Im Vorüberfluge

[62] Mit metallhartem Rotgelb

Hat sich des Himmels

Westliche Wölbung beflammt.


Mein Auge starrt staunend

In die leuchtende Blende,

Die wachsend fortglüht,[62]

Als sei nimmer ihr Ende

Die lichtlose Nacht ...


Da streift die brennende

Lichtwand ein Fittich –

Der nachtschwarze Fittich

Eines Dämmerungsvogels ...


Eine kleine Spanne –

Und die Weite verschlang ihn.


Also trägt auch der Mensch

Mit schwankem Fittich

Sein zwielichtbefangenes Sein

Vorüber an der stetig leuchtenden

Kristallwand der Ewigkeit ...


Er huscht dahin –

Ein Traum – ein Wahn –

Auf schmaler Bahn –

So bald – so bald

Raubt seiner Gestalt

Schattengefüge

Des Nichtseins

Farblose Wahrheitslüge.


Aber im Fluge –

Im Vorüberfluge –

Ahnt er das Rätsel

Der stetig und still,

In sattem Glanze

Fortdauernden Ewigkeit ...

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 62-63.
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