die Schultern des Leopold, streckte den großen Schädel hervor und begann seine Ohren und Wange abzulecken.
»Ah, du bist's, Schuftl! Du suchst mich auf?«
Das Tier kroch hervor, machte wieder ein paar Sprünge, hielt plötzlich inne, horchte auf und stellte sich dann leise knurrend neben den Mann.[130]
»Was gibt's?«
Der Hund schnupperte dem Trockenplatz zu.
»Paß auf, Schuftl!«
Jetzt schlug das Tier dreimal nacheinander laut an, wie immer, wenn jemand dem Trockenplatze nahe kam.
»Es ist ja keine Wäsche im Freien mehr?! Warum er nur bellt?«
Wieder kläffte der Wachhund und winselte, als ob jemand die großen leeren Stangen forttragen wollte, denn sonst war nichts unten auf den Trockenstätten. Jetzt aber hörte der Leopold gedämpfte Stimmen, die immer näher und näher heraufkamen.
Was das Tier für ein feines Gehör hat, dachte er verwundert und streichelte das weiche Fell des Schuftl. Nun lachten und plauderten die Leute unten lauter, und ein heiserer Mensch jauchzte plötzlich so schrill, daß der Lauscher zusammenschrak.
»Singen! singen!« grölte einer, dessen kurzer raspelnder Ton dem Leopold bekannt war, aber er dachte nicht darüber nach, denn das Jauchzen und Schreien wurde immer wilder.
»Na ja. Aber jetzt kusch!« überschrie das Gelärme eine kräftige Mädchenstimme, und es wurde auch jählings still.
Leise hub nun eine sanfte Stimme zu singen an, wie für sich allein, so sacht und weich. – Es waren schier schwermütige Laute, die aus einer jungen Kehle emporstiegen und wie Wellen dahinschwammen, die ganze Luft schien erfüllt von dem flüsternden süßen Gesang.
»Aha, die Marie!« murmelte der Lauscher.
Die unsichtbaren Begleiter der Sängerin schrien und klatschten in die Hände, bis wieder der kräftige Ton dareinfuhr: »Still! Weißt, Marie, wir singen jetzt miteinander das Mariahilfer G'läut.«
Nun begannen die zwei Mädchen gleichzeitig und sangen eines jener wortlosen Lieder, die nur die kleinen Leute, die an den äußersten Enden der großen Stadt wohnen, erfinden, aus der Luft holen und ein paar Wochen lang in die Luft hinaussingen und pfeifen.[131]
Richtig, die Strohschneidermädeln, dachte der Leopold, hielt dem Hund die Schnauze zu, damit er nicht knurren oder bellen konnte, grub sein Gesicht in das wollige Fell des Schuftl und horchte.
Der Gesang hub wieder an, ernst, fast melancholisch, die beiden Stimmen erklangen wirklich wie abgetönte Glocken, abwechselnd schwang sich jetzt eine über die andere, immer reiner, immer höher, immer fröhlicher, und nun einigten sie sich in einem letzten kecken Hinaufwirbeln und schlossen mit einem hellen Jauchzen jäh ab.
»Heiß ich singen«, sagte beistimmend der Grölende, und der Leopold erkannte jetzt, da die Schar schon näher herankam, den Laternenanzünder.
»Was fallt nur dem ein, daß er mit der Gesellschaft herumzieht?«
Er wußte nicht, daß auch der alte Dragoner heute sein Teil zu tragen hatte und daß die lustige Bande eine Gefälligkeit für die andere begehrte. Sie hatten geduldig seine Auseinandersetzung über das neue Licht angehört, ihm beigestimmt und zugetrunken, ihn aber dafür durch alle Straßen geschleppt, hinter den anrüchigen Strohschneidermädeln her, sie hatten Staat gemacht mit dem würdigen Laternenanzünder und führten ihn, den der Gesang verlockte, in dieselbe Schenke, in welcher vor Wochen der Leopold die ganze Nacht gelumpt und gezecht hatte.
Die fröhlichen Menschen zogen an dem einsamen Mann vorüber, er drückte sich enger an das Tier, damit sie ihn nicht sehen mögen, und als er nach einer Weile den Kopf erhob, gingen sie schon seitwärts die Straße entlang und jauchzten, daß die leichtbewegte Luft das Echo wiedergab. Das eine der beiden Mädchen lachte und kicherte herausfordernd, die Stimme der anderen tönte mild, schier beruhigend hinüber zu dem Lauschenden.
»Mitten dahinein in den Trubel, das wäre vielleicht das beste! – - Ganz den Herrn zeigen, vielleicht hilft die Grobheit mehr als die dumme Lieb. Sie hat Respekt gekriegt vor dem einen Arm und kriegt viel leicht mehr Respekt vor dem[132] Mann, der jetzt nicht heimkriecht und um Verzeihung bittet«, so grübelte der Leopold, während er noch den lustigen Menschen nachhorchte. »Ich könnt ihr heut nicht in die falschen Augen schauen, ob sie mich wieder so anblitzen täten oder verweint wären ... Verweint?... Es ist doch eine schmutzige Sache, so auf ein wehrloses Frauenzimmer hinschlagen wie auf einen Lumpen, der einen bei der Nacht anfallen will ... Es ist eine Schand! Ja ... es ist eine Schand!«
Jetzt war es totenstill um ihn, ein kühler, schwerer, trauriger Herbstabend brach an; weit drüben lag ein leichtgeröteter Nebel, unter dem die Stadt steckte, und die tausend und tausend Lichter gossen das feine Rot auf die schwere Nebelhülle. Lange starrte der einsame Mann dahin, wo seine Arbeitsstrecke war, dahin sollte er morgen wieder mit einem ruhigen Gesichte gehen, die Lene mußte wenigstens nicht unter die Leute, wenn sie nicht wollte, aber er. – Zwischen der Nebelmauer und dem Platze, wo er jetzt saß, wurde es immer schwärzer, die Öllämpchen der Vorstadt verschwanden ganz, nur in der Nähe, unten vor der Blauen Gans, da glitzerten ein paar Lampen rötlich, wie verkommene Sternlein ohne Rand und Strahlen. – - – Wie traurig erschienen ihm die karg erleuchteten Fenster des Hauses.
»Was soll jetzt draus werden?... So etwas geschieht da unten alle Tage, und die Leute leben vergnügt weiter. Der Laternanzünder hat der ›Seinigen‹ auch den Kopf zurechtgesetzt ... Aber die ›Seinige‹ ist halt anders als die ›Meinige‹, das zarte junge Weib. Und bin ich so einer wie er?« Der Leopold wies mit dem Daumen hinter sich, der Schenke zu. »Ei, hol's der Teufel, das Nachdenken macht's nur noch schlimmer.«
Er sprang auf, schüttelte die Erdklümpchen von seinen Kleidern, strich sich die Haare zurecht und ging langsam den Weg, der hinauf in die Schenke führte. – Der Mond guckte mit halbem Gesicht über die Berge hervor, und sein mattes Licht rann über den Nebel, der sich jetzt ansah, als ob er beweglich wäre, als ob sich da unten ein geräuschloses Wasser ganz sachte heben und senken täte. Der Hund spreizte alle[133] vier Beine steif von sich, zog den Schweif ein und heulte hinauf zu der gelbblassen Halbscheibe, und als ihn der Leopold am Ohre nachziehen wollte, winselte er jämmerlich und schmiegte sich eng an die Füße des Mannes. Der Mond kam immer höher herauf, und der Leopold ertappte sich dabei, daß er wohl eine Viertelstunde dagestanden war und so wie der Schuftl hinaufgestarrt hatte, jetzt aber schritt er rascher aus, und der Hund lief leise klagend neben ihm her.
Da waren sie endlich; der Leopold stieß die feuchte Wirtshaustür weit auf, Tabakrauch, Wein- und Bierdunst qualmte ihm entgegen, so daß er wie betäubt in das Gewühl glotzte und wieder umkehren wollte, aber da johlten sie ihm schon zu: »Du bist da?«
»Servus!«
»Grüß Gott!«
»Wo kommst her?«
»Setz dich nieder.«
»Daher!« grölte der Laternanzünder und wies auf einen klebrigen Stuhl.
»Wie schaust aber aus?«
»Seid's ja ganz naß, du und der Schuftl.«
»Schufterl, hupf, da herauf!« rief die Marie. »Das ist gescheit, daß du endlich da bist!« sagte sie seitwärts zu dem Manne.
»Trink, Leopold!«
»Da auch.«
»Zu uns setz dich!«
»Daher! daher! daher!«
Etwa zwanzig drängten sich mit jener angeheiterten Zärtlichkeit an ihn, die bei dem nächsten Glas Wein schon so derb wird, daß sie jedem kurz die Wahl läßt: weiter und weiter trinken oder tüchtig geprügelt werden. »Wenn so ein hübscher junger Ehemann zu uns kommt, müssen wir ihm was Besonderes vorsingen, daß er das Wiederkommen nicht vergißt«, flüsterte ihm die Marie zu und sah mit zwinkernden Augen zu ihm auf.
»Probier's«, warf der Leopold leicht hin.
»Hat das neue Kleid geholfen?« frug der Laternanzünder[134] und kam mit verglasten Augen, aber mit militärisch strammer Haltung kerzengerade auf ihn zu.
»Und wie es geholfen hat«, erwiderte der Leopold, er lachte dabei und ließ sich von der Marie an einen Tisch ziehen, der in einer Ecke stand.
Das Mädchen sang ihm zuerst ganz laut eines ihrer vierzeiligen Lieder vor, einen Gassenhauer, doch als er vor sich hin stierte und sich um ihren Gesang nicht kümmerte, preßte sie ihre Schulter an seinen Arm, nahm seine Finger spielend in die ihren und summte mit gedämpfter, weicher Stimme:
»Geh, sei nicht so traurig,
Schau nicht so trüb drein.
Tust mir bitterlich weh,
Denn mein Herz g'hört noch dein.«
»Wem?« frug der Leopold spitz, rückte ganz in die Ecke und goß ein großes Glas Wein hinab.
»Rück nicht von mir weg,
Rück näher noch her,
Hast bis jetzt noch kein' Fleck,
So war's Bravsein nicht schwer«,
sang die Marie mit fieberhaftem Flüsterton, und der Mann schaute halb neugierig, halb verachtungsvoll in das blasse Gesicht des Mädchens.
»Eh, Faxen! Ich weiß schon, daß du dir deine Liedeln selbst zusammendichtst, bist flink mit deinem Kopf, darum singst auch einem jeden, was er gern hört«, spottete der Leopold; »bei mir aber kommst nicht gut an, überleg es dir, so ein Dreiviertelmann, der um einen Flügel zu wenig hat, der will anders betrogen werden als die ganzen Männer.«
Die Marie öffnete den Mund, sprach aber kein Wort, sie zeigte nur ihre blanken Zähne, warf einen flüchtigen Blick auf den leeren Ärmel, und dann schaute sie stumm vor sich hin auf die Tischplatte. Über den Augenbrauenenden, gegen die Nase[135] herab, traten zwei scharfe Buckeln hervor, und ihr feiner, weißer Hals wurde allmählich rosig gefärbt, rasch schlang sie ihren Arm um den Hals des Leopold, legte ihre Lippen an sein Ohr und sang, als ob sie ihn küßte:
»Red nicht von Betrug,
Hast zwei Augen wie Stern,
Hast zwei schnurg'rade Füß,
Und ich hab dich halt gern!
Hast ein butterweich's Herz
Und zum Küssen ein' Mund
Und zum Halsen ein' Arm,
Das ist g'nug für ein' Stund.«
»Aus dir könnt auch was Besseres werden als so ein ausgeschrienes Bierhäuselgewächs«, sagte der Besungene nachdenklich und schüttelte ihren Arm von seinem Halse.
»Meinst? – Na so such halt einen, der mich jetzt auf den rechten Weg bringt. Aber von denen dort«, sie schlenkerte die Finger gegen die Nachtschwärmer, »darf er nicht sein.«
»Brauchst denn just ein Mannsbild auf den rechten Weg?« »Ich kenn einen, der sich vor Jahren sogar auf mein' unrechten Weg g'stellt hat, so lang, bis ich wirklich g'stolpert bin – und g'falln. Hat er mich aufgehoben? – Frag ihn! – Und der weiß es doch ganz genau, wie er mich gefunden hat.«
Der Leopold zog rechts und links an seinem Schnurrbart und murmelte befangen: »Nicht reden – du warst damals lieber alle Tag unter dem G'sindel als woanders.«
»Eine gute Ausred ist einen Taler wert«, spottete die Sängerin, »der Gewisse hat aber damals gar keine Ausred braucht, er hat mich nur nimmer g'sehn, wenn er mir zufällig begegnet ist. War recht lustig die Zeit, besonders wenn man mäuserlstill sein muß, daß einen die Leut nicht noch auslachen – und wenn man mutterseelenallein seine Schand und sein Leid hinunter würgen muß. Kannst du dich vielleicht zufällig an die Zeit erinnern?«
Ein harter Blick glitt über das Mädchen. »Nein. – Besser[136] wirst du's nicht verdient haben. Red von was anderem, wenn ich dich anhören soll.«
»Nur anschaffen, das bist ja jetzt g'wöhnt als Eh'mann«, spöttelte Marie, zog aber dann ein abgegriffenes Büchlein aus ihrer Schürzentasche und kritzelte ernsthaft, nachsinnend eine Seite voll.
Leopold schaute auf den gesenkten kleinen Kopf der Sängerin, ihre schwarzen Haare waren so geölt und glatt, daß sie glänzten, und ihre Stirne war weiß und rein; sogar der kecke Zug verlor sich allmählich aus ihrem Antlitz, während sie schrieb und leise vor sich hin sang. »Schreibst dir die neuen Liedeln auf, daß du sie morgen wieder einem andern vorsingen kannst?« fragte er lachend.
»Müßt ich da bis morgen warten? Meinst, die horchten nicht gleich alle? Und gibt's so mir und dir nichts geschwind einen, auf den meine Liedeln passen? Das ist mein Dank von dir«, schmollte sie.[137]
Rundum kicherten und brüllten lachend die Wirtshausgäste, wenn sie in die Ecke blinzelten, denn sie hielten sich fern von den beiden.
»Hat ihn schon erwischt, die Feine, bis in den grauen Tag halten wir ihn fest, die Lene wird sich giften«, eiferte ein alter Kamerad des jungen Ehemannes.
»Na, und wer soll denn nachher singen?« schrie die Klara, »ich hab heut schon den ganzen Tag kräht – soll ich allein weitertun, was? – Wird der vielleicht«, sie wendete nur die Augen, ohne den Kopf zu bewegen, gegen Leopold, »den ganzen Abend zahlen heut?«
»Muß er«, betonte der Laternanzünder.
Der Leopold konnte nichts hören und sehen von dem, was da vorging, er war in einer mitleidsvollen Stimmung und schaute sich darum die Strohschneider-Marie zum ersten Male genauer an. Alles war so fein und zart an dem Mädchen, das klare Heiligenbilder-Gesicht. Aber die blauen Ränder um die Augen und die kecken Reden und das leichtsinnige Lachen manchmal, rechnete der Mann zusammen.
»Warum singst du denn in allen Kneipen und unter der Sippschaft herum, wenn's dir keine Freud macht?« Er nahm mit trotzigen Mienen das Gespräch von früher wieder auf.
»Frag meine Frau Mutter. Umsonst sing ich nicht, da schau, am Fenster stehen unsere Körberln, gerade früher war mein kleiner Bruder, der Xanderl, da und hat sie ausgeleert, jeder Wirt füllt sie uns voll, morgen in aller Früh schleppen wir das heim, was wir da kriegen. Meinst, es ist ein Spaß, die Mutter und die acht jüngeren Geschwister zu erhalten? Wie die Wilden fallen sie über die Körb her, wenn wir hundsmüd heimkommen.«
»Deswegen brauchst aber nicht alle Tag einen andern Schatz?«
»Ich? – Die Leut sagen das! Ist es darum wahr? Eh! Ich wollt, ich wär weiter, als mich meine Füß tragen.«
Das Mädchen schmiegte sich an den Leopold und schloß die Augen.
»Da schau hin, Klara!« zischelte einer.[138]
»Auch nicht übel!« brummte die ältere Schwester und ging zögernd in die Ecke, sie stemmte die Hände auf die Tischplatte, neigte sich vornüber und musterte das schweigende Paar mit einem wegwerfenden Lachen.
»He! Marie! Schlafst ein bei dem fidelen G'spann da? – Die Herren wollen ein neues Lied von dir hören. Pack zusamm' und laß den allein sitzen.« Sie schlug dem Mädchen leicht auf die Schulter und zog sie fort. »Es kann angehen« rief sie den Musikanten zu.
Gleich quiekte die Klarinette, die schlecht behandelte Gitarre trommelte einen Wirbel, und der Lärm verstummte, als die beiden Mädchen Hand in Hand mitten unter das Männervolk traten. Der Leopold wartete, bis sich alle den Sängerinnen zugewendet hatten, dann stand er auf und schaute über die Köpfe der anderen hinüber zu den Schwestern. Dicht aneinandergedrängt hielten sie sich umschlungen, der Kopf der Jüngeren lag halb auf der Schulter der Älteren, und so zwitscherten und jodelten die zwei Mädchen, daß dem Leopold schier der Atem verging vom Anhören und Ansehen. Er trat zurück, stürzte zwei Gläser Wein schnell nacheinander hinab, warf noch einen Seitenblick auf die Marie und ging davon, ohne daß ihn jemand beachtet hatte.
Draußen fiel ihn die kalte Nachtluft an wie ein nasses Tuch, der Nebel war dünner und heller geworden und das Mondlicht ganz klar. Er sah seinen Weg deutlich vor sich, feuchtglänzend zog sich die ausgetretene Spur durch die kahlen Felder. Er taumelte. Der jähe Umschlag aus der Hitze in die Nachtkälte machte ihn ganz wirr, und sein weinheißer Kopf, sein ganzes fieberhaftes Wesen trieben ihn mehr, als daß er bewußt ging. Wenn nur der heutige Tag nicht gewesen wäre, wenn ich nur wüßt, daß sie die Augen aufmacht und sagt: »Grüß dich Gott, Leopold!«
»Tust mir bitterlich weh,
Denn mein Herz g'hört noch dein ...«
Das kam ihm so über die Lippen, ohne daß er recht wußte wie, es war ihm doch gar nicht darnach zumut, an eine andere[139] zu denken, aber das traurige bleiche Gesicht des leichtfertigen Mädels stieg doch vor ihm auf, als er die Verse vor sich hin summte.
»Glaub fast, die tät keinen Mann, der es ehrlich mit ihr meint, so beschimpfen, und sie ist doch ...« Der Leopold redete laut mit sich selbst und stolperte weiter. Je näher er der Blauen Gans kam, desto langsamer ging er.
»Tust mir bitterlich weh!«
»Ja, ja, Weib! Tust mir so bitterlich weh, wie mir noch kein Mensch getan hat.«
Jetzt stand er vor dem Haustor, er seufzte schwer, preßte die Stirn an den eiskalten Steinpfeiler, dann zog er plötzlich so scharf an der Klingel, daß er es bis heraus auf die Straße läuten hörte.
Die Lene ist, nachdem er davongelaufen war, noch eine Weile still sitzen geblieben, freilich mit gebeugtem Rücken und zusammengekrallten Fingern. Sie weinte nicht, sie sprach nichts, nur der Nacken tat ihr weh, und langsam, als ob sie sich überzeugen wollte, daß ihr der Kopf nicht von den Schultern falle, bewegte sie ihn nach rechts und links, dann erhob sie den Oberkörper, zog aber rasch das Genick ein und langte nach der schmerzenden Stelle. Ihr weißes Gesicht wurde blutrot, die graugrünen Augen liefen hastig durch die ganze Stube, sie nagte an der Unterlippe und fuhr mit dem Fuße, als ob sie etwas wegstoßen wollte, über die Diele. »Aus ist's«, sagte sie kurz.
Jetzt aber begann ein seltsames Treiben; sie probierte eines ihrer Kleider nach dem anderen und spähte aufmerksam, welches davon ihrem Leib die schönste Form geben konnte. Sie hatte nicht viel Auswahl, darum behielt sie ein schwarzes Kleid, das glatt anpaßte, sie erkannte auch, daß ihr weißes Gesicht und ihre roten Haare sich noch schärfer abhoben. Nun wand sie ein schwarzes Schleiertüchelchen um den Kopf, nahm ein warmes dunkles Tuch über die Schultern, und sie war fertig hergerichtet wie zu einem Abendspaziergang mit ihrem Manne. Sie holte ihren Handkorb und packte einen[140] Kamm, ein Paar Schuhe und ihr Gebetbuch ein, dann füllte sie den übrigen leeren Raum mit Wäsche. Sorgfältig versperrte sie die Schubladen und den großen Kleiderkasten und legte alle Schlüssel mitten auf den Tisch, dann richtete sie das Nachtlämpchen zurecht, stellte die Milch für den Kleinen daneben, legte Kandiszucker und Zwieback dazu, und nun, da alles besorgt war, wollte sie gehen. – Als sie die Türklinke in der Hand hatte, blieb sie stehen und schaute durch die dämmrige Stube hinüber auf die Wiege, die zwischen den beiden Betten stand; sie tauchte die Finger in den Weihwasserkessel, der neben der Türe hing, und ging zurück zu dem Kinde. – Etwas Ernstes, Feierliches umfloß die schlanke Gestalt, und ihr ausdrucksloses schönes Gesicht wurde traurig. Sie kniete vor der Wiege nie der und küßte leicht und sanft die roten Lippen des kleinen Leopold, und damit sie ihn nicht wecke, machte sie mit dem Daumen in der Luft das Kreuzzeichen über seine Stirne, seinen Mund und seine Brust. – Sie hockte lange dort und horchte, sie[141] dachte, jetzt und jetzt müsse das Kind die Augen öffnen und – und was dann? Erschreckt stand sie auf, fuhr mit zitternden Händen über das Gesicht, bekreuzte sich selbst und ging mit festen, sicheren Schritten aus der Stube.
Die Lene versperrte die Küchentür, rüttelte an der Klinke, um zu prüfen, ob auch gut zugeschlossen sei, und eilte hinüber zu der Hanne.
»Gelt, du schaust später hinüber zu meinem Buben, in einer Stund bin ich wieder da, ich muß allerhand abmachen heut«, sagte sie ruhig zu dem Mädchen. »Versteht sich, solang du willst, bleib ich drüben, ich kann gleich hinübergehen und drüben arbeiten«, meinte die Hanne.
»Wie du willst. Behüt dich Gott.«
Lässig wie immer ging die Lene durch den Hof; sie warf noch einen scheuen Blick auf ihr verhängtes Stubenfenster und schlenkerte leicht mit dem Korbe hin und her, als ob er leer wäre.
Die Hanne packte ihre Arbeit zusammen, nahm das alte Handwerkszeug, die Einspannmaschine, unter den Arm und ging hinüber in das Zimmer ihrer Jugendfreundin. Sie zog den Vorhang zurück, breitete feines Seidenpapier auf das Fensterbrett, legte die ungenähten Handschuhe zurecht und sah nach dem Kinde, ehe sie sich an ihre Arbeit setzte. Bald jedoch trieb der blanke Fingerhut an ihrer schlanken Hand die winzige Nadel durch die feingefeilten Zähne der zwei Messingplatten, welche den Handschuh eingeklemmt hielten. Gleichmäßig wie die alte Uhr, nur rascher, pochte der Fingerhut an die Platten, und nach jedem Stiche lag der Seidenfaden, der die Lederteile zusammennähte, wie eine Perle gleich und glatt über den glitzernden Zähnen der Maschine. Die Hanne war auch nach der Käthe die flinkste Näherin in der Blauen Gans, und sie hatte ihre Freude an der eigenen Arbeit. Wenn ein Handschuh fertig war, blies sie mit vollen Backen hinein, damit sie sah, ob sich kein Finger daran verdrehte, zog ihn über dem Knie glatt und richtete ihn so zurecht, daß der alte Herr Fuchs oft gesagt hatte: »Über meiner[142] Käthe und der Walter Hanne ihre Handschuhe braucht man nur ein einziges Mal mit dem Zurichtholz zu fahren.« He! Mit fünfundsiebzig Jahren hatte der alte Handschuhzurichter das noch gesagt, und es fiel ihr jetzt wieder ein, als sie einen fertigen blütenweißen Ballhandschuh auf das Seidenpapier legte.
Bald sah sie nichts mehr, die Dunkelheit war so jäh hereingebrochen, daß die Hanne die Hände in den Schoß sinken ließ und in den grauen Nebel hinausträumte. Es war so friedlich, so heimlich da, von ihren Kindertagen ab zogen alle ihre Wünsche, ihre Hoffnungen, ihre Freuden und Leiden hinüber in die Stube der Frau Weis. An diesen Fenstern saß vor langen Jahren, als die Hanne noch ein kleines Mädel war, die Schwester des Leopold, die so schöne künstliche Blumen machte; einen Tag, bevor sie starb, saß sie noch da; und als der Leopold heimkam aus dem Kriege, saß er tagelang auf dem Fensterbrett, mutlos und traurig; später richtete sich die Lene da ein mit seinem Kinde. Die Hanne seufzte heimlich, sie hatte ausgeträumt. Rasch ließ sie die Vorhänge nieder, zündete die grüne Studierlampe an und setzte sich mit ihrer Arbeit an den Tisch.
»Ein Glück, daß der Bub so still bleibt«, sagte sie leise und ging zur Wiege. Der Kleine hatte sich glühendrote Backen erschlafen, Schweißperlen standen auf seiner Stirne, und der Atem ging so schnell, daß sich sein Brüstchen hob, und manchmal kam ein leises Pfeifen aus der Kehle. Hanne legte ihr Ohr an die keuchende Brust des Kindes und trocknete sein heißes Gesichtlein, dann setzte sie sich wieder an die Maschine, blickte aber immer besorgt hinüber nach der Wiege.
Je später es wurde, desto mehr schlich die Zeit für sie hin. Draußen auf dem Hofe war es still geworden, das Geplauder der Nachbarn, die lärmenden Kinderstimmen waren mählich verklungen, hie und da rief einer der Männer im Vorbeigehen »Gute Nacht!«, und bald regte sich gar nichts mehr, denn in der Blauen Gans gingen die Leute früh zu Bette wie die Hühner und krochen schier noch früher aus den Federn.[143]
Neun Uhr! So lange war die Lene noch nie fortgeblieben, und sie selbst, die Hanne, sie war zu jeder Nachtstunde bis in den grauenden Morgen oft vor ihrem Holzrößlein mit den Messingplatten gesessen, doch über die Sperrstunde war sie ihr Lebtag nicht außer dem Hause.
Sie kannte die Stimmen der Nacht genau, das seufzende Weinen des Windes, der zuweilen durch den kleinen Blechofen hereinwimmerte, den geheimnisvollen, duftschweren Ton der Sommernächte, der gleichsam von der durchhitzten Erde aufstieg und in die kühle Luft schwamm. – Es beirrte sie auch nichts in ihrer Arbeit; das ächzende Knarren der hochgepackten Frachtwagen, die in langen Reihen der Stadt zukrochen, hatte sie oft in den Schlaf gewiegt, und wenn sie wach bleiben wollte, so horchte sie auf das dumpfe stoßweise Pfeifen, das aus einem langen dunklen Schlot kam, der eine eiserne Netzkappe auf dem Kopf hatte. Bei jedem Pfiff warf der Fabrikschlot Funken aus, und oft meinte sie, jetzt und jetzt müßten die Flammen emporschlagen, so feuerrot färbte sich der Rauch. Manchmal jammerte ein Nachbarkind, zuweilen erschreckten Streit und Gezänke das junge Mädchen, es endete aber zumeist mit Schluchzen und Weinen des Weibes, der Mann schnarchte oft schon, wenn die Frau noch unterdrückt weiterjammerte. – Dem alten Uhrwerk gab es einen Ruck, der Hammer hob aus und schlug die zehnte Stunde. Der Hausmeister trabte durch den Hof und löschte die Lampe aus, dann polterte er in der Einfahrt herum, verschimpfte die Katzen, die lärmende Zusammenkünfte in einem Hofwinkel hatten, dann warf er das Haustor zu, daß es wie ein Kanonenschuß krachte, drehte den großen Schlüssel knarrend um und trabte wieder zurück. Zehn Uhr vorbei und die Lene hinausgesperrt!
»Vielleicht ist sie ihrem Manne begegnet, und er hat sie ins Wirtshaus geführt oder gar ins Theater«, simulierte die Hanne, »aber daß sie nicht an das Kind denkt.«
Sooft die Torglocke läutete, stand das Mädchen von ihrer Arbeit auf, doch die Ankömmlinge klopften an alle Fenster, nur nicht an das der Lene. Elf Uhr! – Zwölf Uhr! – Jetzt[144] fehlte niemand mehr in der Blauen Gans außer dem Leopold und seinem Weibe. Der Fingerhut klopfte gleichmäßig an die Metallplatten, die Hanne arbeitete immer rascher, um ihre Unruhe zu verscheuchen, sie wollte nicht denken und träumen, dort lag ja das Kind im Fieber und fingerte mit den kleinen Händen in der Luft oder preßte die Fäustchen an die glühenden Wangen. Langsam und widerwillig sog es die Milch ein, die sie ihm gab, und wenn es auf eine Pulsschlaglänge die Lider hob, so waren die Augen glanzlos. Plötzlich wurde so scharf an der Glocke gezogen, daß sie noch eine Weile bimmelte, als der Hausmeister schon das Tor aufgeschlossen hatte und wieder polternd zufallen ließ.
Unsichere, schnelle Schritte kamen näher und näher; die Hanne rückte ihr Arbeitszeug beiseite und harrte, sie wußte, daß es der Leopold sei, aber allein – und die Lene? Sie faltete die Hände und horchte. Jetzt stand er am Fenster und spähte hinein, sie fühlte beinahe seinen Blick. »Was ist mit der Lene geschehen? Was wird er sagen, wenn er sein Weib jetzt nicht daheim findet?« fragte sie lautlos.
Der Leopold sah nur den Schatten der Frauengestalt, die nach vorne gebeugt wie eingeschlummert neben dem Tisch saß. »Sie hat also auf mich gewartet, zum ersten Mal, seit wir verheiratet sind, und gerad heut, nach dem Tag«, das packte ihn an, er frug sich, was er getan hatte zum Austragen der Schuld.
»Tust mir bitterlich weh ...«
Scham und Mitleid machten ihn mutlos, er preßte seine Zähne in die Hand, die nach seinem Weibe geschlagen hatte. Lange stand er da und wagte nicht zu klopfen. Der Schatten verschwamm zuletzt vor seinen Augen, obgleich das Weib drinnen unbeweglich saß. Er mühte sich ab, die rechten Worte zu finden, die er der Lene sagen könne, aber sein übervolles gepeinigtes Herz hämmerte, daß er es am Halse und in den Schläfen spürte.
Und wenn ich auf die Knie fallen müßte, da auf der Schwelle, und sie bitten, daß sie mir verzeihen soll, wie ich ihr verzeih, ich tat es jetzt, ging ihm verworren durch den[145] Kopf; er klopfte leise an die Scheiben und schritt rasch zu der Türe ... Die Hanne ging hinaus, schob den Riegel zurück und trat dann weg, um ihm Raum zu lassen, damit er an ihr vorbei in die Stube konnte; aber der Mann drehte hastig den Schlüssel um und langte in der Finsternis nach der Frauengestalt, zitternd ergriff er das Kleid, das er in seiner Nähe knistern hörte, klammerte sich daran und stotterte: »Ich ... ich hab einen brennenden Schädel ... der Schlag ... und der Wein ... und der Zorn, den ich so lang verschluckt hab ... und die Lieb zu dir. Weib! Weib, ich bitte dich ... ich will alles vergessen ... so wär es ja ein elendes Leben!«
Die Hanne wollte sich losmachen, sie wollte reden, aber der Schreck und ein anderes beklemmend-erstarrendes Gefühl, das ihr die Kehle zuschnürte, ließ sie zu keinem Wort kommen.
»Du hast mir heut so weh getan ... schau, vergessen ist der Schmerz ... verziehen. Ich hab ja auch gefehlt an dir!... Red, ich bitt dich, red!«
Ein unterdrücktes, bitterliches Weinen war die einzige Erwiderung.
»Wein nicht«, stammelte der Mann ermutigt, »ich bitt dich«, er ließ das Kleid los, legte jählings seinen Arm um ihren Nacken, riß sie an seine Brust, und als ob ihm jemand einen Stoß in die Kniebeuge gegeben hätte, so brach er mit einem Male zusammen und lag vor ihr auf beiden Knien. Er reckte den Arm hinauf und erfaßte eine niederhängende Hand, fest drückte er sein heißes Gesicht an ihre Hüfte, und er fühlte, wie die Hand zitterte, wie die ganze Gestalt bebte und schwankte. Er hörte ihren Herzschlag, und es überkam ihn, daß jetzt die entscheidende Stunde da sei für alle Zeit. Wie ein Sturm flog die Anklage, der Schmerz, die heiße Liebessehnsucht von seinen Lippen zu ihr hinauf, da in der Finsternis, in der Erregtheit, in der Verzweiflung und Furcht vor der Zukunft sprach der Mann, wie er sonst nur in seinen Gedanken zu ihr redete. Sie sah ihn ja nicht, er brauchte sich nicht zu schämen, einmal, ein einziges Mal mußte er doch die Last von seinem Herzen werfen. Er dachte nicht daran, ob[146] sie ihn verstehen könne, ob sie seine leidenschaftlichen Worte nicht ängstigten, er wußte kaum, daß er ihr Kleid, ihre Hüfte, ihre Hand küßte und wieder küßte, als aber Tropfen um Tropfen aus ihren Augen auf seine Stirn fiel und das stumme Weinen des Weibes in ein krampfhaftes Schluchzen überging, da richtete er sich an dem Leib der Fiebernden mühsam auf, küßte gewaltsam zwei bebende Lippen, die seinen Kuß nicht erwiderten, und zog die Gestalt in das erleuchtete Zimmer ... Die Hanne entwand sich seinem Arm und wankte mit einer abwehrenden Handbewegung an den Tisch, sie setzte sich vor ihr Arbeitszeug und verhüllte das Gesicht mit dem Tuche, das sie um den Nacken geschlungen trug.
Zuerst rieb sich der Leopold die Augen, nachher sperrte er sie weit auf und glotzte die Hanne an, dann griff er nach der Lampe, schleuderte die Türe mit dem Ellenbogen zurück und leuchtete hinaus in die Küche; als er sah, daß nur sie allein, die dort hinter ihm am Tische saß, da sei, stellte er die Lampe wieder hin und frug erstaunt: »Du hast mir die Tür aufgemacht?«
Die Hanne nickte, ohne aufzublicken. Jetzt wird er um sein Weib fragen, schwebte ihr undeutlich vor, was soll ich sagen? Aus dem, was er gesprochen hatte vor ein paar Minuten, hatte sie herausgefunden, daß Schlimmes zwischen den Eheleuten vorgefallen war. Wo aber mag die Lene hingelaufen sein, und was wird er sagen – was wird er tun?
Das Mädchen wußte nicht, wie das erstaunte Gesicht des Leopold sich allmählich verwandelte, wie er an dem Schnurrbart zupfte und zweifelnd auf die dürftige Gestalt blickte, wie endlich ein ingrimmiger, häßlicher Zug sein Antlitz entstellte. Erst als er brutal auflachte, schrak sie zusammen, ließ die Hände niederfallen und wandte sich ihm zu.
»Ist ein dummer Spaß gewesen«, und er zuckte geringschätzend die Achseln.
»Was?«
»Na, daß sie dich da hinausgeschickt hat und kommod weiterschlaft«, er dehnte die Worte und sprach laut, als ob er jemand wachrufen wollte.[147]
»Lepold!«
»War dir vielleicht um das Bussel z'tun, scheinheiliges Ding? Komm, ich geb dir noch eins, mein Weib ist nicht eifersüchtig, das siehst du!«
Alles das war für die Lene geredet, er wähnte, daß sie dort in ihren Kissen verborgen trotzig hinhorchen täte auf jedes Wort und daß die Hanne nur da sei, um neuen Zank unmöglich zu machen. Jetzt regten sich Zorn und Scham wieder in ihm, das dumme Mädel da hatte seinen Jammer gehört, hatte ihn auf den Knien gesehen, und sein Weib hat geschlafen oder ihn neuerdings verspottet. Da krampfte sich schon wieder die Hand zusammen. Auseinander mit den Fingern! Herrgott! Was macht das Weib mit ihrer Unsinnigkeit aus mir!
»Hast du dein Weib nicht gesehen, Lepold?«[148]
Das fuhr in seine peinvollen Gedanken, er setzte sich matt nieder und frug: »Was hast du gesagt?«
»Die Lene ist in der Abendzeit fortgegangen und ist – erschrick nicht, ich bitt dich – ist noch nicht heimgekommen«, sagte das Mädchen leise.
»Nicht daheim! Jetzt? Mein Weib?« stammelte der Leopold, er stieß die Hanne beiseite, rannte zu dem Bette seiner Frau, schüttelte die Kissen und Decken, wühlte alles durcheinander, er meinte, daß sie versteckt sein könnte. »Nichts da ... wo ... wo ist ... sie hin?« gurgelte er, als ob er aus einem Wasser herausriefe, das ihm über den Kopf ging.
»Jesus, Maria! Schau nicht so drein, komm zu dir! Es kann ihr ja etwas geschehen sein – in der Früh wird sie schon kommen«, tröstete entsetzt und zaghaft die Hanne.
»Was geschehen ... freilich, das könnt möglich sein«, lallte er, »aber ... Hanne, es gibt auch Weiber, die ihren Männern davonlaufen.«
»Davonlaufen?« sagte die Hanne erschreckt. »Durchgehen!... Wo ist mein Bub?« schrie der Mann jählings und tappte nach der Wiege.
»Sei nur still, ich bitt dich, das Kind ist da, ich bin ja darum herübergekommen.«
»Armes Ding du«, murmelte der Leopold, »du bist immer gut und ehrlich ... du hast den Hieb parieren müssen, den sie mir zurückgegeben hat ... Hanne, sag mir alles von ihr.«
Er zog einen Stuhl herbei und stieß ihn derb zu Boden, der Kleine schrie im Schlafe auf und hustete gleich danach kurz und schrill, daß es wie ein heiseres Bellen klang. Die Hanne horchte ängstlich und wollte zu dem Kinde, doch der Mann setzte sich ihr gegenüber, hielt sie am Arme fest und sagte wie ein Stumpfsinniger: »Alles sag mir ... alles!«
Was sie zu erzählen wußte, erzählte sie ihm, es war wenig genug. Er ließ sich die letzten Worte seines Weibes immer wiederholen, er sagte selbst jede Silbe nach, aber er konnte nichts herausfinden, als daß sie mit einer Lüge ihn und das Kind verlassen hatte.
»Lepold, sei doch ein wenig gefaßt«, bat die Hanne, »laß[149] mich aus, ich muß zu dem Buben, der Husten ist so – dein Kind ist krank, hörst?«
»Auch das noch ...«
Er nahm die Lampe und leuchtete dem Mädchen, das fürsorglich wie eine Mutter das Kind aufhob.
»Da schau, Lepold, wie der Kleine fiebert.« Mit dem Stiele eines Löffels drückte sie die Zunge des Knaben nieder und schaute in sein Mündchen. »Ich mein«, sagte sie erregt und suchte die Tränen zu verschlucken, »ich mein, du sollst schnell einen Doktor holen, das wäre das beste.«
»Warum?« fragte der Mann gedankenlos, denn das Bild seines Weibes flimmerte dort auf dem Putztische, und er konnte an nichts mehr sonst denken als an sie. Wo, wo, wo ist sie?... Bei wem?... Bei wem? Herrgott!... Er konnte nicht weiter fort mit seinen Gedanken, eiskalt rieselte und rann es ihm über den Rücken, er nahm das Bild und stierte es an, als ob er es sein Lebtag nicht gesehen hätte. »Bei wem?« murmelte er, und als er sich reden hörte, da hub auch sein Gehirn wieder mühselig zu arbeiten an. »Vielleicht jetzt schon ein nichtsnutziges Weib«, summte es in seinem Kopfe.
Das Bild glitt aus seiner Hand und fiel vor ihm nieder, er blickte auf den Fußboden, und als er hinter dem grünlichen Glas ihr Gesicht heraufschillern sah, trat er mit dem Absatz darauf, daß die Scherben knirschten.
»Aber Lepold! Hab doch Erbarmen mit deinem Kind, ich kann den Buben nicht auslassen, das ist die Bräune! Hol den Doktor, das Kind könnte die Nacht ersticken.«
Mit stumpfsinniger Neugierde bog sich der Mann nieder und schaute in das kleine Gesicht. Das Mündchen war halboffen, und es wehte den Leopold heiß an, als er mit seinem Finger die trockenen Lippen berührte; die Augenlider hoben sich langsam, nur die halben Sterne waren zu sehen, der weiße Augapfel aber hatte den bläulichen Glanz verloren, und darum hatte der Kleine das Ansehen einer Leiche trotz der Fieberröte.
»Schau nur, Lepold, schau!« klagte die Hanne bittend und legte ihre Hand auf seinen Arm.[150]
Der Mann aber blickte über die Achsel auf die zitternde hagere Mädchenhand nieder. Das fremde Geschöpf da ängstigte sich um seinen Buben, dasselbe unbeachtete stille Mädchen hatte schon als Kind den ganzen Reichtum der Armen, die geraden Glieder, hinaufgetragen auf das Hausdach und sie zerbrochen und zerschellt heruntergebracht, und das um seinetwillen, um ihm eine Freude zu machen ... Und nun steht sie wieder da neben ihm und zittert für sein Kind und verteidigt die nichtsnutzige Mutter ... sein Weib.
»Ein nichtsnutziges Weib«, murmelte er ingrimmig, und die Hanne schlang angstvoll die Finger ineinander und drückte ihre Wange an das heiße Gesicht des Kleinen.
»Lepold, ich bitt dich! – Oder da, bleib bei ihm, ich hol den Doktor!« Sie legte ihm das Kind in den Arm und lief aus der Stube, ehe er etwas erwidern konnte.
Die Lampe zuckte, flackerte und malte unruhige Schatten an die Wände; eine große Fliege surrte immer um das Köpfchen des Kranken, und der Vater konnte sie nicht haschen, nicht verjagen, er blies nach ihr, doch sie ließ sich nicht vertreiben. Das Summen und Kreisen des Tieres erbitterte ihn, denn es machte seinen weinschweren Kopf wieder wirbliger, und das Kind lag wie ein Stück Blei in seinem Arm, der kleine Körper strömte eine fühlbare Hitze aus. Jetzt zuckte und knisterte die Lampe, sie mußte bald erlöschen, ein brenzlicher Geruch zog durch die Stube und verlegte ihm schier den Atem, langsam schleppte er sich auf und nieder und wiegte seinen Buben, der recht jammervoll stöhnte. Niemals war dem Leopold das altbekannte liebe Gemach so leer und fremd gewesen, selbst als seine Eltern tot waren und er allein da hauste, war es freundlicher; aber heute!... Es sah aus, als ob sich die Decke gesenkt hätte, ja als ob sie sogar jetzt noch Zoll um Zoll herabrückte, und dabei war es zum Ersticken schwül, dumpf und beängstigend ... Das ersterbende Licht warf nur mehr einen fingerbreiten Streifen über den Tisch, das ganze Gemach lag in schwarzer Dunkelheit. Die Finsternis verwirrte den erregten Mann noch mehr, er wollte das Fenster öffnen, darum legte er den Knaben auf sein Bett ... Oh!... Das ist ja[151] nicht das seine, er hatte sich nur so hingetastet in der Finsternis, das ist ihr Lager ... sie hatte die weichsten Kissen, und da, wo ihr schöner Kopf ruhte, da roch es immer so frisch von ihren Haaren, als ob man den zarten Flaumduft eines jungen Huhnes einatmen würde. Wie liebte er dieses rote, gesunde, duftende Haar ... und da, freilich, da lag ihr Nachthäubchen und geriet ihm zwischen die Finger, und er ließ sein glühendes Gesicht darauf fallen.
Kam wirklich die Zimmerdecke langsam herunter, herabgedreht durch eine unsichtbare Kurbel, die aber scharf kreischte?... Schrie sein Kind so heiser und hustete so bellend?... Wahrhaftig! Da hatte er mit einmal seinen zweiten Arm wieder ... Drüben in der großen Waschküche spielten die Musikanten den Walzer, den er mit seinem jungen Weibe soeben getanzt hatte; Hochzeitsnacht?... Oho! Das ist mehr Lärm, als er heute ertragen kann ... Noch ein Glas Wein?
»Laß den Spaß sein mit der Marie«, grollte der Leopold, und dann seufzte er: »Tust mir bitterlich weh ...« Jetzt raffte er sich auf und schüttelte suchend die Kissen durcheinander; freilich, so ist es ... das ist ihr Bett und leer, nur sein Bub ist da bei ihm, sie ist fort, ist ein nichtsnutziges Weib!
Die Lampe knisterte, warf ein paar kleine Fünkchen ab, flammte auf und erlosch.[152]
Zwischen den beiden Betten am Boden lag der Leopold lang ausgestreckt, ohne Atem, wie ein Erstickter, und sein Söhnlein wimmerte, als es nimmer schreien konnte. Der Mann hörte nichts, seine letzte krampfhafte Bewegung war, mit ausgespreizten Fingern die Decke zu halten, denn er sah, wie sie tiefer und tiefer herabsank ... sah, daß sie nur mehr handbreit von seinem Kopf entfernt ist und ihm jetzt das Hirn zusammendrücken werde.
»Einmal muß aber die Geschichte doch ein End neh men, meinst nicht?« zischelte die alte Frau Walter. Sie stand in der Küche des Leopold und schielte nach seiner Zimmertür.
»Sobald er wieder hinaus kann, komm ich heim«, erwiderte die Hanne kleinlaut.
Die Alte rang die Hände und schüttelte dann alle zehn Finger knapp vor den Augen ihrer Tochter.
»Weißt du, daß es jetzt volle sechs Wochen sind? – Tag und Nacht bist du da herumgehockt. Ich will nichts von der versäumten Arbeitszeit sagen, aber schau, wie du zugerichtet bist«, belferte halblaut die Frau.
»Ah, und wie denn? – Überleg sich doch die Frau Mutter alles. Das Kind war zum Auslöschen, der Leopold ein schlaghafter Mensch, und die Lene ...«
»War eine gescheite Person, die auf und davon ist, wie sie ihr versoffener Mann zum erstenmal geprügelt hat. Wenn wir es alle so gemacht hätten, so wären unsere Männer auch anders worden.«
»Eine gescheite Person?« wiederholte das Mädchen erstaunt.
»Ja. Und du? Eine dumme Gans, die ihre Zeit versäumt, weil sie wildfremde Leute pflegen muß.«
»Wildfremde Leut? Der Weis Leopold und sein Bub?«
»Na, Nachbarn halt. Wer hat sich denn sonst im Haus so geschäftig gemacht außer dir?« frug die Mutter boshaft und stemmte herausfordernd beide Arme in die Hüften. »Ist denn das ganze Haus verändert, sind alle Leute anders worden in sechs Wochen?« sagte die Hanne kleinmütig. »Vor sechs Wochen war ja der Leopold für alle ein braver, ehrlicher[153] Mensch und die Lene für die meisten eine schöne, aber faule Gredel, und jetzt ...«
»Das verstehst du nicht; eine Frau, die so schön ist, verdient eine schönere Behandlung, alle Leut sagen das, die nobelsten Leut, und das G'richt gibt ihr recht, nicht ihm.«
Der Wisperton, in dem die beiden sprachen, erregte die zürnende Frau immer mehr, sie keifte ihrem Kinde beinahe in die Ohren, verzog spöttisch den Mund, rieb die Handballen ineinander, daß es knarrte, und freute sich fast, als sie das graubleiche Gesicht der Hanne so verstört und furchtsam sah.
»Aber Frau Mutter«, flüsterte sie besänftigend.
»Gered't ist gered't. Schau, daß du bald heimkommst, sonst hol ich dich, aber anders!«
Frau Walter streifte die Ärmel so weit hinauf, als sie sich schieben ließen, und ging breitspurig durch die Küchentüre hinaus in den Hof. Draußen lauerten schon die Nachbarinnen, neugierig, ob die resolute Mutter das dumme Mädel[154] mitbrachte oder ob die Wirtschaft so weitergehen würde. Sie zuckten nur mitleidig die Achseln, als die Alte allein kam, und steckten die Köpfe zusammen, als sie, ohne ihnen lange Rede zu stehen, davonging.
Sechs Wochen hatten wirklich genügt, um die Menschen in der Blauen Gans zu ändern, ihre Stimmung zu festigen und ihre Meinungen abzuklären. Die Weiber redeten ja Tag und Nacht über die Geschichte mit der Lene, und so hatten sie gerade genug Zeit gehabt, um die meisten Männer windelweich zu schwatzen. Daß die Weiber recht hatten, bestätigte das Gericht, weil es die junge Frau nicht dazu verhielt, zu ihrem Manne zurückzukehren.
Die Weisen der Blauen Gans und vor allem der Laternanzünder hatten vorhergesagt, daß die Ausreißerin mit Schande und Spott heimgebracht werde, und nun nahm sie das Gericht in Schutz. Sie mußte nicht in die große Stube der seligen Frau Weis, das wollte etwas sagen in jenem Winkel, wo sich die armen kleinen Leute von der Gewalt des Gerichtes auch den Begriff der Unfehlbarkeit machten und davor eine gruselnde Scheu wie die Kinder vor Gespenstern hatten. Darum war und blieb der Leopold jetzt für sie im Unrecht, und die Lene hatte den Weg eingeschlagen, den ein junges schönes Weib geht, wenn sie ihr Mann schlecht behandelt.
Die junge schöne Frau hatte auch wirklich schnell Freunde gefunden, die ihr bald ihr Recht begreiflich machten.
Da war zuerst die Schwester des »Herrn«, des großen »Handschuhmachers«, wie sie den Fabrikanten bezeichneten, für den die Hälfte der Leute in der Blauen Gans arbeitete. Die zierliche kleine Frau, eine unternehmende Französin, hatte sich von ihrem Bruder getrennt und auf eigene Faust einen »Salon für Damenbekleidung« eröffnet; das wollte sagen, daß sie von den ungewöhnlichsten Hütchen angefangen bis zu den geschmackvollsten Stiefeletten herab alles feil hatte, was zu dem Putz einer eleganten Frau gehört. Sie hatte diese neue und vornehme Idee von ihrer Vaterstadt, von Paris, hergebracht und sie klug zu verwerten begonnen. Alle älteren Geschäftsleute sperrten Maul und Augen auf, denn mit einigen[155] wandhohen Spiegeln, Samtsofas und einer Menge künstlicher Blumen, kurz, mit allerhand solchem Firlefanz, an den ein aufrechter Kaufmann gar nicht denkt, schnappte sie ihnen doch die allerschönsten Kunden vor der Nase weg.
In dem Salon der »Madame Margot« gab es auch keine bedienenden jungen Herren, die regelrecht frisiert in den elegantesten Modezeitungstellungen herumlehnten oder mit krebsroten, aber zierlich gebogenen Fingern die Stoffe in genial hingehauchte Wogen zu bauschen wissen. Einfache, schwarzgekleidete Frauen sprachen sachkundig mit der Modedamenwelt, sie prüften Gesichtszüge, Haarfarbe und Gestalt genau, unterzogen die Abstufungen der Farben einem ernsten Studium und wählten dann erst Form und Stoffe.
Diesen sorgfältig zu Werke gehenden Frauen waren zwei schöne junge Mädchen beigegeben, eine üppige Brünette und eine schlanke Blondine; die beiden mußten die gewählten Gegenstände versuchsweise in Gebrauch nehmen und in diesem meist kostbaren Putz auf und nieder gehen, sitzen, sich drehen und wenden, so daß die Käuferinnen die Wirkung an einer lebendigen Gestalt erproben konnten.
Seit fünf Wochen war anstelle der allzu schlanken Blondine ein Rotkopf getreten, der die Damen durch seine Schönheit entzückte, es war die Lene, die »Mademoiselle Madeleine« hieß.
Als sie ihrem Manne davonlief, ging sie geradenwegs zu Madame Margot und erzählte ihr den ganzen Jammer. Die kleine Frau hörte aus der Geschichte mehr und anderes, als darin lag, dafür aber sah sie die schöne Gestalt des jungen Weibes ganz genau. Madame Margot war seit Jahren von ihrem Gatten getrennt, und das traurige Ereignis, das sie da hörte, war nach ihrer Auffassung nur ein neuer Beweis für die Niederträchtigkeit »von die Mann«. Es gab demnach mehr als einen Grund, daß sie diesen empörenden Fall in die winzigen Hände nahm, nachdem er von ihr zurechtgelegt war, einem geschickten Advokaten über gab und das mißhandelte schöne Weib frischweg in ihr Geschäft nahm.
Ehe die Lene sich noch ganz mit sich zurechtgefunden hatte,[156] waren schon ein Bündel Federn zerschrieben an einer langen Anklageschrift. Darin stand, daß der Leopold ein Wüstling sei, ein Säufer, daß er sein Weib fast erschlagen und daß die Lene einen solchen Widerwillen gegen ihn habe, daß sie in ehelicher Gemeinschaft nicht mehr mit ihm weiterleben könne.
Der Leopold lag aber schon drei Wochen todkrank da, als ihm die Schrift in sein Haus flog, er konnte sie nur mühsam lesen und verstand sie kaum, er wußte auch nicht viel zu erwidern, als acht Tage darauf der Advokat kam und ihm das alles mündlich sagte. Der Mann mußte zugeben, daß er sein entlaufenes Weib geschlagen habe, daß sie ihm treu gewesen, daß sie nichts verschwendet und seine Wirtschaft in gutem Stand erhalten.[157]
»Gegen die Abneigung Ihrer geschätzten Frau gibt es kein Mittel, Zwang würde nichts nützen«, meinte der Advokat, »und, verzeihen Sie, lieber Mann, Sie dürfen sich bei alldem, was Sie getan haben, gar nicht wundern, wenn sich eine schöne ehrbare Frau von Ihnen lossagt«, schloß der Geschickte mit einem Hinblinzeln über die hilflose, krüppelhafte Gestalt des Kranken und mit einer würdevollen Handbewegung, die sich wie eine Verurteilung ansah.
Der Leopold glotzte den Advokaten an, er wunderte sich gar nicht über das Gebaren seiner Frau, er besann sich nur, daß alles, was ihm dieser abgeschliffene und gemessene Herr da sagte, schon in der langen Schrift zu lesen war, und dann – ja – das gute Gedächtnis seiner Lene brachte ihn ein wenig aus dem Geleise; jede Kleinigkeit, die vorgekommen war, während sie noch im Frieden miteinander gelebt hatten, wußte sie und hatte sie den fremden Leuten erzählt, nur um ihn zu verkleinern ... Wie lange muß sie da in einem Atem geredet haben, und immer nur Böses von mir, dachte er, und da wußte er auch mit einem Male, daß sie ihm niemals auch nur gut gewesen sei und daß ihr kein Fünklein von der Liebe, die er allzeit für sie gefühlt hatte, im Sinn geblieben war.
Der Advokat stand geräuschlos auf und frug noch einmal:
»Ist nicht alles so? Hat Ihre geschätzte Frau eine Unwahrheit gesagt?«
»Ach Gott! Nein ... Es ist so ... meine geschätzte Frau hat nicht gelogen. Ja, ja, ja!«
Seine Wangen glühten vor Fieberhitze und Scham, weil er sein Unglück so ruhig anhören mußte, als ob ihm einer die Geschichte zweier anderer ihm fernstehender Menschen erzählen würde, aber rechtfertigen wollte er sich vor dem eiskalten Manne da nicht. Er verschwieg, wie tief ihn die Lene gekränkt und beschimpft hatte, und jede Leichtfertigkeit, der sie ihn beschuldigte, empfand er weniger beschämend als die Mißachtung, die Abneigung, die sie für den Krüppel hatte. Als aber der Advokat noch an der Türe umkehrte und sich wieder an das Krankenbett setzte und über die Scheidungsfrage deutlich zu unterhandeln anfing, da wurde der Leopold[158] wild, denn ganz im Hintergrunde aller seiner Gedanken stand doch die Hoffnung, daß sie bald wieder heimkehren werde; jetzt aber wurde der Gedanke durch untilgbare Furcht verdrängt, sie könne einem anderen angehören, wenn er sich für immer von ihr lossagte.
Er biß die Zähne übereinander und konnte das Bild nicht loswerden. – Der schöne, weiße, kühle Leib in den Armen eines anderen Mannes, die roten Lippen geküßt von anderen, fremden Lippen, die schöne Statue vielleicht lebendig.
»Jetzt ist es genug, jetzt gehen Sie, das ist mein Zimmer, Herr, und wenn ich ein Flegel bin, so sollen Sie sehen, was ein Flegel tut«, würgte Leopold heraus und zeigte nach der Türe.
Ein höfliches Schwingen der feinen Gestalt, und der Advokat war verschwunden. Dem Kranken aber war der Kopf wieder recht schwer.
»Weißt, Hanne, mir tut alles weh, der Kopf und ...« Der Leopold redete nicht aus, er griff nur nach dem Herzen. Sie ist eine ehrbare Frau, hatte der Advokat gesagt, und daß sie dreißig Gulden Monatsgehalt bei der Madame Margot hat, daß sie dort nur mit Damen verkehren muß, gar keinen Mann zu sehen bekomme, daß sie sehr sparsam und allein lebe und sonst keinen Wunsch habe, als von ihrem Manne loszukommen.
»Bin ich ein miserabler Lump!« sagte er ingrimmig, »hab ich das arme Weib so unglücklich gemacht, so beschimpft und geschlagen.«
Er ließ seine Augen langsam von einem Gegenstand zum andern gehen; das alles, was für ihn so großen Wert hatte, das alte Hausgeräte von Großvaterszeit her, das sie Stück um Stück so oft berührt hatte, das stand da auf demselben Flecke, sie aber war auf und davon, nichts hatte sie zurückhalten können, nicht die Gewohnheit, die alle Leute festhielt da in dem Winkel, nicht das kranke Kind, das ihrem eigenen Leib entsprossen, nicht er, der alles für sie tat und ließ, seit sie zueinander gehörten, nichts, gar nichts hatte Macht gehabt über das wortkarge, gedankenscheue Weib. Und sie sei in ihrem Rechte, hatte der studierte Herr gesagt?... Wenn[159] dem Advokaten, der jetzt da bei ihm saß, inzwischen daheim sein eigenes Weib davonliefe, würde er auch diesem das Recht zusprechen? Gewiß nicht, weil ... weil er zwei Arme hat ... mit dem Krüppel durften sie alle umspringen, wie sie wollten.
Mit solchen Gedanken schlug sich der Leopold herum, und wahrlich nicht zu seinem Heil. Manchmal schlief er die langen Tage vor Erschöpfung, und die Nächte schrie und jammerte er im Fieber. Wie die Zeit hinrann, wußte er sich nicht zu sagen, nur ab und zu frug er einen Kameraden, der nachsehen kam: »Was ist heut für ein Tag?« Und dennoch rechnete er, sobald er zeitweilig heller denken konnte.
Jetzt aber wußte er bestimmt, daß er sechs Wochen schon da auf ein und derselben Stelle lag, er hatte gehört, wie draußen die alte Walter ihre Tochter abkanzelte, er hatte sich angestrengt, ihre Worte zu vernehmen, aber von dem langen derben Gerede war nichts in seinem Kopfe haftengeblieben als die sechs Wochen.
»So lang!« seufzte er, »sechs Wochen hab ich sie nicht gesehen. Weiß sie denn nicht, wie elend es mir geht?« Sie wußte es wohl, daß er krank dalag; ein leichter Schlaganfall, das sei vom Trinken gekommen, sagte der Arzt, bei dem Madame Margot anfragen ließ.
Die Weiber in der Blauen Gans fanden auch diese Krankheit natürlich und stellten sie ihren Männern als abschreckendes Beispiel hin. Der Leopold war eben an jenem Unglückstage bis nach Mitternacht droben in der verschrienen Kneipe gewesen, hatte getrunken, und die Strohschneider-Marie hatte ihn um den Hals gehabt; das hat die Laternenanzünderin, die nach ihrem Mann auf die Suche ging, durch das Wirtshausfenster alles erspäht. »Der Einarmige hat auch meinen armen Mann unter das Gesindel geschleppt«, schluchzte sie, sobald auf dieses Ereignis hingewiesen wurde.
»Na ja, daß einen da unser Herrgott straft, daß einen wenigstens der Schlag trifft, ist doch ganz natürlich«, sagte gewichtig die Frau Walter.[160]
Somit war das Unglück des Weis Leopold zurechtgelegt und der Lene ein Stein in das Brett geschoben.
Am Anfang der Krankheit hatte noch hie und da eine der Frauen die Hanne auf einige Stunden vom Nachtwachen abgelöst, als aber das Kind ganz außer Gefahr war, hatten sie die Pflege des Vaters dem jungen Mädchen allein überlassen, und je mehr sich die gute Stimmung der Lene zuwandte, desto weniger kümmerten sich die Nachbarinnen um die Krankenstube, an welcher sie tagsüber doch so oft vorbeigehen mußten. Alles das währte nun gerade sechs Wochen.
»Also sechs Wochen!« sagte der Leopold sehr laut, als die Hanne in die Stube trat, »das ist recht lang ... Hast du die ganze Zeit nichts von ... von meinem Weib gehört?« »Gar nichts«, erwiderte das Mädchen und setzte sich verstört an das Fenster.
»Bist müd? Ich glaub es dir.« In dem Gesichte des Kranken begannen die Muskeln zu zucken. »Du, Lene!... ah! Hanne wollt ich sagen, deine Alte kann wild sein ... morgen steh ich auf ... morgen.«
Die Hanne wendete sich erschrocken um und murmelte etwas, dann erhob sie sich und sagte langsam: »Das muß dir erst der Herr Doktor erlauben.«
»Ich halte es aber so nimmermehr aus, ich muß schauen, daß ich wieder zu meinem Straßendienst komme ... sechs Wochen!... Du, da wird bald Schmalhans der Kuchelmeister.«
»Es reicht schon noch eine Weile mit deinem Ersparten«, sagte das Mädchen verlegen.
»Freilich, das Geld hat sie uns ja im Haus gelassen. So viel Ehre hat sie doch gehabt.«
»Lepold! Kannst du sie denn keinen Augenblick vergessen, denkst du denn alleweil und alleweil nur an die Davongelaufene?« frug die Hanne mit zitternder Stimme.
»Aufgeschaut!... sie ist eine ehrbare Frau, hat der Herr Advokat gesagt. Mußt niemals so eine ehrbare Frau werden, Mädel!«
»Ich! – Dummes Zeug!« Die Hanne drehte sich jäh um und nahm wieder ihre Arbeit auf; nach einer Weile pochte der[161] blanke Fingerhut gleichmäßig und flink an die flimmernde Metallplatte.
Seit kurzer Zeit konnte es der Leopold schon ertragen, daß sie in der Stube nähte, früher war sie draußen in der Küche gesessen, recht nahe an der Türe, die nach dem Hofe führte, so daß ein schwacher Lichtschein durch das Guckloch gerade auf ihre Maschine fiel. Das war ein mühseliges Arbeiten gewesen, und mit geschwächten Augen schaute sie jetzt auf das scharfglänzende Arbeitszeug.
»Es hilft alles nichts, ich muß morgen aufstehen. Mußt mich halt auf die Strecke führen, wenn ich nicht allein gehen kann«, begann der Kranke und ließ seine abgemagerten Füße über den Bettrand hängen. Langsam versuchte er alsdann, den Körper nachzuschieben, und dazwischen lachte er und machte sich lustig über seine Schwäche.
Die Hanne schaute nicht nach ihm um, die Späße, die er machte, taten ihr weh; sie verstand die Bitterkeit dieser Selbstbespöttelei nicht, sie dachte nur, wie kann so ein kranker unglücklicher Mensch lustig sein? Manchmal schon wäre sie selbst gerne aus seiner Stube gelaufen, hinüber in ihre stille Kammer. Es war ihr oft, als ob sie da ersticken müßte in der Nähe des fieberhaften Mannes, aber was sollte dann aus dem Kinde und aus ihm werden? Auch jetzt war wieder die schmerzliche, quälende Ungeduld über sie gekommen, zum ersten Male im Leben hatte sie das Gefühl, als müsse sie sich mit einem starken Handgriff selbst herausreißen und etwas, was auf ihren Schultern, auf ihrer Brust lag, abschütteln. – Und doch, hatte sich andererseits nicht ein Lebenswunsch erfüllt, hatte sie nicht alle die Jahre hindurch gewartet und gewartet, daß eine Stunde komme, wo sie für den Leopold etwas tun könne, was ihm Freude machte? Waren nicht alle ihre Gedanken, Träume und Hoffnungen von Kinderzeit her immer und immer herübergeflogen und wie verscheuchte Schwalben um das Fenster geirrt, an dem sie jetzt saß, da er niemand auf der Welt hatte als sie?
Draußen im Hofe zischelten und keiften die Leute miteinander und schielten von der Seite nach ihr hin. »Wo anpacken?«[162] fragte sie sich. Wenn sie es auch versuchen wollte, die Lene umzustimmen, und wenn es ihr auch gelingen würde, die Übermütige heimzuführen, können die Eheleute jemals wieder miteinander in Frieden leben? Wo aber sonst anpacken, um dem Gebrochenen wieder auf- und weiterzuhelfen? Wenn er nur nicht so kichern und wispern würde hinter ihr; glaubt er, sie könne lachen, weiß er denn gar nicht, wie traurig sie ist? Während die Hanne so grübelte und hastig nähte, hatte sich der Leopold in die Decke gewickelt und war bis zu ihrem Stuhl hingeschlichen.
»Da schau her! Da bin ich!«
Das Mädchen sprang auf und breitete ihre Arme aus, um den Schwankenden zu halten, wenn er wieder zusammenfallen sollte wie vor sechs Wochen, als sie ihn am Boden fand. Der Leopold schlang aber seinen Arm um ihren Hals, stützte sich fest auf ihre schmalen Schultern und wankte zurück zu seinem Bette.
»Schau, schau, wie schwach ich bin, und du, Mädel, wie ... stark!« Er setzte sich auf das Lager und lehnte seinen schweren Kopf an ihre Brust. »Ich kann morgen doch nicht auf die Strecke, ich kann dich auch noch nicht entbehren ... Hanne ... deine Frau Mutter ... freilich, freilich ... bist ein blutjunges Mädel ... aber schau ... dem Weis Leopold ist nichts geblieben als dein gutes Herz und sein kleiner Bub.«
Wo waren jetzt die dunklen, ungeduldigen Gedanken von früher? Daher gehörte sie, mögen die Nachbarn den Leopold schimpfen oder loben.
»Sei nicht so kleinmütig, wirst bald wieder stark werden. Ich bleibe da bei dir, solange du mich dahaben willst, und gehe halt, wenn du mich nimmer brauchst«, sagte die Hanne fest.
»Da wirst du lange bleiben müssen, Mädel ...«
»So lang, bis ...«
»Bis?«
Sie verschluckte einen Seufzer und setzte sich schweigend an ihre Arbeit.
Wieder war über eine Woche um, und der Leopold saß nun[163] schon neben der Hanne am Fenster, und sein schwacher Arm zitterte, als er den kleinen Buben vor sich auf dem Schoß halten wollte.
»Mein Herr Sohn ist stärker, als ich bin«, witzelte er und zog mit den Lippen seinen Schnurrbart zwischen die Zähne.
Es war Feierabend, und paarweise gingen die Nachbarn an dem Fenster vorüber, nur manchmal winkte einer flüchtig hinein zu den drei Menschen, aus den Mienen der meisten aber las man den Unwillen.
»Sitzen beisammen wie verheiratete Leut«, brummte der Hausmeister, »bin neugierig, wann die Walterin Ordnung macht; was zuviel ist, ist zuviel!«
»Jetzt ist er schon auf, Walterin, jetzt kann die barmherzige Schwester, dein Mädel, doch schon wieder zu dir kommen, ein verheirateter Mann ist und bleibt er halt doch«, raunte die Laternenanzünderin der Frau Walter zu und zog die Augenbrauen so bedeutsam in die Höhe, daß die Alte kirschrot im Gesichte wurde und ohne jede Antwort geradenwegs in die Stube des Leopold rannte.
»Heimgehen!« schrie sie kurz der Hanne zu, die, ohne den Kopf zu heben, in die Tasche griff und aus einem gestrickten Beutelchen zusammengelegtes Papiergeld nahm; sie hielt es ihrer Mutter hin, sah ihr aber nicht in die Augen.
»Mein Arbeitsgeld von dieser Woche, Frau Mutter«, sagte sie bittend, »es ist so viel wie alleweil, ich habe nichts versäumt.«
Die Alte riß das Geld an sich, warf dem Leopold einen verachtenden Blick zu und schrie dann wieder: »Aufpacken und heimgehen!«
»Mutter! Der Bub gibt die ganzen Nächte keine Ruh, der Leopold kann ihn doch nicht ganz allein pflegen, und ...« »Was geht das mich an? Wer hat meine Kinder gepflegt? Ich!«
»Mutter, ich bitt ...«
»Schämst dich nicht? Sitzt da bei einem verheirateten Mann! Weißt, was die Leut sagen im Haus, und nicht nur die nächsten Nachbarn, nein, überall, weißt was?« zeterte die Frau.[164]
»Na also, was denn in Dreiteufelsnamen?« brummte der Leopold verbissen.
»Daß sie eine Liebschaft mit dir hat«, kreischte das Weib und spuckte vor ihm auf den Boden.
Der Leopold war kreidebleich, und der kleine Bube wackelte bedenklich auf seinen Knien, die erstaunten Augen wendeten sich mit Widerwillen von der Alten und suchten das Gesicht der Hanne.
»Siehst, Mädel, das ist der Dank für dein gutes Herz. Sei nicht böse; daß die Leut so schlecht sein können, habe ich nicht gewußt. Pack zusammen und geh mit deiner Frau Mutter ... Ich dank dir tausendmal ... ich kann nichts dafür ... Geh, es ist die höchste Zeit ...«
Er stand auf, legte das Kind in sein Bett, knöpfte sich den Rock mit einem scharfen Rücken der rechten und der linken Achsel fest zu, als ob er hinaus müßte in eine frostige Wetternacht, und dann sagte er laut:
»Den Leuten, die so niederträchtig über die Walter Hanne und den Weis Leopold geredet haben, sagen Sie, daß sie ein Gesindel sind, mit dem ein ehrlicher Kerl nichts mehr zu schaffen haben will.«
»Gesindel? Unsere Nachbarn?« stotterte die Frau.
»Ja, das seid ihr alle miteinander. Hanne, geh!«
»Du willst es, Leopold, du kannst mich also nimmer brauchen?« fragte das Mädchen mit ersterbender Stimme.
»Hörst du denn nicht, was sie reden ...«
»Darum?«
»Ich meine, das Darum ist genug«, sagte er verwundert. »Und der Bub? Du?«
»Wir zwei?... Frage nicht nach uns ...«, erwiderte der Mann traurig.
»Na wird es?« drängte die Alte.
»Leopold! Frau Mutter! Ich bitt euch.«
»Willst etwa dableiben bei dem verheirateten Mann, na so tu es nur«, höhnte die Frau; gleichsam um ihr Kind zu erschrecken, setzte sie hinzu: »Es gibt genug wilde Ehen, bist nicht die erste und nicht die letzte.«[165]
Das Mädchen stand auf, wickelte ihre Arbeit zusammen, wischte mit einem Lederlappen die Maschine sorgfältig ab und wollte sie eben vom Boden auf heben, als sie sah, daß der Fenstervorhang, der neben ihrer Maschine niederhing, sich bewegte, als ob er geschüttelt würde, sie wollte nach den Vorhangstangen schauen, ob etwas losgemacht sei, und da begegnete sie plötzlich der Hand des Leopold, der verstohlen das weiße Zeug gepackt hatte und dastand, als ob er sich daran aufrecht hielte. Die zuckende Hand, sein bleiches, verzerrtes Gesicht, die zusammengekniffenen Lippen, die halb ohnmächtige Haltung erschütterten das junge Mädchen, sie streckte beide Hände nach dem Manne aus, als wollte sie ihn stützen und trösten, er aber schaute unverwandt auf das graue Steinpflaster des Hofes nieder.
»Leopold!«
Der Vorhang schüttelte sich heftiger, und als sie fragend zu dem Manne trat, da sah sie, wie an den blonden Wimpern zwei schwere Tropfen hingen ... Sie schluckte und schluckte und wollte reden und fand kein einziges Wort. Sie hörte das ungeduldige Seufzen ihrer Mutter nicht mehr. Angst und Mitleid schnürten ihr das Herz zusammen. Sie, die Hanne, die zu ihm hielt, seit sie denken konnte, sie verlor jetzt, wo ihn alle verließen, den Mut und ging auch von dem Manne, der krank, hilflos und wehrlos dastand ... Ist es recht, was sie tut, darf sie so handeln wie die anderen? Was fürchtet sie noch, das Schlimmste haben sie ja schon gesagt von ihr, verurteilt ist sie ohne Schuld.
Noch immer steht sie vor ihm und sinnt und kriecht in sich zusammen und schämt sich, daß die alte Frau neben ihr wartet und ihr vom Gesichte ablesen kann, wie schwer ihr der Schritt über diese Türschwelle hinaus wird. Der Leopold kann es nicht sehen, denn er hat die Augen geschlossen und seinen Kopf an die Mauer gelehnt.
»Du armer Mann«, sagte die Hanne leise, und langsam rückte sie ihre Maschine wieder an den alten Platz, rollte das Papier auseinander, legte ihr Arbeitszeug auf dem Fensterbrette zurecht und flüsterte, weil sie nicht laut reden[166] konnte vor Zaghaftigkeit: »Behalt mich, Leopold, bis die Lene kommt. Die Leut sollen reden.«
»Über meinen Türstaffel kommst du nimmer – nimmer – wenn du jetzt nicht mitgehst!« stammelte die Frau Walter, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.
Der Mann sprach nicht, er schüttelte der Hanne die Hand wie einem treuen Kameraden, und dann ging er hinter der Alten bis unter die Dachtraufe, dort schwenkte er um, ließ die Tür ins Schloß fallen, drehte den Schlüssel um und schob den Riegel vor, als ob er alles Leid dieser Stunde hinaussperren könne samt jener, die es gebracht hatte.
Sie blieben also beisammen, der Leopold und die Hanne. In den ersten Wochen nach dieser Entscheidung stand die ganze Blaue Gans wie ein Mann da und erklärte dem Mädchen offenen Krieg; von dem friedfertigsten ältesten Greis bis herab zu den Kindern, die noch nicht laufen konnten, schmähten sie alle und geiferten gegen das stille Geschöpf.
Zuerst meinte der Leopold, das sei nicht zu ertragen, und er frug sich nur, ob er dreinschlagen solle oder mit seinem Buben und der Hanne aus dem Hause gehen und sich in einer anderen Gasse einmieten. Zum Raufen war er zu schwach, und davongehen? Anderswo mochten sie wirklich für zusammengelaufenes Gesindel gelten, da in der Blauen Gans wußten die Leute doch wenigstens, wer sie seien, und allmählich werden sie doch begreifen, daß die Hanne nur ein seelengutes Mädel ist und nicht sein Schatz ... Nach der Lene! Als ob irgendeine mit seinem Weibe einen Vergleich aushalten könnte, und endlich, die Lene wird ja doch wiederkommen, es ist ja nicht menschenmöglich, daß eine Frau Mann und Kind bei klarer Besinnung für immer im Stiche läßt.
So beruhigte sich der Leopold, wenn er die Nachbarn schmähen hörte und die boshaften Gesichter sah, die ihm und der Hanne nachglotzten, wenn sie ihn durch den langen Hof auf die Trockenwiese führte, wo er mit seinem Buben die Hälfte des Tages hinbrachte. Luft und Sonnenschein taten dem schwachen Menschenleib so wohl, denn nur langsam kam seine Kraft wieder; die stete Unruhe, der Schmerz um seines Weibes[167] willen, die Sehnsucht nach ihr und endlich die Sorge, die jetzt, da er wieder denken konnte, breit vor ihm stand und sich nicht verjagen ließ, das war mehr als zuviel für den kranken Körper und für das weiche Herz des Mannes.
Bis nun hatte er auch im guten Glauben dahingelebt, daß er von seinen eigenen Ersparnissen esse und trinke, aber ganz zufällig kam er darauf, daß die Hanne ihren Arbeitslohn in seine Wirtschaft schmuggelte; das war auch so ein Spornstoß für ihn, daß er sich aufraffte, einmal von der Trockenwiese davonschlich und auf das Gemeindeamt ging.
Dieser erste Weg, den er machte, ohne daß er auf den Arm der Hanne gestützt war, wurde ihm recht sauer; aber je weiter er ging, desto mehr fühlte er wieder seinen Mut und seine Kraft wachsen. Freilich, da in der dumpfen Stube neben einem greinenden Kind und einem stillen traurigen Mädchengesicht, auf dem Krankenbett oder auf dem Pranger am Fenster, dem Gespötte und Geschimpfe preisgegeben, wer kann sich da erholen, und selbst die Trockenwiese, wo die Welt mit Leintüchern verhängt ist, »ein wahres Versimpeln das«, murrte der Leopold vor sich hin und trat immer fester auf, und ehe er es versah, war er auch schon oben in der Gemeindekanzlei. Er kam sich aber wie ein Bettler vor, als er mit dem Hute in der Hand neben der Türe stand und auf seinen Bescheid wartete. Er hatte schon soundso oft schriftlich angefragt, wann er wieder seinen Dienst antreten könne, er hatte die Hanne hergeschickt und anfragen lassen, aber sie sagten ihr, er müsse selbst kommen.
Nun also, jetzt war er da! Warum ließen sie ihn aber so dastehen, als ob er gekommen wäre, sich eine Gnade auszubitten?
Er wußte ja nicht, daß seine Entlassung schon vor Monaten beschlossen war, daß sie in einem Brief mit großem Siegel in die Blaue Gans geschickt wurde und daß sie hinter der Uhr verborgen steckte von der Hanne, um vorläufig wenigstens eine Sorge von ihm zu nehmen. Die Hanne war auch nie auf das Amt gegangen, sie bog alleweil nur um die nächste Ecke und lief dann auf einem andern Wege nach der Trockenwiese[168] , wo sie sitzen blieb und das Kinderzeug zurechtflickte, das sie sonst beiseite schieben mußte. »Ihre Stelle ist längst vergeben, mein lieber Weis, reichen Sie neu ein, wenn – wenn Sie sich ganz erholt haben«, sagte der Vorsteher und musterte den Leopold vom Wirbel bis zur Zehe. – »Aber ...«
»Ist Ihre Frau schon wieder heimgekehrt, oder leben Sie noch immer so –«, näselte der Beamte.
»Gehört das auch zu meiner Entlassung, oder ist es genug, daß ich krank war und darum meinen Dienst nicht hab versehen können?« meinte der Mann und biß die Zähne übereinander.
»Warum wurden Sie krank?« meinte der Beamte hochmütig und lächelte so, als ob er die Menge Dinge wüßte, über welche er nicht reden möchte.[169]
»Weil ... Ei so!« murmelte der Leopold, warf seinen Hut auf den Kopf, zerrte an der Krempe und drehte sich auf den Absätzen um, ohne noch einmal in das rotgetupfte Gesicht des Menschen zu sehen, der ihn halb wie einen Narren und halb wie einen Taugenichts abgefertigt hatte.
Nicht das, was er zu ihm sagte, war es, sondern wie der Kerl, der allezeit hinter dem Schreibtisch hockte, es sagte, das war es. »Ob das wohl früher einer riskiert hätte, he?«
... Als er noch im Regiment stand und sich da unten mit zwei heilen Armen herumraufen konnte, und auch noch später, vor Monaten, als er rechtschaffen mit Weib und Kind neben seinen Nachbarn lebte, der Angesehenste fast.
»Wenn ich nur wüßte warum?« brummte der Leopold und stolperte durch die engen Gassen.
Da er niemand hatte, dem er sein Mißgeschick erzählen konnte, so wurmte ihn der Gedanke, daß er jetzt vor dem unleidigen Patron da oben eine alberne Rolle gespielt habe, zu der ihm die Hanne verholfen. Obwohl er recht gut erkannte, warum sie ihm die üble Kunde verborgen hatte, konnte er doch den Ärger nicht verwinden; er eilte heim und begehrte den Brief von ihr.
Verschüchtert kramte das Mädchen die Unheilsschrift hervor, und als er das Ding in Händen hielt, kam auch die Verbittertheit rückhaltlos hervor.
Das war ein ganz regelrechter Verweis, den die Hanne bekam, etwa so, wie ihn ein Mann seinem Weibe gibt. Alles das, was er in den bittersten Stunden der Lene nicht zu sagen gewagt hätte, alle starrsinnige Rechthaberei, aller niedergehaltene Grimm brach los. Da war ja ein Geschöpf, das widerstandslos schwieg, weil es eine Tat begangen hatte, die ihn schädigte. Beiläufig so stellte sich ihm die Sache dar, und darum schrie er jetzt so und klagte über sein Unglück. Er schrak zusammen, als ihn die Hanne mit gefalteten Händen bat: »Leopold, besinn dich, die Leut.«
»Die Leut, alleweil die Leut!« sagte er grollend, als er aber sah, daß die Hanne leise vor sich hin schluchzte, nahm er mißmutig seinen Hut und ging.[170]
»Gestritten, die wilden Eh'leut«, kicherte eine Nachbarin, die gehorcht hatte.
»Jetzt wird sie bald Schläg kriegen«, erwiderte die Laternenanzünderin weinerlich, und beide trugen das Ereignis brühwarm zu der alten Frau Walter.
Der Leopold ging, so rasch er konnte, immer weiter und weiter, als könnte er allen Wirrnissen, in die er geraten, davonlaufen, als könnte er sich von jedem Ungemach befreien, wenn er das langgestreckte Haus, die große halbdunkle Stube, das hagere, blasse, geduldige Mädchen hinter sich ließe ... Was war aus seinem Leben geworden? Abwehr und Schimpf hatten die für ihn, unter denen er aufgewachsen, das Brot hatten sie ihm boshaft vom Munde genommen, schwach war er, untüchtig an Leib und Seele, und niemand hielt zu ihm als ein armes Geschöpf, das er in einer hilflosen Stunde nicht von sich ließ und das nun überall auf seinem Wege stand und ihn erinnerte, ohne daß sie es wußte und wollte, daß er gestorben und verdorben wäre, wenn sie die Hände in den Schoß gelegt hätte – und alles das hatte er seinem Weibe zu danken. Daß er so erbärmlich, so kraftlos weitertaumelte, hatte sie zuwege gebracht, sie hatte ihm sogar die Hanne hingesetzt – sie – alles sie. – Ach, wo ist sie – wie lange soll er noch leben ohne sie?
Da war ihm plötzlich sein Ziel gesteckt, zu ihr drängte es ihn, er mußte sie wiedersehen, ei, er wußte sie ja zu finden, er durfte sie ja doch suchen, noch war sie sein Weib und eine ehrbare Frau. Oho! Das sollte ihm keiner wehren und leugnen. Für den Halbgenesenen war es aber ein weiter, langer Weg, er schleppte sich dahin wie einer, dessen Wunden aufgebrochen sind und der Rettung sucht vor dem Verbluten. Ach ja, das war es, was ihn gepeinigt hatte, was ihn unwirsch und ruhelos machte, mehr als Krankheit und Sorge; das rastlose, durstende Sehnen nach seinem Weibe, nach ihrem Anblick, ihren Lippen. Monate und Monate waren jetzt hingegangen, und alle die Zeit war ihm zwischen halber Bewußtlosigkeit, Schwäche, Kindergeschrei, Geschimpfe und leisen Seufzern verflossen. Kein heller Tag in dieser bleischweren Traurigkeit,[171] kein lachender Frauenblick, nichts als die rohen Gesichter der Weiber und die ernsten Züge der dürftigen Mädchengestalt. Die Schönheit war mit der Lene aus seinem Leben geschwunden, und darum wohl zerrte unbewußt alles in ihm nach ihr.
Es dämmerte schon, als er mühsam durch die Straßen der Stadt ging, und wie er endlich bei dem Hause der Madame Margot ankam, war es unten auf der Erde dunkel geworden, und nur oben zwischen den Häusern lag wie ein ausgespanntes lichtes Tuch der graublasse Abendhimmel. – Der Leopold schlich quer über die Straße und lehnte sich gegenüber dem Haustore an die Mauer, so daß er hinaufsehen konnte zu den hellerleuchteten Fenstern des Salons. Er war so müde, so zerschlagen, daß er es nicht fühlte, wieviel Vorübergehende an seine Schulter rannten, nur ab und zu griff er an die kalten Steine, denn seine Hand glühte vor Hitze, und gegen den Kopf wallte es auf so kochend heiß, daß er die Augen schließen mußte, denn das Haus gegenüber bewegte sich und erschien ihm blutrot. – Als er wieder aufblicken konnte, sah er die Lene oben am Fenster stehen, ihre schlanke dunkle Gestalt hob sich von dem hellen Hintergrunde rein ab.
»Lene!«
Mit zwei Sätzen stand der Mann in dem Straßengeleise, er rief, winkte und nickte hinauf und wäre wohl schnurgerade zu ihr gerannt, doch da rollten rechts und links die Menge Wagen vorbei, er konnte nicht hinüberkommen zu ihrem Haustore. – Aber er sah sie! – Das war ihr süßes Gesicht, so bewegte sie die Hand oft, wenn sie am Fenster saß daheim. – Jeder andere Gedanke als an sie, jedes Gefühl von Schmerz war ausgelöscht, sie war da, er sah sie wieder, nur zu ihr – zu ihr.
Sie wendete nicht einmal den Kopf nach jener Richtung, wo er stand, jetzt ging sie sogar von dem Fenster fort, und nur hie und da sah er ihren Schatten auftauchen. Erst als sie ganz verschwunden war, sagte er sich deutlich vor, was er jetzt wollte. Mit ihr reden, sie fragen: Was soll nun aus uns werden? – Aus uns dreien? Er wollte das von keinem geschickten Advokaten mehr hören, sie sollte es ihm sagen, sein Weib,[172] das sein Kind geboren hatte und das doch zu ihm gehörte, wenn sie auch da oben saß und nimmer daheim in der großen Stube. – Vielleicht ginge sie gerne wieder zurück in die Blaue Gans, nachdem sie unter den fremden vornehmen Menschen gelebt hatte und einsehen mußte, daß nicht viel dahinter ist bei ihnen. Vielleicht schämt sie sich nur, so ohne weiteres heimzulaufen, und wartet, daß er komme und sie bittet – und endlich, ja, er hatte sie ja vertrieben, Weibergerede soll ein Mann nie so schwernehmen, im schlimmsten Fall hatten sie beide gefehlt, und es war jetzt, da sie sich so lange ferne gewesen, leichter gutzumachen und zu vergessen als damals. Wenn sie erst wieder daheim ist, dann macht ihm das tägliche Brot keine Sorge mehr, dann findet er gewiß rasch wieder eine Stelle, ah, für sie würde er eifrig suchen, laufen und schaffen, wäre sie da, so wüßte er ja, wofür er sich plagte, für sie gäbe er ja seinen letzten Blutstropfen hin.
Der Leopold stand jetzt neben dem Haustore der Madame Margot, da heraus mußte die Lene kommen, da gab es kein Ausweichen, kein Davonlaufen, sie mußte an ihm vorbei und mußte ihm also Rede stehen.
Stunden waren hingegangen, und er wußte es nicht. Seine Gedanken waren auf die Zukunft gerichtet, und er suchte sich die Schmerzen der Vergangenheit zu verringern. Jetzt sah er, wie gegenüber an der dunklen Mauer die hellen Fenstervierecke eines nach dem an dern verschwanden, nun wußte er, daß herüben bei der Französin die Lichter ausgelöscht wurden und daß die Lene nun bald herabkommen müsse. Er reckte sich stramm auf und steckte die Hand fest in die Tasche. Jetzt kamen fröhlich lachende Stimmen näher, ach nein, so lachte sie niemals, ein junges Mädchen kichert und plaudert mit der älteren Frau, die neben ihr geht und nicht ernst bleiben kann bei der Geschichte, welche das lustige Ding atemlos herplappert, die Frau preßt das Tuch vor den Mund und krümmt sich zusammen vor Lachen.
»Warten wir auf Madeleine?« fragte die ältere, als sie durch das Tor gingen und an Leopold vorbeikamen, »das müssen Sie ihr auch erzählen, es ist zu komisch.«[173]
»Nein, gehen wir nur, Madeleine wurde im letzten Augenblick noch zu Madame gerufen, und dann – vielleicht schadet das Lachen auch ihrer Schönheit wie das Weinen, denn sie weint nicht, damit sie ihr Gesicht ...«
Mehr konnte der Mann nicht hören. Freilich, das war sein Weib, das weder lachte noch weinte, damit ihr Gesicht kein Fältchen bekommt. Das schöne Fleisch galt ihr mehr als Freude oder Leid, ihre Schönheit kam immer zuerst, sie war also geblieben, wie sie ehemals gewesen – das schlug wie der Blitz in seine Zukunftsgedanken, mit ihrer Schönheit, die ihm doch stets vor Augen schwebte, hatte er nicht gerechnet, da oben gedeiht sie leichter als daheim bei Mann und Kind. Seine Hand fuhr aus der Tasche, er rückte sich den Hut tiefer in die Stirne, denn ein Windstoß kam um die Ecke gerast, flog pfeifend durch die Hauseinfahrt und wirbelte seine langen Haare über die Hutkrempe. Der leere Rockärmel baumelte hin und her, und der schlottrig-weite Rock bauschte sich auf oder legte sich eng an seine abgemagerten Glieder, je nachdem sich der Wind drehte.
Wie er nun so dastand, gegen den Sturm ankämpfte und mit seinem einen Arm Hut und Stock zu halten suchte, da wehte es ihn mit einmal heiß an, er tappte dorthin, wo er ihre Stimme vernahm, er wischte sich den Staub aus den Augen und suchte sie zu sehen, die ihn halblaut bat: »Geh aus dem Wege, Leopold!«
»Der ... wird ... ich hab ... mein Jesus!... Lene ...« »Mache kein Aufsehen.«
»Weib, komm, ich bitte dich!« stammelte der Mann.
»Was willst du?«
Sie gingen aus dem Tor, bogen hinaus auf die Straße, der Sturm war ihnen jetzt im Rücken und trieb sie vorwärts, immer noch wehrte sich der Leopold gegen seine Haare, die ihm in die Augen flogen, gegen seinen Rock, der sich über die Brust bis unter das Kinn hinauf blähte, und gegen den leeren flattern den Ärmel, den der Wind sogar in das weiße Gesicht des jungen Weibes schlug.
Die Lene hatte sich eng in ihr langes Umschlagetuch gehüllt,[174] der kleine festanschließende Hut und der straffgespannte Schleier ließen an keinem Härchen ihres glatten Scheitels rühren, die schlanke Gestalt war selbst mitten im Sturm ebenmäßig zusammengehalten, unbewegt.
»Was willst du?« frug sie, leicht Atem holend, während er mit weitgeöffnetem Munde neben ihr her schwankte. »Dich ... sehen ... fragen ... wann ... du heimkommst.« Sie blieb stehen, ließ ihre Augen über den zerfahrenen Mann laufen und sagte dann verlegen: »Zu dir?«
»Zu deinem Buben, zu mir ... zu uns allen«, keuchte er. Sie besann sich, drückte die Wange sacht an die Achsel, ihre weißen Zähne funkelten, daß er sie deutlich sah, und dann zischelte sie: »Zu der Hanne?«
»Was meinst?... Ich bitte dich ... bleib stehen ... ich kann nimmer weiter ... Was meinst?« bat der Leopold dringend.
»Ob Platz war für mich neben der andern«, sagte sie und schlug die Augen nieder.
»Lene!... Haben sie die sündhafte Lüg zu dir auch g'tragen ... und kannst du das glauben, du?«
»Lebst du nicht mit ihr?«
»Ich lebe mit ihr, ja, aber nicht so, wie die Leute meinen, dazu könnt ich doch eine Schlechtere finden!« schrie der Leopold.
»Freilich.«
»Das Mädel ist ehrlich und brav, das weißt du doch genau von jeher.«
»Ja, ja«, beschwichtigte die Lene, »braver wie ein Weib, das ihrem Manne durchgeht, gelt?« frug sie forschend. »Ach laß ... höre mich an ... die Hanne ...«
»Paßt besser für dich!« unterbrach ihn die Lene und schaute lauernd zu ihm auf.
»Für mich ... der arme Narr!... Hast sie mir darum hingesetzt? Meinst, der Weis Leopold ist billig worden, weil der Markt aus ist? Also darum hab ich sie statt dir gefunden?«
»Hast sie aber doch behalten.«
»Lene ... zuerst ... Aber wie soll ich dir da im Wind das erzählen. Weißt du, wie schlecht bei uns unten oft das Gerede[175] ist? Sag, Weib, wer könnt an eine andere denken, wenn er dich hat?«
»Gehabt hat«, murmelte sie.
»Frag die Hanne, was ich damals gesagt hab, wie ich bei der Nacht heimkommen bin und gemeint hab, du machst mir die Kucheltür selber auf ... frag ...«
»Mit dem Weibsbild habe ich nichts zu reden«, unterbrach sie ihn.
»Ah!... Das mußt du doch nicht sagen. Du sollst ihr danken dafür, daß sie dein Kind gepflegt hat in seiner Todeskrankheit ... was sie für die Wirtschaft und mich getan hat, das dank ich ihr schon selbst. Schön ist sie freilich nicht, aber gut ist sie, wie es schier keine sonst gibt auf der Welt«, sagte der Leopold weich und glaubte sein Weib zu beruhigen, wenn er wiederholte: »Nein, nein, schön ist sie gar nicht.«
Die Lene faßte den flatternden Rockärmel, rüttelte ein wenig daran, schaute ihrem Manne mit vorgestrecktem Kinn von unten auf in die Augen, biß die Zähne übereinander und sagte dann atemlos: »Wahr ist es, du hast keine Ehr!«
»Ich?«
»Ja, die Leut haben recht.«
»So. Und warum?« frug der Leopold und ergriff ihre Hand, während er leise lachte.
»Lache nicht so. Warum? Weil du dich mit einer ehrlichen Frau von deiner Dirn zu reden getraust!« schrie ihm die Lene zu, entrang ihm ihre Hand, nahm die Röcke zusammen und rannte jählings an ihm vorbei wie ein verfolgtes Kind; sie bog, ohne sich umzuwenden, rennend um die nächste Ecke, und ehe ihr der Leopold folgen konnte, war sie in dem Gewühle der Menschen und Wagen verschwunden.
»Was heißt das jetzt?« fragte sich der Mann, und auf einige Pulsschlägelänge schaute sich sein Gesicht an, als ob ein Schimmer von befriedigter Eitelkeit, von plötzlicher Hoffnung darüber hinleuchtete, aber bald erlosch der fremde Schein, und der alte schmerzliche Ausdruck kam wieder. Eine Weile wankte er noch den Weg, den sie gelaufen war, und dachte an das, was sie gesagt und getan hatte; dann, als er die Stadttore[176] hinter sich wußte, kletterte er auf einen jener Wagen, die bis über die letzten Häuser hinausfahren und darum stets vollgestopft sind mit armen müden Menschen, die ihre großen Bündel schwer schleppen können und so, mehr ihre Last als sich selbst, bequemer heimbringen.
Der Wagen rollte schwerfällig den langen Weg hinaus, und der Leopold, der hoch oben neben dem Kutscher saß, schwankte bei jedem Stoß wie ein Betrunkener, er grübelte und träumte und achtete nicht darauf, daß unten im Wagen ein paar Nachbarn von Zeit zu Zeit fast fürsorglich hinaufspähten, ob er noch fest auf seinem Platze säße.[177]
»Für die Besoffenen hat unser Herrgott eigene Schutzengeln«, sagte der eine überzeugungsvoll.
»Auf eine schnelle Art loskriegen hat sie mich wollen, das ist alles«, schloß der Leopold seine Gedankenkette, als der Wagen einen derben Ruck bekam und ihn aufrüttelte aus seinem trübseligen Brüten. Da waren sie schon in der Nähe der Blauen Gans und hielten an, und der Mann kletterte von dem Kutschbock herab. Jetzt sah er, wie einer um den andern herauskrabbelte, lauter Nachbarsleute, so – und nun huschte da bei der knarrenden Laterne auch noch die Strohschneider-Marie vorbei, blieb stehen und nickte ihm zu. Der Leopold wollte grüßen und ihr ein heiteres Gesicht zeigen, aber das Mädchen schlug die Hände zusammen und fuhr dann mit allen zehn Fingern über ihre Wangen, um ihm zu bedeuten, daß sie sein Aussehen erschreckt habe; er gedachte sie zu trösten und versuchte zu lachen, aber es wurde nur ein grinsendes Verzerren der Muskeln. Die Marie lief weiter, und der Mann schleppte sich heim in seine Stube.
Die nächsten Tage vermied er es, mit der Hanne viel zu reden, jedoch seine Augen suchten sie fort und fort.
»Wenn die Lene doch daran glaubte?« sagte er sich und begann abzuwägen, wieviel an Frauenreiz in dieser überschlanken Gestalt sei und ob die Lene wirklich da eine Nebenbuhlerin finden könne, ob – ja – wenn sie ihn so plötzlich mit den großen, ernsten, liebevollen Augen ansah, da wußte er, daß er ein junges Mädchen vor sich hatte, sonst – was kümmerte er sich um ihr stilles Gehaben. – Jetzt merkte er es auch, daß ihr Kopf manchmal viel hübscher war, wenn sie mit ihm sprach, ganz anders, als wenn sie, über ihre Maschine gebeugt, dort am Fenster saß oder mit kurzen Worten irgendwem Rede und Antwort geben mußte.
Das Mädel da soll seine Geliebte sein, sagen die Leute, sagt sein eigenes Weib. – »Ob wohl eine andere so viel Schimpf und Leid auf sich nähme wie die Hanne?« simulierte er, »keine, nicht einmal die leichtsinnige Strohschneider-Marie, die nicht so viel zu verwetten hat wie das arme Ding ... Warum tut sie es?... Warum ist mir das früher nie eingefallen?«[178]
Der Mann konnte mit einem Male keine Ruhe finden, er dachte zurück, weit zurück bis in ihre Kindertage, immer schauten die ernsten wehmütigen Augen zu ihm herüber, überall tauchte der dunkle Kopf auf neben dem andern leuchtenden, herrlichen. Immer stand sie im Hintergrunde, nur jetzt, jetzt saß sie da an der ersten Stelle in seinem Hause, zuvörderst in seinem Leben, sie saß geduldig da und wartete ... worauf? Daß die Lene heimkommt!
Aber die kann ja nicht heimkommen, solange die Hanne dasitzt und für ... für mein zweites Weib gilt ... »Ah, eine Ausrede von ihr«, wehrte er zum Schlusse ab, »die will nicht heim, und der arme Teufel kann in alle Ewigkeit da hocken, kann alt werden bei mir ohne Mann und ich ohne Weib ... Warum bleibt sie aber da?« frug er sich hartnäckig und rief plötzlich laut: »Hanne!«
»Was, Leopold?«
»Schau mich an!«
Sie blickte verwundert zu ihm hin, wurde aber mit einem Male verwirrt, bewegte ängstlich den Kopf und fragte schüchtern: »Warum?«
»Ei, weil du schöne Augen hast, langes Mädel«, sagte er lachend, und sie lachte auch und wurde dunkelrot dabei. »Schau, wenn du nur ganz kleine rote Röserln im Gesichte hättest, könntest bald mitreden«, scherzte der Mann und löste mit seinen erfahrenen Augen den dichten Haarknoten, zog das übelpassende Kleid fester um den schlanken Leib, da trat die Büste feiner heraus, und der eckige Körper bekam gefälligere Formen.
Na, vielleicht haben die anderen besser gesehen als ich? dachte er und schaute dem Mädchen nach, das den Buben aufgenommen hatte und mit leichten Schritten hinausging.
Seitwärts der Trockenwiese lag ein kleiner abgegrenzter Garten. Die Planke, die ihn von der Wiese trennte, war altersgrau und morsch, und es bedurfte nur zweier tüchtiger Fäuste, um sie zum Falle zu bringen, und dennoch wagten selbst die schlimmsten Buben nicht daran zu rütteln. Woher die Kinder die Sage hatten, daß da drinnen ein Jude begraben[179] liege, das wußte niemand, aber groß und klein sprach mit verständnisvollem Augenzwinkern im Flüstertone davon, sobald die Rede darauf kam. Der abgeplankte Raum hieß auch der Judengarten. Wenn auf der Trockenwiese kein Grashalm mehr grün war, wenn oben auf den Feldern das Korn schon schwer und goldgelb stand, wenn die hohen Fliederbüsche wie krachdürre versengte Baumgerippe im Winde knarrten und klapperten, wenn der Herbst rundum Herr wurde, so sah es in dem kleinen Garten wie mitten in der Sommerszeit aus. Vielleicht kam das von der geschützten Lage und von der Feuchtigkeit, die jene Menge von Steinen gleichsam ausschwitzte, denn immer war es in der Nähe des hohen Mauerteiles, an dem das Gärtchen lehnte, kühl, und wenn die Sonne unterging oder wenn Regenwetter in der Luft lag, liefen an den Steinen große Tropfen herab.
Der abgeplankte Raum war nicht größer als die große Waschküche in der Blauen Gans, aber die Kinder wußten sich genau die Stelle auszusuchen, wo sie durch ein passendes Astloch hineingucken konnten, ohne in das niedere dichte Blätterdach der Bäume oder in das hohe Gras zu sehen. Kaum zwei Hände breit war Raum zwischen dem federartigen langen Gras und den tief niederhängenden Ästen. Wenn es Obstbäume gewesen wären, so hätte wohl die Naschsucht oder der Hunger über die Furcht gesiegt, und die Buben wären doch über die fast doppelt mannshohe Planke geklettert oder hätten sich sonst Eingang verschafft, aber da standen nur Linden und Buchen und breitblätterige fremdländische Bäume, einer knapp neben dem anderen, es gab nichts zu holen, nicht einmal die Blumen reizten sie, die drinnen wuchsen; oben auf den Feldern gab es ja Korn- und Mohnblumen und Kamillen, so groß, wie sie nirgends sonst zu sehen waren.
Die rückwärtige Seite des Judengartens lehnte an der hohen Steinmauer, die sich rechts neben der Trockenwiese und neben den Feldern hinzog, den Berg hinanlief, aber immer niederer und niederer wurde, bis sie oben die Gleiche mit einem geraden Wege bekam. Dieser Weg führte dann noch weiter hinaus durch die Felder in ein Dorf, nach Währing, und dann[180] ging es fort bis in den Wald. Ein paar armselige Hütten, die Wäscherburg, standen auf dem Hügelgrunde, den die Mauer wie ein Damm abschloß und schützte; aus der Ferne sahen sich die niederen Häuser wie Kinderspielzeug an, und die Mauer, die aus großen ungleichen Bruchsteinen war, wie ein Felsen.
An dem höchsten Teile der Mauer, etwa drei Stockwerke hoch über der Trockenwiese, genau über dem abgeteilten Garten, hing ein Korbbalkon. Das Haus, zu dem er gehörte, hatte keinen Vorplatz, der Eingang hing in der Luft, wer in den Flur wollte, mußte über eine Treppengasse, die Bleicherstiege hieß, auf diesen schwebenden Vorplatz, der mit einem hohen, seltsam verschnörkelten Eisengitter umgeben war. Von diesem Balkon herab mochte vorzeiten irgendeine Verbindung nach dem Judengarten gegangen sein, nur wie, darüber waren die Weisen der Vorstadt uneinig. Frevler sagten, es seien Dachrinnen hinabgezogen gewesen. Deutlich sah man rechts und links von dem großen Eisenkorbe handtiefe Furchen, die gerade und gleichmäßig von oben bis unten in die Steine gerissen waren.
Als die Hanne den Kleinen davontrug, ging sie wie immer hinüber auf die Trockenwiese, setzte sich dort nieder und begann ihre Flickarbeit auszukramen, als sie aber sah, daß die Weiber, die eben dort beschäftigt waren, heimgingen und der Wächter sich umwandte und die Runde um die ganze Wiese machte, da lief sie hastig an die Mauer, schob und hob das letzte Brett der Gartenplanke fort, legte den Kleinen hinüber in das hohe Gras und drückte sich dann selbst durch den schmalen Spalt. Sorgfältig schob sie von innen das Brett wieder vor, nahm das Kind auf und watete zusammengebeugt durch das Gras, bis sie sich auf einen grünen Hügel setzte, der wohl ehemals eine Rasenbank war, der aber bei jenen, welche ihn vor Jahren gesehen hatten, für das Judengrab galt.
Durch Zufall hatte die Hanne vor Monaten das bewegliche Brett entdeckt, vielleicht war es eine Türe, die sich irgendein Strolch zurechtgemacht hatte, der in dieser grünen Wildnis ein geschütztes Nachtlager fand.[181]
Für die Hanne war dieses einsame Versteck ein Ort des Friedens, der Rast und Freude geworden. Da lehnte sie zuweilen mit zitternden Armen und pochenden Schläfen und horchte in das Gesumme und Gezirpe all der fliegenden und laufenden Tiere hinein und war so zufrieden, daß kein boshaftes oder neugieriges Menschenauge sie bis hierher verfolgen konnte. Die Zweige boten ja ein dichtes, schützendes Dach, und wenn der Wind durch die Blätter lief, so klang es oft wie eine Melodie, die sie als ganz kleines Kind da oben auf dem Balkon singen gehört hatte. – Ob der Jude da begraben liegt, dem das Haus und der Balkon einst gehört hatte, und ob er gesungen, als sie noch da draußen im Grase lag, ob er die Melodie von dem Wind und den klingenden rauschenden Blättern gelernt haben mag, oder ob das nur so forttönt aus einer verwehten Zeit herüber -?
Zum Anfang, als sie da hineinkroch, fragte sie sich, ob sie nicht etwas Übles tue, die Furcht, welche sie und alle Kinder einst vor dem Judengarten hatten, wirkte bis zu dem Tage nach und war stärker als das Behagen; aber allmählich gewöhnte sie sich an die wilde erfrischende Schönheit des einsamen Stückchens Erde, und sie konnte sich nicht satt sehen an den fremdartigen Blumen, die hie und da noch höher waren als das lange Federgras.
Und erst droben in den schwarzen, wirr verschlungenen Ästen, die sich wie ein dunkles Netz von unten ansahen, weil alle Blätter dem Licht zudrängten und kaum einen Sonnenstrahl durchließen, welch ein Leben war da oben! – Die Vögel kannten sie alle und pfiffen ihre schönsten Lieder beinahe an den Ohren des Mädchens. Manchmal schwangen sie sich auch herab und hüpften neugierig um das schlummernde Kind und pickten wie nach Kirschen sachte nach den vollen Lippen des Kleinen.
Das waren geheiligte Stunden, in denen sie dasitzen und träumen konnte, sie hatte da auf dem Judengrab ihre Kindheit gefunden, denn ganz im Kern ihres Wesens war das lange, ernste, allzeit auf die Arbeit bedachte Mädchen ein Kind geblieben.[182]
Sie hatte nicht so viel Zeit gehabt, so wie die anderen zu spielen und das Stücklein Kindheit auszuleben; die Aufsicht und die Pflege der Kleineren hatte sie in Atem gehalten, ihr Spiel bestand in lärmenden Narreteien und war berechnet für die schreienden Jüngeren, die dann, anstatt zu weinen, schreiend lachten. Mit gleichalten Nachbarkindern kam sie meist nur im Flug zusammen, da hatte sie nicht Zeit, mitzutun bei jenem köstlichen, atemlosen Ringelreihetanz, dem Verstecken und Fangen. Später schloß sie sich an die Lene, aber spielen mochte die nicht, sie schlief nur oder ließ sich kämmen und putzen von der Hanne oder Märchen erzählen, die niemand so gut wußte wie die Hanne.
Jetzt aber spielte das große Mädchen zuweilen da für sich selbst ganz allein in dem abgeplankten Garten. Die Märchen, die im verstümmelten Gewände auf weiten Umwegen in die Hütten der Armen kommen, die pochten einst mit weichen Fingern an ihr kleines Herz und schlichen sich lachend und weinend ein. Jetzt waren sie wieder da und breiteten ihre geheimnisvollen Schleier über den verwilderten Garten, schauten sie an mit großen, vertrauten, liebevollen Kinderaugen, und alles, was um sie lebte und webte, wurde plötzlich ihr Spielgenosse.
Die großen Heuschrecken, die über die höchsten Halme schnellten und an ihr vorbeihüpften, konnten ja vielleicht verwunschene Pferde sein, und die großen Käfer mit breiten Hörnern und festem Rückenschild, waren die etwa nicht gepanzerte Ritter? – Die Libellen, die um einen engen grünlichen Wassertümpel schwebten, waren sie nicht schillernde Damen und die Laubfrösche lärmende Bauern? – Das war ein verzauberter Garten, und sie saß nur da und wartete, bis sie das Wort aussprechen dürfe, das allen wieder die wahre Gestalt gibt. Und wenn sie das Wort ausspricht, dann wachsen mit einmal die Bäume beinahe in den Himmel, und die Wege werden breit, und leuchtende Blumen schießen aus dem hohen Gras, und hinten öffnet sich die Mauer bis hinauf zu dem Korbbalkon, der aber aus purem Gold und glänzenden Edelsteinen ist. Durch das große offene Mauertor geht sie hinein, durch silberne und goldene[183] Zimmer, und überall stehen die Ritter, die Damen, die Bauern und viel andere Leute, und alle warten auf den kleinen Prinzen, den seine Pflegemutter, die Hanne, aus der Blauen Gans herüberbringt in die verzauberte Burg. Oben auf dem goldenen Balkon da steht dem Prinzen sein Vater, dem alles gehört und der ganz mit Samt und Seide hergeputzt ist und voll Freude nach dem Kinde und derjenigen ausschaut, die sein Kind auf den Armen trägt. –
Mit leuchtenden Augen und erhobenem Kopf geht das junge Mädchen durch den kleinen Garten dahin, sie hält den Knaben vor sich, als ob sie ihn jetzt und jetzt in zugreifende Hände legen wollte, und als sie knapp vor der Mauer steht und in einer Ritze ein graues Vöglein zu singen und zu schmettern anhebt, da macht sie einen Knicks. – Das ist der Torwart, der mit seinem Horn die Ankunft des Prinzen ankündigt. – Jetzt kann sie aber nimmer weiter, sie steht da vor der festen Mauer. – Alles ist wie im Märchen, nichts fehlt als das Zauberwort, welches die Tore öffnet und alle Dinge verwandelt. – Die Hanne sinnt und sinnt, sie hat es doch einmal gewußt, als sie noch ein Kind war – alle erwachsenen Menschen vergessen es –, sie kann es nimmer finden. Aber der kleine Bub auf ihren Armen, der weiß es, denn er lächelt und greift mit beiden Händchen nach dem grauen Vöglein in der Mauerritze. – Die Hanne fragt ihn leise-geheimnisvoll, er schließt lächelnd die Augen, als ob auch er darüber nachdächte. – Doch er hat noch nicht reden gelernt, er kann das Wort noch nicht sagen.
»Hab mir's denkt, daß du dich daher verkriechst«, lachte es schrill hinter der Hanne, und als sie sich umwandte, blitzten sie die dunklen Augen der Strohschneider-Marie an.
Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre der kleine Bursche mitten ins Gras gepurzelt, so erschreckt stand das Mädchen vor der Marie.
»Ich spionier schon die längste Zeit nach, wo ich dich einmal allein erwischen kann, aber es hat halt niemals klappen wollen, sonst sagen die Blauen Gäns, ich renn deinem Leopold nach«, spöttelte sie.[184]
Die Hanne überhörte den Scherz und frug wie aus dem Schlaf:
»Warum suchst mich denn?«
»Ich hab dir sagen wollen, daß ich einen Herrn Vetter hab, der einen ehrlichen Mann zum Geldeinkassieren braucht und einen sucht. Der Leopold wird bei uns herunten an viele Türen klopfen müssen, bis sie irgendwo eine aufmachen. Das hat ihm sein Weib eingebrockt. Ich mein aber, auf die Länge wirst du die Rackerei für euch drei und noch was drüber nicht aushalten.«
»Wer sagt dir's, da-ß i-ch ...«
»Halt 's Maul! Glaubst, alle Leut sind aufs Hirn gefalln? Oder meinst, wir sind blind? Wir sind unser zwei, die Klara und ich, und wir verdienen das Geld noch leichter und geschwinder als du mit deinem zaundürren Rössel, und doch wird mir die Plag oft zu dumm. Aber die Frau Mutter ist immer mieselsüchtig, und die Kinder wachsen so langsam und sind allerweil hungrig.«
»Ja, ja, das kenn ich«, sagte die Hanne frauenhaft.
»Ob du es kennst!« lachte die Marie mitleidig, »zuerst hast deine Geschwister aufgepäppelt und hast das Futter verdienen helfen, und jetzt – hörst, Mädel, du bist schon die Allerdümmste – jetzt hockst du mit dem hochmütigen Weibsbild ihrem Balg auf dem Hals und rackerst dich zusammen für einen krüppelhaften Mann, der dich nimmt, weil du ihm halt bei der Hand bist. Recht haben die Leut. Schäm dich!«
Die Hanne drückte das Kind fest an sich, nickte grüßend mit dem Kopfe und wollte davon.
»Halt aus! – Meinst du, ich kenn das G'sicht nicht? Das hast von der Lene gelernt, die hat so heruntergeschaut auf unsereins. – Na, die ist ja schön genug – und niemand hat ihr was nachsagen können, darauf hat sie sich g'steift. – Aber du und – ich, wir dürfen keine solchen Gesichter aufstecken.«
Auf eine Antwort wartete die Strohschneider-Marie freilich vergebens, die Hanne blieb mit gesenktem Kopfe stehen und beschwichtigte das Kind, das wieder unruhig wurde.
»Vielleicht bist doch so g'scheit und nimmst das Zettel da«, sie griff in die Schürzentasche und gab ein zusammengelegtes[185] Papier der Hanne, »da steht die Hausnummer und der Name von meinem Herrn Vetter drauf. – Gib's dem Poldl. Sag nicht, daß es von mir ist, es könnt ihm sonst die gute Suppe versalzen. Also, Kameradin, g'scheit sein. Was ich da Zeit verplausch! Wann dich aber der Lepold einmal – ah! was geht das mich an! – Behüt dich Gott!« Sie wollte der Hanne die Hand reichen, besann sich aber wieder, lachte ihr laut ins Gesicht und drehte sich jäh um.
Rasch sprang sie durch das Gras, das ihr bis an die Hüften reichte, duckte sich, um den niedersten Ästen auszuweichen, spähte erst durch ein Astloch hinaus, ob niemand in der Nähe sei, dann rückte sie gewandt die Plankenbretter auseinander, preßte sich durch den Spalt, lief einige Schritte die Trockenwiese entlang, blieb jählings stehen und hub an zu singen:
»Behüt Gott und bleib g'sund,
Und vergiß nicht mein Wort,
Nie wie Katz und wie Hund,
Wie die Täuberln lebt's fort.«
Die Marie jodelte lustig, lief wieder einige Schritte weiter, hielt inne und schaute zurück auf den Judengarten. Die Stirne wurde wieder so kantig, wie das immer geschah, wenn in dem hellen Kopfe ein Gedanke arbeitete, für den sie keine rechten Worte fand. Eine Weile blieb sie stehen und hielt die Planke im Auge, dann stand sie neuerdings still und sang:
»Sei nicht z'wider, sei lustig,
Es kost' allerweil ein Geld,
Lern singen – lern lachen! –
Über die bucklete Welt!«
Nach dieser frisch gejodelten Lebensweisheit schlenderte die Marie weiter, und wie eine heitere Mahnung klang ihr Gesang zurück in den verzauberten Garten.
Die Hanne hielt den Zettel fest in der Hand, und als sie die Stimme der Sängerin nimmer hörte, stolperte sie verschüchtert[186] und verschreckt den bekannten Weg, schlüpfte durch die Planke und lief heim.
»Da bring ich dir vielleicht eine gute Stell, Lepold, gelt, du gehst hin und schaust's an?«
Ohne viel danach zu fragen, woher die Hanne den Zettel brachte, nahm ihn der Leopold an sich und ging zu dem Manne, der die Stelle zu vergeben hatte. Die Strohschneider-Marie mochte wohl schon früher mit ihrem Vetter gesprochen haben, denn als er sich nach Name und Wohnort des Leopold erkundigte und ihn schonend frug, wo sein zweiter Arm geblieben sei, und über alles genaue Antwort bekam, machte er seinen neuen Diener mit dem Notwendigsten bekannt, gab ihm Handgeld, und der Leopold hatte wieder Arbeit und Brot.
Das war viel, aber wie wenig für den, der mit seiner einen starken Hand noch vor einem Jahre das Glück festhalten wollte für immer. Wo war sein Glück? Wenn er sich den Tag über müde gelaufen hatte, so saß er am Abend schweigend und verdrossen in seiner Stube, er mochte in kein Wirtshaus gehen, es dünkte ihm, als hätten die Leute dort gar nichts zu tun, als nach ihm zu gaffen und von ihm zu reden, und darum ging er nun auch so früh in sein Nest wie alle andern in der Blauen Gans.
Längst stand sein Bett vorne neben der Türe, wo es seinerzeit gestanden, als noch der alte Weis drinnen schlief; der Lene ihr Bett hatte jetzt die Hanne, und das war auf dem alten Platze in der dunklen Ecke geblieben und daneben das Lager des Buben. Das Mädchen hatte auch den Bilderschirm vom Dachboden herabgekramt und sich damit eine Wand für ihren Winkel gemacht, sie hätte im Nachbarhause schlafen können, der Leopold hätte nicht weniger gesehen und gehört von ihr.
Diese Ruhe war ihm unerträglich, sie beängstigte ihn, er konnte Nacht um Nacht erst spät einschlafen und erwachte, wenn es noch dunkel war, und in all den schlaflosen Stunden lag das Gefühl der Vereinsamung wie ein schweres Gewicht auf seiner Brust, und ob er sich auch rechts und links wälzte, er konnte es nicht abschütteln.[187]
Manchmal schrie das Kind auf oder lallte im Traum, dann horchte er, aber er hörte keine Bewegung der Hanne, obgleich er wußte, daß sie es war, die den Kleinen so rasch beruhigt hatte. Mit spitzfindiger Grübelei setzte er sich auseinander, daß ihm sein Kind so gleichgültig sei wie die Pflegerin, aber die zwei hatten sich so aneinander gewöhnt, daß er froh sein konnte darüber, er sei ja überflüssig da. Und von Tag zu Tag wurde der Kleine ihm ähnlicher ... wenn er wenigstens das Gesicht seiner schönen Mutter hätte, sagte sich der Leopold.
Der Mann fühlte sich ganz frei, vogelfrei und doch an allen Enden gebunden. Mit vorwurfsvoller Neugierde sah er zu und wartete, wie lange das junge Mädchen stillschweigend dieses freudlose Zusammenleben mit ihm ertragen werde. Manchmal lauerte er auf einen Blick, auf ein Wort, das ihm eine Handhabe geben könne zu dem letzten und innersten Grund ihrer Opferfähigkeit, oft stand er nahe daran, sie zu fragen: »Warum bist du da?« Was ihm ehemals so natürlich erschienen war, ihre Herzensgüte, ihre Neigung zu dem Kinde und ihm, hatte ein anderes Gesicht bekommen, seit die Lene davon gesprochen hatte, und wenn in den schlaflosen Nachtstunden das Blut rascher durch die Adern trieb, wenn die Liebe, die Sehnsucht, die Gier nach seinem Weibe ihn übermannten, dann war es, als flüsterte ihm jemand in die Ohren:
»Weib ist Weib, horche nur, da unten schläft eine, die dir gehört mit Leib und Seele, wenn du sie nehmen willst.« »Das muß anders werden!« rief sich der Leopold selbst zu, wenn er heimkehrte und die Hanne still auf ihrem Platze am Fenster fand, denn oft beschlich es ihn leise auf dem Weg:
»Vielleicht ist sie nicht mehr da ...«
Was aber beginnen, wenn sie einmal nicht mehr da war? Macht das die Einsamkeit erträglicher?
Den Buben in Pflege geben zu ihr, zu dem Mädel, meinetwegen, sie sind so aneinander gewöhnt ... und dann allein aus der Blauen Gans wandern! Dann könnte man wieder frei Atem holen ... Ja aber ... aber die alte Frau Walter! Die ist des Teufels, die nimmt ihre Tochter nimmer heim, das[188] hat sie verschworen, und dumme, böse Weiber halten alles, was sie schwören. Allein leben kann die Hanne doch auch nicht, jeder Lump könnte keck nach ihr langen, seit sie im Verruf ist mit einem verheirateten Mann ... Rechts und links zugesperrt, flieg nur, Vogel mit den gestutzten Flügeln! Alles so verquickt und so verworren, kein Ausweg ...
Seit die Brotsorge weggefallen war, trug der Leopold den Kopf wieder ein wenig höher, und wenn er dem Mädchen das Haushaltsgeld am Samstag hinlegte, so tat er dies viel bedachtsamer als früher bei seinem Weibe, er schaute sich auch ihr Rechenbuch genau an, und mehr als einmal sagte er ihr: »Es ist schon gut, daß du so Ordnung hältst in allem, du wirst einmal deinem Mann viel ersparen, denn du weißt selbst, wie schwer sich das Geld verdient.«
Wenn sie ihn bei solchen Worten mit hellen Augen ansah oder vor sich hin lächelte, wandte er sich ab und grübelte, ob sie ihm niemals eine Antwort geben werde, die ihn hineinsehen ließe in das stille Geschöpf.
»Entweder hat sie nicht ein Fünkerl Galle oder nicht ein Fünkerl Weiberverstand«, grollte er nach einem solchen Versuche.
Bald aber ging ihm auch die Neugierde verloren, er wollte das Mädchen nicht mehr versteckt warnen vor der Zukunft, sie wußte ja, was geschehen würde, wenn die Lene wiederkam ... Die Lene!... Mit starrsinniger Hartnäckigkeit begehrte er nur nach ihr, und dieses stumme, trotzige, nagende Begehren erstickte allmählich jeden anderen Gedanken.
Nun war er schon wieder so von der Sehnsucht nach ihr befangen, daß er seinem Weibe auflauerte an allen Ecken und Enden, wenn sie auch an ihm vorbei ging wie an einem Fremden und nicht grüßte noch dankte. Sie anzureden hatte er nicht mehr den Mut, aber er schlich ihr nach mit der zusammen-gekrampften Hand in der Tasche, und da er nun wußte, wo sie daheim war, so lief er die halben Nächte unter ihrem Fenster hin und her. Sie war wirklich ein ehrbares Weib geblieben, warum also wollte sie nicht mehr zu ihm zurückkommen? Die ganze Gasse, in der sie wohnte, kannte ihn[189] schon, die Leute wußten jetzt, daß jenes schöne, rothaarige Mädchen eigentlich eine Frau sei und der »einarmige Vagabund«, der immer da herumlungerte, ihr Mann, ein Nichtsnutz, den sie davongejagt hatte.
Das erzählten sich die Mägde in den Kaufläden und die Leute, die an den Fenstern standen und ihn hin und her wandern sahen, wenn die Lene daheim war. Die Zeit, wo er sich darum gekümmert hatte, wie er selbst aussehe, war auch vorbei; wenn ihn irgendeiner ansah, fiel es ihm ein, er dachte aber nur an die Lene und zupfte dann an seinen Kleidern und Haaren herum, wenn es auch nicht viel änderte. Er empfand einen Widerwillen gegen alle die wohlgekleideten feinen Herren, die zuweilen vorüberstrichen und manchmal der Lene in die Augen schauten. »Wär ich so ein Aff, wer weiß, ob sie nicht gut getan hätt?« knirschte er und schloß die Faust ... Wäre es nicht ein Modeherr gewesen, der eines Abends an die Lene anrannte, nur um dann ein paar Worte zu sagen und neben ihr herzulaufen, so hätte sich der Leopold noch überwinden können, als er aber sah, daß der geschniegelte Bursche seinem Weibe ganz fremd war und ihr nur seine hergeputzte Figur aufdrängte, da wurde es ihm zuviel. Wie nun die Lene, ohne ein Wort mit dem Zudringlichen zu reden, durch ihr Haustor schritt, stürzte ihr Mann auf das Herrlein los, riß ihm das Stöckchen, mit dem er spielend herumfuchtelte, aus der Hand und trat es mitten entzwei, schlug ihm den Hut vom Kopfe, warf ihm die ärgsten Schimpfnamen zu und kümmerte sich nicht darum, daß allerorts die Fenster aufgerissen wurden und neugierige Gesichter den Betrunkenen, wie sie meinten, anstarrten.
Am nächsten Morgen, als er wieder an der Ecke lehnte und auf sein Weib wartete, kam die Lene gerade auf ihn zu und fragte: »Kannst du ruhig mit mir reden?«
»Ich kann ... ich kann alles ... was du willst«, stotterte er.
»Glaubst du mir, was ich dir sage?«
»Alles, alles glaub ich dir.«
»So höre mich an. Ich will dich nicht mehr sehen, verstehst du mich? Du bringst nur Schande über mich.«[190]
»Lene!«
»Wenn du mir noch ein einziges Mal in den Weg kommst, so schiebe ich dir einen Riegel vor. – Ich reise fort.« Jählings packte sie der Leopold am Arme, zog sie heran und fragte tonlos: »Fort?... Wohin?!«
»Ich gehe nach Paris. Die Madame Margot hat mir schon neulich gesagt, ich soll mich nicht so martern lassen von dir. Sie wird mich in einem Salon dort empfehlen.« »Schlechtes Weib!« fluchte der Leopold.
»Schimpfe, wie du willst, die Leute wissen doch, was ich bin.«
»Geh nicht fort«, flehte zitternd der Mann, »daß ich doch weiß, wo du bist, daß ich dich wenigstens manchmal sehen kann ... daß ich nicht ...«
»Laß die Redereien. Bleib ruhig unten bei deinem Buben und bei – ihr. Ich mach dir keine Schand. – Mir brauchst du nicht nachzugehen und nachzufragen. Ich will nichts von dir als Ruhe.«
»Ich habe dich ja nur fragen wollen, ob dir gar nichts mehr an unserm Polderl liegt?... Weib! Ich bin ja ein lebendiger Mensch, ein Mann!... Ich hab mehr Geduld gehabt als zwanzig andere Männer, ich habe gelebt wie ein Pfaff, Lene, hab kein Frauenzimmer angeschaut und mir gedacht, ich will mein Weib nicht verunehren ... sie kommt ja wieder!... Alles muß ein Ende haben, so geht es nicht weiter mit uns.«
»Du schreist schon wieder«, sagte sie ängstlich und schaute nach allen Seiten. »Ich hab ja ein End gemacht, und geht es so nicht, so gehe ich nach Paris.«
»Ist das dein letztes Wort?« bat der Mann.
»Ja, mein allerletztes, bei der ewigen Ruhe von meinen alten Leuten, bei meiner eigenen Seel schwör ich dir, ich geh nimmer zu dir, ich will Ruhe haben.«
Die Lene zitterte am ganzen Leibe, sie war bleich vor Erregung, und schwere Tropfen rannen über ihre Wangen.
»Freilich, jetzt sehe ich, daß es dir ernst ist ... Du vergißt sogar, daß das Weinen Falten macht ... vergißt auf deine Schönheit sogar ...«, murmelte der Leopold und schaute sein[191] Weib verwundert an. »Ich hab immer noch gemeint, es könnt einen Weg geben, der uns zusammenführt. Keinen mehr!... Sollst Ruh haben, ich geb dir mein Soldatenwort.«
Stumm gingen die beiden noch eine Weile nebeneinanderher, mit einem Male aber schlang der Leopold seinen Arm um ihren Hals, küßte sie hastig auf die Wangen, die Augen, den Mund und taumelte fort.
Am kommenden Tage blieb er bis Mittag in seinem Bette liegen, und als ihn die Hanne frug, ob er krank sei, sagte er zu ihr: »Nein, faul!« Dann drehte er sich um und schlief weiter.
Nachmittags stand er auf, legte seine besten Kleider an, steckte Geld zu sich und ging davon, ohne daß er auch nur nach seinem Buben gefragt hätte. Früh, als es schon zu grauen begann, kam er heim, er pfiff und sang, daß ihn die Hanne schon draußen auf der Straße hörte, und als sie ihm die Türe öffnete, sang er noch immer.
Vergeblich wartete das Mädchen von einem Tag zum anderen, daß er wieder seine Arbeit aufnehmen werde, es war vorbei damit; sie konnte nicht den Mut aufbringen, ein Wort davon zu sagen, und schlenderte herum und wich sogar jeder Frage aus, die er sonst zuweilen an sie richten mußte.
Nach Wochen, als er im Fortgehen sagte: »Du, der alte Davidl, der Tandler von der unteren Gasse, holt heute den alten Schubladkasten, räum ihn aus«, schrak sie zusammen.
Langsam ging der Leopold der Türe zu, da hörte er die schüchterne, zagende Stimme des Mädchens seinen Namen rufen.
»Ah so, du kannst reden«, kicherte der Mann, wandte sich um und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, er legte ein Bein über das andere und frug: »Also, Mädel?«
»Du wirst wieder krank werden«, begann sie traurig. »Fürcht dich nicht, ich kann jetzt schon wieder einen Puff aushalten ... Ist das alles?«
»Ich hab dich bitten wollen, weißt, wegen dem Polderl, geh doch wieder in dein Geschäft.«
Sie zitterte, daß sie nicht weiterreden konnte, endlich aber übermannte es sie, und wie ein verzweifelter Schrei klang es,[192] als sie fragte: »Was muß ich denn tun oder sagen, daß du mir zulieb auch einmal etwas tust?«
Das gab dem Mann einen Ruck, er ließ den einen Fuß von dem andern gleiten, beugte den Oberkörper vor, stützte seine Hand aufs Knie und schaute die Hanne prüfend an.
»Dir zuliebe ... armes Mädel, mir selber zuliebe, willst sagen, gelt?« frug er ernst und mit einem warmen, weichen Ton, so wie er öfter zu ihr gesprochen hatte einst, als sie mit gebrochenen Gliedern dalag ... als sie noch ein Kind war ... »Dir zuliebe, Hanne, hätte ich viel tun und lassen müssen ... Ich habe alleweil das Verkehrte getan auf der Welt ... Jetzt bin ich dabei, das Rechte zu tun, und das wird auch dir nützen, langes Mädel.«
»Mir?«
»Ich habe dich freilich nicht mitgerechnet gehabt, das ist mir auch erst eingefallen, wie du geredet hast ... Schau, Hanne, warum hast du nie früher gesagt, ich soll dir zuliebe was tun?... Du warst immer so mäuserlstill, und ein schweigsames Frauenzimmer ist, darauf bin ich durch sie ... und dich gekommen, was Seltenes und vielleicht darum nicht anheimelnd, nicht warm. Plausch, Mädel, plausch alleweil ...«
»Ja, was hätt ich denn sagen sollen?« fragte sie beklommen.
»Vielleicht hättest du mir die andere aus dem Herzen plaudern können ... jetzt ist alles zu spät!«
»Was redest du so – so ...«
»Es ist wirklich aus, Hanne, sie kommt nimmer ... nimmer zu mir ...«, schluchzte er plötzlich, ließ seinen Arm auf den Tisch fallen, legte den Kopf darauf und weinte ... weinte ... weinte.
Allmählich erzählte er ihr alles, die ganze Leidensgeschichte, die sein Herz durchempfunden, jede Qual, die er lautlos getragen, jede Hoffnung, die er begraben hatte ... Er sprach, als ob sie gar nicht so leichenhaft dort im Halbdunkel säße, als ob er allein wäre und eine verweinte Beichte seiner Schuld und seiner Pein hinsagte vor einem unsichtbaren, gleichfalls[193] wehrlosen Wesen, das nichts mehr gutmachen kann, nicht mehr aufhelfen kann, das nur hineinschauen soll in ein zermalmtes, verblutendes Menschenherz.
In dem großen Gemache erwachten klagende Stimmen allerorts ... wie erweckt von dem haltlosen Schluchzen des Mannes, so wurden alle Erinnerungen aus alten Tagen lebendig, und ein leises Weinen zitterte in allen Ecken, in allen Geräten, in allen Wänden. Der gewaltige, freigewordene Schmerz störte die Geister aller an dieser Stelle stumm getragener Leiden auf, und wie aus einer fernen unbekannten Welt klangen die Töne herüber, schwermütig, geisterhaft, klagend, gleich dem Echo zerrissener Saiten, gleich dem Nachklang gramvoller Sterbeseufzer.
»Aus ist es, Hanne, ob mich heute oder morgen oder übermorgen die Kugel niederwirft ... ich weiß es nicht, aber ich kann nimmer leben ohne mein Weib, das siehst du doch jetzt ein, Mädel, gelt?« fragte der Leopold am Ende.[194]
»Ja – freilich – das sehe ich jetzt ein –«, erwiderte die Hanne mit fester Stimme.
Sie redeten so zueinander, aber keines konnte das andere sehen. Das Mädchen hatte den Vorhang niedergelassen und sich in die dunkle Ecke gesetzt neben den Kleinen, als der Mann zu erzählen anhub, und dort war sie unbeweglich sitzen geblieben und hatte nur hingehorcht zu ihm, er aber hatte die Augen geschlossen, während er sprach, als ob sie ihm der Schmerz zugedrückt hätte.
Jetzt stand die Hanne auf, zündete die Lampe an, nahm ihr Tuch von dem Nagel an der Zimmertüre und sagte bittend: »Jetzt kannst du mir etwas zulieb tun, und ich will es dir mein Lebtag danken.«
»Was denn?« fragte der Leopold und schaute wie ein todmüder Mensch zu ihr hin.
»Bleib bei dem Kind, bis ich wiederkomme. Ich komm bald. Warte nur auf mich.«
»Kindisches Ding ... dir zuliebe ... ich bin froh, daß ich dir noch was zulieb tun kann ... Ich wart schon.« »Alsdann in Gottes Namen«, flüsterte die Hanne, drückte ihm die Hand und eilte davon.
Wie ein Putztisch sah sich das kleine Zimmer an, in dem die Lene saß und eifrig nähte. Alles Ersparte hatte sie an die Einrichtung gewendet, und nun endlich hing und stand alles genauso da, wie sie es geträumt hatte.
Auf dem Boden lag ein grauweißer Teppich mit blauen Blümchen, an den Fenstern und über dem Bette hingen weiße Zitzvorhänge mit blauen Blümchen, die Stühle und das kleine Sofa waren überzogen von demselben Stoff mit blauen Blümchen, und mitten in der Stube schwebte eine blaue Glasampel mit hellblauen Blümchen. Die zierlichen Schränke, der Tisch, das Bettgestell waren weiß lackiert und mit blauen Streifen gerändert, und die Tapete war weißgrau mit blauen Blümchen.
Mitten in diesem verwirklichten Traum saß die glückselige Lene, sogar der weiße Schlafrock mit den gestickten Falbeln[195] und den blauen Schleifen gehörte dazu. Wenn sie die Nadel rasten ließ und aufblickte, da wurde das schöne Gesicht noch reizender durch den Ausdruck des innerlichsten, zufriedensten Behagens, aber sie ließ sich nie viel Zeit, ihre Herrlichkeiten zu genießen, sie nähte wieder emsig weiter.
Seit sie einmal als Kind das Schlafzimmer einer jungen Dame gesehen hatte, seit sie die Kammerfrau, für die der Lene ihre Mutter die Wäsche wusch, in das Stübchen gucken ließ, wollte ihr das Weiß mit den blauen Blümchen nimmer aus dem Sinn. War das bei ihrer Mutter oder in der großen Stube der Frau Weis möglich?
Nun war sie längst kein Mädchen mehr und endlich ihre eigene Frau, jetzt konnte sie ihren Traum verwirklichen Stück um Stück; und sie, die sonst nichts entbehren wollte, sie kargte mit dem Bissen Brot, sie legte Kreuzer zu Kreuzer, um nach und nach noch eine Elle Zitz zu kaufen, damit die Falbeln an den Vorhängen reicher wurden. Mit ehrlicher Pünktlichkeit bezahlte sie dem Tischler jeden Monat einige Gulden, um rascher ihrer Schuld ledig zu sein, vom grauenden Morgen arbeitete sie daheim, bis sie zu Madame Margot gehen mußte, und wenn sie heimkam, betrachtete sie mit andachtsvollem Entzücken ihre Stube, dann setzte sie sich an die Arbeit und nähte, bis ihr fast die Augen zufielen.
Jetzt waren ja alle Wünsche ihres Lebens erfüllt, dieses Gemach, keinen Mann, kein Kindergeschrei, von allen gehätschelt, bewundert und begehrt, aber doch allein, ganz allein, eine zufriedene, ehrbare Frau.
Die Leni war freilich nie so schön gewesen als nun in dieser lichten, duftigen Umrahmung. Friede, Stille und Schönheit umfloß sie, und kein Gedanke verirrte sich zurück in den Winkel, aus welchem ihr Liebreiz emporgeblüht war »wie eine reine, stolze Lilie unter dürftigen blassen Veilchen, schwerfälligen Distelblumen und allerlei farbenschreiendem, niederem Unkraut«.
Die Lene las nämlich auch jetzt an Sonn- und Feiertagen manchmal Romane, und wenn sie dann darüber nachzudenken versuchte, so machte sie zwischen sich und der Heldin[196] und dem Leben in der Blauen Gans Vergleiche und schwang sich zu großen Empfindungen auf, die darin zusammenflossen, daß sie ehemals sehr mißhandelt war. Jetzt war sie schon auf einem Standpunkt, wo sie das weiße Lilienbewußtsein ohne jeden rückdenkenden Vergleich trug, der weißgestickte Mullschlafrock machte sie zu einer Dame, und ihre Tugend war über alle Zweifel, das sagten alle Leute, sie saß in dem weißen Zimmer mit den blauen Blümchen, in aller Zukunft konnte jetzt nichts mehr kommen, was sie aus ihrem Geleise bringen mochte.
Aber das Alter, die Schönheit vergeht –!
»Das Alter. Ich werde eine sehr schöne alte Frau werden, hat neulich ein Bildermaler bei der Madame Margot gesagt«, antwortete sie sich selbst und dachte an die weiteste Zukunft, an sehr schöne weiße Haare.
Nun tat ihr eben diese Denkerei schon wieder weh, das war kein Geschäft für sie, lieber lustig darauflosgenäht, jeder Stich ist ja Geld.
Mit einem Male war es dunkel geworden, die Lene zündete die Hängeampel an, und der bläulich-weiße Lichtschein ergoß sich über das Gemach. Wie jeden Abend, so staunte sie auch jetzt wieder das Wunder an, daß die blaue Glaslampe einen weißen Schimmer geben konnte, denn eigentlich war jetzt sie und jedes Stücklein ganz wundersam weiß. Gerade war sie wieder daran, nachdenken zu müssen, als es leise an ihre Türe pocht.
Wer kann das sein? Die Lene streckte das Köpfchen vor und horchte. Die Hauswirtin, der Briefträger? Sie setzte sich aber doch in ihrem Lehnstuhl hübsch zurecht, so vornehm wie die noblen Damen bei der Madame Margot, sie lehnte den Kopf zurück, breitete seitwärts die Schleppe ihres Schlafrockes aus und ließ ihren kleinen Fuß mit dem blauen Pantoffel sehen.
Da klopfte es zum zweiten Male, lauter, dringlicher. »Herein!«
Langsam geht die Türe auf, nur ein Stückchen – und durch den engen Spalt schiebt sich mit gesenktem Kopfe eine schmale zaghafte Gestalt. Sie drückt mit den Ellenbogen die Türe[197] wieder hinter sich zu, ohne daß sie sich umwendet, dafür aber lehnt sie sich mit den Schulterblättern rasch an.
Die Lene reißt die Augen weit auf, als ob das leichenhafte Geschöpf mit den dunklen Haarsträhnen, die an ihrer Stirne kleben, ein Gespenst wäre, dann zieht sie die Augen klein zusammen, macht ihre vornehmste Miene und will reden, als aber die andere nur die Lippen bewegt, schüttelt sie den Schreck und die Vornehmheit plötzlich ab, springt auf, stemmt die Hände in die Hüften und sagt mit einem langsamen Blick, der von unten bis oben über die gebeugte Gestalt gleitet:
»Das ist zu keck!«
»Ich weiß es«, erwidert die Hanne mit gebrochener Stimme, »aber ich bitte dich, höre mich an.«
»Schau zu, daß du aus meinem Zimmer kommst!« ruft die Lene drohend.
»Dein Kind!«
»Ich hab kein Kind, seit es in solche Händ ist – Pfui!«
»Dein Mann! Hör mich an ...«
»Red nicht von ihm.«
»Gnad und Erbarmen, Lene!« Das junge Mädchen fiel auf die Knie, erhob den Kopf und streckte die gefalteten Hände weit von sich.
»Wär ich gekommen? Hätte ich mich getraut?« sagte sie erschöpft, »wenn nicht dein – der Leopold – Lene! – er stirbt!«
Die schmale Gestalt brach zusammen und fiel vornüber, so daß sie mit der Stirne auf den weißen Teppich mit den blauen Blümlein schlug.
»Wer stirbt?« frug die Lene halblaut, und es schüttelte sie am ganzen Leibe, als sie auf das Wesen vor sich niedersah.
»Stirbt«, das Wort erweckte alle Sinne der Halbohnmächtigen, sie raffte sich zusammen, kroch auf den Knien der Frau näher und lallte mühsam: »Dein Mann – stirbt – kann nimmer leben – ohne dich – erbarm dich – komm heim.«
»Sonst nichts? – Ich heim?« frug die Lene spöttisch. Sie blickte sich in dem kostbaren weiß-blauen Zimmer um. »In das Loch dort zurück? – Ich hab es ihm gesagt, und er muß närrisch sein, wenn er glaubt, ich komme.«[198]
»Er glaubt es nicht – er weiß, daß du dein Wort hältst«, beteuerte die Hanne und richtete sich an einem Stuhl wieder auf, »und darum will er sich erschießen – heut – morgen – übermorgen – wer weiß es? – Komm, um Gottes Barmherzigkeit, komm, eh' es zu spät ist.«
»Hat er dich hergeschickt – und hast dich getraut, zu der Frau von deinem Schatz zu kommen?« fragte die Lene mißtrauisch.
»Red, was du willst – in allem hast du recht – aber nur glaub, daß er mich nicht – geschickt hat. – Davongerennt bin ich in meiner Todesangst um ihn. – Schlag und schimpfe mich – sag, was du willst zu mir – aber erbarm dich – denk an den Buben, der ein Waiserl wäre«, erwiderte die Hanne demütig.
»Möcht mich nicht beschmutzen – du, meine beste Freundin, hast so ehrlos sein können?« klagte die Frau und wendete sich ab.
»Ja, recht hast du. Nimmer wirst mich sehen, und nichts wirst von mir hören – aber geh, geh, sonst könntest du zu spät kommen.«[199]
»Wer es sagt, der tut es nicht«, murrte die Frau abwehrend.
»Nimm es auf dich!« rief die Hanne erschüttert, »du kennst den Leopold, der tut's! – Mehr als dich bitten kann ich nicht. Soll ich noch was tun? Weißt du was, ich will dir Händ und Füß küssen ... Erbarm dich.«
»Schämen sollst dich, daß du dich so abwinselst um einen Mann – um meinen Mann! – Mußt ja vernarrt sein in ihn über alles. – Schämst du dich denn gar nicht?« sagte die Frau langsam, wie von Ekel erfüllt.
»Ich schäme mich, daß ich da bin«, flüsterte die Hanne ergebungsvoll.
»Muß dir keine Freude machen, wenn dein Schatz sterben will, weil er nicht ohne sein Weib leben kann.«
»Glaubst du es doch endlich?« schrie die Hanne schluchzend auf.
»Ja, ich glaub's, weil ich sehe, daß du fast zugrunde gehst daran«, sagte sie kalt und streng, »das ist die Strafe für deine Liederlichkeit.«
»Ja – ja – so ist's – kommst du aber heim? – zu ihm – jetzt – gute, schöne, heilige Lene! – kommst?!« flehte das Mädchen, und die Zähne schlugen ihr aneinander, und sie zog und zerrte an ihren Fingern.
»In die Blaue Gans? Mein Lebtag nimmer in den Mistwinkel, wo er in wilder Ehe gelebt hat. Nein. – Das ist mein Haus, da bin ich Frau – und will er ein ehrliches Leben führen, so soll er mit dem Kinde daherkommen.« War es ein Freudenschrei, war es ein Klagelaut, den die Hanne zurückhielt, als sie sich aufbäumte und mit beiden Händen an den Mund fuhr? Rasch sank aber die Gestalt wieder in sich zusammen, und sie nickte nur dankbar: »Ja – ja!«
»Da nebenan ist eine Kammer frei«, sagte die Lene matt wie ein Mensch, der sich einen Finger abschneiden läßt von seiner kräftigen gesunden Hand, dort soll er mit dem Buben bleiben. Ich bleibe da. Sein Weib will ich nimmer sein. »Hätt ich gewußt, was heiraten heißt, wär ich es nie worden. Und jetzt erst nach dir!«[200]
»Recht hast du – du bist so gut! – Darf ich ihm sagen, daß du –«, flehte das Mädchen.
»Eine Stelle will ich ihm auch verschaffen bei uns im Geschäft«, betonte die Frau hochmütig und doch geschmeichelt von der Wichtigkeit, die jetzt jedes Wort von ihr hatte.
»Ich – dann –«, die Hanne unterbrach sich ängstlich und bat dringend, »darf ich ihm das sagen?«
»Er soll kommen ...«
»Ja! – Noch eins. – Ich bitte dich – er könnt mir nicht glauben. Weißt, ich hab ihn einmal angelogen wegen dem Brief vom Gericht.«
»Wirst öfter gelogen haben. Solche Weibsbilder lernen das«, warf die Frau verachtungsvoll hin.
»Freilich – freilich – öfter, ja – und darum glaubt er mir nichts mehr. Hast recht. Weißt, und darum wird er sich nicht hertrauen zu dir. – Schreib auf ein Stückerl Papier: ›Komm, Leopold!‹ und deinen Namen darunter, dann wird er mir glauben.«
Die Lene rückte langsam den Lehnstuhl an den kleinen Schreibtisch, setzte sich sehr vornehm nieder und kritzelte:
»Ich nehme dich in meine Wohnung, du kannst kommen.
Madeleine.«
Hinter ihr stand das blasse Mädchen mit gefalteten Händen, sie betete und betete und dankte mit tiefster Demut, mit dem inbrünstigsten Glücksgefühle allen den Heiligen, die sie angerufen hatte, jetzt in den Stunden der bittersten Herzensnot, sie dankte der schmerzensreichen Mutter Maria und dem Jesuskindlein, weil sie dem kleinen Buben den Vater erhalten haben und die Mutter wiedergegeben ... sie dankte der Frau Magdalena Weis wie einer Heiligen, daß sie dem Leopold alles verziehen hatte.
Die sonderbare Heilige wendete sich um und gab der Hanne den Brief, in dem Augenblicke wäre ihr das Mädchen mit den großen starren Augen am liebsten um den Hals gefallen, aber sie hatte nicht den Mut dazu.[201]
»So, da hast du – laß dich nimmer vor mir sehen.« »Nimmer – nimmer!«
»Und werde ein ehrliches Mädel, wenn es noch möglich ist.«
»Vergelt dir Gott alles Gute, was du in der Stund getan hast«, erwiderte die Hanne, und ihre Augen leuchteten, ihr Gesicht glühte, als sie den Brief in ihr Tuch einschlug, an die Brust drückte wie einen Schatz und forteilte, ohne auch nur das köstliche weißblaue Zimmer anzusehen. Die Lene aber setzte sich jetzt ganz gewöhnlich auf den nächsten Stuhl und schluchzte, als ob ihr das Herz brechen sollte. Da war ein Riß mitten durch den lebendig gewordenen Traum, das Kind, der Mann kamen wieder, nur nebenan, nur nebenan, das weißblaue Zimmer war ihr Heim, über die Schwelle soll niemand mehr von der nichtsnutzigen Sippschaft.
»Was jetzt aus dem liederlichen Mädel werden wird?« frug sie sich nach einer Weile. »Wie häßlich sie ist –«, das junge Weib wusch sich die Augen und schaute dann lange in den Spiegel.
»Da bin ich wieder, Leopold!« rief die Hanne schon in der Türe, und das mit einer so frischen, mutigen Stimme, daß sich der Angesprochene überrascht umwendete.
»Ich war nicht lange fort, gelt? Aber ich hab doch viel ausgerichtet.« Sie hängte ihr Tuch wieder an den Türnagel, lief zu dem Bette des Kindes und redete dazwischen immer hastig und laut: »Gute Nachrichten hab ich gebracht für dich, für den Buben, für – nein, was es da für eine Hitze hat!« Sie trocknete sich, unschlüssig, ob sie weiterreden sollte, die Stirne, holte tief Atem und sagte dann eindringlich: »Für dich die allerbesten Nachrichten, Leopold.«
»Machst dir einen Spaß?... Bist halt doch nur ein Frauenzimmer und kannst nicht begreifen ... ah!...«, sagte er dann mit einer wegwerfenden Gebärde und stand auf.
»Meinst?« erwiderte sie und lächelte verstört, »willst etwas Neues von der Lene hören?« frug sie vorsichtig. Ein jähzorniges Aufblitzen seiner Augen war die Antwort. »Ich hab sie gesehen«, sagte das Mädchen zögernd, »und ich[202] meine, du hast die ganze Sache doch ein wenig zu scharf angepackt.« Sie stockte wieder und streckte, ohne es zu wollen, die Hände nach ihm aus, so als ob sie ihn zurückhalten müßte, aber schnell ließ sie die Arme sinken, als sie in sein starres, wie von einem Krampf verzogenes Gesicht schaute.
»Red nicht mehr von ihr, ich bin fertig.«
Er sagte das ganz leise und schlicht, aber die Hanne fühlte es dennoch eiskalt durch ihre Adern rinnen, so ein Ton lag in den Worten.
»Jetzt wirst du aber doch recht erschrecken, aber – nachher wirst anders denken über allerhand. – Es könnt halt doch noch besser werden, als du meinst. – Bleib nur sitzen, sei nicht ungeduldig, hör mich an.«
Erschöpft lehnte sich der Mann wieder in den Stuhl zurück und blickte auf den Reifen, welcher in die blankgescheuerte Tischplatte gebrannt war. Da stand, als seine Mutter noch lebte, immer der große Kaffeetopf, nur bei besonderen Festlichkeiten legte sie ein Tischtuch auf, sonst mußte ein Stück Wachsleinwand den Dienst versehen, und trotz dieses Schützers bekam der Tisch doch einen gelbbraunen Reifen, weil der Topf früher immer genau an derselben Stelle stand. – Seltsam, wie der Leopold jetzt auf den eingebrannten Ring starrte, sah er die knöcherne, runzlige Hand der alten Frau, die vor ihm da putzte und putzte – müde Finger mit kurzen, abgestoßenen Nägeln kratzten da, als müßte der Fleck hinwegzuscharren sein.
Die armen, alten, fleißigen Hände, dachte er und griff danach; aber jetzt erhob sich der Zeigefinger und drohte, wie er oft dem wilden Buben gedroht hatte, und der Mann hörte die klagenden Worte, die seine Mutter oft so warnend, so vorherrschend gesagt hatte: »Bub, Bub, dein Kopf führt dich auf keinen guten Weg!« Anderes konnte sie seinem Eigenwillen nicht entgegensetzen.
Hat sein Kopf ihn auf einen guten Weg geführt?... Ei, da stand er ja schon am Ende ... Der Finger warnte und drohte nun vergebens. Alt's Weib, du hast recht gehabt; nicht alleweil hat dein dürrer Finger den guten Weg weisen können[203] ... und warum hat denn dein Kind wirklich den eigenwilligen Kopf von seinem Vater und das weiche, liebereiche Herz von dir?
»Studier nicht alleweil so viel nach, Leopold. Die Lene ...« »Aber Mädel, bleibst denn dein Lebtag bei all deiner Gutheit voll Unverstand?« unterbrach sie der Mann mit einem flehenden Blick.
»Kurz und gut – mach dich gefaßt – ich – ich war bei der Lene!« stieß die Hanne hervor und ließ ihn dabei nicht aus den Augen.
»Du!« schrie er auffahrend, »und hast ihr gesagt?«... Als er jedoch in das zaghafte Gesicht des Mädchens schaute, sagte er mitleidsvoll: »Ja, ja!... Hast dir eine schöne Freud dort geholt, gelt?«
»Vielleicht doch, Leopold, vielleicht! – Ich hab sie gebeten, deine Frau, daß sie zu dir heimkommen soll!« erzählte die Hanne fieberhaft, »und sie – sie hat ...«
»Dich hinausgeworfen, die noble Frau, und nichts hören wollen von ihren Leuten ... dummes Ding, hast glaubt, was ich nicht zuwege bringe, kannst du?... Den Einfall!« Er betrachtete sie kopfschüttelnd, bedauernd, dann setzte er lebhaft hinzu: »Was wird nun aus dir, wenn du allein bleibst?... Am Kraut fressen dich die da herunten, die G'scheiten, die das Gras wachsen hören und alle so ganz gewiß wissen, daß du ein leichtfertiges Mädel bist ... Was wird bei deiner Verdrehtheit aus dir und dem Buben, wenn ... wenn ...«, brütete er und schaute sie noch immer teilnahmsvoll an.
»Was aus mir wird, wenn du fortgehst, Leopold?« sagte sie unterwürfig. »Ich werd dein Zeug da alles verkaufen und dir das Geld nachschicken. – Dann werd ich meine Frau Mutter bitten, daß sie mich wieder heimnimmt – tut sie es nicht, so, so schau ich mich um eine zweite Ledige um und mach, daß wir so alle zwei die Stuben b'halten können – für zwei kommt's billiger ... Fleißig sein muß ich halt, und nach und nach, wenn die Nachbarn erfahrn, daß du wieder ein glücklicher Mensch bist, werden sie auch mich in Ruh lassen. – So mein ich, werd ich halt langsam alt werden und recht[204] froh sein, daß du und der Bub am rechten Ort seid's und daß du zufrieden bist.«
»Was heißt denn das alles?« frug der Leopold erstaunt, soviel hatte er das Mädchen noch nie reden gehört. »Das ist ja schon helle Narrheit! Was redst du immer nur von mir?«
»Erschreck nicht, Freud kann auch schaden, hat deine Frau Mutter allerweil g'sagt.«
»Na, ihr hat sie nicht geschadet ... sie hat nie zuviel gehabt ... und mir!... Mach's kurz, was steckt dahinter?« drängte er unruhig.
Jetzt aber wurde sie plötzlich leichenfahl, das verstörte, fremdartige Lächeln war wieder da, und ohne daß sie es wußte, ging sie ein paar Schritte rücklings von ihm hinweg, ließ den Kopf sinken, daß ihr Kinn bis auf die Brust fiel, und fingerte mit der rechten Hand in der Tasche.
»Da hast – siehst – sie ist besser – viel besser, als du g'meint hast!« – Jetzt hielt sie ihm aus der Ferne einen Brief hin, und als er danach langte und ihn packte, da zitterte sie, daß ihre Zähne zusammenschlugen, sie schlang die Finger ineinander und rührte sich nicht von dem Flecke, an dem sie stand.
Der Leopold zerfetzte den Umschlag mit seinen Zähnen, und als er das Blatt herausgeschält hatte, breitete er es unter die Lampe, legte sich zur Hälfte über den Tisch und las mit verschwimmenden Augen. »Oh!... oh!... oh!...«
Er legte seine Wange auf den Brief, denn sein Arm konnte das raschelnde Blatt nicht mehr halten, und an den Knien bogen sich seine Beine verdächtig. So lehnte er schweratmend minutenlang, und nur zuweilen drang der wonnewimmernde Laut, dieses Aufstöhnen, als ob allgemach Last um Last von ihm genommen würde, aus seiner Kehle ... Ach, von tiefer her stieg es auf, aus einer glückseligen Betäubung rang es sich heraus, aus dem dumpfen Lustgefühl der jähen Ausgespanntheit, aus dem gedankenlosen Genuß des Lebendigwerdens, des Gerettetseins kam der kurze weh nachklingende Jubelruf: »Oh!... oh!... oh!...«
Das erfaßte sie nicht. Für sie war es ein Jammerruf, sie stand dort und horchte wie mit gebundenen Händen und Füßen.[205] Warum seufzt und jammert er, anstatt zu lachen und zu springen – was soll ich jetzt noch tun? fragte sie sich geängstigt, und sie fürchtete sich, daß ihn vielleicht seine Krankheit wieder angepackt hat, seine Schwäche. »Lepold!«
Er rührte sich, richtete sich auf und streckte ihr die Hand entgegen.
»Komm her, du!... du! – - – Meiner Seel, Mädel!... Du brauchst nur zwei weiße Flügel noch ...« Er legte seinen Arm um ihren Nacken, drückte sie fest an seine Brust und küßte sie genau auf den blankweißen Strich, der ihre dunklen Haare teilte, dann ließ er sie los und lief in der Stube auf und nieder.
»Jetzt erzähl mir ... erzähl mir alles!« sagte er nach einer Weile.
Und sie erzählte den ganzen Hergang. Hatte sie so viel vergessen in dem Stundenraum? Hatte sie so wenig gehört, gedacht, empfunden? – Das Bild, welches sie dem Manne darstellte, war dasselbe und doch ein anderes; alle scharfen Töne, alle grellen Farben fehlten, ihr eigenes, weißes, gepeinigtes Gesicht war verwischt und verschwommen, und das der Lene trat leuchtend, schön und gütig hervor. – Nur Mitleid, Gekränktheit, Irrtum schien zwischen Mann und Frau gelegen zu sein, und jetzt, so sagte die Hanne, »hat sie halt in ihrer strengen Art verziehen«.
In solchem Lichte sah der Leopold nun die Lene und die Zukunft, er horchte, nickte und lächelte, sprang auf, klopfte der Hanne dankbar auf die Schulter und setzte sich wieder ihr gegenüber.
Das Mädchen hatte sich ganz frei geredet, die Beklommenheit war fort, ihre Wangen hatten sich wieder leicht gerötet, sanft und geduldig, mit dem verklärten Ausdruck eines Wesens, das mit schwachen Kräften in der entscheidenden Stunde Schweres vollbringen konnte, saß sie da und schilderte die Lene, wie sie träumte, daß sie sein sollte, vielleicht noch werden würde – eigentlich aber wie sie, die Hanne, unbewußt es selbst war.[206]
»In aller Früh morgen pack ich meinen Buben auf und geh zu ihr, gelt? Damit ich sie noch daheim finde, ehe sie in den Salon geht.«
»Ja freilich«, sagte die Hanne ebenso eifrig, »ich richte dir dein' Koffer und dem Kind« – sie schrak zusammen, blickte nach dem Kleinen, richtete sich aber wieder auf und plauderte weiter, »dem Polderl seine Sach auch dazu, und das soll euch der Hausmeister nachbringen – dann wissen wenigstens gleich alle Leut im Haus, daß du wieder bei deinem Weibe bist.«
»Das ist ein gescheiter Gedanke«, meinte der Leopold beistimmend.
»Und eure Einrichtung, die ...«
»Die behaltest du und wirtschaftest weiter bis ...«, unterbrach sie der Mann.
»Ah, beileib nicht! Was dir einfallt? Den Tisch da und dein kleines Kasterl, wo du als Bub deine Schulsachen drinnen gehabt hast und später deinen Soldatenrock und die Medaille, den schenk mir, der Kasten ist gar so ein liebes Ding, deine Frau Mutter hat mir erzählt, daß du als Bub ...«
»Sonst willst du gar nichts?« redete der Mann kleinlaut in ihr hastiges Geplauder.
»Gar nichts. Oder wenn du willst, so verkauf mir alles, mir ist's ein liebes Andenken an deine alten Leut«, flüsterte sie zaghaft. – »Denn in dein neues Zimmer brauchst nichts, deine Frau hat alles viel schöner.«
»Hast recht, es wäre doch schad um das alte Gerümpel da ... Aber man lernt leichter vergessen, wenn man nichts mehr sieht von dem alten.«
»Ja«, seufzte die Hanne leise und begann, Wäsche und Kleider aus den Kasten zu räumen und in Stöße auf die Stühle zu ordnen. Dann machte sie sich auf, richtete dem Leopold das Abendbrot zurecht, sie hätte fast darauf vergessen, und holte, obgleich das Haustor schon geschlossen war, noch einen Schluck aus dem Wirtshaus für den Mann. Als sie mit der gefüllten Flasche zurückkam, frug der Hausmeister: »Na, ist heut Kirchtag bei euch, Hannerl?«[207]
»Das nicht, aber – Abschied. Morgen müßt Ihr so gut sein und dem Lepold sein Koffer und Kisten zu der Lene führen, er geht wieder zu seinem Weibe«, erwiderte die Hanne ernsthaft.
»Was du nicht sagst! Und sie nimmt ihn?« fragte er zweifelnd.
»Sie hat ihm ja selber geschrieben, daß er kommen soll.« »So? – Und das Kind nimmt er mit? Und dich?« schrie der Mann und lachte roh.
»Das Kind nimmt er mit, und ich bleib da, wo ich war«, sagte sie einfach und ließ den Hausmeister mit offenem Munde stehen.
Der Leopold aß und trank und half der Hanne die Bündel zurechtrichten, er durchstöberte alle Winkel, nahm jedes Stücklein, welches seinem Weibe gehörte, liebkosend in die Hand, sprach fort und fort von den künftigen Tagen, so daß die Nacht hinfloß und die Sterne erblichen, ehe er daran dachte. Mit einem Male fühlte er aber, daß er kein Glied mehr rühren konnte vor Mattigkeit, und da warf er sich so, wie er war, mit den Kleidern auf sein Lager.
Als ihn das Mädchen schlafen hörte, ließ sie die Arme niedergleiten, sie war ja tausendmal müder als er – aber es jagte und hämmerte doch in ihr, und sie getraute sich nicht eher zu ruhen, als bis alles geschehen war. – Nun schleppte sie noch eine Kiste herbei, packte sie fest und sauber, endlich war sie mit allem fertig. Als die Sonne ein rosiges Wölkchen voranschickte und dann eine ganze Flut von rötlichem Licht, sah der lange Hof aus, als ob er schamrot würde anstatt der Leute, die in seinen Mauern schliefen und sich nur im Traum noch nicht die Steine zurechtlegen konnten, die sie bald auf die Wehrloseste unter ihnen warfen.
Als die Sonne immer weiter heraufkam und ihr strahlendes Gesicht in den Scheiben spiegelte und mit heißem Blick in alle Fenster lugte, da setzte sich die Hanne still nieder und nahm Abschied von dem Kinde und von dem Vater. – Es war ein stummer, tränenloser Abschied, sie betrachtete die beiden gleich einem hilflosen Tier, dem eine rohe Hand die[208] ganze Brut genommen und das Nest zerstört hat – dort liegt das Letzte, und die Hand greift noch einmal – und es bleibt gar nichts mehr zurück als Schmerz. – Was wird die kleine, weiße Hand, von der sie sein Leben erbettelt hat, mit den beiden beginnen? – Da fällt ein Sonnenstrahl über das schlafheiße Gesicht des Leopold. Nimmer, nimmer sehen! – Er geht fort für immer.
Die Sonne liegt heiß auf seiner Stirne, darum fährt der Leopold auf, fährt mit der Hand über den Kopf, sinnt eine Weile nach, erblickt den vollgestopften Koffer, die Kiste, und er lacht dann hell auf, denn er meinte schon, er hätte die schöne Geschichte von der Lene nur geträumt. Und nun beginnt er sich zu waschen, zu kämmen, zu bürsten, und die Hanne macht sich an das Kind und putzt es her, als ob Feiertag wäre. Der kleine Bursche ist so fröhlich wie lange nicht, öfter als einmal will er von dem Arm der Hanne hinüber zu seinem Vater, der manchmal ruft und lacht, vielleicht ist es das heitere Gesicht des Leopold, das dem Buben so gefällt.
Je später es wird, desto ruheloser treibt sich der Mann in der Stube herum, sein Herz, seine Seele sind ihm ja vorangeeilt, da tappt und hastet nur der Leib und möchte so rasch als möglich der Seele nachlaufen. – Sooft er in die Nähe der Uhr kommt, bleibt er stehen und lauert auf das unmerkliche Weiterrücken des Zeigers.
Die Leute gehen auch langsamer durch den Hof als sonst, sie schauen auffällig nach der Türe und dem Fenster des Leopold, sie wissen bereits, daß er fortgeht; der Hausmeister hat es schon weitergetragen. Wie sich der Mann auf seinen alten Platz am Fenster setzt, da grüßt ihn sogar eines der Weiber, er merkt es aber nicht, er schaut nur über den Hof hinweg auf die Straße, die von hellem Sonnenschein vergoldet vor ihm liegt. Der Hausmeister kommt herangeschlurft und sagt mit einem Blick über die Achsel: »Die – hat mir heut nacht gesagt, daß du gehst – ich soll dir die Kisten nachbringen, ist es wahr?«
»Wahr ist es«, erwiderte der Leopold kurz.
»Wann?«[209]
»Gegen Mittag.«
»Zu deinem Weib?«
»Ja.«
»Gut, daß die Wirtschaft da ein End hat. War eine Schand für unser Haus«, brummte vergnügt der Mann.
»Darum hat dich niemand gefragt«, sagte der Leopold, stand auf und ging zurück in die Stube.
»Es ist Zeit«, mahnte die Hanne und knüpfte dem Kinde noch ein seidenes Tüchlein um den Hals. »Wenn der Bub nur ein wenig hustet, so gebt ihm gleich einen kalten Umschlag um den Hals – merke dir das –, seit der Bräune ist er empfindlich, und einschlafen tut er jetzt nur auf der rechten Seite – sonst kriegt er Herzklopfen – und Grießsuppe darf er keine essen, die vertragt er nicht – und jetzt – jetzt geht, geh in Gottes Namen – jetzt – geh – Lepold.«
So, da standen nun die Nachbarn alle in der Nähe der Türe und warteten und steckten die Köpfe zusammen. Richtig, jetzt geht die Türe auf, und der Leopold kommt heraus. Zwischen Tür und Angel schüttelt ihm die Hanne noch einmal die Hand, und dann legt sie ihm das Kind in den Arm, und jetzt geht er.
»Lepold, wart!« ruft die Hanne bei dem ersten Schritt, den er macht. Sie legt ihm die Hand auf die Schulter und flüstert, damit es die Umstehenden nicht hören können: »Ich hab noch vergessen, dir zu sagen, daß du still sein sollst. – Sag der Lene niemals die Wahrheit wegen uns zwei. – Sie tät es dir doch nicht glauben und hätt dann« – die Hanne konnte das Wort nicht finden für das, was sie doch deutlich empfand. »Ich mein halt, sie hätt dir weniger zu verzeihen, wenn sie die Wahrheit wüßt, und sie verzeiht dir halt jetzt gern recht viel.« – Das Mädchen stammelte und verdeckte ihre gramerfüllten Augen mit der Hand, um sie vor den Sonnenstrahlen zu schützen.
»Ich werd schon in der rechten Stunde das Rechte sagen«, erwiderte der Leopold ernsthaft und ging langsam weiter.
»Renn ihm nach, deinem Schatz!«
»Er laßt sich nimmer halten, gelt?«[210]
»Hast dir eingebildet, du bist schöner als die Lene?«
»Aus der Tanz.«
So schwirrte es rechts und links um sie, und sie hörte es doch gleichsam aus weiter, weiter Ferne – sie lief in die Stube und eilte wie suchend zu dem Platz am Fenster, wo er noch vor Minuten saß, dort kauerte sie sich hin und blickte ihm nach, der mit festen Schritten weiter und weiter ging. – Jetzt hielt ihn nichts mehr zurück – er hatte den Hof hinter sich – die Einfahrt jetzt – nun ging er durch den Torbogen – und jetzt schritt er schon die sonnenhelle Straße hinab – immer weiter fort – immer kleiner und kleiner wird der Mensch – da wirbelt eine Staubwolke – sie verschwindet – und der Leopold ist nimmer zu sehen.
Niemand sprach ein freundliches Wort zu ihr, sie glotzten sie nur stumm an oder schmähten sie halblaut, dann kicherten sie und zuckten die Achseln. Als sie aber bewegungslos in der Sonnenhitze sitzen blieb, begannen sie allmählich, an ihr Tagwerk zu gehen, nur die Hanni rührte sich nicht, sie schaute noch immer – immer hinaus auf die Straße. Erst als der Hausmeister kam und all das Zeug für den Leopold holte, da regte sie sich, half ihm heben und schieben, und wie alles auf dem Karren war und der Mann davonfuhr, schloß sie das Fenster, kam heraus, sperrte die Türe ab und eilte hinüber auf den Trockenplatz.
Vorsichtig spähte sie dort um und um und erhaschte die Minute, wo sie ungesehen ihr Versteck erreichen konnte, sie schob die Bretter beiseite und kroch in den Judengarten.
»O mein Gott ... mein Gott!« wimmerte sie, watete durch das hohe Gras, schwankte und taumelte mit leichenfahlem Antlitz dem Hügel zu – aber da stierte ihr zwischen den Zweigen ein Gesicht entgegen, so bleich und verstört wie ihr eigenes.
»Hab lang da auf dich g'wart'! Ich hab g'wußt, du wirst daherkommen, dich ausheulen, weil dein Schatz ein Kalfakter ist und ...«
Doch die Strohschneider-Marie konnte nicht ausreden, sie sprang auf und breitete die Arme aus, denn das lange Mädchen[211] fiel gerade, wie es stand, auf den Hügel und regte sich nicht.
»So, da hab ich die Bescherung«, seufzte die Kneipensängerin und öffnete behutsam das Kleid der Hanni, setzte sich zu ihren Häupten und nahm den Kopf der Ohnmächtigen in ihren Schoß. Fast zärtlich strich sie ihr das Haar aus der Stirne, und als die Hanne wieder zu atmen begann, sagte sie tröstend: »Leg ein Stein drauf. – Wirst nicht dran sterben, halt dich nur zusammen. Überleben kann man jede traurige Dummheit, freilich, vergessen wirst's dein Lebtag nicht, was die Blauen Gäns für G'sichter g'macht haben, wie dein Schatz von dir fortgangen ist.«
»Er war nicht –«, schluchzte die Hanni, preßte aber schnell die gefalteten Hände an den Mund.
»Halt dich zusamm', vielleicht wirft ihn seine tugendhafte Frau mitsamt seinem Buben bald hinaus, dann kommt er g'schwind wieder zu dir, denn eine dümmere als dich find't er gar nirgends, und Charakter hat er schon lang keinen mehr, davon könnt ich dir eine G'schicht erzähln von lang her ... Damals hatte er noch alle zwei Arm g'habt – und ich war ein blutjunges Mädel. Wie er heimkommen ist, hat er mich kaum mehr kennen wollen und mich über die Achsel ang'schaut, und er hat doch recht gut g'wußt, er ganz allein, wie er mich g'funden hat drei Jahr früher. Jetzt weißt's. Wart schön ruhig, er kommt bald wieder ...«
Er kam aber nie wieder.
Zur selben Stunde, als die Hanni verstört und zerbrochen auf dem Hügel des Judengartens kauerte, lag in dem Zimmer der Leni auf dem grauweißen Teppich mit den blauen Blümchen ein stiller Mann. Er hatte die Augen weit offen und starrte mit einem klagenden Blick ins Leere. Um seinen Mund stand ein ödes Lächeln, wie von einem Bildhauer mit dem Daumen in weichen Lehm gedrückt, unfertig und halb verwischt.
Aus der schmalen Brustwunde sickerte noch das Blut, als die Menschen in das blau-weiße Zimmer stürzten und ihn tot fanden[212] . Sein Taschenmesser lag neben ihm, er hatte sich gut getroffen damit.
»Warum?« fragten die Leute seine junge schöne Witwe. Die Leni wurde bleich und rot, zitterte und stammelte züchtig: »Weil ich ihm hab sagen müssen, daß ich nimmer sein Weib sein kann, nachdem er meiner falschen Freundin ihr Schatz war. Ich hab ihm und ihr alles verziehen, aber vergessen kann ich es nicht.«
Am nächsten Morgen schickte sie den kleinen Polderl zu der falschen Freundin, um den letzten Willen des Sterbenden zu erfüllen, damit er nur gewiß rasch Ruhe fände in seinem Grabe.
Der junge Soldat hat die Geschichte seiner Eltern zu Ende gelesen, er dreht die Lampe aus und schaut hinauf zu der bleichen Mondscheibe, die in dem grauen Morgenhimmel verschwimmt.[213]
»Jungfer Murter!« sagt er leise und weich, »bist schon munter?«
»Ich hab nicht g'schlafen, Kind.«
»Und ganz g'nau hast du dem einsamen Spatz die G'schicht erzählt?«
»Freilich. So wie's halt war. – G'hört und g'sehn hat er ja selber auch viel, dein Herr Vater hat oft die längste Zeit mit ihm g'redt, besonders nach seiner schweren Krankheit. Alle Leut im Haus hat er auch allerweil ausgefragt und hat über unser ganzes Haus ein großes Buch zusammeng'dicht, mir hat er extra das davon abg'schrieb'n, weil's dich angeht, aber ich kann's halt nicht lesen«, seufzt sie beschämt.
Er richtet sich auf, sitzt eine Weile nachdenklich auf dem Rand seines Lagers, schlenkert mit den Beinen langsam hin und her, wie er es als Bürschlein getan, wenn er über seinen Aufgaben brüten mußte, nagt an dem kleinen Finger, und dann sagt er langsam mit der sanft klingenden Stimme seiner schönen Mutter: »Sie riechen noch allerweil, die Rosen von – ihr, aber – nimmermehr gut.«
»So mach's Fenster auf. Weißt, sie verwelken halt g'schwind, weil's auf lauter Draht g'bunden sein.«
»So wie die falschen Rosen, gelt?« Er nickt ernsthaft und öffnet das Fenster, aber so, als ob er etwas sehr Wichtiges täte, dann setzt er sich wieder bedächtig auf sein Lager und betrachtet aufmerksam die Spitze von seinem kleinen Finger.
Ein dünner Nebel schwebt draußen über dem Hof; in dem mageren Akazienbaum zirpen die Spatzen, sonst ist es still. Die feuchtkalte Morgenluft strömt in das Zimmer und verdrängt langsam den herben Rosenduft.
»Murterl! Heut schicken wir der Frau Mutter ihren Buschen zurück!«
»Warum, mein Kind?«
»Weil ich nicht selbst damit hingehn mag – und weil ich mein Lebtag nimmer zu ihr geh!«
»Aber Bub! Warum?« stammelt die Hanni erschreckt. »Weil sie gelogen hat, weil sie gesagt hat, daß du der Schatz von meinem Vater warst, Jungfer Mutter!«[214]
Es ist mit einmal, als sei jeder Laut erstorben in der Natur und in den vier Wänden da. Und jetzt ein verschämtes, schwaches, bitterliches Weinen – und gleich danach das atemlose Schweigen wieder – und nun, jählings, ungestüm, unaufhaltsam, ein widerstandsloses, befreiendes Schluchzen.
»O mein Herr und Gott! – - Lepold!... Kind!... Wer hat dir die Wahrheit gesagt?... Du bist der erste, der das weiß und glaubt!... Wer hat dir's g'sagt ... wer!?«
»Ach geh! – Wer? – Mein kleiner Finger – und der Vollmond –«, scherzt der Leopold, und dabei schaut er immer auf das Büchlein, lächelt zufrieden und zwirbelt beide Enden seines Schnurrbärtchens recht selbstbewußt auf.
Die alte Jungfer bewegt lautlos die Lippen und weint noch immer vor sich hin.
Da fliegt ein Schatten über sein frisches Gesicht. »Mußt nicht weinen«, er deutet lässig hinauf zu der weißen Mondscheibe, die noch am Morgenhimmel steht, und seine Stimme zittert leicht. »Schau nur den Mond an, wie schneeweiß der worden ist, siehst's, der schämt sich, daß die Leut auf der Welt manchmal keine Augen und kein Hirn im Kopf haben und's Herz nur am Sonntag einhängen, wenn's ausgehn, weil wo was Besonders passieren könnt, wo sie's herzeigen müssen. – Mit den G'schichten, die sie alle Tag sehn und mit denen sie alt werden, strengen sie sich nimmer an.«
»Poldl, zum Erschrecken ist dir das, du redst wie dein seliger Vater manchmal! – Aber glaub mir, mein Kind, es gibt auch viel gute, gute Leut – ich hab's kenneng'lernt!« »Du!? – Kann schon sein! – Wenn's g'nug g'schimpft haben und wenn man nichts braucht hat von ihnen, nachher sein's die allerbesten. – Wer hat denn dir geholfen?« Der Leopold läßt seine zehn Finger rasch nacheinander knacken und horcht gespannt, dem Bettschirm zugewendet.
»Na«, erwidert die Hanni, breit herzählend, »die Laternanzünderin hat dir ein Gugelhupf g'macht, und der einsame Spatz hat mir deine Brief vorg'lesen und dir genau so g'schrieben, wie ich's ihm angesagt hab, und nachher«, sagt sie sinnend.[215]
»Nachher?«
»Unser Herrgott! Der hat mich allerweil g'sund sein lassen, mir Arbeit geben und dich wieder heimg'schickt. Das andere hat halt so sein müssen.«
»Alte! Du redst wie die türkischen Bosniaken!«
»Ich red von meinem Herrgott!« sagt die Hanni erstaunt und als ob sie etwas Unheiliges abwehren müßte.
»Ja, ja, freilich, der ist wer!«
»Poldl, ich bitt dich um was«, klingt es leise herüber zu ihm durch das graue Dämmerlicht und den letzten faden Hauch der welken Rosen.
»So? – Mich? – Du? – Na, was denn?« fragt er und starrt auf den alten Bettschirm.
»Daß du deine Frau Mutter nicht verstoßen tust, weil's gelogen hat. Es könnt dir Unglück bringen.«
Der Soldat springt auf, packt sich mit beiden Handflächen an den Schläfen und schüttelt so zwei-, dreimal seinen eigenen Kopf gewalttätig nach rechts und links.
»Schau, sie ist halt doch deine rechte Mutter!« bittet es eindringlich aus dem dunklen Winkel zu ihm.
»Sie soll meinen Vater wieder lebendig machen!«
Ausgewählte Ausgaben von
Jungfer Mutter
|
Buchempfehlung
Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.
200 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro