Sechster Auftritt

[70] Geronte, Orgon, Damon, Climene, Lisette, Timant, Philipp.


GERONTE. Kommen Sie nur alle mit! Ich will gleich nach dem Notario schicken.


Er erblicket den Timant.


O ho! was sehe ich da! Sie sind hier! Geben Sie sich die Mühe, gleich aus diesem Hause zu gehen! Wenn ich Ihren Vater nicht scheuete: so wollte ich Ihnen etwas anders zeigen! Lernen Sie, wie Sie mit ehrlichen Leuten umgehen müssen! In das Tollhaus, in das Tollhaus, fort mit Ihnen!


Er geht ab.


TIMANT. Ich kann dieses verhaßte Haus in wenig Augenblicken vermeiden: aber Sie, gnädiger Herr Vater, Sie sehen, wie man mit mir umgeht, und können so schweigen!

ORGON. Ich bin dein Vater nicht; deine Thorheiten haben dich meiner unwürdig gemacht. Ich will dich nicht mehr sehen; ich will nichts von dir hören; ich ziehe meine Hand von dir ab, und ich enterbe dich.


Er geht ab.


TIMANT. Unmenschlicher Vater! Sie siegen, grausame Climene!

CLIMENE. Ich will bey Ihrem Vater für Sie bitten. Lernen Sie mein Herz kennen! Ich bedaure Sie, ob es mir gleich lieb ist, von Ihrer Liebe befreyet zu seyn. Lernen Sie durch Ihr Unglück, daß Fehler des Verstandes, wenn sie zu weit gehen, zu Fehlern des Herzens werden.


Sie geht ab.


LISETTE. Mein gnädiges Fräulein hat wirklich recht: und wenn Sie auch mich heurathen wollten, ich, die doch nur ein Kammermägdchen bin, wollte lieber mein Lebenlang eine Jungfer bleiben, als so einen mistrauischen Mann nehmen. Das heißt sich recht verschworen!


Sie geht ab.


TIMANT. Alle Welt verläßt mich, und Sie, falscher Freund?

DAMON. Beleidigen Sie mich nicht, bis Sie mich besser kennen! Jetzo ist es nicht Zeit zu weitläuftigen Freundschaftsversicherungen. Sie sollen sehen, ob ich Ihr Freund gewesen bin. Ich verlasse[71] Sie! Glauben Sie aber, daß, wenn Sie die ganze Welt verläßt, die Freundschaft Ihnen noch die Unbilligkeit Ihres Mistrauens zeigen wird.


Er geht ab.


TIMANT. Thörichte Verstellung! Er glaubet noch, daß ich ihm trauen werde!

PHILIPP. Ich bin Ihnen bisher treu gewesen; aber jetzo würde ich mit meiner Treue nichts anders gewinnen, als Schläge, oder eine Stelle im Tollhause. Ich bitte Sie um meinen Abschied. Sie dauren mich, gnädiger Herr! aber wer selbst an seinem Unglücke Schuld ist, hat nicht Ursache, sich zu beklagen.

TIMANT. Auch du willst mich verlassen? Unglücklicher Timant!

PHILIPP. Ich thäte es gern: aber fast habe ich das Herz nicht. Wenn Sie mir versprechen, anders mit mir umzugehen: so will ich Ihnen überall folgen, und sollte es auch in den Krieg seyn! Ich habe Sie lieb, ob ich schon manchmal ein loses Maul habe. Ich will ein Gefährte Ihres Glückes seyn.

TIMANT. So bist du denn der einzige, auf den ich Recht gehabt habe, mein Vertrauen zu setzen!


Bey Seite.


Ich glaube, er suchet mich zu hintergehen.

PHILIPP. Es ist doch noch nicht alles verloren. Damon ist Ihr wahrer Freund. –

TIMANT. Mein Freund? Und du bist noch so einfältig, daß du seinem Vorgeben glaubest? Er verstellet sich nur. Mein Vater enterbet mich, Geronte drohet mir, Climene giebt mir spitzige Verweise, und so gar Lisette höhnet mich aus. Siehst du, daß ich recht gehabt habe, keinem Menschen zu trauen! Komm herein, ich will mich zur Abreise gefaßt halten.

Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 70-72.
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