Zweyter Auftritt

[76] Geronte, Orgon, Damon.


ORGON. Komm, mein alter Freund, laß dich umarmen. Jetzo ist es die Zeit, in der ich eine rechte Probe der Freundschaft von dir fordern will; wirst du mir wohl meine Bitte abschlagen?[76]

GERONTE. Sage mir ohne so viele Umstände, was du von mir haben willst. Die lange Vorrede hättest du bey mir ersparen können. Ich mache nicht viel Worte, aber ich bin allezeit bereit, alles für meinen Freund zu thun. Sage, was willst du?

ORGON. Die väterliche Liebe hat über meinen Zorn gesiegt. Ich habe Timanten verziehen. Darf ich hoffen, daß du es in Ansehung unserer alten Freundschaft auch thun wirst?

GERONTE. Das habe ich mir wohl eingebildet. Du bist zu gutherzig, um lange auf jemanden böse zu seyn. Je nun, es mag seyn! Du willst haben, daß ich ihm auch vergeben soll! Wahr ist es, daß es ihm nichts schaden würde, wenn man ihn auf ein Paar Monate im Tollhause studieren ließe: aber bey allem dem ist er dein Sohn, und ich vergebe ihm alles von Herzen. Hast du genug daran?

ORGON. Ich bin deiner Freundschaft alle Stunden mehr schuldig: aber ich muß noch mehr bitten. Wie würdest du mich verbinden, wenn du seine Thorheiten gar vergäßest!

GERONTE. So weit, als es sich vergessen läßt, will ich auch das thun. Er soll wieder in meinem Hause wohnen: aber so bald er mich wieder für einen Giftmischer hält –

ORGON. Erneuere das Angedenken seiner Thorheiten nicht. Ich verspreche dir, er soll sich bessern. Ich will Bürge für ihn seyn, wenn du ihm nur deine Freundschaft und Climenens Hand wieder giebst.

GERONTE. Climenens Hand! Die hat ja der schon.


Er weist auf Damon.


Er sieht sehr tiefsinnig aus, und macht für einen Bräutigam ein finsteres Gesicht.

ORGON. Höre das größte Exempel einer wahren Freundschaft und Großmuth an. Der edle Damon ist großmüthig genug, seine Ansprüche auf Climenen fahren zu lassen. Er will lieber unglücklich seyn, als seinen Freund unglücklich machen. Bewundere seine Großmuth.

GERONTE. Ist das alles wahr? Der Einfall ist seltsam genug. Er muß sonst etwas Liebes haben, weil er meine Tochter weggeben will. Ich will nun nicht untersuchen, ob es klug von ihm gehandelt ist, oder nicht. Ist alles wahr, Damon?[77]

DAMON. Ja, ich leugne es nicht; ich bin entschlossen, alles, was ich in der Welt habe, der Freundschaft aufzuopfern. Verzeihen Sie, daß ich Climenens Hand ausschlage. Ich werde dafür gestrafet werden, und meine Sinnen werden mir das Glück, das ich verloren, zwar vorstellen, aber bey allem dem bleibt mein Entschluß fest. Gelten meine Bitten etwas, so geben Sie Climenen dem allzuglücklichen Timant. Entziehen Sie mir aber Ihre Freundschaft nicht, und bleiben Sie mir in der Ferne günstig. Ich werde morgen von hier abreisen, und in fremden Gegenden meinen Schmerzen Raum lassen.

GERONTE. Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Es steht bey Ihnen, zu thun, was Sie wollen. Was Sie für Timanten thun, ist freylich großmüthig: aber ob diese Großmuth nicht übertrieben und übel angewendet ist, davon will ich jetzo nicht reden. Wenn Timant seine Narrenspossen vergäße, so wäre ich schon mit ihm zufrieden.

ORGON. Ich habe es schon gesagt, ich stehe dir dafür, daß er sich bessern wird, und besonders, wenn ihm eine so vernünftige Frau, als Climene, zu Theile wird.

GERONTE. Wenn es meine Tochter zufrieden ist, so bin ich es auch – Hier kömmt sie eben.

DAMON bey Seite. Wie viel verliere ich nicht! Wie schön ist sie! Ich muß fliehen! – Doch nein, ich will den letzten Kampf aushalten.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 76-78.
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