Triumph der Sehnsucht

[157] Das sind die Wogen der Sehnsucht,

Die fluten mir durch das Herz –

Der Sehnsucht, köstlich berückend,

Wie Knospenbotschaft im März ...


Das sind die Wogen der Sehnsucht,

Die in mir branden und blühn –

Die mich berauschen, wie schwüles

Düften von weißem Jasmin.


Wie im Traume war ich gewandelt,

Von engem Genügen erfüllt –

Vor mir ein kleines, banales

Farbloses Werkeltagsbild ...


Sie nahm so ganz mich gefangen,

Die winzige Werkeltagspflicht –

Zerschmolz mein stolzes Verlangen,

Verhing mein suchend Gesicht ...


Still war es – freudlos und leidlos

Rann Stunde um Stunde dahin –

Und keine war drängende Sehnsucht –

Und keine Empörerin ...
[157]

Nun strömen und rollen wieder

Die Schauer der Sehnsucht wild –

Zerbrochen liegt das Bildnis –

Mein Auge ist unverhüllt ...


Ich fühle unendliche Schmerzen

Und Wonnen namenlos –

Ich kreise mit den Gestirnen,

Bin klein und doch riesengroß ...


Bin Staub und doch die Achse –

Ein Punkt und doch alles zugleich ...

Ich verzehre mich in Sehnsucht

Und bin an Erfüllung so reich! ...

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 157-158.
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