[Orpheus Blicke schweifen in die Weite]

[127] Orpheus Blicke schweifen in die Weite,

Feinde sieht er, doch er scheut sie nicht,

Hirten, weiß er, sind sein Schutzgeleite,

Und er singt, denn singen ist ihm Pflicht:
[127]

»Flammen fühl ich durch die Seele schlagen

Matte Schatten hascht des Grüblers Geist,

Tracht ich sie im Zwielicht fortzutragen,

Faß ich sie in Formeln eingeeist.


Ja, von jener Liebe will ich sprechen,

Die des Daseins Harten übertrumpft,

Aus den Felsen seh ich Leben brechen,

Alle Kanten werden abgestumpft.


Durch die Menschheit, die sich haßt und peinigt,

Glimme prustend Eure Erdengluth!

Schüret was die Seele heilt und reinigt,

Trefft die Lust, die sich im Tand verthut!


Purpurgluth, die unser Wesen schwängert,

Die vom Erdenkerne sonnwärts drängt,

Hilf am Lichtweg, der sich stets verlängert,

Freu uns, Macht, die alle Durstigen tränkt.


Milde glimmt die ewige Liebeskette

Aus der Erde in den Geist hinein,

Heiligt jeder Ehe Lagerstätte,

Segnet selbst ein Sündersein!


Ja, wir können wirklich furchtlos lieben,

Wenn wir Frieden in uns selber sehn,

Wo ein Funke scheu und treu geblieben,

Kann ein Lichtgeschlecht noch auferstehn.


Eine Macht, die will, daß man sich stähle,

Und die Gegensätze stets verschärft,

Wispelt leicht vernehmbar in der Seele:

Seht wie Ihr den Gegner niederwerft!
[128]

Doch der Geist, der weiß, daß er in Jedem

Aus der Heimath ewiger Liebe kam,

Mahnt uns sanft: Ihr sollt Euch nicht befehden,

Werdet reich an Taggewalt und Scham!


Willst den Menschen Du aus Sonnenkreisen,

Wo sein Wesensflug ihn hingesetzt,

Oder aus den reinen Taggeleisen

Niederziehn, so ist er tief entsetzt!


Hilfreich rollt ihm Feuer durch die Adern,

Und von Skrupeln rasch und fest gepackt,

Schwankt er und beginnt mit sich zu hadern,

Denn die Seele sucht den alten Takt.


Wirke, mystischgute Gluth der Erde,

Feuer, das die Seele mir erklärt,

Feige Dich in dieser holden Heerde

Als ein Friede, den sie nie versehrt.


Du entstiegst im Lande der Hebräer

Ganz allein vor Moses Angesicht,

Heute aber sehn Hyperboräer,

Jede Nacht, Dein blutigrothes Licht.


Gott verheißt Du mit Gerichtsposaunen,

Denn Du zeugst und Du bezeugst ihn stets:

Als der Zweifel Zweifelnder, die staunen,

Hast Du noch die Kraft eines Gebets!


Nordlicht, goldgewordene Glücksverheißung,

Feuerblume, Samenüberschwang,

Sichtbar tiefe Sonn und Erdverschweißung,

Wahre unsern heiligen Sonnendrang.
[129]

Warnend und verkündend sollst Du leuchten,

Heute sehn wir Dich als kaltes Licht,

Doch wo Völker je sich wild verscheuchten,

Warst Du schon der Rassen Zuversicht.


Ja, wir können Dich nun ganz erkennen,

Feuer, das sich um die Pole wellt,

Händen gleichst Du, die sich nimmer trennen,

Und auf Deinem Sieg beruht die Welt.


Lichtgewordene, freie Lebensthürme,

Fromme Sehnsucht, heiliger Eichentrotz,

Goldzelt über wimmerndem Gewürme,

Hoffnungsfieber im erstarrten Klotz,


Nord und Südlicht, großes Himmelswunder,

Gieb den Völkern, gieb den Menschen Muth,

Bleibt auf Erden nichts als Asche, Zunder,

Glühst noch Du, oh Du Erlösungsgluth.


Hramonie an sich ist schon der Same,

Der sich ewig in das Chaos schwingt,

Doch beständig ändert sich der Name

Jeder Gluth, die unsere Zucht bedingt.


Alle Völker, hier am Erdenrunde,

Stimmt bereits ein inneres Fühlen mild,

Und entflammt vom gleichen Feuersbunde,

Werden wir zum Selbstverzicht gewillt.


Unsere Erde schwängert rings den Äther

Mit dem Samen, den sie hold entschnellt:

Später, irgendwo und wann, ersteht er

Dann, als eine andere Mutterwelt.
[130]

Unsere starken Thaten übergeben

Erdenwünsche an den Raum,

Sternenstrahlen weben unser Leben,

Und wir danken ihnen durch den Traum.


Immer tiefere Gluth wird uns durchstießen,

Denn im Menschen wird die Liebe frei:

Doch wo Wesen kaum ihr Glück genießen,

Strömt die Liebe sichtbar schon herbei.


In der Höhe, wo die Menschensinne

Fassen können was sie einst umgraut,

Sehen wir den Ring der Weltenminne,

Wie er sich zur Krone überbaut.


Langsam kann sich diese Gluth verändern,

Alles wird ein flammendes Gedicht,

Denn es flackern selbst aus Tropenländern

Noch die Seelen in das Fabellicht.


Nordschein, Du lebendige Synthese

Aller Hoffnungen am Nachtplanet,

Du verheißt, daß man durch Dich genese,

Denn Du bist Erfüllung und Gebet.


Schnee und Eis wird einst das Land bedecken.

Übersprenkelt nur von blassem Glast

Werden Trümmer früher Felsenrecken

Ganz versinken unter ihrer Last.


Keine Steinlawinen werden rollen,

Nirgends Wünsche Wollenswolken blähn:

Eine Blüthe nur, doch ganz aus Pollen,

Wird dem Erdenrund entwehn!
[131]

Doppelkronen wandernder Planeten

Sagt, wann schachtelt Ihr die Erde ein?

Langsam könnt Ihr Euch schon nähertreten,

Um dereinst ein Gluthgewand zu sein.


Menschen, Euer endliches Verderben,

Gleist aus jenem Gluthenbaldachin,

Wißt, wenn jene Flammen sich verfärben,

Ist der Erde Schöpferkraft verspien.


Welches Antlitz wird sie Euch dann zeigen,

Wenn gedämpft von eigenem Wunsch nach Rast,

Ihr einst keine Wesen mehr entsteigen,

Und sogar der Gluthenglast verblaßt?


Ihrem eigenen Friedhof wird sie gleichen!

Spuk, der nackt sein kaltes Grab beschaut,

Muß sie dann als blauer Hauch umschleichen

Und erstaunen, wie er mitvergraut.


Zwischen Schnee und Eis und glatten Kieseln

Wird ein stilles, erdenblasses Licht

Auf und ab, wie ein Erinnern, rieseln:

Denn sich selbst erhält dann der Verzicht.


Doch in jenen fernen Sonnepochen

Hat ein flügges Lichtgeschlecht

Wohl des Todes Macht und Nacht gebrochen

Und empfindet dann auch folgerecht


Vor dem Sterben nimmer das Entsetzen,

Das uns heute schon beim Namen packt:

Fangt drum an, in Tafeln einzuätzen,

Wie vom Leibe sich der Geist entsackt.
[132]

Stärker muß ich in die Saiten greifen:

Lauscht dem Tönen, das Euch alles sagt,

Was Gedanken blos im Fluge streifen,

Was sich zagend nur zu Tage wagt.


Keinen Samen will ich rings verstreuen,

Was ich innerm Lächeln je entlieh,

Soll Euch alle, fragt Ihr es, erfreuen,

Glaubt: ich spende volle Harmonie!


Ja, mein Lächeln gleicht dem Glanz vom Meere,

Wenn er Wellen lustig überspringt,

Und sogar in schwüler Atmosphäre

Wild und blaßverächtlich um sich blinkt!


Einem Meere, das sich langsam kräuselt,

Wenn es Stürme tief im Busen trägt,

Und schon fiebertraumhaft bebt und säuselt,

Ähnelt auch ein Stamm, der Krieg erwägt.


Wellenschäumen mag ich Euch vergleichen:

Wißt Ihr, daß Ihr tobend mich umdrängt?

Unsere Seelensee verlangt nach Leichen,

Bald liegt Mancher schwer in ihr versenkt!


Vor dem Sturme reißen hohle Wellen

Ihre Silbermünder spöttisch auf,

Und ich hör jetzt Hohngelächter gellen,

Wogen, krümmt Euch zum Zerstörungslauf.


Laßt mein Wesen, hier in Eurer Mitte,

Nur noch einige rasche Schritte gehn,

Denn das ist noch meine letzte Bitte,

Dann will ich die Todte wiedersehn!
[133]

Meine Braut muß ich am Weg ereilen,

Denn wir sind ein unzertrennlich Paar,

Jenseits muß sie einsam weilen,

Doch ich werde sie schon blaß gewahr!


Alle Leiber werden auferstehen,

Unsere Lust sei keine Sünde mehr:

Weiber, die sich dort bacchantisch drehen,

Liebe ich bei meiner Wiederkehr.


Aus des Fleisches Sinnenlustbegehren

Hat sich Menschenliebe sanft entschält

Und den Weg zu heitern Sonnensphären

Hold, aus tiefer Innbrunst, sich gewählt.


Seht das Meer, mit seinen üppigen Brüsten,

Bald besiegt es unsere Geistesmacht:

Schiff und Schiffer wird kein Sturm entrüsten,

Furchtlos schauen wir durch Wind und Nacht.


Allen Daseins Liebeskette sprengte

Einst der Erd und Sonnengegensatz,

Und er schuf Geschlechter und versenkte

Dann in beide seinen Flammenschatz.


So entstand denn gleich zwischen dem Manne,

Der das Licht auf Erden stark vertritt,

Und dem Weibe, das noch mehr im Banne

Unserer Erde weiterzieht, ein Kitt!


Wird ein Weibchen hinterrücks genommen,

Wird die Liebe ihm noch oft zum Druck,

Doch das Weib, in dem die Brunst erglommen,

Folgt beim Herzen einem Sonnenruck.
[134]

Sinn an Sinn und Blick in Blick versunken,

Sehn sich Menschen, die sich lieben, an,

Und es jubeln, zucken Seelenfunken

Durch den Mann zum Weib, vom Weib zum Mann.


Liebe können beide sich verschenken,

Liebe ist der Flamme Daseinstausch,

Muth und Gluth, die sich verschränken,

Heiligen den Sinnenrausch.


Horcht, es steigt das Glück! Laßt es verkünden:

Fleisch und Seele sind von ihm durchdrängt,

Wo sich Gluth und Erdenmuth verbinden,

Hat der Geist sich jedem Zwist entengt.


Hört, wir Menschen sind des Glückes Träger,

Da sein Feuersieg in uns gelingt,

Ja, wir find der Freiheit beste Heger,

Da ein stiller Geist das All beschwingt.


Alle Seelen sollen lieben, lieben,

Überschwang wird sündenlos gedeihn,

Denn es steht mit Flammenschrift geschrieben:

Ewig wird allein die Liebe sein!«


Auf einmal wird Orpheus Gesang unterbrochen!

Im Walde entsteht eine eigene Bewegung,

Das Herz jedes Hirten fängt an wild zu pochen,

Was tanzt und was wogt da in wilder Erregung?


Es zucken die Pinien und schlanken Zypressen,

Es fallen rings Zapfen von Ästen herab.[135]

Was sucht sich so wild durch die Menge zu pressen?

Was donnert? Vielleicht der Bacchantenzugtrab?


Ein Schauder umhüllt nun die ganze Umgebung,

Das Feuer am marmornen Sonnenaltare

Erstickt fast im eigenen Qualme und Rauche,

Und überall knistert jetzt morsches Geäst.

Ganz plötzlich entstand die Mänadenerhebung,

Mit wallenden Schleiern und fallendem Haare,

Erscheint diese Sippe, nach bacchischem Brauche,

Verwegen und wüthend, beim orphischen Fest.

Das eint sich im Walde zum baldigen Kampfe,

Und: »Evoë, Evoë!« schallt es im Kreise,

Es reißen sich listig die jungen Mänaden

Geschwind ihre Schleier vom üppigen Leib:

Sie trabten auf Rappen, und Rossegestampfe

Verrieth schon von weitem des Weibertrupps Reise.

Sie rasteten selten, zumeist blos zum Baden,

Für solches Geblüt giebt es keinen Verbleib,

Nun rufen sie: »Orpheus, wir schlingen die Kette

Der wirksamen Liebe, von der Du berichtet,

Vom singenden Dichter zurück bis zur Wildniß,

Die Dich, so wie uns, stumm und ewig umgiebt!«

Nun engen sie auch schon die liebliche Stätte,

Wo Orpheus den Griechen Altäre errichtet,

Von überall ein und erheben ein Bildniß

Des Gottes, der Räusche und Tanzopfer liebt.

Das tollt und das singt jetzt von Fleischauferstehung,

Das wirbt um die Hirten, verspricht ihnen Ehung,

Verheißt dabei Freuden und häusliches Glück,

Und zieht sich dann bald, ohne Nachtrab, zurück. –


Wie kommt das? Du siehst plötzlich nirgends Mänaden.[136]

Verschlang denn die Erde die tückische Rotte?

Vorbei sind die wüthenden Waldgaloppaden

Und draußen am Meere erscheint eine Flotte.


Da singt wieder Orpheus: »Unendliche Stille,

Die Stille, die Stürme als Pause verbindet,

Umweht meine Seele, – es schweigt jeder Wille,

Ich weiß wohl, was jeder schon traurig empfindet!


Ihr Freunde dort unten auf ruhenden Booten,

Mein Schicksal verwehrt Euch, am Ufer zu landen,

Ihr seid meines Todes ganz machtlose Boten,

Ihr wogt in der Windstille flimmernden Banden.«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 3, München; Leipzig 1910, S. 127-137.
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Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

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