O lasse mein Flehn –

[60] O lasse mein Flehn Dich erweichen

Und kehr' zu den Deinen zurück.

Weitab dort, im Schatten der Eichen,

An schilfrohr-umflüsterten Teichen,

Dort blüht Dir vielleicht noch ein Glück.


Doch hier, in dem dumpfen Gewühle

Der Stadt, in der Sünde Revier,

Du Reine, Waldeskühle,

O sprich: was willst Du hier?


Du wirst Deine Jugend versäumen

Und Deiner Seele Heil

In nervenerschlaffenden Träumen,

In Wonnen, wollustgeil,

Du wirst, mit erloschenen Blicken,

Der Nacht entgegenziehn,

Und wirst Deine Qualen ersticken

Gleich mir in Absinth und Morphin.


O lasse mein Flehn Dich erweichen

Und kehr' zu den Deinen zurück.

Weitab dort im Schatten der Eichen,

An schilfrohr-umflüsterten Teichen,

Dort blüht Dir vielleicht noch ein Glück.


Quelle:
Felix Dörmann: Neurotica, München und Leipzig 1914, S. 60-61.
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