Frühlingssehnsucht

[114] Da nun die Nächte kamen,

Die Nächte wundersüß,

Wo letzter Nachtigallenschlag

Die Stunden feiert früh vor Tag

Und erstes Rosendüften:

Sehnt sich mein Herz nach Liebe,

Nach Glück –

Nach dem verlornen Paradies

Zurück ...


Mir ist's, als klopften Geister

An meine braune Tür![114]

Als trät' zu mir mit Glorienschein

Der König Frühling selber ein

Und brächte mir ein Mägdelein

Und spräche: »Heil sei dir!


Ich bring' dir eine feine Magd –

Soll fürder bei dir gasten!

Am Tage sei ihr Kavalier,

Geleit sie durch das Waldrevier,

Wo auf verschollne Pfade

Der Bilder, der verblaßten,

Kaum noch ein Schatten fällt –

Wo holder Götter Gnade

Vergessen ließ die Welt! ...


Der Vögel Klang,

Der Fluren Duft

Und eurer Seelen Feuerdrang

Beflügele den Hochgesang,

Den eure Liebe tönt!

Nun gürte dich mit milder Kraft

Und, von den Göttern hingerafft,

Sei mit der Welt versöhnt,

Da dich ein Gott gekrönt!


Hebt's aber an zu nachten,

Dann zäumt das Wandertrachten

Und kehrt, der Sehnsucht reich,

In diese enge Kammer ein,

Und bei kristallnem Sternenschein

Enthüllt ihr das Geheimnis,[115]

Drin alle Wesen gleich ...

Draus alles Sein entsprießt,

Drin alles Sein sich schließt.


Es liegt die Welt in Schlummer tief –

Euch ist's, als ob sie ewig schlief –

Noch ferne weilt der junge Tag –

Da, letzter Nachtigallenschlag! –

Ihr aber habt's begriffen,

Das Evangelium,

Das dieses Frühlings Wundermund

Den Kreaturen tuet kund –

Ihr aber habt's begriffen

Und seid in Wonne stumm!«


Da nun die Nächte kamen,

Die Nächte wundersüß,

Wo letzter Nachtigallenschlag

Die Stunden feiert früh vor Tag

Und erstes Rosendüften –

Sehnt sich mein Herz nach Liebe –

Nach Glück –

Nach eines Mägdleins weißem Leib

Zurück ...


Doch ach! Die Rosen düften –

Es schluchzt die Nachtigall

Nicht mehr zu meiner Liebe Preis –

Verdorret ist das Wunderreis –

Und ob sich ungezügelt

Die Sehnsuchtsflamme flügelt[116]

Und um Erhörung wirbt:

Die Pforte ist geschlossen –

Ich hab' mein Glück genossen –

Der Gott hat sich verhüllt –

Und meine Sehnsucht stirbt

Ach! unerfüllt ...

Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 114-117.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Komtesse Mizzi oder Der Familientag. Komödie in einem Akt

Ein alternder Fürst besucht einen befreundeten Grafen und stellt ihm seinen bis dahin verheimlichten 17-jährigen Sohn vor. Die Mutter ist Komtesse Mizzi, die Tochter des Grafen. Ironisch distanziert beschreibt Schnitzlers Komödie die Geheimnisse, die in dieser Oberschichtengesellschaft jeder vor jedem hat.

34 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon