Aus Oseae C. 2. V. 19.

[498] Alles ist, O Gott, in dir

Überschwänglich, Weißheit, Leben,

Freude, Reichthumb, Macht und Zier,

Menschen Pracht daneben,

Ihr Verstand, Gewalt und Lust

Ist nur Wust,

Schaum und Schatten eben.


Wol der Seelen, welche dich

Einig für ihr Theil erwehlet,

Und im Glauben inniglich

Sich mit dir vermählet!

O was Gnüg erdenckt ein Sinn,

Was Gewinn,

So den Edlen fählet?


Weg, O Herrlichkeit der Welt!

Weint ihr König' aller Enden,

Die das Glück erhaben helt

Mit untreuen Händen,

Eure Hoheit ist ein Radt

Und ein Bladt,

Das sich leicht kan wenden.


Sie hat Gott das theure Gut,

Der giebt ihr sich zu erkennen

In der Liebe, daß ihr Muth

Gegen ihn muß brennen:

Denn in ihm besitzet Sie,

Was man je

Schönes möchte nennen.


Weder Furcht noch Sorge legt

Sich in ihrer Liebe Kertzen:

Denn sie seinetwegen trägt

Mit standhafftem Hertzen

Dürfftig, nackt, verachtet seyn,

Kranckheit-Pein,

Ja auch Todes-Schmertzen.


Denn sie weiß bey wem sie hält,

Und daß sie von ihm nicht Leyden,

Nicht Gewalt, noch Zeit, noch Welt

Ewig werde scheiden,

Und daß ihrer Trübsahl Lohn

Sey die Krohn

Aller ewgen Freuden.


Sünden-Pracht und Glückes-Schein

Tritt sie Himmlisch groß mit Füssen,

Ist an Lieb und Glauben rein,

Heilig am Gewissen,

Darumb Fried und Freud im Geist,

Allermeist

Sie bedienen müssen.


Herr wenn nimbst du mich von mir

Und erwehlst mich für den deinen,

Daß ich mag in heilger Zier,

Stets vor dir erscheinen

Und dich, O mein Eigenthumb,

Wiederumb

Halte für den meinen?


Meine krancke Seel ist matt

Und verkömbt gantz für Verlangen,

Allen Kummer, den sie hat

Ist nur dich zu fangen,

Und von Welt und Sünden loß,

Dir stets bloß

Brünstig anzuhangen.


Laß mein Hort ohn' unterlaß

Mich mit dir vereinigt leben,

Wirck in mir der Erden Haß,

Daß ich dir ergeben:

Keine Lust, darauf die Welt

Etwas helt,

In mir lasse schweben.


Daß ich hab' in Lieb' und Noht

Bloß an dir die höchste Freude,

Kranckheit, Blösse, Schmach und Todt

Gern' und willig leide,

Und ist denn mein Stündlein hier,

Gar zu dir

In mein Erbreich scheide.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 4, Halle a.d.S. 1938, S. 498-499.
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