Zweiter Auftritt.

[18] Der Graf. Don Rodrigo.


DON RODRIGO.

Zwei Worte, Graf!

DER GRAF.

Sprich!

DON RODRIGO.

Mach mich frei von Zweifeln!

Kennst du Don Diego?

DER GRAF.

Ja.

DON RODRIGO.

Nur leise! Weißt du,

daß dieser Greis die Tugend selbst, ein Vorbild

des Muts, der Ehre seiner Zeit war? Weißt du's?

DER GRAF.

Vielleicht.

DON RODRIGO.

Weißt du, daß meiner Augen Glut

aus seinem Blut stammt? Weißt du's?

DER GRAF.

Kümmert's mich?

DON RODRIGO.

Vier Schritt von hier will ich's dich wissen lassen.

DER GRAF.

Du junger Prahler!

DON RODRIGO.

O erhitz dich nicht!

Jung bin ich freilich, doch bei großen Seelen

harrt Tapferkeit nicht auf der Jahre Zahl.

DER GRAF.

Mit mir dich messen? Wer macht dich so eitel?

Dich, den man niemals Waffen führen sah?

DON RODRIGO.

Nicht zweimal macht sich meinesgleichen kenntlich;

als Probestück dient gleich ein Meisterstreich.

DER GRAF.

Weißt du wohl, wer ich bin?

DON RODRIGO.

Ja. Jeder andre

würd' schon beim Klange deines Namens beben.

Tausend und aber tausend Lorbeern, die

dein Haupt bedecken, künden mein Verderben;

tollkühn greif' den ich an, der steter Sieger.[18]

Doch wird mein Mut mir große Kraft verleihn.

Dem, der den Vater rächt, ist nichts unmöglich.

Besiegt ist nie dein Arm – nicht unbesiegbar.

DER GRAF.

Den großen Mut, den deine Reden künden,

verriet dein Auge täglich meinem Blick,

und da Kastiliens Stolz in dir ich ahnte,

bestimmte meine Tochter ich dir gern.

Es freut mich, da ich deine Liebe kenne,

daß ihre Glut der Pflicht muß weichen, daß

sie deinen hohen Heldenmut nicht schwächte;

daß deine Tugend meiner Achtung wert,

und einen echten Ritter nur zum Eidam

mir wünschend, ich mich in der Wahl nicht trog.

Doch spricht für dich mein Mitleid; ich bewundre

hoch deinen Mut, bedaure deine Jugend.

Versuch nicht dies unsel'ge Probestück;

erlaß mir einen Kampf, der allzu ungleich.

Brächt' solcher Sieg mir doch zu wenig Ehre.

Ruhmlos ist ein gefahrloser Triumph,

leicht überwunden wird man stets dich glauben,

und deinen Tod nur hätt' ich zu bereun.

DON RODRIGO.

Entwürd'gend Mitleid folgt nach deiner Kühnheit!

Wer meine Ehre nahm, sorgt um mein Leben!

DER GRAF.

Zieh dich zurück!

DON RODRIGO.

Komm! Ohne weitre Reden!

DER GRAF.

So lebenssatt?

DON RODRIGO.

Hast du zu sterben Furcht?

DER GRAF.

Komm! Du hast recht. Entartet ist ein Sohn,

der seines Vaters Ehre überlebt!


Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 18-19.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
Der Cid

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