Geträume

[29] Des Himmels veilchenblaue Wölbung spannte

Sich sterneglitzernd über mir ... ein Dampf

Von überreifen, üppigen Gardenien

Umquoll mit weichem Fächeln Stirn und Wange,

Und meine Glieder, schwer und schlummersüchtig,

Sie ruhten reglos auf den Marmorplatten

Des Sarkophages, der mich kühl umfing.

Und auf des Sarges Ranft, – da saßest du.

Um deinen rosenbraunen Körper bebte

Ein goldiggrüner, seidenzarter Flor,

Und aus dem trotzig schwarzen Haar ergleißte

Bleichgrünlicher Smaragde kalter Schein.

Dein Antlitz war verträumt und weltverloren,

Und deine Augen starrten weit hinaus,

So suchend, so begehrend und so schmerzlich,

Und leise zuckten deine schweren Brauen,[29]

Und um die stolzgepressten Lippen glitt

Ein wundes Lächeln, ein gedämpfter Hohn

Und Überdruss und Ekel und Verzweiflung,

Und ungesprochen traf mein Ohr die Frage:

Wie lange noch soll ich dich hüten – ich,

Das heiße, wilde, starke Leben – dich,

Den Markerkrankten, Todessiechen, sprich,

Wie lange noch?

Quelle:
Felix Dörmann: Sensationen, Wien 1897, S. 29-30.
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