Sechster Auftritt

[85] Damon in Reisekleidern, Climene, Lisette.


DAMON. Hier ist er, göttliche Climene; hier ist er, der unglückliche, der strafbare Damon. Ich habe der Freundschaft und der Tugend genug aufgeopfert: nun ist es Zeit, meiner Schwachheit einen Raum zu lassen. Ich komme, um Sie um Verzeihung zu bitten;


Er wirft sich zu ihren Füßen.


um zu Ihren Füßen zu weinen; um zu Ihren Füßen zu sterben, wenn es möglich ist!

CLIMENE. Damon! Sie sind hier! Was sagen Sie? Stehen Sie auf! Sie haben mich gehöret; es ist genug; verlassen Sie mich, fliehen Sie!

DAMON. Ja, ich will Sie fliehen! Ich will Sie auf ewig verlassen, und die ganze Welt zugleich, wenn es möglich ist. Nur, ehe ich entfliehe, lassen Sie mich aus einem heiteren versöhnten Blicke schließen, daß Sie mir verzeihen. Wenden Sie Ihre Augen nicht zornig von mir ab. Mein Schmerz ist ohnedieß stark genug, mich zu tödten. Nur noch ein einzigesmal sehen Sie mich an, und ich gehe, vergnügt zu sterben, oder ein Leben zu führen, das den Tod an Schmerzen übertreffen wird. Ich habe genug in der Welt gethan; ich habe genug ausgestanden; ich habe meine Pflicht erfüllet; und dieses wird mein einziger und letzter Trost bleiben. Nichts verlange ich, als nur ein letztes Zeichen Ihres Mitleidens.[85] Wenn ich weiß, daß Sie mich bedauern: so werde ich eilen, von Ihnen zu reisen.

CLIMENE. Damon! – Was wollen Sie, das ich Ihnen sagen soll? Sie sehen meine Thränen; Sie haben meine Klagen gehört; Sie sind Ursache an allem; und Sie wollen noch, daß ich Sie bedauern soll!

DAMON. Ja, Sie werden mich bedauren, liebste Climene! Ja, Sie werden mich beklagen, und nicht scheltenswerth finden, Sie lieben die Tugend zu sehr, um mir nicht zu verzeihen. Wäre ein treuloser Freund Ihrer Liebe werth gewesen? Hätte ein niederträchtiges Herz Ihre Zärtlichkeit verdienet? Nein, Climene, ich verlasse Sie, um Ihrer werth zu werden. Timant hat Sie eher, als ich geliebt; er hatte mir seine Liebe eher entdeckt, als ich Sie sah; er war Ihr bestimmter Bräutigam. Da ihn seine Schwachheit um Ihre Hand bringt; konnte ich ohne Niederträchtigkeit mir sein Unglück zu Nutze machen? Würden Sie mich nicht verachten, wenn ich es thun könnte? Ich habe Timanten viele Verbindlichkeiten; soll ich ihn unglücklich machen? Ich liebe Sie, Climene! Ich habe es Ihnen oft gesagt; ich sage es Ihnen zum letztenmal, ich liebe Sie mehr, als mein Leben; aber nicht mehr, als meine Tugend! Verzeihen Sie mir! Das ist alles, was ich von Ihnen verlange.

CLIMENE. Ich verzeihe Ihnen; ich bedaure Sie: bedauren Sie mich auch! Haben wir einander denn nur geliebt, um uns beyde unglücklich zu machen? Unser Abschied ist zu grausam! Sie wollen von hier fliehen: wohin wollen Sie denn?

DAMON. Erlauben Sie mir, daß ich diese Hand zum letztenmale küsse, und mit meinen Thränen benetze. Schmerzhafte Entzükkung! Verzweiflungsvolle Zärtlichkeit! Climene, liebste Climene, leben Sie – ach Himmel, ich kann es nicht sagen! Leben Sie wohl!

CLIMENE. Leben Sie wohl, Damon! Ich sterbe – Die Tugend tröste Sie! Der Himmel begleite Sie! Denken Sie an mich, wenn ich nicht mehr lebe –


Sie fällt auf den Lehnstuhl.


DAMON sieht im Abgehen nach ihr zurück. Dieß ist der letzte Blick: o Himmel, ist es möglich, daß ich diesen Gedanken überlebe! O Climene!


Er wird von Geronte und Orgon, die eben auftreten, aufgehalten.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 85-86.
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